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44. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. GmbH und B. GmbH gegen C. AG (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_583/2019 vom 19. August 2020 | |
Regeste |
Art. 229 Abs. 1 und Art. 60 i.V.m. Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO; Einschränkung des Patentanspruchs, Novenrecht, Rechtsschutzinteresse. |
Die Zulässigkeit von Noven, deren Entstehung vom Willen der Parteien abhängt (sog. Potestativ-Noven), entscheidet sich danach, ob sie trotz zumutbarer Sorgfalt im Sinne von Art. 229 Abs. 1 lit. b ZPO nicht vorher vorgebracht werden konnten (E. 5). Der Sorgfaltsnachweis setzt voraus, dass die Dupliknoven kausal waren für die danach vorgenommene Patenteinschränkung; diese hat ohne Verzug zu erfolgen (E. 6). |
Berücksichtigung des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses nach Art. 60 i.V.m. Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO von Amtes wegen; Gegenstandslosigkeit des Verfahrens, nachdem das ursprüngliche Patent, auf das sich die Klage stützte, infolge der vorgenommenen Einschränkung nicht mehr existierte (E. 7). | |
Sachverhalt | |
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A.a Mit Klage vom 13. September 2018 gegen die A. GmbH (Beklagte 1, Beschwerdeführerin 1) und die B. GmbH (Beklagte 2, Beschwerdeführerin 2) gelangte die C. AG (Klägerin, Beschwerdegegnerin) an das Bundespatentgericht. Sie beantragte im Wesentlichen das Verbot des Vertriebes von Gelenkpfannen, welche verschiedene Merkmale aufweisen.
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A.b Am 23. Juli 2018 teilte die Klägerin mit, dass sie den Schweizer Teil des Klagepatents EP x B1 beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE) durch Teilverzicht eingeschränkt habe (CH/EP x H1). Daraufhin beantragten die Beklagten die Beschränkung des Verfahrens auf die Frage, ob die Einführung des geänderten Patents in das hängige Verfahren zulässig sei.
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A.c Mit Urteil vom 28. Oktober 2019 hiess das Bundespatentgericht die Klage teilweise gut. Es liess die Einführung des eingeschränkten ![]() ![]() | 4 |
Eine Minderheit von zwei Richtern gab ihre abweichende Meinung zu Protokoll.
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B. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragten die Beklagten im Wesentlichen, das Urteil des Bundespatentgerichts sei aufzuheben und das vorinstanzliche Verfahren infolge Gegenstandslosigkeit als erledigt abzuschreiben.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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4.1 Im Verfahren 4A_543/2017 hatte die Patentinhaberin an der Hauptverhandlung für den Fall der Abweisung ihrer Hauptbegehren und ihrer weitergehenden Eventualbegehren gemäss Duplik zusätzlich beantragt, es sei ihr Patent noch mit dem Zusatz "for at least two weeks" aufrechtzuerhalten. Das Bundespatentgericht qualifizierte diese Einschränkung als verspätet erfolgtes neues Sachvorbringen und trat darauf nicht ein, was vom Bundesgericht geschützt wurde. Denn - so erwog das Bundesgericht - ob ein zusätzliches Merkmal die bisher streitigen Patentansprüche in zulässiger Weise einschränke, ergebe sich erst aufgrund einer Beurteilung, welche sich entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht auf reine Rechtsfragen beschränke. Die Beschwerdeführerin anerkenne denn auch selbst, dass die Ergänzung des Patentanspruchs durch ein zusätzliches Merkmal regelmässig zur tatsächlichen Prüfung führe, ob sich dafür in der ![]() ![]() | 10 |
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Es trifft zu, dass es in BGE 146 III 55 und den zitierten Verfahren 4A_543/2017 sowie 4A_282/2018 nicht um die Frage der prozessualen Zulässigkeit einer tatsächlich (im Prozess oder vor IGE) vorge nommenen Einschränkung der Patentansprüche ging, sondern um die Beurteilung neuer Eventualanträge. Es ist aber nicht ersichtlich, was die Beschwerdegegnerin daraus für ihren Standpunkt ableiten könnte. Ob unbedingt oder bloss eventualiter, bei der Beurteilung der Einschränkung - im Fall der eventualiter erklärten nach Verwerfung des Hauptstandpunkts - wird dem Gericht ein neuer (technischer) Sachverhalt unterbreitet (vgl. E. 4.1 hiervor) und wird das der Patentinhaberin zustehende subjektive Recht verändert (vgl. E. 5.3 hiernach).
