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90. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen Ausgleichskasse des Kantons Thurgau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
9C_300/2016 vom 13. Oktober 2016 | |
Regeste |
Art. 306 Abs. 1 Ziff. 2 und Abs. 2, Art. 307 Abs. 1 und Art. 310 Abs. 1 SchKG; Nachlassvertrag, der bezüglich einer eingegebenen Forderung an einem auf das Verhalten der Sachwalterin zurückzuführenden Mangel leidet. | |
Sachverhalt | |
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B. Beschwerdeweise liess die A. AG die Aufhebung des Einspracheentscheides beantragen; eventualiter sei zu Gunsten der Ausgleichskasse der Betrag von Fr. 6'465.50 zu verfügen; subeventualiter seien die Verzugszinsen der Veranlagungsverfügungen aufzuheben. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau korrigierte die angefochtenen Verwaltungsakte im Punkt der Verzugszinsen (Subeventualantrag), wies im Übrigen die Beschwerde aber ab, weil die Sachwalterin nicht befugt gewesen sei, die Forderung zu reduzieren und die Reduktion nicht geboten, sondern im Gegenteil falsch gewesen sei; darauf habe die Ausgleichskasse in ihrem Schreiben an die Sachwalterin vom 19. November 2015 hingewiesen (Entscheid vom 24. Februar 2016).
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C. Die A. AG führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Gerichtsentscheid aufzuheben; der Ausgleichskasse sei ein Gesamtbetrag von Fr. 6'465.50 zuzusprechen. Ferner sei ihr für das Einsprache- und das vorinstanzliche Beschwerdeverfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.- (ohne Mehrwertsteuer), eventualiter eine Parteientschädigung nach Ermessen, zuzusprechen.
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Die Ausgleichskasse verzichtet unter Hinweis auf den kantonalen Gerichtsentscheid auf eine Vernehmlassung. Auch das Bundesamt für Sozialversicherungen sieht von einer Stellungnahme ab.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
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3.1 Gestützt auf Art. 300 Abs. 2 und Art. 305 Abs. 3 SchKG hat die Vorinstanz erwogen, über den materiellen Bestand bestrittener Forderungen entscheide nicht der Nachlassrichter; dieser entscheide lediglich, ob und zu welchem Betrag vom Schuldner bestrittene Forderungen bei der Berechnung des Quorums für das Zustandekommen des Nachlassvertrages mitzuzählen sind. Ob und mit welchem ![]() | 10 |
3.2 Die Beschwerdeführerin bestreitet weder die seitens der Ausgleichskasse erfolgte Eingabe der Forderung von Fr. 84'746.45 in ![]() | 11 |
Im vorliegenden Fall stelle sich indessen die Frage, wie es sich verhalte, wenn privilegierte Forderungen zwar angemeldet, vom Sachwalter aber nur teilweise anerkannt und ins Forderungsverzeichnis aufgenommen wurden und sich im weiteren Verlauf des Nachlassverfahrens die Gläubigerin, wie hier die Ausgleichskasse, "gegen diese Nichtzulassung überhaupt nicht zur Wehr" setze. Entgegen dem angefochtenen Entscheid gehe es dabei nicht darum, ob die Schuldnerin die angemeldete Forderung bestritten hat; relevant sei einzig, dass der Sachwalter eine angemeldete Forderung nur teilweise zugelassen, dies allen Beteiligten gegenüber kommuniziert und die teilweise Nichtzulassung im Forderungsverzeichnis offen vermerkt hat. Aus dem obiter dictum in BGE 130 V 528 E. 2 ("nur vom Sachwalter anerkannte privilegierte Forderungen") und nach dem Wortlaut der französischen ("reconnu") und italienischen ("ammesso") Fassung könnten nur vom Sachwalter anerkannte Forderungen unter diese Gesetzesvorschrift fallen, woran der deutschsprachige Gesetzeswortlaut, welcher nur von angemeldeten Forderungen spricht, nichts zu ändern vermöge. Vielmehr sei ein Nachlassvertrag auch demjenigen Gläubiger, dessen privilegierte Forderung nicht voll zugelassen worden ist und der sich nicht dagegen gewehrt hat, im Umfang der vom Sachwalter nicht zugelassenen Forderung entgegenzuhalten, was auch aus Art. 310 Abs. 1 SchKG hervorgehe, wonach der bestätigte Nachlassvertrag für sämtliche Gläubiger ![]() | 12 |
