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39. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. J. Ltd gegen B. Ltd (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_626/2018 vom 3. April 2019 | |
Regeste |
Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG; Art. 9 BV; Zulassung unechter Noven im Beschwerdeverfahren. | |
Sachverhalt | |
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A.a Am 7. November 2016 stellte die J. Ltd (Arrestgläubigerin) beim Bezirksgericht Zürich ein Arrestgesuch gegen die B. Ltd (Arrestschuldnerin). Beide Gesellschaften sind in Belize ansässig. Die Arrestgläubigerin beruft sich darauf, am 9. Januar 2012 mit der Arrestschuldnerin schriftlich einen als "Loan Agreement" bezeichneten Vertrag über die Gewährung eines verzinslichen, spätestens per 9. Januar 2015 rückzahlbaren Darlehens von USD 4'865'000.- geschlossen zu haben. Sie macht geltend, sie habe die Darlehensvaluta am 9. Januar 2012 auf das Konto der Arrestschuldnerin bei der Bank C. AG in Zürich überwiesen. Am 10. Mai 2016 habe sie die Arrestschuldnerin vergeblich aufgefordert, die ausstehenden Beträge binnen dreissig Tagen zu bezahlen. Seit spätestens 16. Juni 2016 sei die Arrestschuldnerin mit der Rückzahlung der Darlehensvaluta und den Zinsen im Umfang von insgesamt USD 5'337'934.28 in Verzug.
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A.b Gestützt auf Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG bewilligte das Bezirksgericht Zürich den Arrest am 10. November 2016 für eine Forderung von Fr. 4'708'200.- (entsprechend USD 4'865'000.-) nebst Zins zu 2,5 % seit 13. Februar 2012. Zwei Zahlungen der Arrestschuldnerin von insgesamt USD 10'900.- wurden an die aufgelaufenen Darlehenszinsen angerechnet. Als Arrestgegenstände wurden Vermögenswerte der Arrestschuldnerin bei der Bank D. AG in Zürich bezeichnet. Der Arrestbefehl des Bezirksgerichts datiert vom 11. November 2016. Er wurde vom Betreibungsamt Zürich 1 am 14. November 2016 vollzogen.
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B. Am 16. Januar 2017 erhob die Arrestschuldnerin Einsprache gegen den Arrestbefehl. Mit Urteil vom 4. Oktober 2017 wies das Bezirksgericht die Einsprache einschliesslich des gestellten Eventualantrags auf Anordnung einer Sicherheit von Fr. 317'273.80 ab. Die ![]() | 4 |
C. Mit Eingaben vom 27. Juli und vom 20. August 2018 wendet sich die J. Ltd (Beschwerdeführerin) an das Bundesgericht. Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und den Arresteinspracheentscheid des Bezirksgerichts (Bst. B) sowie den Arrestbefehl desselben Gerichts (Bst. A.b) zu bestätigen. Eventualiter sei der Prozess zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist (Eingabe vom 11. Januar 2019). Das Obergericht verzichtete auf eine Vernehmlassung (Schreiben vom 21. November 2018).
