BGE 145 III 499 | |||
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60. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Eidgenossenschaft, Kanton Bern und Gemeinde U. gegen Konkursamt Seeland (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_689/2018 vom 1. Oktober 2019 | |
Regeste |
Art. 230a Abs. 1 SchKG; konkursamtliche Liquidation einer ausgeschlagenen Erbschaft; Einstellung des Konkursverfahrens mangels Aktiven. | |
Sachverhalt | |
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A.a Am 30. März 2016 eröffnete das Regionalgericht Berner Jura-Seeland gestützt auf Art. 193 Abs. 2 SchKG die konkursamtliche Liquidation der ausgeschlagenen Erbschaft A.C. Am 29. Juni 2017 verfügte das Regionalgericht auf Antrag des Konkursamtes Seeland die Einstellung des Konkursverfahrens mangels Aktiven und setzte die Sicherheitsleistung zur Durchführung des Konkursverfahrens auf Fr. 15'000.- fest (SHAB-Publikation vom 5. Juli 2017). Da innert der bis zum 16. Juli 2016 angesetzten Frist kein Gläubiger den Kostenvorschuss leistete, wurde das Konkursverfahren geschlossen.
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A.b Am 16. Februar 2018 gelangten die Schweizerische Eidgenossenschaft, der Kanton Bern und die Gemeinde U., vertreten durch die Steuerverwaltung des Kantons Bern, an das Konkursamt und verlangten, es seien ihnen als Gläubiger gestützt auf Art. 230a Abs. 1 SchKG sämtliche im Zeitpunkt der Konkurseinstellung bekannten Aktiven des Nachlasses abzutreten. Insbesondere seien ihnen der Anspruch des Erblassers gegenüber B.C., Ehefrau des Verstorbenen, sowie der Anspruch gegenüber der D. AG abzutreten.
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A.c Das Konkursamt wies das Begehren der Gläubiger am 26. Februar 2018 ab. Zur Begründung hielt es fest, dass für blosse Ansprüche eine Abtretung nach Art. 230a Abs. 1 SchKG nicht möglich sei, da unter diese Bestimmung ("zum Nachlass gehörende Aktiven") nur physische Gegenstände fallen würden. Derartige Gegenstände, welche abgetreten werden könnten, seien indes nicht vorhanden.
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B. Am 9. März 2018 gelangten die Gläubiger an das Obergericht des Kantons Bern als Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen und beantragten, die Verfügung des Konkursamtes sei aufzuheben. In der Sache verlangten sie im Wesentlichen, das Konkursamt sei anzuweisen, ihnen sämtliche im Zeitpunkt der Konkurseinstellung bekannten Aktiven abzutreten. Mit Entscheid vom 9. Juli 2018 wies die kantonale Aufsichtsbehörde die Beschwerde ab.
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C. Die Gläubiger haben am 23. August 2018 Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Die Beschwerdeführer verlangen die Aufhebung des Entscheides der kantonalen Aufsichtsbehörde. In der Sache beantragen sie (wie im kantonalen Verfahren) die Anweisung an das Konkursamt, ihnen sämtliche im Zeitpunkt der Konkurseinstellung bekannten Aktiven abzutreten.
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(...)
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
3. Anlass zur Beschwerde gibt die konkursamtliche Liquidation einer ausgeschlagenen Erbschaft gemäss Art. 230a Abs. 1 SchKG, in welcher Gläubiger die Abtretung der zum Nachlass gehörenden Aktiven verlangen. Die Beschwerdeführer (als Gläubiger) wenden sich gegen die Auffassung der Aufsichtsbehörde, wonach das Konkursamt als Nachlassaktiven nur reale Vermögenswerte, jedoch keine Forderungen bzw. Ansprüche abtreten könne; sie machen geltend, dass sich mit der SchKG-Revision von 1994/1997 die Rechtslage geändert habe. Sie rügen eine Verletzung von Bundesrecht, weil die Vorinstanz die Gesetzesänderung ausser Acht gelassen habe.
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3.2.2 Die Beschwerdeführer halten die andere in der Lehre vertretene Auffassung entgegen. Danach erstreckt sich der Anwendungsbereich seit der SchKG-Revision von 1994/1997 neu auf alle zum Nachlass gehörenden Aktiven, d.h. auch Forderungen bzw. Ansprüche, und nicht mehr nur auf Grundstücke bzw. reale Vermögenswerte (Sachen, Wertpapiere, Patente und dergleichen), wie dies gestützt auf die frühere, mit der SchKG-Revision aufgehobene Bestimmung von aArt. 133 Abs. 1 VZG und hierzu ergangene Rechtsprechung der Fall war (GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Bd. III, 2001, N. 11 zu Art. 230a SchKG; REYMOND, La poursuite contre une succession, JdT 2009 II S. 58; LUSTENBERGER, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl. 2010, N. 3 zu Art. 230a SchKG; BAUER, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Ergänzungsband, 2017, N. 7/c zu 230a SchKG; JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II, 4. Aufl. 1997/1999, N. 2 zu Art. 230a SchKG; LORANDI, Art. 260 SchKG Kommentar 5, www.SchKG260-Praxis.ch; LAYDU MOLINARI, La poursuite pour les dettes successorales, 1999, S. 72 Fn. 98 mit weiteren Hinweisen). Zudem verweisen die Beschwerdeführer auf die entsprechende Zürcher Rechtsprechung (Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 19. Mai 2015 [LB 150009] E. 5, in: ZR 2015 Nr. 62 S. 243; Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 2. April 2013 [ZL.2011.00064] E. 1.1).
