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60. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_648/2016 vom 3. Juli 2017 | |
Regeste |
Art. 178 ZPO; Begriff der Echtheit einer Urkunde. | |
Sachverhalt | |
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Im Jahre 2010 setzte A. die beiden Verlustscheinforderungen im Gesamtbetrag von Fr. 39'936.05 gegen B. in Betreibung. B. erhob Rechtsvorschlag. Das Kantonsgericht von Appenzell Ausserrhoden erteilte am 25. Mai 2011 die provisorische Rechtsöffnung für Fr. 39'936.05. Die dagegen von B. erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos (vgl. Urteil 5A_586/2011 vom 20. Oktober 2011).
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B. Am 23. Juni 2011 erhob B. Aberkennungsklage beim Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden. Das Kantonsgericht wies die Klage mit Urteil vom 12. Mai 2015 ab und stellte fest, dass die Forderung von A. über Fr. 39'936.05 besteht.
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C. Am 11. September 2015 erhob B. Berufung an das Obergericht Appenzell Ausserrhoden. Mit Entscheid vom 1. März 2016 hiess das Obergericht die Berufung gut und hob das Urteil des Kantonsgerichts vom 12. Mai 2015 auf. Es hiess die Klage von B. gut und stellte fest, dass die in Betreibung gesetzte Forderung im Betrag von Fr. 39'936.05 nicht besteht.
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D. Am 9. September 2016 hat A. (Beschwerdeführer) Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht erhoben. Er verlangt die Abweisung der Aberkennungsklage.
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Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. B. (Beschwerdegegner) beantragt mit Beschwerdeantwort vom 1. März 2017, die Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie einzutreten sei. Die Parteien haben repliziert und dupliziert.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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(Zusammenfassung)
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3.2 Der Wortlaut von Art. 178 ZPO ist nicht eindeutig. Der Begriff "Echtheit" ("authenticité", "autenticità") kann Verschiedenes bedeuten. Das Eigenschaftswort "echt" (desgleichen "authentique" und "autentico") kann insbesondere ausdrücken, dass ein fragliches Objekt tatsächlich von derjenigen Person stammt, die als Urheber erkennbar ist (z.B. "ein echter Rembrandt" etc.). Andererseits kann es - über die blosse Urheberschaft hinaus - auf die Qualität des fraglichen Objekts als unverfälscht oder wahr verweisen (z.B. "echtes Gold", "echte Gefühle" oder "die Echtheit eines historischen Zeugnisses"). Der alltägliche Sprachgebrauch ist demnach uneinheitlich. Hingegen ist es im juristischen Sprachgebrauch verbreitet, von Echtheit einer Urkunde bloss dann zu sprechen, wenn die Identität ihres Verfassers in Frage steht, und diesen Aspekt damit scharf von der Frage der inhaltlichen Richtigkeit oder Wahrheit der Urkunde zu trennen (vgl. Urteil 5A.3/2007 vom 27. Februar 2007 E. 2 zu Art. 9 ZGB; MAX KUMMER, in: Berner Kommentar, Einleitung, Art. 1-10 ZGB, 1962, N. 39 zu Art. 9 ZGB; MICHEL MOOSER, in: Commentaire romand, Code civil, Bd. I, 2010, N. 18 zu Art. 9 ZGB; STRATENWERTH/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, 7. Aufl. 2013, § 36 Rz. 4 ff. zu Art. 251 StGB [Urkundenfälschung]; vgl. demgegenüber etwa den früheren Art. 230 der ZPO/BE, wo von der "Echtheit des Inhaltes oder der Unterschrift einer Urkunde" ["la vérité du contenu ou de la signature d'un titre" in der französischen Fassung] die Rede war, wobei mit Echtheit des Inhalts dessen Richtigkeit ![]() | 11 |
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"Die Beweislast für die Echtheit einer Urkunde trägt nach allgemeiner Regel (Art. 8 ZGB) jene Partei, die sich auf das Dokument beruft (Art. 175). Doch kann sich die Gegenpartei nicht einfach auf eine pauschale Bestreitung der Echtheit beschränken. Vielmehr muss sie konkrete Umstände dartun, die beim Gericht ernsthafte Zweifel an der Authentizität des Dokumentes (Inhalt oder Unterschrift) wecken."