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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6.1 Soweit die Beschwerdeführerin dem Obergericht vorwirft, seine Handhabung der streitigen Novenregelung nicht hinreichend zu begründen und deshalb ihren Anspruch auf rechtliches Gehör zu verletzen, sind ihre Befürchtungen unbegründet. Um den Vorgaben von Art. 29 Abs. 2 BV zu genügen, muss die Begründung so abgefasst sein, dass sich die betroffene Person über die Tragweite des angefochtenen Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann (BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88; BGE 133 III 439 E. 3.3 S. 445; BGE 130 II 530 E. 4.3 S. 540). Zu begründen ist das Ergebnis des Entscheides, das im Urteilsspruch zum Ausdruck kommt und das allein die Rechtsstellung der betroffenen Person berührt. Die Begründung ist also nicht an sich selbst, sondern am Rechtsspruch zu messen (Urteil 5A_382/2013 vom 12. September 2013 E. 3.1). Im konkreten Fall ergibt sich aus den vorinstanzlichen Erwägungen sehr wohl, weshalb das Obergericht die Beschwerde gutheisst und den Arrestbefehl aufhebt. Ist die ![]() | 9 |
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6.3 Was den Streit um die Zulassung unechter Noven im Beschwerdeverfahren (Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG) angeht, so sprechen sich neben den von der Beschwerdeführerin erwähnten Lehrmeinungen (HANS REISER, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II, 2. Aufl. 2010, N. 49 zu Art. 278 ![]() | 11 |
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Was die Auslegung von Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG angeht, sind die zitierten Autoren mehrheitlich der Meinung, dass allein dem Gesetzestext nicht zu entnehmen sei, ob im Beschwerdeverfahren gegen den Arresteinspracheentscheid nur echte oder auch unechte Noven geltend gemacht werden können (KREN KOSTKIEWICZ, 2018, a.a.O.; dieselbe, 2017, a.a.O.; WEINGART, a.a.O., S. 154; REISER, a.a.O., N. 46 zu Art. 278 SchKG; OTTOMANN, a.a.O.; BRÖNNIMANN, a.a.O.; ähnlich ARTHO VON GUNTEN, a.a.O., S. 105 f.). Einzelne Befürworter der Zulassung unechter Noven finden demgegenüber, dass sich die Norm (von ihrem Wortlaut her) nur auf die echten Noven beziehe (BAUER, a.a.O., N. 46 zu Art. 278 SchKG; STOFFEL/CHABLOZ, Voies d'exécution, a.a.O.).
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Zur Begründung, weshalb im Beschwerdeverfahren auch unechte Noven zu berücksichtigen seien, finden sich im Schrifttum verschiedene Argumente. REISER (a.a.O., N. 49 zu Art. 278 SchKG) und BAUER (a.a.O., N. 49 zu Art. 278 SchKG) wollen mit einer grosszügigen Novenregelung "unnötige Härten" vermeiden. Andere Autoren finden, einzig massgebend sei die materielle Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung; nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Arrestbeschlag beseitigt werden, sobald die Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorliegen (WEINGART, a.a.O., S. 154 f.; ARTHO VON GUNTEN, a.a.O., S. 106; ROSSETTI, a.a.O., S. 177 f.; ähnlich KREN KOSTKIEWICZ, 2018, a.a.O.; dieselbe, 2017, a.a.O., und STOFFEL/CHABLOZ, Voies d'exécution, a.a.O.). In diesem Sinne erblickt PIEGAI (a.a.O., S. 222) die "ratio legis" von Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG im Erfordernis, den Arrest ständig zu "aktualisieren". ARTHO VON GUNTEN (a.a.O.) weist überdies darauf hin, dass das Arrestgesuch jederzeit mit ergänzter Begründung bei der ersten Instanz wieder eingereicht werden kann, weshalb sich das grosszügige Zulassen von neuen Tatsachen auch aus prozessökonomischen Gründen rechtfertige. GILLIÉRON (a.a.O.) betont, dass sowohl der Arrestrichter als auch die Rechtsmittelinstanz gestützt auf den Sachverhalt urteilen, wie er sich aus der von ihnen vorgenommenen Instruktion ergibt, ![]() | 14 |