Es gehe nicht um den - von der Vorinstanz erwähnten - Verzicht als aktive Handlung des Gläubigers, sondern um die Frage, wie die Gläubiger auf die vom Sachwalter kommunizierte teilweise Nichtzulassung reagierten. Hätte sich die Ausgleichskasse mit den ihr zustehenden Mitteln gegen die ihrer Ansicht nach ungerechtfertigte teilweise Nichtzulassung ihrer Forderung gewehrt, wäre sie damit erfolgreich gewesen mit der Folge, dass sie im Mehrumfang als privilegierte Gläubigerin vollständig befriedigt worden wäre; im Gegenzug wäre die Nachlassdividende für die Drittklassgläubiger geringer ausgefallen. Die vorinstanzliche Rechtsauffassung führe hingegen dazu, dass nun die Beschwerdeführerin (als Schuldnerin) und nicht die Drittklassgläubiger die Folgen der unterbliebenen Anfechtung der Nichtzulassung zu tragen habe. Ein solches Ergebnis entbehre einer Grundlage und widerspreche der Konzeption des Nachlassrechts. Sollte die vorinstanzliche Auffassung bestätigt werden, würden damit Sanierungen massiv erschwert, weil es für einen Investor äussert unattraktiv wäre, in eine zu sanierende Gesellschaft zu investieren, wenn er damit rechnen muss, dass seine Investition nicht für die Zukunft verwendet werden kann, sondern zur Begleichung alter privilegierter Forderungen dienen wird.
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Erwägung 4 | |
4.1 Im Elften Titel (Nachlassverfahren) sieht Art. 306 SchKG im Abschnitt II. Allgemeine Bestimmungen über den Nachlassvertrag unter der Marginalie B. Bestätigungsentscheid 1. Voraussetzungen vor: Die Bestätigung des Nachlassvertrages wird an folgende Voraussetzungen geknüpft: (...) 2. Die vollständige Befriedigung der angemeldeten privilegierten Gläubiger (...), soweit nicht einzelne Gläubiger ausdrücklich auf die Sicherstellung ihrer Forderung verzichten. Das Nachlassgericht kann eine ungenügende Regelung auf Antrag eines Beteiligten oder von Amtes wegen ergänzen ![]() | 14 |
4.2 Der der Beschwerdeführerin gewährte Nachlassvertrag leidet bezüglich der von der Ausgleichskasse eingegebenen Forderung an einem (offensichtlichen) Rechtsmangel, der weder im Verhalten der Gläubigerin (Ausgleichskasse) noch der Schuldnerin (Beschwerdeführerin) begründet liegt, sondern allein auf eine eigenmächtige Behandlung der eingegebenen Forderung durch die Sachwalterin zurückzuführen ist. In seinem Genehmigungsentscheid vom 28. April 2014 hat das Nachlassgericht (Bezirksgericht Frauenfeld) diesen Rechtsmangel übersehen. Den Entscheid des Nachlassgerichts hätte die Ausgleichskasse mit Beschwerde an das Obergericht des Kantons Thurgau weiterziehen müssen. Dazu war sie als Gläubigerin, deren eingegebene Forderung von der Sachwalterin nur teilweise berücksichtigt wurde, zweifellos legitimiert. Der Beschwerdegegnerin standen schon vorher alle Rechte einer privilegierten Gläubigerin zu, z.B. jenes auf Teilnahme an der Verhandlung vom 28. April 2014 über die Bestätigung des Nachlassvertrages, womit sie Gelegenheit hatte, auf die unrichtige Behandlung ihrer Beitragsforderung durch die Sachwalterin in dem allen Gläubigern am 31. März 2014 zugestellten Nachlassvertragsentwurf aufmerksam zu machen. Wenn nach der Rechtsprechung der bestätigte Nachlassvertrag den überhaupt nicht eingegebenen privilegierten Forderungen entgegengehalten werden kann (BGE 130 V 526, insbesondere E. 2 S. 528 und E. 4.4 S. 531; BGE 129 V 387 E. 4.2 S.389; AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 9. Aufl. 2013, § 55 Rz. 4; GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, 2003, N. 9 zu Art. 310 SchKG; HUNKELER, in: SchKG, 2. Aufl. 2014, N. 6 zu Art. 310 SchKG), dann muss das auch für eingegebene privilegierte Forderungen gelten, die von der Sachwalterin unrichtig behandelt werden, wogegen sich die Gläubigerin im nachlassrechtlichen und nachlassgerichtlichen Verfahren nicht zur Wehr ![]() | 15 |
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