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23. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen B.A. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_164/2019 vom 20. Mai 2020 |
Art. 298 ZPO; Kindesanhörung und vorweggenommene (antizipierte) Beweiswürdigung. |
Art. 4 ZGB; Rückerstattung des Prozesskostenvorschusses (provisio ad litem); Billigkeit. | |
Sachverhalt | |
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B.
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B.a Am 12. November 2013 reichte A.A. beim Bezirksgericht Zofingen die Scheidungsklage nach Art. 114 ZGB ein. Mit Entscheid vom 9. Februar 2015 stellte das Bezirksgericht die prozessuale Bedürftigkeit von B.A. fest. Es verpflichtete A.A., seiner Frau für das Scheidungsverfahren einen Prozesskostenvorschuss von Fr. 8'000.- zu bezahlen. Am 30. März 2015 wurde C.A. zu Hause von einer Fachrichterin angehört.
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B.b Soweit vor Bundesgericht noch relevant, verlangte der Ehemann, den Parteien die gemeinsame elterliche Sorge über C.A. zuzuteilen, das Kind "unter die gemeinsame elterliche Obhut zu stellen" und ihn zu berechtigen, "monatlich 15 volle Tage mit C.A. zu verbringen". Dazu kamen Anträge betreffend die Kinderalimente, den nachehelichen Unterhalt und die güterrechtliche Auseinandersetzung.
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B.c Am 29. Juni 2018 sprach das Bezirksgericht Zofingen die Scheidung aus. Es entschied, dass die elterliche Sorge über C.A. beiden Parteien gemeinsam belassen wird und die Tochter unter der Obhut der Mutter steht, bei der sie ihren Hauptwohnsitz hat. Der Vater wurde berechtigt, C.A. jedes zweite Wochenende von Freitag- bis ![]() ![]() | 5 |
C.
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C.a A.A. erhob beim Obergericht des Kantons Aargau Berufung. Er hielt im Wesentlichen an den Begehren fest, die er vor erster Instanz gestellt hatte (Bst. B.b). Die Ausübung des Besuchs- und Ferienrechts sei den Eltern zur einvernehmlichen Regelung zu überlassen; für den Streitfall sei das Kontaktrecht der Parteien unter Berücksichtigung des Dienstplans und gegebenenfalls der alternierenden Obhut nach richterlichem Ermessen festzusetzen. Das Ferienrecht sei beiden Eltern im Umfang von vier Wochen zu gewähren. Mit Blick auf den Unterhaltsstreit verlangte A.A., die massgebenden Einkommen von Amtes wegen neu zu bemessen; unter dem Titel des Güterrechts machte er eine Forderung von Fr. 9'007.30 geltend.
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C.b Das Obergericht hiess die Berufung teilweise gut. Was das Besuchsrecht angeht, berechtigte es A.A. unter Berücksichtigung seiner Arbeitszeiten, C.A. an zwei dienstfreien Wochenenden pro Monat von Freitag- bis Sonntagabend zu sich auf Besuch zu nehmen. Im Übrigen wies das Obergericht die Berufung ab, soweit es darauf eintrat (Urteil vom 16. Januar 2019).
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D. A.A. (Beschwerdeführer) wendet sich an das Bundesgericht und beantragt, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur ergänzenden Sachverhaltsfeststellung und zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In Ziffer 5 seiner Begehren verlangt er, eine aktuelle Anhörung der Tochter C.A. durchzuführen. C.A. sei unter die alternierende Obhut zu stellen, wobei er zu berechtigen sei, monatlich mindestens 15 volle Tage mit der Tochter zu verbringen (Ziffer 6). Weitere Begehren betreffen die Erziehungsgutschriften und die Unterhaltsregelungen. In Ziffer 12 der Begehren fordert der Beschwerdeführer von der Beschwerdegegnerin den geleisteten Prozesskostenvorschuss von Fr. 8'000.- (s. Bst. B.a) zurück. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Vorinstanz verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht hat die Sache am 20. Mai 2020 öffentlich beraten. Gemäss den Beschlüssen der Verwaltungskommission des Bundesgerichts vom Frühjahr 2020 fand die öffentliche Beratung wegen ![]() ![]() | 10 |
(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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Erwägung 3.3 | |
3.3.1 Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, mit C.A. keine aktuelle Anhörung durchgeführt zu haben und sich stattdessen auf Aussagen zu stützen, die das Kind drei Jahre zuvor zu Protokoll gegeben habe. Auch mit der Rüge, der Wunsch des Kindes sei nicht genügend gehört worden, setze sich das Obergericht nicht auseinander. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 298 und 296 ZPO und von Art. 298 Abs. 2ter ZGB sowie eine unrichtige Feststellung des Sachverhalts. Damit sie ihren Zweck erfüllen könne, müsse die in Art. 298 Abs. 1 ZPO vorgeschriebene Anhörung des Kindes bzw. deren Ergebnis aktuell sein. Die Aussagen aus dem Jahr 2015, auf denen der Entscheid der Vorinstanz fusse, seien umso mehr veraltet, als C.A. in der fraglichen Zeit das Alter erreicht habe, in welchem sie nach der Rechtsprechung "in Bezug auf die elterliche Sorge und somit auch auf die alternierende Obhut" als urteilsfähig gilt. Der Beschwerdeführer insistiert, dass die Kindesanhörung der möglichst umfassenden Erforschung des Sachverhalts diene, wie sie Art. 296 ZPO dem Gericht vorschreibe. Die Vorinstanz verletze den Untersuchungsgrundsatz, indem sie auf seinen Beweisantrag, mit C.A. eine aktuelle Anhörung durchzuführen, nicht eingehe. Damit sei der rechtserhebliche Sachverhalt mangelhaft ermittelt worden. Weiter beruft sich der Beschwerdeführer darauf, dass das Gericht die Möglichkeit der alternierenden Obhut gemäss Art. 298 Abs. 2ter ZGB im Sinne des Kindeswohls zu prüfen habe. Dabei sei auch der Wunsch des Kindes zu berücksichtigen. Die Informationen aus einer aktuellen Befragung von C.A. seien für eine "im Sinne des Kindeswohls ausgelegte Entscheidung über die Gutheissung der alternierenden Obhut zwingend notwendig". Indem das Obergericht auf eine aktuelle Anhörung verzichte, ermittle es nicht alle für die Prüfung der alternierenden Obhut relevanten Tatsachen. Entsprechend verletze der angefochtene Entscheid auch Art. 298 Abs. 2ter ZGB. Obendrein bemängelt der Beschwerdeführer, dass C.A.s Anhörung vom 30. März 2015 bei der Beschwerdegegnerin zu Hause stattgefunden habe. Auch aus diesem Grund sei Art. 298 ZPO verletzt, ![]() ![]() | 13 |
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Die geschilderten Überlegungen gelten freilich nicht für jede Ausprägung der antizipierten Beweiswürdigung. Sie treten dort in den Hintergrund, wo das Gericht zum Schluss kommt, dass eine Anhörung des Kindes bei der gegebenen Ausgangslage überhaupt keinen Erkenntniswert hätte, allfällige Ergebnisse aus der Kindesanhörung mit Blick auf die Feststellung der konkret rechtserheblichen Tatsachen also von vornherein objektiv untauglich bzw. irrelevant sind (sog. unechte antizipierte Beweiswürdigung; s. Urteil 2C_733/2012 ![]() ![]() | 15 |
Dass die Anhörung kein Selbstzweck ist, gilt auch mit Blick auf die Frage, wie oft eine Kindesanhörung im selben Verfahren stattfinden soll. Nach der Rechtsprechung ist von wiederholten Anhörungen abzusehen, wo dies für das Kind eine unzumutbare Belastung bedeuten würde und überdies keine neuen Erkenntnisse zu erwarten wären oder der erhoffte Nutzen in keinem vernünftigen Verhältnis zu der durch die erneute Befragung verursachten Belastung stünde (BGE 133 III 553 E. 4 S. 554 f.; Urteile 5A_911/2012 vom 14. Februar 2012 E. 7.2.2, in: FamPra.ch 2013 S. 531; 5A_724/2015 vom 2. Juni 2016 E. 4.3, nicht publ. in: BGE 142 I 88). Um eine solche Anhörung um der Anhörung willen zu vermeiden, besteht die Pflicht, ein Kind anzuhören, in der Regel nur einmal im Verfahren, und zwar grundsätzlich nicht nur auf die einzelne Instanz gesehen, sondern einschliesslich des Instanzenzugs. Ein Verzicht auf eine erneute Anhörung setzt allerdings voraus, dass das Kind zu den entscheidrelevanten Punkten befragt worden und das Ergebnis der Anhörung noch aktuell ist (Urteil 5A_721/2018 vom 6. Juni 2019 E. 2.4.1 mit zahlreichen Hinweisen). Schliesslich ist nach der ![]() ![]() | 16 |
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Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern diese antizipierte Beweiswürdigung den geschilderten bundesrechtlichen Vorgaben zuwiderläuft und das Obergericht den Sachverhalt unvollständig und damit willkürlich festgestellt hat (vgl. Urteil 5A_574/2012 vom 17. Dezember 2012 E. 2.2). Die tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts zu seinen Arbeitszeiten und deren Konsequenzen für seine Betreuungsfähigkeit stellt er ebenso wenig in Frage wie die vorinstanzlichen Erkenntnisse über die Arbeitstätigkeit der ![]() ![]() | 18 |
3.3.4 Mit dem weiteren, vor Bundesgericht erstmals erhobenen Vorwurf, dass C.A.s erste Anhörung im Jahr 2015 an keinem neutralen Ort, sondern bei C.A. zu Hause stattgefunden habe, ist der ![]() ![]() | 19 |
(...)