6.4 Demgegenüber vertreten einige Autoren die Ansicht, mit den "neuen Tatsachen" seien in Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG nur echte Noven, also Tatsachen gemeint, die sich erst nach dem Einspracheentscheid - genauer: nach dem letzten Parteivortrag im Einspracheverfahren - ergeben haben (FELIX C. MEIER-DIETERLE, in: Klagen und Rechtsbehelfe im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht [nachfolgend: Klagen], Boesch und andere [Hrsg.], 2018, S. 688; derselbe, Prozessuale Besonderheiten im Arrestrecht, in: Zivilprozess und Vollstreckung national und international - Schnittstellen und Vergleiche, Markus und andere [Hrsg.], Festschrift für Jolanta KrenKostkiewicz, 2018, S. 572; derselbe, in: SchKG, Kurzkommentar[nachfolgend: Kurzkommentar], Hunkeler [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 15 zu Art. 278 SchKG; derselbe, Arrestpraxis ab 1. Januar 2011 [nachfolgend: Arrestpraxis], AJP 2010 S. 1222 [anders noch derselbe, Formelles Arrestrecht - Eine Checkliste, AJP 2002 S. 1230];CHRISTOPH REUT, Noven nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2017, S. 213 f.; MICHAEL LAZOPOULOS, Arrestrecht - die wesentlichen Änderungen im Zusammenhang mit dem revidierten LugÜ und der Schweizerischen ZPO, AJP 2011 S. 615; PHILIPPE M. REICH, in: ![]() | 15 |
Nicht eindeutig äussert sich SPÜHLER, der unter Hinweis auf die bundesrätliche Botschaft erklärt, dass der Wortlaut von Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG "eher für eine Beschränkung auf echte Noven" spreche (KARL SPÜHLER, Neuerungen in den Bereichen Arrest, Feststellung neuen Vermögens und der Anfechtung, in: Das revidierte Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz [SchKG], Referate anlässlich der Tagung des Schweizerischen Instituts für Verwaltungskurse an der Hochschule St. Gallen vom 4. April 1995, S. 5). In seinen Publikationen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der ZPO erklärt auchSTOFFEL, dass sich Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG nur auf echte Noven beziehe. Er weist aber darauf hin, dass die Zulassung unechter Noven dem kantonalen Recht überlassen bleibe. Damit bringt dieser Autor zum Ausdruck, dass Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG der Zulassung unechter Noven jedenfalls nicht entgegensteht (WALTER A. STOFFEL, Le séquestre, in: La LP révisée, Iynedjian/Rieben [Hrsg.], Publication CEDIDAC Bd. 35, 1997, S. 290; derselbe, Das neue Arrestrecht, AJP 1996 S. 1411). Dasselbe gilt für AMONN/WALTHER (Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 9. Aufl. 2013, S. 487), nach deren Einschätzung im Weiterziehungsverfahren "zumindest echte Noven" vorgetragen werden dürfen, und für KUNZ/ HOFFMANN-NOWOTNY/STAUBER (ZPO-Rechtsmittel Berufung und Beschwerde, Kommentar zu den Art. 308-327a ZPO, 2013, N. 9 zu Art. 326 ZPO), gemäss denen es sich bei den neuen Tatsachen im Sinne von Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG "in der Regel" um echte Noven handelt.
