BGE 143 III 65 | |||
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12. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. und B. gegen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) U. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_299/2016 vom 17. Januar 2017 | |
Regeste |
Art. 300 Abs. 2 und Art. 422 f. ZGB; Anhörung der Pflegeeltern; Entlassung der Beiständin. |
Die Entlassung einer Beistandsperson aus wichtigem Grund beruht auf Ermessen. Sie kann begründet sein, wenn die objektive Beurteilung der Frage, ob und wann ein Pflegekind zu seinen leiblichen Eltern zurückgeführt wird, nicht mehr gewährleistet ist (E. 5 und 6). | |
Sachverhalt | |
C. (Kind oder Pflegekind), geboren im Juni 2011, ist das Kind von D. (Kindesmutter oder Mutter). Am 8. August 2011 errichtete die Vormundschaftsbehörde für das Kind eine Beistandschaft mit dem Auftrag, die Mutter in ihrer Sorge um das Kind mit Rat und Tat zu unterstützen. Die Vormundschaftsbehörde entzog der Mutter am 17. September 2012 die elterliche Obhut und brachte das Kind bei seiner Grossmutter unter. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) U., die seit 1. Januar 2013 zuständig war, brachte das Kind ab August 2013 bei der Pflegefamilie A. und B. unter. Als Beiständin wurde E. eingesetzt.
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Über eine mögliche Beendigung des Pflegeverhältnisses und die Rückführung des Kindes zu seiner Mutter kam es in der Folge zu Diskussionen zwischen der Beiständin und der Kindesmutter und deren Familienangehörigen, die von der KESB sinngemäss verlangten, die Beiständin zu entlassen und eine andere Beistandsperson einzusetzen. Am 25. August 2015 teilte die Beiständin der KESB mit, sie mache gerne einer anderen Beiständin Platz und gebe das Mandat ab. Am 14. Oktober 2015 entschied die KESB, die Beiständin E. werde aus ihrem Amt entlassen und F. als Beiständin mit unverändertem Aufgabenbereich eingesetzt. Gegen den Entscheid der KESB gelangten A. und B. an das Verwaltungsgericht. Sie beantragten, der Entscheid sei aufzuheben und sie als Pflegeeltern seien vorgängig anzuhören. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde ab.
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Die Pflegeeltern A. und B. (Beschwerdeführer) haben dagegen Beschwerde erhoben, die das Bundesgericht abweist, soweit es darauf eintritt.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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3.1 Ihren Anspruch auf rechtliches Gehör stützen die Beschwerdeführer sowohl auf Art. 29 Abs. 2 BV wie auch auf Art. 6 EMRK. Inwiefern die letztere Bestimmung verletzt sein soll oder ihnen weitergehende Rechte vermitteln könnte als die Bundesverfassung, legen die Beschwerdeführer nicht dar, so dass darauf nicht einzugehen ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 140 I 246 E. 2.2 S. 248; Urteil 5A_83/2012 vom 5. Dezember 2012 E. 1.5, nicht publ. in: BGE 139 III 93).
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Die Pflegeeltern vertreten - unter Vorbehalt abweichender Anordnungen - die Eltern in der Ausübung der elterlichen Sorge, soweit es zur gehörigen Erfüllung ihrer Aufgabe angezeigt ist (Art. 300 Abs. 1 ZGB). In diesem Rahmen steht den Pflegeeltern auch die Vertretung des Pflegekindes gegenüber Drittpersonen zu (vgl. BGE 128 III 9 E. 4b S. 10/11). Insoweit kann nicht verneint werden, dass die Pflegeeltern in das Pflegekind betreffenden Verfahren grundsätzlich als Parteien im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV gelten.
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3.3 Der bundesverfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör wird durch Bestimmungen in Bundesgesetzen manchmal inhaltsgleich gewährleistet (z.B. Art. 53 Abs. 1 ZPO: BGE 142 III 48 E. 4.1.1 S. 52 f.; Art. 29 VwVG: BGE 137 II 266 E. 3.2 S. 270) oder vereinzelt erweitert (z.B. Art. 447 Abs. 1 ZGB: Urteil 5A_540/2013 vom 3. Dezember 2013 E. 3.1.1, nicht publ. in: BGE 140 III 1, wohl aber in: FamPra.ch 2014 S. 519 f. und Praxis 103/2014 Nr. 92 S. 726). Davon weicht Art. 300 Abs. 2 ZGB ab. Danach sollen die Pflegeeltern vor wichtigen Entscheidungen angehört werden. Die Bestimmung schränkt den verfassungsmässig gewährleisteten Anspruch auf Äusserung zur Sache vor Fällung des Entscheids folglich auf wichtige Entscheidungen ein. Im Hinblick auf Art. 190 BV, wonach Bundesgesetze für das Bundesgericht massgebend sind, kommt derverfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör deshalb nicht zum Tragen, wenn und soweit die Bundesgesetzgebung - wie hier mit Art. 300 Abs. 2 ZGB - eine abweichende Regelung enthält. Er bleibt aber wegleitend für eine verfassungskonforme Auslegung der vorgehenden bundesgesetzlichen Verfahrensvorschrift (BGE 113 Ib 90 E. 2d/bb S. 95 f.; BGE 114 Ia 233 E. 2c/cb S. 238; BGE 120 V 435 E. 3a S. 439; BGE 132 V 368 E. 4.1-4.3 S. 371 ff.; RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, 1990, S. 265 f.; seither: GEROLD STEINMANN, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, N. 10-14 zu Art. 29 BV; PETER KARLEN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 5 zu Art. 29 BV).
