![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
66. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen B.A. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_510/2016 vom 31. August 2017 | |
Regeste |
Art. 279 und 334 ZPO; Erläuterung der gerichtlichen Genehmigung einer Vereinbarung über die Scheidungsfolgen. | |
Sachverhalt | |
1 | |
"A.A. bezahlt, unter Berücksichtigung der lebensprägenden Ehedauer einerseits und der Tatsache, dass B.A. aufgrund ihrer Krebserkrankung bislang keine Arbeit aufnehmen konnte, je im Voraus einen monatlichen nachehelichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 2'500.- bis zum Erreichen des ordentlichen AHV-Rentenalters des Ehegatten."
| 2 |
![]() | 3 |
C.
| 4 |
C.a Nachdem B.A. mit 64 Jahren ihr AHV-Alter erreicht hatte, stellte A.A. die Unterhaltszahlungen ein. In der Folge leitete die Frau für den Betrag von Fr. 3'300.- (zwei Monatsbetreffnisse) die Betreibung ein. A.A. erhob Rechtsvorschlag.
| 5 |
C.b Das Bezirksgericht Brig, Östlich-Raron und Goms wies das Rechtsöffnungsbegehren der Frau ab, da sich aus dem Urteil vom 16. Oktober 2012 (Bst. B) ergebe, dass mit dem Ausdruck "Ehegatten" im Urteil vom 7. Januar 2009 (Bst. A) die Ehefrau gemeint ist. Auf Beschwerde von B.A. erteilte das Kantonsgericht Wallis mit Urteil vom 11. März 2014 die definitive Rechtsöffnung.
| 6 |
C.c A.A. gelangte mit Beschwerde an das Bundesgericht. Dieses erwog, dass sich das Kantonsgericht in seiner Funktion als Rechtsöffnungsgericht an die Stelle des Sachgerichts gesetzt und die Scheidungskonvention ausgelegt habe, und wies das Rechtsöffnungsgesuch ab (Urteil 5D_46/2014 vom 17. Oktober 2014).
| 7 |
C.d Am 14. November 2014 beantragte B.A. beim Bezirksgericht Brig, Östlich-Raron und Goms eine Erläuterung des Abänderungsurteils vom 16. Oktober 2012 (Bst. B) betreffend die Dauer der Unterhaltszahlungen. A.A. widersetzte sich dem Antrag.
| 8 |
C.e Am 8. April 2015 erliess das Bezirksgericht Brig, Östlich-Raron und Goms folgende Erläuterung:
| 9 |
"1. Das Scheidungsurteil vom 7. Januar 2009 sowie das Abänderungsurteil vom 16. Oktober 2012 werden wie folgt erläutert:
| 10 |
Der nacheheliche Unterhalt für die Ehefrau B.A. dauert bis zum Erreichen des ordentlichen AHV-Alters des Ehemannes.
| 11 |
2. Die Kosten von Fr. 200.- gehen zu Lasten von A.A."
| 12 |
13 | |
D. Mit Beschwerde vom 7. Juli 2016 beantragt A.A. (Beschwerdeführer) dem Bundesgericht, das Urteil vom 10. Juni 2016 aufzuheben. Er fordert sinngemäss einen Richterspruch, der ihn lediglich bis zum Erreichen des ordentlichen AHV-Alters von B.A. (Beschwerdegegnerin) zur Bezahlung nachehelichen Unterhalts verpflichtet. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Die Vorinstanz verzichtet in der Sache auf Gegenbemerkungen und verweist auf den angefochtenen Entscheid. Das Bezirksgericht beteuert, sich im Erläuterungsverfahren an der Rechtsprechung des Kantons- und des Bundesgerichts orientiert zu haben.