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Zweifel an der Geltung des engen, juristisch-technischen Begriffs der Echtheit entzünden sich an der Klammerbemerkung im zuletzt zitierten Satz ("Inhalt oder Unterschrift"). Damit könnte eine Umschreibung des Begriffs der "Echtheit" gemeint sein, d.h. dass darunter sowohl die Echtheit der Unterschrift (d.h. der erkennbare Aussteller ist der tatsächliche Aussteller) als auch die Echtheit des Inhalts (d.h. dessen Richtigkeit oder Wahrheit) fallen. Diese Lesart ist aber nicht zwingend. Wenn man vom engen Begriff der Echtheit ausgeht (d.h. davon, dass das Dokument vom erkennbaren Urheber herrührt), könnte die in Klammern gesetzte Aufzählung nämlich auch bedeuten, dass die Zweifel an dieser Urheberschaft auf die Unterschrift (z.B. ungewöhnliches Schriftbild) oder den Inhalt des Dokumentes (z.B. ungewöhnlicher Inhalt für den angeblichen Aussteller oder sonstige Hinweise für ein nachträgliches Manipulieren, d.h. ein Verfälschen, einer eine echte Unterschrift tragenden Urkunde [vgl. STRATENWERTH/BOMMER, a.a.O., § 36 Rz. 14]) zurückgeführt werden können. Ein wenig ausführlicher äussert sich diesbezüglich der Bericht zum Vorentwurf der Expertenkommission (2003; www.bj.admin.ch/bj/de/home/staat/gesetzgebung/archiv/zivilprozessrecht.html, unter: Begleitbericht [...]). Er enthält zwar ebenfalls keine ausdrückliche Definition der Echtheit. Zum entsprechenden Art. 171 des Vorentwurfs ("Die Partei, die sich auf eine Urkunde beruft, hat deren Echtheit zu beweisen, sofern diese von der andern Partei mit zureichenden Gründen bestritten wird.") hält der Bericht aber fest (S. 85): "Die Beweisbedürftigkeit der Echtheit setzt somit eine substantiierte Bestreitung voraus, indem ernsthafte Zweifel an der Echtheit ![]() | 14 |
Im Übrigen hat auch das Bundesgericht die Formulierung von der "Echtheit des Urkundeninhalts" bereits verwendet: In Bezug auf Art. 178 ZPO hat es erwogen, dass der Prozessgegner konkrete Umstände dartun müsse, die beim Gericht ernsthafte Zweifel an der Echtheit des Urkundeninhalts oder der Unterschrift weckten. Es musste aber bisher noch nicht entscheiden, ob damit bloss die Herkunft vom erkennbaren Aussteller gemeint ist (d.h. die Echtheit im engeren Sinne) oder auch die inhaltliche Richtigkeit der Urkunde (Urteil 4A_197/2016 vom 4. August 2016 E. 4; vgl. auch Urteil 4A_380/2016 vom 1. November 2016 E. 3.2.2). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kann in dieser Hinsicht nichts abgeleitet werden aus dem die Parteien betreffenden Urteil 5A_586/2011 vom 20. Oktober 2011 (insbesondere E. 2.4.2). Dieses Urteil betraf (wie auch der dort zitierte BGE 132 III 140 E. 4.1.2 S. 143 f.; zu diesem Urteil auch unten E. 3.5) die Rechtsöffnung. Es schafft für das materielle Verfahren kein Recht. Im Übrigen wurde bloss festgehalten, die Vorbringen des damaligen Beschwerdeführers (des aktuellen Beschwerdegegners) seien nicht genügend gewesen, um die Beweiswürdigung des Obergerichts als willkürlich erscheinen zu lassen. Zur Auslegung von Art. 178 ZPO oder zu dessen Anwendbarkeit im Aberkennungsverfahren (oder im seinerzeitigen Rechtsöffnungsverfahren) äussert sich das genannte Urteil nicht.
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3.4 Die Unsicherheit über den Begriff der Echtheit zeigt sich auch in der Lehre. Zahlreiche Autoren orientieren sich an der Botschaft (HANS SCHMID, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kurzkommentar, 2. Aufl. 2014, N. 2 zu Art. 178 ZPO; THOMAS SUTTER-SOMM, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2017, Rz. 813; LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2016, Rz. 9.97; THOMAS WEIBEL, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/ ![]() | 16 |
3.5 Für die Auslegung als bedeutsam erweist sich der Vergleich von Art. 178 ZPO mit Art. 179 ZPO. Nach Art. 179 ZPO (mit der Marginalie "Beweiskraft öffentlicher Register und Urkunden") erbringen öffentliche Register und öffentliche Urkunden für die durch sie ![]() | 17 |
Gegen den Einbezug der inhaltlichen Richtigkeit in den Echtheitsbegriff von Art. 178 ZPO sprechen sodann inhaltliche Bedenken. Dadurch erhielten auch Privaturkunden eine gesteigerte Beweiskraft und würden sich diesbezüglich den öffentlichen Urkunden gemäss Art. 179 ZPO bzw. Art. 9 ZGB annähern. Das Mass der Steigerung in der Beweiskraft hinge davon ab, welche Anforderungen man an die Bestreitung der Echtheit gemäss Art. 178 ZPO stellen will (offengelassen in Urteil 5A_586/2011 vom 20. Oktober 2011 E. 2.4.2; vgl. MÜLLER, a.a.O., N. 5 ff. zu Art. 178 ZPO). Aufgrund des äusserst weit gefassten Urkundenbegriffs gemäss Art. 177 ZPO, der dynamisch angelegt ist und künftige Entwicklungen auffangen können soll (Botschaft, a.a.O.), sind in diesem Bereich pauschale Lösungen jedoch nicht angebracht.
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Solche Pauschallösungen über die inhaltliche Beweiskraft aller Arten von Urkunden wären mit der bisherigen Rechtstradition nicht ohne weiteres vereinbar. Die Botschaft hält zwar fest, dass der Entwurf bei der Bestreitung der Echtheit eine besondere Substantiierung verlange und diesbezüglich herrschende Lehre und Praxis kodifiziere (Botschaft, a.a.O.). Da die Botschaft die angebliche Lehre und ![]() | 19 |
Wie es sich mit solchen Einzelfällen unter der ZPO verhält, braucht an dieser Stelle nicht beurteilt zu werden. Angesichts der Bandbreite der als Urkunden denkbaren Dokumente und der Vielzahl der Verfahrensarten, auf die Art. 178 ZPO anwendbar ist, erscheint es nicht als angebracht, generell und unbesehen davon auszugehen, die inhaltliche Richtigkeit der Urkunde erscheine in besonderem Masse verlässlich und verdiene die in Art. 178 ZPO unterstellte erhöhte Glaubwürdigkeit. Dadurch würden ausserdem die Beweislastverteilung gemäss Art. 8 ZGB und auch der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 157 ZPO) relativiert, obschon beide Grundsätze ausweislich der Botschaft auch bei der Beurteilung von Urkunden gelten sollen (Botschaft, a.a.O., 7322 und 7323).
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Wenn die Botschaft im Zusammenhang mit den gesteigerten Anforderungen an die Bestreitung der Echtheit einer Urkunde auf die herrschende Lehre und Praxis verweist, so ist demnach eher davon auszugehen, dass sie etwas anderes im Auge hatte: Im Rahmen von Art. 9 ZGB oder auch allgemein wurde in der Lehre nämlich eine ungeschriebene, tatsächliche Vermutung postuliert für die Echtheit im engeren Sinne (d.h. die Übereinstimmung des tatsächlichen mit dem erkennbaren Aussteller), falls die Urkunde unverdächtig erscheint, so dass dem Bestreitenden erhöhte ![]() | 21 |
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3.7 Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist davon auszugehen, dass Art. 178 ZPO nur die Echtheit im engeren Sinne erfasst, d.h. nur die Frage beschlägt, ob die Urkunde tatsächlich vom erkennbaren Aussteller stammt, nicht jedoch Fragen der inhaltlichen Richtigkeit des Dokumentes. Das Obergericht hat damit die Frage, ob das Datum der Abtretungserklärungen zutrifft, zu Recht nicht nach Art. 178 ZPO beurteilt. Es kann demnach offenbleiben, ob der Beschwerdegegner nicht ohnehin seine Bestreitung der Richtigkeit des Datums der Abtretungserklärungen im Sinne von Art. 178 ZPO ausreichend begründet hätte, wenn diese Norm anwendbar gewesen wäre. (...)
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