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Aus dem verfassungsmässigen Anspruch auf vorgängige Anhörung können die Beschwerdeführer somit unmittelbar nichts ableiten. Insoweit erweist sich ihre Beschwerde als unbegründet. Zu prüfen ist hingegen die richtige Anwendung von Art. 300 Abs. 2 ZGB durch die kantonalen Instanzen.
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4.1 Der bundesrätliche Entwurf sah in Art. 300 lediglich das Vertretungsrecht der Pflegeeltern vor (vgl. Botschaft vom 5. Juni 1974 über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Kindesverhältnis], BBl 1974 II 1, 126). Der Ständerat als Erstrat stimmte dem Entwurf des Bundesrates zu (AB 1975 S 133/134), während die Kommission des Nationalrates beantragte, das Vertretungsrecht in Abs. 1 zu regeln und einen neuen Abs. 2 mit dem heutigen Wortlaut anzufügen. Begründet wurde die Neuerung damit, dass ungeachtet des Vertretungsrechts der Pflegeeltern die elterliche Gewalt grundsätzlich bei den leiblichen Eltern verbleibe, weshalb die Anhörung der Pflegeeltern vor jeder wichtigen Entscheidung, die das Kind betrifft, notwendig sei (Berichterstatter Barchi). Der Antrag wurde angenommen (AB 1975 N 1784). Die Formulierung des neuen Abs. 2 gab in der Differenzbereinigung zu Diskussionen Anlass, blieb dann aber unverändert, weil damit sichergestellt war, dass die Pflegeeltern angehört werden sollen, bevor die leiblichen Eltern oder die Gerichte oder die Vormundschaftsbehörden wichtige Entscheidungen in Bezug auf das Kind treffen (AB 1976 S 91; 1976 N 432; 1976 S 248). Die Gesetz gewordene Fassung von Abs. 2 blieb seither unverändert. 4.2 Das Bestehen und Andauern eines Pflegeverhältnisses bringt es oft mit sich, dass die Pflegeeltern das Kind besser kennen und mit ihm vertrauter sind als die leiblichen Eltern. Die Anhörung gemäss Art. 300 Abs. 2 ZGB will deshalb gewährleisten, dass die Pflegeeltern die für das Kindeswohl bedeutsamen und wesentlichen Tatsachen vorbringen können, die den leiblichen Eltern allenfalls und den Behörden regelmässig nicht bekannt sind. Die Anhörung der Pflegeeltern beschränkt sich allerdings auf die für das Kind wichtigen Entscheidungen. Was im Gesetzessinne als wichtig für das Kind erscheint, hängt von sämtlichen Umständen des konkreten Einzelfalls ab. In der Lehre werden insbesondere die Beendigung des Pflegeverhältnisses und die Gestaltung der Elternrechte genannt (vgl. zum Ganzen: CYRIL HEGNAUER, Die Legitimation der Pflegeeltern zur staatsrechtlichen Beschwerde [Bemerkungen zu BGE 110 Ia 78 ], ZVW 40/1985 S. 52 ff., 54, und ders., Das schweizerische Pflegekindesrecht - Struktur und Entwicklung, ZVW 40/1985 S. 96 ff., 104; PARISIMA VEZ, in: Commentaire romand, Code civil, Bd. I, 2010, N. 10-12 zu Art. 300 ZGB; SCHWENZER/COTTIER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 5. Aufl. 2014, N. 11 f. zu Art. 300 ZGB; MEIER/STETTLER, Droit de la filiation, 5. Aufl. 2014, S. 889 Rz. 1361).
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Wie bedeutend der vorliegend in Frage stehende Beistandswechsel für das Kind ist, lässt sich folglich nicht allgemein sagen. Entscheidend wird regelmässig sein, welches Verhältnis das Kind zum Beistand hat und ob das Erziehungssystem für das Kind durch den Beistandswechsel wesentlich beeinflusst wird. Dafür wird regelmässig entscheidend sein, ob es sich bei der Person des Beistandes um eine einem Teil der Beteiligten nahe stehende Person handelt. Das wird aber bei einem Amtsbeistand regelmässig nicht der Fall sein. Insofern ist der Wechsel von einem Amtsbeistand zu einem anderen in der Regel eher von untergeordneter Bedeutung. Die Beschwerdeführer haben in keiner Weise dargelegt, warum dies hier anders und der Beistandswechsel für das Kind ein wichtiger Entscheid sein soll. Insbesondere ihre Ausführungen dazu, wie eng ihre Zusammenarbeit mit der entlassenen Beiständin gewesen sei und dass die wiederholten Beistandswechsel von der Kindesmutter und deren Familie betrieben würden, sind nach dem Gesagten nicht entscheidwesentlich, so dass das Verwaltungsgericht zu einer näheren Auseinandersetzung damit auch nicht gehalten war (vgl. zur Begründungspflicht: E. 5 unten).
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4.3 Dass die KESB vor ihrem Entscheid die Pflegeeltern nicht anhörte, hat das Verwaltungsgericht folglich zu Recht nicht beanstandet. Entgegen der Annahme der Beschwerdeführer sollen Pflegeeltern "vor wichtigen Entscheidungen" angehört werden, aber nicht vorgängig zur Frage, ob die von der KESB erst noch zu treffende Entscheidung wichtig im Sinne des Gesetzes sei. Diesbezüglich besteht für die Pflegeeltern nur die Möglichkeit, die ohne ihre Anhörung gefällte Entscheidung der KESB anzufechten und ihr Anhörungsrecht geltend zu machen. Dass die Beschwerdeinstanz auf ihre Eingabe eintritt und sie damit auch hört, hat mit der Heilung eines Verfahrensmangels nichts zu tun, wenn die Wichtigkeit der Entscheidung und damit die geltend gemachte Anhörungspflicht durch die KESB verneint wird. Diesfalls treffen die Beschwerdeführer die gesetzlichen Kosten- und Entschädigungsfolgen wie bei jeder Beschwerdeabweisung. Inwiefern in diesem Zusammenhang die Kosten- und Entschädigungsfolgen unrichtig geregelt worden sein sollen, vermögen die Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar darzulegen. Sie belegen und begründen denn auch keine Verfassungsrügen (Art. 106 Abs. 2 BGG) gegenüber der auf kantonalem Recht beruhenden Verlegung der Gerichtskosten und Parteientschädigungen (Art. 450f ZGB; BGE 140 III 167 E. 2.3 S. 169 f. und 385 E. 2.3 S. 386 f.).
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5.2 Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt, dass die Behörde die Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (Art. 29 Abs. 2 BV; BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88; BGE 141 III 28 E. 3.2.4 S. 41; BGE 141 V 557 E. 3.2.1 S. 564 f.).
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6.1 Nach Art. 422 ZGB hat die Beistandsperson frühestens nach vier Jahren Amtsdauer Anspruch auf Entlassung (Abs. 1), kann aber vorher die Entlassung aus wichtigen Gründen verlangen (Abs. 2). Die KESB entlässt die Beistandsperson gemäss Art. 423 Abs. 1 ZGB, wenn die Eignung für die Aufgabe nicht mehr besteht (Ziff. 1) oder ein anderer wichtiger Grund vorliegt (Ziff. 2). Verweist das Gesetz auf den wichtigen Grund, hat die Behörde ihre Entscheidung im konkreten Fall nach Recht und Billigkeit zu treffen (Art. 4 ZGB). Sie verfügt also über ein grosses Ermessen. Bei der Entlassung des Amtsträgers aus wichtigem Grund stehen die Interessen der betroffenen Person im Vordergrund (Urteil 5A_954/2013 vom 11. August 2014 E. 4). Ein völliger Vertrauensverlust oder eine unüberwindbar gestörte Beziehung kann ein wichtiger Grund im Gesetzessinne für den Wechsel der Person des Beistandes sein (Urteil 5A_401/2015 vom 7. September 2015 E. 6).
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6.3 Der entscheidwesentliche Sachverhalt bedarf entgegen der Darstellung in der Beschwerdeschrift keiner Ergänzung und ist in den ausschlaggebenden Punkten unbestritten. Dass die Beschwerdeführer ihre gute Zusammenarbeit mit der entlassenen Beiständin gerne fortgesetzt hätten, ist nachvollziehbar, spielt aber keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr für das Kind, dass die Beistandsperson nicht nur mit seinen Pflegeeltern, sondern auch mit seiner leiblichen Mutter eine von Vertrauen geprägte Beziehung oder wenigstens ein sachliches Arbeitsverhältnis pflegt, um unvoreingenommen, anhand einer neutralen und objektiven Beurteilung den Entscheid über die Rückkehr des Kindes zu seiner leiblichen Mutter vorzubereiten. Die Beschwerde erweist sich auch in diesem Punkt als unbegründet. (...)
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