BGE 145 III 393 | |||
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45. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_244/2018 vom 26. August 2019 | |
Regeste |
Art. 279 Abs. 1, 304, 306 Abs. 2 und 3 ZGB, Art. 299 ZPO; Vertretung des minderjährigen Kindes im selbständigen Kindesunterhaltsprozess durch den obhutsberechtigten Elternteil; Frage der Interessenkollision. | |
Sachverhalt | |
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Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) V. stellte B. mit Beschluss vom 6. September 2016 unter die gemeinsame elterliche Sorge beider Eltern und teilte die Obhut der Mutter zu. Ferner genehmigte sie eine Vereinbarung der Eltern betreffend die Betreuung ihrer Tochter.
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B. Bereits am 19. Mai 2016 und damit vor dem Entscheid der KESB hatte B., vertreten durch ihre Mutter, beim Bezirksgericht V. gegen den Vater auf Unterhalt geklagt. Dieses verurteilte ihn mit Entscheid vom 22. Dezember 2016 zur Leistung monatlicher Beiträge an den Barunterhalt seiner Tochter.
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C. Auf Berufung des Vaters, mit welcher er in erster Linie ein Nichteintreten auf die Klage beantragte und in zweiter Linie deren Abweisung, bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 31. Januar 2018 im Wesentlichen den erstinstanzlichen Entscheid.
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D. A. (Beschwerdeführer) verlangt mit Beschwerde an das Bundesgericht, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und auf die Klage nicht einzutreten. Eventualiter sei die Klage abzuweisen und subeventualiter sei sie zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 2 | |
2.1 In erster Linie macht der Beschwerdeführer geltend, die Klage sei nicht gültig eingeleitet worden. Die Kindsmutter hätte die Rechtsvertreterin der Beschwerdegegnerin nicht mandatieren dürfen, da ihr die Entscheidungsbefugnis hierfür als gemeinsam Sorgeberechtigte nicht allein zustehe (Art. 304 ZGB). Ohnehin sei ihre Vertretungsmacht wegen Interessenkollision von Gesetzes wegen entfallen (Art. 306 Abs. 3 ZGB).
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Laut Art. 304 ZGB haben die Eltern von Gesetzes wegen die Vertretung des Kindes gegenüber Drittpersonen im Umfang der ihnen zustehenden elterlichen Sorge (Abs. 1). Sind beide Eltern sorgeberechtigt, so dürfen gutgläubige Drittpersonen voraussetzen, dass jeder Elternteil im Einvernehmen mit dem andern handelte (Abs. 2). Art. 306 ZGB bestimmt für den Fall, dass die Eltern am Handeln verhindert sind oder in einer Angelegenheit Interessen haben, die denen des Kindes widersprechen, dass die Kindesschutzbehörde einen Beistand ernennt oder diese Angelegenheit selber regelt (Abs. 2). Bei Interessenkollision entfallen von Gesetzes wegen die Befugnisse der Eltern in der entsprechenden Angelegenheit (Abs. 3). Die Kindesschutzbehörde kann dem Beistand besondere Befugnisse übertragen, namentlich die Vertretung des Kindes bei der Wahrung seines Unterhaltsanspruches (Art. 308 Abs. 2 ZGB).
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Nach Art. 299 ZPO ordnet das Gericht wenn nötig die Vertretung des Kindes an und bezeichnet als Beiständin oder Beistand eine in fürsorgerischen und rechtlichen Fragen erfahrene Person (Abs. 1). Es prüft die Anordnung der Vertretung insbesondere, wenn die Eltern unterschiedliche Anträge bezüglich des Unterhaltsbeitrages stellen (Abs. 2 lit. a Ziff. 5). Diese Bestimmung war bis zum 31. Dezember 2016 nur auf eherechtliche Verfahren anwendbar (AS 2010 1809), gilt seit dem 1. Januar 2017 nun aber auch für selbständige Unterhaltsklagen (AS 2015 4304-4306; Art. 407b Abs. 1 ZPO).