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Von den Autoren, welche in Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG eine strikte Beschränkung auf echte Noven sehen, nennt nur REUT Argumente, die (seiner Meinung nach) für diese Rechtsauffassung sprechen. Er weist darauf hin, dass der Arrestbeschlag für den Betroffenen unter Umständen einschneidende Folgen habe, weshalb die Beseitigung umgehend erfolgen müsse, sobald die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Diesem Zweck würden die echten Noven dienen; so könne der Schuldner im Rechtsmittelverfahren etwa die zwischenzeitlich erfolgte Tilgung der Forderung geltend machen. Ein ![]() | 17 |
6.5 Am zuletzt erwähnten zürcherischen Urteil fällt auf, dass das Obergericht zur Untermauerung seiner Beurteilung, wonach Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG nur echte Noven umfasse, mit REISER (a.a.O., N. 46 zu Art. 278 SchKG) und SPRECHER (a.a.O., S. 282) in Erwägung 4.1 auf zwei Autoren verweist, die es als "herrschende Lehre" bezeichnet, die sich in ihren Schriften - wenn auch an anderer Stelle - aber im gegenteiligen Sinn äussern (REISER, a.a.O., N. 49 zu Art. 278 SchKG; SPRECHER, a.a.O., S. 282 mit Fn. 96; vgl. oben E. 6.3). Im vorliegend angefochtenen Entscheid zitiert das Obergericht - wie schon in seinen Urteilen vom 24. Januar 2018 (Geschäfts-Nrn. PS170027, PS170028 und PS170029), mit denen das Bundesgericht im Urteil 5A_195/2018 und andere vom 22. August 2018 befasst war - den erwähnten Autoren aus dem Basler Kommentar als Stütze für die Zulassung (auch) unechter Noven im Beschwerdeverfahren nach Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG, und zwar als Belegstelle für eine Abweichung von der "in der Lehre überwiegend vertretenen Meinung" (s. E. 4.4). In der Zwischenzeit - in einem Urteil vom 1. Juni 2018 (Geschäfts-Nr. PS180059) - hielt dieselbe Kammer des Obergerichts des Kantons Zürich wiederum ![]() | 18 |
Ein ähnlich uneinheitliches Bild zeigt die Praxis in anderen Kantonen. In einem Entscheid vom 26. März 2018 (Geschäfts-Nr. KSK 15 1) stellt das Kantonsgericht von Graubünden zutreffend fest, dass das Bundesgericht die Streitfrage bisher offengelassen hat und im Schrifttum mehrheitlich die Auffassung vertreten werde, bei gegebener Entschuldbarkeit seien auch unechte Noven zuzulassen (E. II/ 4.2.1 f.). Im konkreten Fall äusserte sich das Kantonsgericht freilich nicht zur Frage (E. II/8.4.3). Laut einem Entscheid desselben Gerichts vom 4. April 2006 (in: PKG 2006 S. 106) geht es in Art. 278 Abs. 3 SchKG um "(echte oder unechte) neue Tatsachen und/oder Beweismittel". In den Jahren 2001 und 2012 hielt das Kantonsgericht von Graubünden demgegenüber fest, dass mit den neuen Tatsachen im Sinne von Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG nur echte Noven gemeint seien (Urteile des Kantonsgerichts von Graubünden vom 1. Mai 2001, in: PKG 2001 S. 90, und vom 7. August 2012, Geschäfts-Nr. KSK 12 35, E. II/1b). Derselben Ansicht ist auch das Appellationsgericht des Kantons Basel Stadt (Urteil vom 30. Juli 2014, Geschäfts-Nr. BEZ.2013.67, E. 2.6.2). Andere kantonale Beschwerdeinstanzen sprechen sich für die Zulassung (auch) unechter Noven aus (Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 14. Juni 2017, Geschäfts-Nr. ZK 2017 182, E. 1.5; Urteil des Kantonsgerichts Wallis vom 8. März 2013, in: Zeitschrift für Walliser Rechtsprechung ![]() | 19 |
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6.6.1 Die Beschwerdeführerin beruft sich zuerst auf eine systematische Auslegung von Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG. Beim systematischen Auslegungselement geht es darum, den Zusammenhang der auszulegenden Bestimmung mit anderen Normen in die Betrachtung einzubeziehen (BGE 124 III 321 E. 2 S. 324). Die Beschwerdeführerin argumentiert mit Art. 326 Abs. 2 ZPO. Diese Vorschrift stellt klar, dass gegenüber dem Grundsatz, wonach im Beschwerdeverfahren ein Novenausschluss gilt (Art. 326 Abs. 1 ZPO), besondere Bestimmungen des Gesetzes vorbehalten bleiben. Nach der Meinung ![]() | 21 |
Weiter verweist die Beschwerdeführerin auf Art. 174 SchKG. Diese in Art. 326 Abs. 2 ZPO ebenfalls vorbehaltene Spezialvorschrift lasse in Abs. 1 ausdrücklich unechte Noven zu und regle in Abs. 2, unter welchen Voraussetzungen der Schuldner im Beschwerdeverfahren betreffend den Entscheid des Konkursgerichts echte Noven vorbringen kann. Hätte der Gesetzgeber auch im Arrestbeschwerdeverfahren unechte Noven zulassen wollen, dann hätte er dies wie in Art. 174 Abs. 1 SchKG ausdrücklich so vorgesehen. Die von Art. 174 Abs. 1 SchKG "abweichende Formulierung" in Art. 278 Abs. 3 SchKG deutet nach der Meinung der Beschwerdeführerin "auf ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers hin", in dem Sinne, dass das Gesetz die hier streitige Rechtsfrage nicht übersehen, sondern "stillschweigend mitentschieden" habe. Die Beschwerdeführerin fühlt sich in dieser These durch die Botschaft (a.a.O.) bestätigt. Tatsächlich unterstellt sie mit ihrer Idee eines qualifizierten Schweigens erneut, dass der Gesetzgeber in Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG jedenfalls hinsichtlich der echten Noven gerade nicht geschwiegen, sondern sich eindeutig erklärt habe. Abstrahiert man von dieser (aus der Botschaft gewonnenen) Erkenntnis, so liegt unter dem Gesichtspunkt des ![]() | 22 |
Gesetzessystematisch drängt sich aus dem Vergleich mit Art. 174 SchKG aber auch nicht der Schluss auf, dass in Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG nur die echten Noven gemeint sind. Aus dem blossen Umstand, dass der Gesetzgeber in Art. 174 Abs. 1 und 2 SchKG für einen anderen von Art. 326 Abs. 2 ZPO vorbehaltenen Fall sowohl für echte und als auch für unechte Noven Regeln aufstellt, kann nicht im Sinne eines "e contrario"-Arguments abgeleitet werden, dass er ausschliesslich echte Noven meint, wenn er - wie in Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG - ohne weitere Erklärungen "neue Tatsachen" für zulässig erklärt. Nichts anderes gilt für den Hinweis auf die Novenregelungen von Art. 229 Abs. 1 und Art. 317 Abs. 1 ZPO, mit dem die Beschwerdeführerin ihre Auffassung, dass der Gesetzgeber die Zulassung unechter Noven jeweils explizit in den Gesetzeswortlaut aufnehme und in Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG deshalb "qualifiziert schweige", zusätzlich untermauern will. Aus den zitierten Normen ergibt sich, unter welchen Voraussetzungen in der Hauptverhandlung (Art. 229 Abs. 1 ZPO) und im Berufungsverfahren (Art. 317 Abs. 1 ZPO) echte und unechte Noven zulässig sind. Daraus, dass der Gesetzgeber für echte und unechte Noven je eine gesonderte (Art. 229 Abs. 1 lit. a und b ZPO) bzw. eine gemeinsame (Art. 317 Abs. 1 ZPO) Regelung trifft, lässt sich für die systematische Auslegung von Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG nichts ableiten.