| 14 |
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
| 15 |
(Zusammenfassung)
| 16 |
Aus den Erwägungen: | |
17 | |
6.1 Ist ein Urteilsdispositiv unklar, widersprüchlich oder unvollständig oder steht es mit der Begründung im Widerspruch, so nimmt das Gericht auf Gesuch einer Partei oder von Amtes wegen eine Erläuterung oder Berichtigung des Entscheids vor. Im Gesuch sind die beanstandeten Stellen und gewünschten Änderungen anzugeben (Art. 334 Abs. 1 ZPO). Das Verfahren auf Erläuterung oder Berichtigung ist wie die Revision (Art. 328-333 ZPO) zweistufig. In einem ersten Schritt prüft das Gericht, ob die Voraussetzungen für eine Erläuterung oder Berichtigung des Entscheids erfüllt sind. Ist dies der Fall, formuliert es in einem zweiten Schritt ein neues Dispositiv. Von der Sache her dient die Erläuterung lediglich der Klärung des Entscheidwillens des Gerichts, nicht der materiellen Änderung des bereits gefällten Urteils. Sie kann deshalb nur verlangt werden, wenn das Dispositiv in sich widersprüchlich ist oder wenn zwischen den Erwägungen und dem Dispositiv ein Widerspruch besteht. Die Widersprüchlichkeit oder Unklarheit muss auf formell mangelhafte Formulierungen zurückzuführen sein. Hingegen kann ![]() | 18 |
6.2 Das Erläuterungsgesuch richtet sich an das Gericht, welches das zu erläuternde Urteil gefällt hat. Mit der Erläuterung tut das Gericht seinen ursprünglichen authentischen Rechtsgestaltungswillen kund. Um den Entscheidwillen im Zeitpunkt der Urteilsfällung nachzuvollziehen, zieht es auch die Prozessakten (z.B. Rechtsschriften, Gerichtsprotokolle) heran (vgl. SCHWANDER, a.a.O., N. 6 zu Art. 334 ZPO; HERZOG, a.a.O., N. 2 zu Art. 334 ZPO; MARKUS DÖRIG, Nachverfahren im zürcherischen Ehescheidungsprozess, 1987, S. 63). Aus dem Gesagten folgt, dass der Richter den wirklichen Inhalt eines Entscheids nur insofern erläutern kann, als es sich dabei um eigene, von ihm gewollte Anordnungen handelt. Nicht erläuterungs- oder berichtigungsfähig sind deshalb gerichtliche Beschlüsse, mit denen das Gericht das Verfahren gestützt auf einen Vergleich oder ein anderes Urteilssurrogat abschreibt, soweit nicht die Abschreibung als solche oder ein diesbezüglicher Prozesskostenentscheid der Erläuterung oder Berichtigung bedarf. Davon zu unterscheiden ist die gerichtliche Genehmigung der Vereinbarung über die Scheidungsnebenfolgen. Obwohl auch bei dieser Art von Vergleich die Willensbildung primär bei den Parteien und nicht beim Gericht liegt, ist die gerichtliche Genehmigung nach verbreiteter Meinung einer Erläuterung zugänglich, weil das Gericht gemäss Art. 279 ZPO den ![]() | 19 |
6.3 Das Kantonsgericht nimmt die kantonale Beschwerde des Beschwerdeführers als Berufung entgegen. Diese Vorgehensweise gibt Anlass, auf den Rechtsweg bei der Erläuterung einzugehen. Nach Art. 334 Abs. 3 ZPO ist ein Entscheid über das Erläuterungs- oder Berichtigungsgesuch mit Beschwerde anfechtbar. Aus der geschilderten Zweistufigkeit des Verfahrens (E. 6.1) folgt, dass eine separate Eröffnung des (erstinstanzlichen) Entscheids über die Erläuterung oder Berichtigung in aller Regel nur dann angezeigt ist, wenn das Gericht das Gesuch abweist oder nicht darauf eintritt, nicht aber im Falle einer Gutheissung des Gesuchs, die normalerweise direkt zur Erläuterung oder Berichtigung führt. Entsprechend steht die Beschwerde nach Art. 319 ZPO, auf die Art. 334 Abs. 3 ZPO verweist, normalerweise nur gegen einen erstinstanzlichen Abweisungs- oder Nichteintretensentscheid offen (FREIBURGHAUS/AFHELDT, a.a.O., N. 11 zu Art. 334 ZPO; SCHWANDER, a.a.O., N. 18 zu Art. 334 ZPO; HERZOG, a.a.O., N. 16 zu Art. 334 ZPO; anders STERCHI, a.a.O., N. 12 zu Art. 334 ZPO, der die grundsätzliche Gutheissung des Gesuchs in Gestalt eines selbständigen Zwischenentscheids als "undenkbar" bezeichnet; anders auch PHILIPPE SCHWEIZER, in: CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, N. 18 ff. zu Art. 334 ZPO, nach ![]() | 20 |