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6.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, dass der Prozesskostenvorschuss nichts mit dem Verbrauchsunterhalt zu tun habe, sondern eine vorläufige Leistung des einen Ehegatten an den anderen sei, und dass die definitive Kostenregelung im Urteil erfolge. Nach der Rechtsprechung könne der Ehegatte, der den Vorschuss geleistet hat, grundsätzlich die Rückerstattung des Geleisteten oder dessen Anrechnung auf güterrechtliche und/oder zivilprozessuale Gegenforderungen des anderen Teils verlangen. Der Beschwerdeführer erinnert daran, dass die Parteien im konkreten Fall verurteilt worden seien, ![]() ![]() | 23 |
Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass die erste Instanz rechtskräftig über den Prozesskostenvorschuss entschieden und die provisio ad litem im Sinne eines "eigentlich zustehenden Unterhaltsbeitrages genehmigt" habe. Weiter hält sie dem Beschwerdeführer entgegen, dass er die Rückerstattung des Vorschusses im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung hätte verlangen müssen und ein entsprechendes Begehren nicht erst auf Berufungsstufe habe erheben können.
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6.3 Ohne die entsprechenden Gesetzesartikel selbst zu zitieren, nennt das Obergericht sowohl die Unterhalts- (Art. 163 ZGB) als auch die Beistandspflicht (Art. 159 Abs. 3 ZGB) als gesetzliche Grundlage für die Pflicht eines Ehegatten zur Leistung eines Prozesskostenvorschusses, auch "provisio ad litem" genannt. Damit liegt der angefochtene Entscheid auf der Linie der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 142 III 36 E. 2.3 S. 39 mit Hinweisen). Nichts anderes ergibt sich aus der Rechtsprechung, auf die sich der Beschwerdeführer beruft (Urteil 5A_170/2011 vom 9. Juni 2011 E. 4.3). Die Sichtweise des Beschwerdeführers, dass der Prozesskostenvorschuss nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht mit der Unterhaltspflicht gemäss Art. 159 Abs. 3 ZGB "vergleichbar" sei, trifft in ihrer Absolutheit somit nicht zu. Richtig ist hingegen, dass die Verteilungsregeln des Zivilprozessrechts, nach denen sich die definitive Kostentragung im Scheidungsurteil richtet, in keinem Zusammenhang mit der materiellrechtlichen Pflicht eines Ehegatten zur Bevorschussung von Prozesskosten stehen. Ebenso trifft es zu, dass dem Vorschussempfänger, der selbst nicht über die nötigen Mittel verfügt, mit der Leistung eines solchen Vorschusses ermöglicht werden soll, seine Interessen vor Gericht wahrzunehmen (Urteil 5A_170/ 2011 vom 9. Juni 2011 E. 4.3). Wie auch der Beschwerdeführer zutreffend betont, ändern diese Erkenntnisse indessen nichts daran, dass es sich bei der provisio ad litem um einen Vorschuss, also - wie der Name sagt - um eine vorläufige Leistung handelt. Daraus folgt, dass der Ehegatte, der den Vorschuss geleistet hat, je nach Ausgang ![]() ![]() | 25 |
Das Gesagte ändert freilich nichts daran, dass sich eine vollständige Rückerstattung des Prozesskostenvorschusses im konkreten Fall als unbillig (Art. 4 ZGB) erweisen kann. Die Billigkeit, eine Partei in einem Rechtsstreit unter Ehegatten von der Rückerstattung der provisio ad litem ganz oder teilweise zu befreien, muss sich aus dem Vergleich der wirtschaftlichen Situation der Parteien nach Ausgang des Scheidungsprozesses ergeben; eine Abweichung vom Grundsatz der Rückerstattung rechtfertigt sich nur dann, wenn der unterstützungsbedürftigen Person aufgrund der im Einzelfall gegebenen Umstände nicht zugemutet werden kann, den erhaltenen Prozesskostenvorschuss in vollem Umfang zurückzubezahlen (Urteil der Cour de ![]() ![]() | 26 |
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Sodann ist dem Obergericht zwar darin beizupflichten, dass die Pflicht zur Leistung eines Prozesskostenvorschusses an den Ehegatten in keinem Zusammenhang mit der ausgangsgemässen Kostenverlegung im Scheidungsprozess steht. Unzutreffend und bundesrechtswidrig ist jedoch die daran anknüpfende vorinstanzliche Schlussfolgerung, dass der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Rückerstattung des von ihm geleisteten Prozesskostenvorschusses ableiten könne, weil die Leistung des Kostenvorschusses dazu gedient habe, der Beschwerdegegnerin die Prozessführung (einschliesslich des Beizugs eines Anwalts) überhaupt zu ermöglichen. Diese Überlegung verträgt sich nach dem Gesagten nicht mit der vorläufigen Natur der provisio ad litem, wie sie sich aus dem Bundesrecht ergibt: Der Zweck der Institution, im Familienrechtsprozess die Waffengleichheit zwischen den Parteien zu garantieren, ist erreicht, wenn der auf Unterstützung angewiesene Ehegatte seine Interessen im Prozess wahren konnte, und er wird nicht dadurch illusorisch gemacht, dass dieser Ehegatte nach durchgeführter Wahrung seiner Interessen den erhaltenen Vorschuss grundsätzlich zurückerstatten muss (vgl. BGE 66 II 70 E. 3 S. 71). Anders zu urteilen hiesse, dem bedürftigen Ehegatten mit ![]() ![]() ![]() | 28 |
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