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6.6.2 Als Nächstes legt die Beschwerdeführerin ihre teleologische Auslegung von Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG dar. Das teleologische Auslegungselement besteht darin, nach dem Ziel zu fragen, das ![]() | 24 |
Die Beschwerdeführerin zitiert im Wesentlichen die Argumente von REUT (s. E. 6.4). Sie wendet ein, dass die umfassende Zulassung unechter Noven zu einer im Beschwerdeverfahren unerwünschten Verfahrensverzögerung führen würde und der summarischen Natur der Arresteinsprache widerspräche. Dem ist entgegenzuhalten, dass dieselben Bedenken den Gesetzgeber auch im Zusammenhang mit der Weiterziehung des Konkurserkenntnisses (Art. 174 SchKG) davon hätten abhalten können, unechte Noven zuzulassen. Im Zuge der Einführung der Schweizerischen Zivilprozessordnung gab der Gesetzgeber seine Wertentscheidung, wonach die Parteien unechte Noven im Verfahren der Weiterziehung des Konkurserkenntnisses unbeschränkt geltend machen können (Art. 174 Abs. 1 Satz 2 SchKG), aber nicht auf. Er unterstellte auch diese Angelegenheit dem summarischen Verfahren (Art. 251 lit. a ZPO) und sah als Rechtsmittel die Beschwerde nach der ZPO vor (Art. 174 Abs. 1 Satz 1 SchKG). Dabei hielt er inhaltlich an der am 1. Januar 1997 eingeführten Novenregelung fest, die er in der erklärten Absicht erlassen hatte, die als "Problem" erkannte Vielfalt des kantonalen Novenrechts mit einer bundesrechtlichen "Mittellösung" aus der Welt zu schaffen (Botschaft, a.a.O., S. 111 f.). Die Beschwerdeführerin äussert sich nicht dazu, inwiefern unter Wertungsgesichtspunkten nur in der Weiterziehung des Konkurserkenntnisses, nicht aber in der Weiterziehung des Arresteinspracheentscheids unechte Noven zulässig sein sollen. Vernünftige Gründe für eine solche Unterscheidung sind auch nicht ersichtlich. Bei all ihrer Verschiedenheit vom Arrest zeichnet sich die Konkurseröffnung dadurch aus, dass sie - wie der Arrestbeschlag - für die betroffene Person einschneidende, ja existenzielle Auswirkungen hat. Von daher lassen sich zwischen den beiden in Art. 326 Abs. 2 ZPO vorbehaltenen Beschwerdefällen durchaus Parallelen ziehen, die den Gesetzgeber dazu bewogen haben, im ![]() | 25 |
An der Sache vorbei geht auch das weitere teleologische Argument der Beschwerdeführerin, dass eine umfassende Zulassung von Noven dem Zweck des kantonalen Beschwerdeverfahrens widerspräche, weil dieses Verfahren nur der Rechtskontrolle diene und nicht den Zweck habe, das erstinstanzliche Verfahren fortzusetzen. Die Literaturstelle, auf die sich die Beschwerdeführerin beruft (ALEXANDER BRUNNER, in: Kurzkommentar ZPO, Oberhammer und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 4 zu Art. 326 ZPO), bezieht sich auf den in Art. 326 Abs. 1 ZPO verankerten Grundsatz, wonach neue Anträge, neue Tatsachenbehauptungen und neue Beweismittel im Beschwerdeverfahren ausgeschlossen sind. Mit Art. 326 Abs. 2 ZPO verschafft das Gesetz den Parteien nun aber gerade die Möglichkeit, die Beschwerdeinstanz in bestimmten Fällen nicht nur um eine reine Rechtskontrolle anzurufen, sondern vor dieser Rechtsmittelinstanz auch die Erarbeitung des Sachverhalts fortzuführen. Damit nimmt der Gesetzgeber eine gewisse Erweiterung des Beschwerdeverfahrens in Kauf. Angesichts dieser gesetzgeberischen Wertung relativiert sich die Befürchtung der Beschwerdeführerin, dass die umfassende Zulassung von Noven zu einer Verfahrensverzögerung führen und der Eigenart des Summarprozesses als rasches und unkompliziertes Verfahren widersprechen könnte. Abgesehen davon vermag die Beschwerdeführerin nicht zu erklären, weshalb nur die Zulassung unechter Noven, nicht jedoch diejenige echter Noven mit der (angeblichen) Beschränkung auf eine reine Rechtskontrolle in Konflikt geraten sollte.