6.4 Da der neue Entscheid den ursprünglichen Entscheid im Umfang der Erläuterung bzw. Berichtigung ersetzt, kann die dadurch beschwerte Partei vor der Rechtsmittelinstanz in der Sache nur diejenigen Gründe anrufen, die das Gesetz für das entsprechende Hauptrechtsmittel vorsieht (s. für das Verfahren vor den kantonalen Instanzen Art. 310 und 320 ZPO für die Berufung und die Beschwerde sowie für das Verfahren vor dem Bundesgericht Art. 95 ff. und Art. 116 BGG für die Beschwerde in Zivilsachen oder die subsidiäre Verfassungsbeschwerde). Ist beispielsweise die Berufung gegeben (s. Sachverhalt Bst. C.f), so kann sich eine Partei, die sich durch den erläuterten oder berichtigten Entscheid schlechtergestellt sieht als zuvor, lediglich darauf berufen, dass der angefochtene Entscheid, so wie ihn die erste Instanz erläutert bzw. berichtigt hat, einer unrichtigen Rechtsanwendung gleichkommt (Art. 310 Bst. a ZPO). In diese Kategorie fällt auch der Vorwurf, dass die untere Instanz ihren ursprünglichen Entscheid mit ihrer Erläuterung oder Berichtigung materiell abgeändert und so den Grundsatz der Ausschlusswirkung der materiellen Rechtskraft verletzt habe (vgl. SCHWEIZER, a.a.O., N. 23 zu Art. 334 ZPO). Hingegen kann diese Partei vor der Rechtsmittelinstanz weder mit dem Hauptrechtsmittel in der Sache noch mit der Beschwerde im Sinne von Art. 334 Abs. 3 ZPO geltend machen, dass die untere Instanz ihren Entscheid nicht richtig erläutert habe. Denn was er mit seinem eigenen Entscheid zum Ausdruck bringen, wie er den ihm vorgelegten Streit also beurteilen ![]() | 21 |
22 | |
In der Folge stellt die Vorinstanz klar, dass die kantonale Beschwerde zwar formal eine Urteilserläuterung betreffe, es inhaltlich aber um eine Vertragsauslegung - um die Auslegung der Scheidungskonvention - gehe. Dabei lasse sich bezüglich der Frage, ob der Ausdruck "Ehegatte" (s. Sachverhalt Bst. A) den Beschwerdeführer oder die Beschwerdegegnerin meint, kein übereinstimmender wirklicher Parteiwille feststellen. Auch das nachträgliche Parteiverhalten ermögliche keine Rückschlüsse auf den tatsächlichen Parteiwillen. ![]() | 23 |
Als "nicht massgebend" bezeichnet das Kantonsgericht den Einwand des Beschwerdeführers, dass das Bezirksgericht im Abänderungsurteil vom 16. Oktober 2012 unter dem Titel "Verfahren" - nicht aber in dessen Dispositiv - ohne jegliche Begründung und nur in Klammern "der Ehefrau" hinzufügte (s. Sachverhalt Bst. B). Zur Begründung führt die Vorinstanz unter Hinweis auf Erwägung 2.1 des bundesgerichtlichen Urteils 5D_46/2014 (s. Sachverhalt Bst. C.c) aus, dass sich der Abänderungsprozess nur auf die Höhe, nicht aber auf die Dauer des nachehelichen Unterhalts bezog. Der ![]() | 24 |
25 | |
8.1 Vorab stört sich der Beschwerdeführer an der vorinstanzlichen Erkenntnis, wonach die Dauer der Unterhaltspflicht gar nicht Gegenstand des Abänderungsverfahrens gewesen sei. Tatsächlich sei es im Abänderungsverfahren nicht nur um die Höhe der Unterhaltsbeiträge gegangen. Der Bezirksrichter habe auch die Dauer der Unterhaltspflicht präzisiert bzw. erläutert, indem er festhielt, dass die Unterhaltsbeiträge bis zum Erreichen des ordentlichen AHV-Alters des Ehegatten (der Ehefrau) dauern sollten. Damit erhebt der Beschwerdeführer freilich keine Sachverhaltsrüge. Denn nach welchen Kriterien sich der Gegenstand eines Verfahrens bestimmt, ist keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage. Im Streit um den nachehelichen Unterhalt gilt der Dispositionsgrundsatz (Urteil 5A_95/2012 vom 28. März 2012 E. 4.4 mit Hinweis). Das bedeutet, dass das Gericht einer Partei nicht mehr und nichts anderes zusprechen darf, als sie verlangt, und nicht weniger, als die Gegenpartei anerkannt hat (Art. 58 Abs. 1 ZPO). Aus der Dispositionsmaxime folgt, dass es Sache der klagenden Partei ist, den Streitgegenstand zu definieren, und dass das Gericht diesen nicht von sich aus auf nicht geltend gemachte Punkte ausdehnen darf (vgl. BGE 129 V 450 E. 3.2 S. 453; MYRIAM A. GEHRI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 5 zu Art. 58 ZPO; MAX GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 148). Eine Frage des ![]() | 26 |