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3.3.1 Unter "den zum Nachlass gehörenden Aktiven" lassen sich nach dem Sinn des Wortlautes zwangslos diejenigen Aktiven verstehen, die gemäss Konkursinventar pfändbar und inventarisiert sind, denn der verzeichnete Aktivenbestand stellt die Grundlage für den Antrag des Konkursamtes an den Konkursrichter dar, den Konkurs mangels Aktiven zu schliessen (GILLIÉRON, a.a.O., N. 11 zu Art. 230a SchKG). Zu den Aktiven, die im Konkursinventar aufzunehmen sind und zugunsten der Konkursgläubiger zu verwerten wären, wenn das Verfahren seinen gewöhnlichen Lauf genommen hätte, gehören auch Forderungen, denn die Erbschaftskonkursmasse umfasst sämtliche zur Erbschaft gehörenden Aktiven, auch persönliche Rechte (KARRER/VOGT/LEU, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. II, 6. Aufl. 2019, N. 9 zu Art. 597 ZGB). Dies stellt auch die Vorinstanz nicht in Frage.
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3.3.3 Zutreffend hält die Vorinstanz unter Hinweis auf BGE 72 III 113 fest, dass aArt. 133 Abs. 1 VZG - die Beschränkung der Übertragung auf die "zum Nachlass gehörenden Grundstücke" - die Herrenlosigkeit verhüten wolle; dies könne nur bei realen Vermögenswerten eine Rolle spielen, nicht aber bei gewöhnlichen Forderungen. Anstelle einer Zuweisung von Forderungen an einen Erben, Gläubiger oder Dritten lasse sich ebenso das Erlöschen der Forderung rechtfertigen (BGE 72 III 113 S. 115). Dass jedoch durch Gesetzesänderung eine Grundlage und Rechtfertigung dafür geschaffen werden kann, um Forderungen nicht erlöschen zu lassen, sondern zuweisen zu können, wird damit nicht ausgeschlossen. Ratio legis des revidierten Art. 230a SchKG ist die Regelung der Berechtigung an den verbliebenen Aktiven (BRUNNER/BOLLER, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl. 2010, N. 12e zu Art. 193 SchKG), wozu - wie erwähnt (E. 3.3.1) - auch gewöhnliche Forderungen gehören können.
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3.3.4 Die Vorinstanz argumentiert mit dem Zusammenhang zu Art. 230 SchKG und dessen Zweck: Dem Gläubiger sei zu verwehren, "sein Ziel durch die Hintertür zu erreichen", nachdem er den Kostenvorschuss zur Durchführung des Konkursverfahrens (Art. 230 Abs. 2 SchKG) nicht geleistet habe. Das Argument führt nicht weiter, allein deshalb, weil ein Gläubiger, der sich reale Vermögenswerte nach Art. 230a Abs. 1 SchKG abtreten lassen will, ebenfalls die Möglichkeit gehabt hätte, den Kostenvorschuss zur Durchführung des Konkursverfahrens zu leisten. Richtig ist, dass bei der "Abtretung" nach Art. 230a Abs. 1 SchKG (anders als nach der Abtretung nach Art. 260 SchKG; BGE 145 III 101 E. 4.1.1) die Vermögenswerte selber durch behördlichen Akt übertragen werden (vgl. GILLIÉRON, a.a.O., N. 13, 17 zu Art. 230a SchKG; Urteil 5A_282/2013 vom 30. September 2013 E. 3.2), was auch für gewöhnliche Forderungen ohne weiteres möglich ist. Hingegen stehen Anfechtungsansprüche nach Art. 285 ff. SchKG originär der Konkursmasse zu, weshalb derartige Ansprüche - zufolge Einstellung des Konkursverfahrens - nach Art. 230a Abs. 1 SchKG nicht abgetreten werden können (GASSER, a.a.O., S. 55; vgl. GILLIÉRON, a.a.O., N. 24, 26 zu Art. 193 SchKG). Sodann kann ein Gläubiger im Verfahren nach Art. 230a Abs. 1 SchKG zwar die Erbschaftsaktiven verlangen, jedoch ist den Erben zwingend der Vorrang einzuräumen (GASSER, a.a.O., S. 56). Schliesslich ist für das Vorgehen nach Art. 230a Abs. 1 SchKG Voraussetzung, dass die nicht gedeckten Liquidationskosten (sowie die persönliche Schuldpflicht bei Pfandforderungen) übernommen werden. Diese Voraussetzungen wird ein Gläubiger abwägen, wenn er den Kostenvorschuss (Art. 230 Abs. 2 SchKG) für die Durchführung des Konkursverfahrens nicht leisten will, sondern ein Gesuch um eine Abtretung nach Art. 230a Abs. 1 SchKG ins Auge fasst. Indes ist nicht ersichtlich, inwiefern aus der rechtlichen Eigenart der Verfahren abzuleiten sei, dass die Abtretung der "zum Nachlass gehörenden Aktiven" gemäss Art. 230a Abs. 1 SchKG nur reale Gegenstände, nicht aber gewöhnliche Forderungen erfassen kann. Darauf haben die Beschwerdeführer zu Recht hingewiesen.
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3.5.2 Sodann ist eine Zuweisung an die Gläubiger erst möglich, wenn die - zwingend vorgehenden - Erben darauf verzichtet haben. Dass die Erben durch die Publikation der Konkurseinstellung (GASSER, a.a.O., S. 53; GILLIÉRON, a.a.O., N. 14 zu Art. 230a SchKG) oder auf andere Weise bereits angesprochen wurden, ist ebenfalls nicht festgestellt. Damit ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, welche nach Sachverhaltsfeststellungen neu zu entscheiden hat.
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