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Aufschluss über den Zweck der hier streitigen Novenregelung gibt insbesondere ihre Entstehungsgeschichte. Im erwähnten Beschluss aus der Zeit kurz nach dem Inkrafttreten der Teilrevision des SchKG vom 16. Dezember 1994 (AS 1995 1227) legt das Obergericht des Kantons Zürich ausführlich dar, dass mit dem neuen Einspracheverfahren ein umfassendes "verfahrensrechtliches Korrektiv" für den Fall fehlender Arrestvoraussetzungen geschaffen werden sollte, der Gang der Gesetzgebungsarbeit klar in Richtung der Verstärkung des Rechtsschutzes des Schuldners weist und die Intention des Gesetzgebers dahin ging, veränderten Lebensverhältnissen nach der Arrestbewilligung sowohl im Einsprache- als auch im Weiterziehungsverfahren umfassend Rechnung zu tragen (in: ZR 98/1999 Nr. 58 S. 286 ff. E. 1b/ee ff. mit Hinweisen). Hervorzuheben ist ![]() | 27 |
Dem Zweck von Art. 278 SchKG, die Abwehr ungerechtfertigter Arrestbefehle zu verstärken, steht auch der Charakter des Arrestes als vorläufige Sicherungsmassnahme nicht im Weg, auf den sich die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf REUT (vgl. E. 6.4) beruft. Wie auch die Beschwerdegegnerin zutreffend betont, liegt es gerade in der Natur des einstweiligen Rechtsschutzes - dem gesetzgeberischen Vorbild für Art. 278 SchKG -, dass vorsorgliche Massnahmen aufgehoben werden können, wenn sie sich nachträglich als ungerechtfertigt erweisen (vgl. Art. 268 Abs. 1 ZPO). Zwar standen der hier streitigen Norm (naturgemäss) nicht die Regeln über die vorsorglichen Massnahmen aus der (später erlassenen) ZPO Pate. Der Blick auf diese Regeln zeigt aber doch, dass einstweiliger Rechtsschutz, Summarverfahren und ein umfassendes Novenrecht im Rechtsmittelverfahren zusammenhängen: So gilt für vorsorgliche Massnahmen das summarische Verfahren (Art. 248 lit. d ZPO). Zugleich sind erstinstanzliche Massnahmeentscheide mit Berufung anfechtbar (Art. 308 Abs. 1 lit. b ZPO). Entsprechend können im Streit um vorsorgliche Massnahmen vor der Berufungsinstanz nach Massgabe von Art. 317 ZPO auch (echte und unechte) Noven ![]() | 28 |
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In ihrem Bericht zum Vorentwurf der SchKG-Revision äussert sich die Expertenkommission nicht so klar, wie die Beschwerdeführerin glauben machen will. Die Kommission präsentiert das neue Einspracheverfahren als Verfahren, das "immer dann zur Anwendung kommen [kann], wenn die Voraussetzungen des Arrestes (Art. 272:Arrestgrund und Arrestgegenstand) nicht gegeben sind" (Bericht zum Vorentwurf der Expertenkommission für die Gesamtüberprüfung des SchKG an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement vom Dezember 1981, S. 92). Mit Bezug auf Art. 278 Abs. 3 ![]() | 30 |
Nach dem Gesagten ist der Beschwerdeführerin zu widersprechen, wenn sie aus der Art und Weise, wie in den erwähnten Gesetzesmaterialien (nur) von den echten Noven die Rede ist, im Sinne einer historischen Auslegung den Schluss ziehen will, dass der Gesetzgeber die Zulassung unechter Noven in Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG bewusst habe ausschliessen wollen. Wie das reichhaltige Schrifttum und die kantonale Rechtsprechung zeigen (E. 6.3-6.5), ist die Diskussion um die Zulassung unechter Noven im Weiterziehungsverfahren gegen den Arresteinspracheentscheid nicht erst in jüngerer Zeit, sondern schon kurz nach Inkrafttreten der ![]() | 31 |
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Was die Voraussetzungen angeht, unter denen die unechten Noven im Beschwerdeverfahren vorgebracht werden können, sind aus den dargelegten Gründen (E. 6.6.2 i.f.) die in Art. 317 Abs. 1 ZPO enthaltenen Regeln analog heranzuziehen. Das bedeutet zum einen, ![]() | 33 |
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