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2.3 Im Zeitpunkt der Einleitung der Unterhaltsklage (19. Mai 2016) war die Kindsmutter Alleininhaberin der elterlichen Sorge. In Anwendung von Art. 304 Abs. 1 ZGB konnte sie somit die Rechtsvertreterin der Beschwerdegegnerin mit der Einleitung der Unterhaltsklage gültig beauftragen (zur Problematik des Interessenkonflikts vgl. hinten E. 2.7). Der diesbezügliche Vorwurf, auf die Klage hätte nicht eingetreten werden dürfen, erweist sich als unbegründet.
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2.7 Nach der im Wesentlichen unbestritten gebliebenen Rechtsprechung ist grundsätzlich abstrakt zu bestimmen, ob eine Interessenkollision im Sinn von Art. 306 Abs. 2 und 3 ZGB vorliegt oder nicht. Von einer solchen ist die Rechtsprechung ausgegangen, wenn sich die Interessen des Vertretenen und des gesetzlichen Vertreters widersprechen (BGE 118 II 101 E. 4c) oder wenn sich der gesetzliche Vertreter von Interessen ihm nahestehender Dritter, die nicht mit jenen des Vertretenen übereinstimmen, beeinflussen lassen könnte (BGE 107 II 105 E. 4). Entscheidend ist die Frage, ob die Möglichkeit besteht, dass der gesetzliche Vertreter zum Nachteil des Vertretenen handelt (vgl. AFFOLTER-FRINGELI/VOGEL, a.a.O., N. 36 zu Art. 306 ZGB; s.a. schon SCHNYDER/MURER, Berner Kommentar, 1984, N. 83 zu Art. 392 ZGB).
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Sind bzw. waren die Eltern verheiratet, spielt sich der Kindesunterhaltsprozess im Rahmen eines Eheschutzverfahrens (Art. 176 ZGB), eines vorsorglichen Massnahmeverfahrens (Art. 276 ZPO), eines Scheidungsverfahrens (Art. 133 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB) oder eines Abänderungsverfahrens (Art. 134 Abs. 2 bzw. Art. 179 Abs. 1 i.V.m. Art. 286 ZGB sowie Art. 276 i.V.m. Art. 268 ZPO) ab. In diesen eherechtlichen Verfahren (zum Begriff vgl. den 6. Titel der ZPO) stehen sich die Eltern gegenüber und das Kind hat keine eigentliche Parteistellung; es wird von jenem Elternteil vertreten, der für das Kind Unterhalt fordert. In den eherechtlichen Verfahren ist dem Gericht aufgegeben, die Notwendigkeit der Vertretung des Kindes zu "prüfen" und eine solche "wenn nötig" anzuordnen (Art. 299 ZPO). Mithin hat der Gesetzgeber für den eherechtlichen Kindesunterhaltsprozess im Normalfall entweder keine relevante Interessenkollision zwischen dem vertretenden Elternteil und dem vertretenen Kind erkannt, oder er hat diese zumindest in Kauf genommen, ansonsten er die Vertretung des Kindes durch einen Beistand zur Regel hätte erklären müssen.
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Im selbständigen Kindesunterhaltsprozess ist das Kind Partei und damit seine prozessuale Stellung stärker als im eherechtlichen Verfahren. Wenn das Kind aber im eherechtlichen Verfahren, wo die Gefahr der Interessenkollision nicht nur gleichermassen, sondern noch intensiver lauert, nach dem gesetzgeberischen Willen nicht in jedem Fall eine Vertretung benötigt, so hat dies erst recht für den selbständigen Unterhaltsprozess zu gelten. Es ist in der Tat nicht einzusehen und es werden auch in der Doktrin keine Argumente dafür vorgetragen, weshalb im selbständigen Kindesunterhaltsprozess andere Massstäbe gelten sollten als im eherechtlichen.