8.2 Nach dem Gesagten fällt auch die weitere These in sich zusammen, wonach die "Wurzel allen Übels" die Scheidungskonvention (s. Sachverhalt Bst. A) sei, die - zumindest im Nachhinein - nicht klar festhalte, ob die nacheheliche Unterhaltspflicht bereits beim Erreichen des AHV-Pensionsalters der Beschwerdegegnerin oder erst dann enden sollte, wenn er, der Beschwerdeführer, selbst 65 Jahre alt werde. Nach der Vorstellung des Beschwerdeführers soll dieser "Mangel" im Abänderungsurteil vom 16. Oktober 2012 geheilt worden sein, da der Bezirksrichter in der Begründung dieses Urteils "explizit" festgehalten habe, dass die nacheheliche Unterhaltspflicht bis zum Erreichen des ordentlichen AHV-Alters "des Ehegatten (der Ehefrau)" dauere. Wie die vorigen Erwägungen zeigen, war es dem Bezirksrichter angesichts des Streitgegenstands des Abänderungsprozesses verwehrt, in diesem Verfahren auf ![]() | 27 |
28 | |
8.4 Weiter argumentiert der Beschwerdeführer, dass der Richter bei einer Erläuterung im Sinne von Art. 334 Abs. 1 ZPO nicht nur die einzelnen Ziffern des Dispositivs, sondern auch den gesamten Inhalt des Entscheids in Erwägung ziehen müsse. Nachdem bereits im Abänderungsurteil erläuternd "der Ehefrau" stehe, lasse dieser Begriff überhaupt keinen Interpretationsspielraum zu; vielmehr habe der Bezirksrichter nichts anderes zu tun gehabt, als den Terminus "der Ehefrau", wie er ihn in seiner eigenen Begründung festhielt, in das Dispositiv zu übernehmen. Indem die Walliser Justiz dies unterliess, habe sie ein klassisches "venire contra factum proprium" begangen und ihren eigenen Urteilsspruch zu seinen Ungunsten in willkürlicher Weise umgedeutet. Das Kantonsgericht verkenne, dass das Urteilsdispositiv "nichts anderes als die Zusammenfassung des restlichen Urteils ist". Bei all diesen Versuchen, zwischen dem Dispositiv und der Begründung des Abänderungsurteils einen Zusammenhang herzustellen, übersieht der Beschwerdeführer, dass sich das Urteilsdispositiv vom 16. Oktober 2012 naturgemäss gar nicht verbindlich zur Dauer der nachehelichen Unterhaltspflicht äussern konnte, nachdem er mit seinen Klagebegehren nur die Höhe der Frauenalimente zum Gegenstand des Abänderungsverfahrens gemacht hatte. Entsprechend konnte es in diesem Verfahren bezüglich der Dauer der Leistungspflicht weder einen "authentischen Rechtsgestaltungswillen" geben, nach welchem in der Erläuterung des Abänderungsurteils hätte geforscht, noch einen "Urteilsspruch des Abänderungsverfahrens", der dort hätte umgedeutet werden können. ![]() | 29 |
30 | |
8.6 Der Ordnung halber ist schliesslich klarzustellen, dass das Kantonsgericht seine Rolle als Rechtsmittelinstanz missversteht, wenn es im angefochtenen Entscheid - allein unter dem Gesichtspunkt der Erläuterung - mit seinen Überlegungen zur Auslegung der streitigen Passage der gerichtlich genehmigten Scheidungskonvention vom 4. November 2009 (s. Sachverhalt Bst. A) letztendlich der Frage nachgeht, ob das Bezirksgericht das Scheidungsurteil vom 7. Januar 2009 und das Abänderungsurteil vom 16. Oktober 2012 "richtig" erläuterte (E. 6.4). Im Übrigen hatte auch das Bezirksgericht im Rahmen der Erläuterung dieser Konventionsklausel lediglich die Frage zu beantworten, welchen (mutmasslichen) Willen die Parteien in der Wahrnehmung des Scheidungsrichters hatten, als dieser die Scheidungskonvention genehmigte (E. 6.2). Hingegen war das Bezirksgericht im Verfahren der Erläuterung nicht dazu aufgerufen, die Bedeutung des Ausdrucks "Ehegatte" nach den gängigen Regeln über die Auslegung von Schuldverträgen zu ermitteln. Stellt das Gericht in diesem Verfahren fest, dass es an einem übereinstimmenden wirklichen Parteiwillen fehlt, und forscht es vor dem Hintergrund dieser Feststellung nach Massgabe des Vertrauensprinzips nach dem objektivierten Parteiwillen, so beantwortet es eine ![]() | 31 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |