BGE 144 III 469 | |||
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56. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_665/2018 vom 18. September 2018 | |
Regeste |
Art. 301a Abs. 2 ZGB; Art. 315 Abs. 5 und Art. 325 Abs. 2 ZPO; aufschiebende Wirkung bei Aufenthaltsveränderung des Kindes. | |
Sachverhalt | |
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B. Seit Beginn 2018 ist zwischen den Parteien das Scheidungsverfahren hängig. Im Frühling 2018 stellte die Mutter das Begehren, die bisherige Obhutsregelung sei anzupassen, weil sie ab dem 1. Juli 2018 mit den beiden Kindern in Thun wohnen wolle.
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Mit Entscheid vom 5. Juli 2018 übertrug das Bezirksgericht Brig, Östlich Raron und Goms die Obhut über die beiden Kinder auf die Mutter und erlaubte ihr, den Aufenthaltsort der Kinder nach Thun und Umgebung zu verlegen, unter Regelung des Besuchs- und Ferienrechts des Vaters.
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Gegen diesen Entscheid erhob der Vater Berufung; gleichzeitig verlangte er die aufschiebende Wirkung. Mit Entscheid vom 24. Juli 2018 wies das Kantonsgericht Wallis das Gesuch um aufschiebende Wirkung ab.
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C. Gegen diesen Entscheid hat der Vater am 16. August 2018 eine Beschwerde in Zivilsachen erhoben mit den Begehren um dessen Aufhebung und unverzügliche Erteilung der aufschiebenden Wirkung für das kantonale Berufungsverfahren.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
4. Wie das Kantonsgericht zutreffend erkannt hat (vgl. BGE 142 III 481 E. 2.8 S. 496 oben, BGE 142 III 502 E. 2.3 S. 506 unten und E. 2.4.1 S. 508 unten), ist die Aufrechterhaltung der alternierenden Obhut mit wechselnden Betreuungs-Wochenhälften angesichts der Entfernung zwischen V. (bei Brig) und U. (bei Thun) nicht möglich, zumal das ältere Kind zur Schule und das jüngere in den Kindergarten geht. Entsprechend stellt sich die Frage nach der Regelung der aufschiebenden Wirkung im Rechtsmittelverfahren betreffend den die Veränderung des Aufenthaltsortes der Kinder erlaubenden erstinstanzlichen Entscheid.
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Soweit nach dem bisher gelebten Modell beide Elternteile als Hauptbezugspersonen anzusehen sind, wie dies typischerweise bei der alternierenden Obhut der Fall ist, können diese Grundsätze nicht greifen, denn hier ist die Ausgangslage gewissermassen neutral (BGE 142 III 481 E. 2.7 S. 493, BGE 142 III 502 E. 2.5 S. 511) und es muss im Wesentlichen anhand der Kriterien, wie sie auch für die Obhutszuteilung gelten - d.h. in erster Linie die Erziehungsfähigkeit, die tatsächliche Betreuungsmöglichkeit, die Stabilität der Verhältnisse, die Sprache und Beschulung des Kindes und je nach Alter auch dessen Äusserungen und Wünsche - über die Frage der Verlegung des Aufenthaltsortes entschieden werden (BGE 142 III 481 2.7 S. 492 f., BGE 142 III 498 E. 4.4 S. 499 f., 502 E. 2.5 S. 511 f.).
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4.2.1 Hierfür macht es einen wesentlichen Unterschied, ob es der hauptbetreuende Elternteil im Sinn des bisherigen Alleininhabers der Obhut ist, der mit dem Kind wegziehen will, oder ob die Eltern das Kind bislang alternierend betreut haben und aufgrund der Distanz des neuen Wohnortes des wegzugswilligen Elternteils - unabhängig davon, in welchem Haushalt das Kind zukünftig leben wird - das vorbestandene Betreuungsmodell nicht mehr aufrechterhalten werden kann:
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Mit der Sorgerechtsrevision ist das Aufenthaltsbestimmungsrecht vom Obhutsrecht gelöst und zu einer direkten Komponente des Sorgerechts gemacht worden (Art. 301a Abs. 1 ZGB; BGE 142 III 481 E. 2.3 S. 484, BGE 142 III 502 E. 2.2 S. 506, 612 E. 4.2 S. 614; BGE 144 III 10 E. 4 S. 12). Indes besteht ein enger Konnex zur Obhutsfrage gerade bei einer bisher gelebten alternierenden Obhut insofern, als sich diese infolge des Wegzuges eines Elternteiles in der Regel nicht mehr aufrechterhalten lässt und es zwangsläufig zur Alleinzuteilung der Obhut kommt (dazu E. 4). Es kann aber auch beim Wegzug des alleinigen Obhutsinhabers ein Konnex mit der Obhutsfrage entstehen, indem nämlich bei damit einhergehender eigenmächtiger oder missbräuchlicher Aufenthaltsveränderung des Kindes gegebenenfalls die Umteilung der Obhut zu prüfen ist (BGE 142 III 481 E. 2.7 S. 495, BGE 142 III 502 E. 2.5 S. 511; BGE 144 III 10 E. 5 S. 13).
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Vor diesem Hintergrund kann für die Konstellation, dass der hauptbetreuende Elternteil mit dem Kind wegziehen will, für die Frage der aufschiebenden Wirkung im Rechtsmittelverfahren im Normalfall sinngemäss auf die in BGE 138 III 565 E. 4.3.2 S. 566 für die Obhutsregelung aufgestellten Grundsätze verwiesen werden. Danach sollen Kinder, die aufgrund des bisher gelebten Betreuungsmodells eine Hauptbezugsperson hatten, während des Rechtsmittelverfahrens in der Regel bei diesem Elternteil verbleiben und entsprechend ist im Rahmen von Art. 315 ZGB - je nach Ausgangskonstellation durch Erteilung oder Entzug - die aufschiebende Wirkung zu regeln. Diese sinngemässe Verweisung kann bei der Aufenthaltsfrage des Kindes jedenfalls dann Gültigkeit beanspruchen, wenn es um kleinere und damit noch eher personengebundene Kinder geht und keine Gründe für eine Neubeurteilung der Obhut aufgrund der Wegzugspläne des bisher hauptbetreuenden Elternteils ersichtlich sind, so dass die Hauptsachenprognose (dazu vorstehend E. 4.2) für die Genehmigung des Wegzuges spricht.
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Gerade anders muss es sich bei einer alternierenden Obhut verhalten, weil hier die Ausgangssituation nach dem in E. 4.1 Gesagten gewissermassen neutral ist, die unverzügliche Veränderung des Aufenthaltsortes des Kindes aber auf den Rechtsmittelentscheid insofern eine stark präjudizierende Wirkung hat (vgl. zum Problemkreis der präjudizierenden Wirkung und zur Hauptsachenprognose im Zusammenhang mit Wegzugsentscheidungen: MÖCKLI, Die Relocation von Kindern, ZSR 2017 II S. 229, 288 ff.), als das Kindeswohl gebietet, dass auf die aktuellen - mithin auf die zufolge Verweigerung der aufschiebenden Wirkung gegebenenfalls veränderten - Verhältnisse im Urteilszeitpunkt und nicht auf die ursprünglichen Verhältnisse abgestellt wird (BGE 142 III 502 E. 2.7 S. 515).
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Die aufschiebende Wirkung ist deshalb bei alternierender Obhut mit grosser Zurückhaltung und nur bei wirklicher Dringlichkeit zu verweigern oder zu entziehen, denn bei dieser Ausgangslage tritt - zumal wenn beidseits die Erziehungsfähigkeit als erstellt gilt und auch beide Seiten das Kind weiterhin betreuen möchten und könnten - das Kontinuitätsprinzip in den Vordergrund (vgl. BGE 142 III 498 E. 4.5 S. 500), welches dafür spricht, dass die Aufenthaltsveränderung unter Vorbehalt besonderer Umstände nicht bereits während des Rechtsmittelverfahrens erfolgt, sondern die Kinder bis zum Rechtsmittelentscheid in der angestammten Umgebung bleiben.
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4.3 Vorliegend hat der erstinstanzliche Richter - was im angefochtenen Entscheid nicht eigens aufgeführt wird - nicht übersehen, dass beide Kinder beim Vater wohnen bleiben möchten mit der Begründung, er unternehme viel mehr Dinge mit ihnen und bleibe bei Streitereien im Unterschied zur Mutter ruhig und schlage sie nicht. Indes hat er auch auf die von der Psychologin festgestellte Ambivalenz der Äusserungen und den offensichtlichen Loyalitätskonflikt der Kinder hingewiesen. Ausschlaggebend für die Genehmigung des Wegzuges der Kinder mit der Mutter, obwohl die Psychologin tendenziell eine Zuteilung an den Vater empfahl, war für den erstinstanzlichen Richter, dass diese die Kinder vor der Installation der alternierenden Obhut überwiegend betreut habe und sie auch in Zukunft im Wesentlichen selbst betreuen könnte, während der Vater zwar beruflich flexibel, aber zur Betreuung auch auf die im gleichen Haushalt lebende neue Partnerin und die im gleichen Haus wohnende Mutter bzw. Schwester angewiesen sei.
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Ob die Verlegung des Aufenthaltsortes der Kinder zu genehmigen ist oder sie zufolge Wegzuges der Mutter nach U. vollzeitlich im väterlichen Haushalt unterzubringen sind, wird Thema des Endentscheides im Berufungsverfahren sein. Für die vorliegend zu beurteilende Frage der aufschiebenden Wirkung ist relevant, dass der Ausgang des Rechtsmittelverfahrens angesichts der vorstehend erwähnten Faktoren als völlig offen bezeichnet werden muss, dies freilich nur ausgehend von der ursprünglichen Situation. Bei einem Wegzug der Kinder nach Thun und Umgebung zufolge verweigerter aufschiebender Wirkung und dortiger Einschulung könnte eine neue Situation eintreten und sich der Kontinuitätsgedanke unter anderen Vorzeichen stellen.
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Der angefochtene Entscheid geht auf die konkreten Verhältnisse kaum ein, sondern stellt in relativ abstrakter Weise auf bestimmte Kriterien ab, die jedoch unsachlich und damit willkürlich sind. So wird eingangs als zentrales Element der Ausnahmecharakter der aufschiebenden Wirkung herausgestrichen, obwohl nach der in E. 4.2 und 4.2.1 erwähnten Rechtsprechung die auf dem Spiel stehenden Interessen abzuwägen sind und eine Hauptsachenprognose zu machen ist. Sodann wird die Kindeswohlgefährdung als Massstab genommen und der erstinstanzliche Entscheid vor diesem Hintergrund als nicht unhaltbar bezeichnet, obwohl gemäss dem in E. 4.1 und 4.2.1 Gesagten das Kindeswohl massgebend ist.
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Der angefochtene Entscheid erweist sich aber auch im Ergebnis als willkürlich, weil er fast gänzlich ausblendet, dass nicht der Alleininhaber der Obhut mit den Kindern wegziehen will, sondern einer der alternierend betreuenden Elternteile, und diesfalls die aufschiebende Wirkung nur mit grosser Zurückhaltung zu verweigern ist, wobei von keiner Seite eine Dringlichkeit des Wegzuges geltend gemacht wird, und dass im vorliegenden Einzelfall angesichts der konkreten Umstände der Ausgang des Rechtsmittelverfahrens als völlig offen bezeichnet werden muss, was indes nicht mehr der Fall wäre, wenn die Kinder zufolge verweigerter aufschiebender Wirkung im Urteilszeitpunkt bereits in Thun und Umgebung eingelebt sein sollten.
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