BGE 143 III 120 | |||
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19. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Hotel A. AG gegen E.B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_579/2016 vom 28. Februar 2017 |
Art. 693 Abs. 3 Ziff. 1 OR; Wahl der Revisionsstelle; Stimmrechtsaktien; Stichentscheid. |
Art. 706 Abs. 2 OR; Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen; Gebot schonender Rechtsausübung. | |
Sachverhalt | |
A. Das voll liberierte Aktienkapital der Hotel A. AG (Beklagte, Beschwerdeführerin) von Fr. 500'000.- ist aufgeteilt in 380 Namenaktien zu Fr. 1'000.- (Stammaktien) und 1'200 Namenaktien zu Fr. 100.- (Stimmrechtsaktien). Die Aktionäre sind Geschwister. Verwaltungsratspräsident der Gesellschaft ist Dr. G.; er ist nicht Aktionär. Die Stimmrechtsaktien werden je zur Hälfte von C.B. und D.B. gehalten; mit ihren je 600 Stimmrechtsaktien und je 65 Stammaktien verfügen sie über eine Kapitalbeteiligung von je Fr. 125'000.- und eine Stimmkraft von je 665 Stimmen. E.B. (Klägerin, Beschwerdegegnerin) ist mit 225 Stammaktien im Aktienbuch eingetragen und hat nach ihrer Darstellung von ihrem Bruder F.B. weitere 25 Stammaktien erworben, mit denen sie im Aktienbuch (noch) nicht eingetragen ist; in der ordentlichen Generalversammlung vom 30. Juni 2015 und in der ausserordentlichen vom 9. September 2015 vertrat sie diese 25 Stammaktien. Sie verfügte so insgesamt über eine Kapitalbeteiligung von Fr. 250'000.- und eine Stimmkraft von 250 Stimmen.
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An der ordentlichen Generalversammlung vom 30. Juni 2015 stimmten D.B. und C.B. für den Antrag des Verwaltungsrates, die H. AG als gesetzliche Revisionsstelle wiederzuwählen. E.B. lehnte den Antrag ab. Entsprechend der Kapitalbeteiligung von je 50 % des Aktienkapitals der befürwortenden und der ablehnenden Stimmen wurde keine Revisionsstelle gewählt. Der Verwaltungsrat beschloss darauf am 12. August 2015 gegen die Stimme von E.B., eine ausserordentliche Generalversammlung einzuberufen, um die Statuten zu ändern und der Generalversammlung die Wiederwahl der bisherigen Revisionsstelle zu beantragen. Der bisherige Art. 12 Abs. 1 der Statuten der Hotel A. AG ("Bei Wahlen und Beschlüssen entscheidet, soweit nicht die Statuten oder das Gesetz etwas anderes bestimmen, das absolute Mehr der vertretenen Aktienstimmen. Bei Stimmengleichheit entscheidet bei Wahlen das Los, bei Sachfragen der Stichentscheid des Präsidenten") sollte wie folgt abgeändert werden:
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"Bei Wahlen und Beschlüssen entscheidet, soweit nicht die Statuten oder das Gesetz etwas anderes bestimmen, das absolute Mehr der vertretenen Aktienstimmen. Bei Stimmengleichheit entscheidet der Präsident mit Stichentscheid."
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An der ausserordentlichen Generalversammlung vom 9. September 2015 stimmten D.B. und C.B. der Änderung von Art. 12 Abs. 1 der Statuten (Traktandum 2) zu; E.B. stimmte dagegen. Unter Traktandum 3 stimmten anschliessend D.B. und C.B. für die Wiederwahl der bisherigen Revisionsstelle, E.B. stimmte dagegen; die bisherige Revisionsstelle wurde mit Stichentscheid des Verwaltungsratspräsidenten wiedergewählt.
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B. Mit Klage vom 3. November 2015 stellte E.B. dem Handelsgericht des Kantons Aargau die folgenden Rechtsbegehren:
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"1. Es seien folgende Beschlüsse, welche an der ausserordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom 9. September 2015 gefasst wurden, aufzuheben:
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a. die Änderung von Art. 12 Abs. 1 der Statuten der Beklagten, mit welcher der Stichentscheid des Präsidenten bei Wahlen eingeführt werden soll;
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b. die Wahl der H. AG als aktienrechtliche Revisionsstelle der Beklagten für das Geschäftsjahr 2015. (...)"
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Das Handelsgericht des Kantons Aargau hiess die Klage mit Urteil vom 8. September 2016 gut und hob die beiden angefochtenen Beschlüsse, welche an der ausserordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom 9. September 2015 gefasst wurden, auf. Das Gericht kam zum Schluss, der Stichentscheid des Verwaltungsratspräsidenten sei für Wahlen unzulässig, für die ein absolutes Mehr erforderlich sei, auch wenn für die Statutenänderung zur Einführung des Stichentscheids kein qualifiziertes Mehr erforderlich sei. Im konkreten Fall sei der Stichentscheid des Verwaltungsratspräsidenten schon deshalb ungültig, weil er nicht Aktionär sei. Weiter würden die angefochtenen Statutenänderungen vom 9. September 2015 das Gleichbehandlungsgebot verletzen und seien rechtsmissbräuchlich.
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C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beklagte, es sei das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Aargau vom 8. September 2016 aufzuheben und auf die Klage nicht einzutreten, eventuell sei die Klage abzuweisen und subeventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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3.2 Die Statuten können dem Vorsitzenden der Generalversammlung den Stichentscheid für den Fall der Stimmengleichheit verleihen, um deren Beschlussfähigkeit zu ermöglichen (BGE 95 II 555 E. 2 S. 559 ff.; vgl. BÖCKLI, a.a.O., § 12 N. 358, der von einer zum Gewohnheitsrecht verdichteten Praxis spricht). Der Vorsitzende der Generalversammlung ist in der Regel wie vorliegend der Verwaltungsratspräsident. Der Verwaltungsrat und mindestens indirekt auch dessen Präsident (vgl. Art. 712 OR) wird von der Generalversammlung gewählt (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 2 OR). Für diese Wahl ist jedoch - wenn die Statuten wie hier nichts Abweichendes vorsehen - die Mehrheit der Aktienstimmen und damit gerade nicht die Kapitalmehrheit massgebend (vgl. Art. 693 OR, Art. 704 OR). Dass aber eine mit der Stimmenmehrheit und dem entsprechenden Übergewicht der Stimmrechtsaktien gewählte Person durch Stichentscheid über die Wahl der Revisionsstelle entscheiden kann, ist mit Art. 693 Abs. 3 OR nicht vereinbar. Denn für die Wahl der Revisionsstelle ist der Grundsatz der kapitalmässigen Bemessung des Stimmrechts nach Art. 693 Abs. 3 OR zwingend.
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4.2 Die Vorinstanz hat die Statutenrevision mit Einführung des Stichentscheids des Verwaltungsratspräsidenten auch wegen Verstosses gegen Art. 706 OR ungültig erklärt. Sie hat insofern festgestellt, dass sich die Beklagte bisher am statutarischen Losentscheid bei Stimmengleichheit in Wahlgeschäften nicht gestört hat, sondern dass erst die Wiederwahl der umstrittenen Revisionsstelle den Ersatz des Loses durch den Stichentscheid des Verwaltungsratspräsidenten veranlasste. Die Vorinstanz hat daher als offensichtlich erachtet, dass es der Beklagten mit der Änderung von Art. 12 Abs. 1 der Statuten darum ging, die von der Klägerin anlässlich der vorangegangenen Generalversammlung praktizierte Opposition gegen die Wiederwahl der Revisionsstelle zu beenden. Sie hat erkannt, es seien keine sachlichen Gründe ersichtlich, weshalb der seit Jahrzehnten in Art. 12 Abs. 1 der Statuten vorgesehene Losentscheid bei Stimmengleichheit für Wahlen hätte ersetzt werden müssen. Der Auflösung von Pattsituationen und der Gewährleistung der Entscheidfähigkeit diene auch der Losentscheid; die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft sei durch die ursprüngliche Lösung ebenso gut zu gewährleisten wie mit der neuen und der Losentscheid hätte den von der Gesellschaft behaupteten drohenden Organisationsmangel verhindert.
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4.3 Zu den anfechtbaren Beschlüssen im Sinne von Art. 706 Abs. 2 OR gehören hauptsächlich solche, die Rechte zum Schutz der Aktionäre verletzen (DRUEY/DRUEY JUST/GLANZMANN, a.a.O., § 12 N. 63). Namentlich sind Beschlüsse anfechtbar, die gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstossen und insbesondere das Gebot der schonenden Rechtsausübung missachten (vgl. BÖCKLI, a.a.O., § 16 N. 112; DUBS/TRUFFER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. II, 5. Aufl. 2016, N. 13, 15 zu Art. 706 OR). So sind statutarische Beschränkungen der Einflussmöglichkeiten von Minderheitsaktionären unzulässig, welche zur Erreichung der angestrebten gesellschaftsrechtlichen Ziele nicht erforderlich sind oder die mit weniger einschneidenden Mitteln gleichfalls erreicht werden können. Die Rechtsprechung hat etwa für den Entzug oder die Einschränkung des Bezugsrechts entschieden, dass das Gebot schonender Rechtsübung hier besonders sorgfältig zu beachten ist und daher an die Begründung dafür hohe Anforderungen zu stellen sind (BGE 121 III 219 E. 3 S. 238; BGE 117 II 290 E. 4e S. 300).
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4.4 Mit dem Losentscheid wird nach den geltenden Statuten der Beschwerdeführerin für den Fall einer Pattsituation bei Wahlen die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft sichergestellt; der hier umstrittene Ersatz des Losentscheids durch den Stichentscheid des Verwaltungsratspräsidenten betrifft keine anderen Situationen und vermag im Ergebnis die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft nicht besser zu gewährleisten als der Losentscheid. Weshalb allgemein der Stichentscheid des Verwaltungsratspräsidenten eine bessere Lösung für die Beschwerdeführerin bedeuten sollte als der Losentscheid zwischen zwei - objektiv die Anforderungen erfüllenden - Wahlvorschlägen, ist nicht nachvollziehbar. Vor allem aber ist der Beschwerdegegnerin beizupflichten, wenn sie die geltende Lösung aus der Erwägung vorzieht, die Aktionäre mit Stimmenmehrheit könnten bei möglichen Losentscheiden weniger gut als bei Stichentscheiden ohne Rücksicht auf ihre Meinung entscheiden und müssten eher nach einvernehmlichen Lösungen suchen. Im Übrigen hat die Vorinstanz festgestellt, dass die Beschwerdeführerin keine allgemeinen Gründe für die Neuregelung anführt, sondern die angefochtene Statutenänderung vorgenommen hat, um die von den Aktionären mit den Stimmrechtsaktien gewünschte Wahl vornehmen zu können.
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