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2.7.3 Dieses Ergebnis lässt sich auch unter folgenden Gesichtspunkten rechtfertigen: Sowohl im eherechtlichen als auch im selbständigen Kindesunterhaltsprozess gilt die strenge Untersuchungsmaxime, welche das Gericht verpflichtet, den Sachverhalt von Amtes wegen zu erforschen (Art. 296 Abs. 1 ZPO). Ebenso sind beide Prozesse von der Offizialmaxime beherrscht; das Gericht entscheidet ohne Bindung an die Parteianträge (Art. 296 Abs. 3 ZPO). Mit anderen Worten hängt das Urteil des Gerichts weder von den Tatsachenbehauptungen der Parteien noch von deren Rechtsbegehren ab und kann das Gericht auf unangemessene Vorbringen bzw. Anträge reagieren. Bereits aus diesen Gründen sind die Interessen des Kindes grundsätzlich genügend geschützt; Handlungsbedarf besteht erst, wenn ein konkreter Interessenkonflikt vorliegt oder die Handlungen des die Vertretung beanspruchenden Elternteils ungenügend erscheinen (vgl. ROELLI, a.a.O.). Anders als in den von der Rechtsprechung bisher behandelten Fällen bleibt eine allfällige Interessenkollision nicht verborgen, sondern sie liegt offen und für alle erkennbar auf dem Tisch (vgl. dazu MARANTA/FASSBIND, a.a.O., S. 458). Ausserdem geht die Unterhaltspflicht gegenüber dem minderjährigen Kind in aller Regel allen anderen familienrechtlichen Unterhaltspflichten vor (Art. 276a ZGB; so bereits unter dem alten Recht: BGE 137 III 59 E. 4.2.2). Mit anderen Worten ist die Konkurrenz zwischen Ehegatten- bzw. nachehelichem Unterhalt und Kindesunterhalt durch das Gesetz mit einer klaren Hierarchisierung geregelt; der Kindesunterhalt geniesst von Gesetzes wegen Priorität. Sodann hat das Kind Anspruch auf Betreuungsunterhalt, wenn es einer persönlichen Betreuung durch einen Elternteil bedarf und es diesem aufgrund der Betreuungsleistung nicht möglich ist, durch Arbeitserwerb für seinen eigenen Lebensunterhalt aufzukommen (BGE 144 III 481 E. 4.3, BGE 144 III 377 E. 7.1.3). Da der Betreuungsunterhalt - und damit die Ermöglichung der persönlichen Betreuung durch einen Elternteil - in erster Linie im Interesse des Kindes liegt, ist in diesem Kontext eine Interessenkollisionsproblematik nicht augenfällig (gl.M. ZOGG, a.a.O.). Freilich ist der Betreuungsunterhalt wirtschaftlich für den betreuenden Elternteil bestimmt. Insoweit hat dieser ein eigenes Interesse an den entsprechenden Unterhaltsleistungen; unter Umständen haben sie zur Folge, dass er keine Sozialhilfe beanspruchen muss. Seine Interessen laufen jenen des Kindes aber nicht zuwider. Da der Barunterhalt dem Betreuungsunterhalt vorgeht (BGE 144 III 481 E. 4.3), tritt die Deckung der Lebenshaltungskosten des betreuenden Elternteils nicht in Konkurrenz zur Finanzierung des Bedarfs des Kindes. Ferner geht es im Rahmen des Betreuungsunterhalts nicht darum, einen anspruchsvollen Lebensstandard des betreuenden Elternteils zu sichern (BGE 144 III 377 E. 7.1.4).
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2.7.4 Im Ergebnis sind im selbständigen Kindesunterhaltsverfahren hinsichtlich der Vertretungsmacht eines Elternteils mit Blick auf Art. 306 Abs. 2 und 3 ZGB die Grundsätze des Art. 299 ZPO analog anzuwenden; ein Vertreter des Kindes ist durch das Gericht oder die KESB nur zu bestellen, wenn dies im konkreten Fall notwendig erscheint.
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