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5.1 Die Vorinstanz ging wie erwähnt davon aus, das Patent in seiner eingeschränkten Fassung sei erst nach Abschluss des ![]() ![]() | 15 |
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Sowohl die Beschwerdegegnerin wie die Vorinstanz berufen sich sodann auf das Urteil 4A_541/2013 vom 2. Juni 2014. Dort hatte die Beklagte (Patentinhaberin) nach dem Urteil des Bundespatentgerichts, welches die Nichtigkeit des Patents bejaht hatte, beim Europäischen Patentamt (EPA) einen (zweiten) Antrag auf zentrale Beschränkung gestellt und dessen (Beschränkungs-)Entscheid mit der Beschwerdereplik dem Bundesgericht eingereicht. Das Bundesgericht berücksichtigte dieses Vorbringen gestützt auf Art. 99 BGG nicht, da es sich dabei offensichtlich nicht um eine Tatsache handle, die im Sinne dieser Bestimmung durch den Entscheid der Vorinstanz veranlasst worden sei (zit. Urteil 4A_541/2013 E. 2.4). Art. 99 BGG beruht auf dem Gedanken, dass das Bundesgericht das Recht kontrolliert, jedoch nicht Tatsachen. Eine andere Formulierung des Patentanspruchs führt aber wie dargelegt (E. 4.1 hiervor) regelmässig zu einem andern zu beurteilenden Tatsachenfundament. Insofern kann dem Urteil für die vorliegende Fragestellung nichts entnommen werden. Zutreffend ist allerdings der Hinweis der Vorinstanz, wonach in der Erwägung 2.4 dieses Urteils überdies erwähnt wird, die Patentinhaberin hätte den Entscheid des EPA betreffend diese zweite Beschränkung - ebenso wie eine bereits erfolgte erste Beschränkung - schon während des vorinstanzlichen Verfahrens beantragen und dort einbringen können. Diese erste Beschränkung war nach Aktenschluss im Nachgang zum Fachrichtervotum in den Prozess eingeführt worden. Die Vorinstanz leitete daraus ab, das Bundesgericht habe - jedenfalls implizit - die Berücksichtigung einer nach Aktenschluss vorgenommenen Beschränkung bejaht.
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In BGE 146 III 55 ging das Bundesgericht dann aber - allerdings ohne weitere Begründung - davon aus, die nach Aktenschluss ![]() ![]() | 18 |
Auch ausserhalb des Patentrechts hat das Bundesgericht Noven, die von den Parteien selber geschaffen worden waren, nicht immer gleich behandelt. So hat es eine von der Beklagten erst in der Berufung erhobene Verrechnungseinrede als verspätet nicht zugelassen, da diese die Fälligkeit der Verrechnungsforderung (als Tatsache) schon vor Aktenschluss hätte herbeiführen können. Zwar liege ein echtes Novum vor, da die Fälligstellung sich erst nach dem erstinstanzlichen Urteil zugetragen habe. Jedoch verstosse das Zuwarten aus taktischen Gründen gegen die Eventualmaxime (und auch gegen Treu und Glauben) (Urteil 4A_432/2013 vom 14. Januar 2014 E. 2.3). Andererseits qualifizierte es eine nach Aktenschluss erstellte und beigebrachte Bankgarantie (als Voraussetzung für die Fälligkeit einer Werklohnforderung) als zulässiges echtes Novum, woran "der Umstand, dass die Garantie bereits früher hätte erstellt werden können", nichts ändere (Urteil 4A_439/2014 vom 16. Februar 2015 E. 5.3; zustimmend: LORENZ DROESE, SZZP 2015 S. 236 f.; kritisch: CHRISTOPH REUT, Noven nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2017, Rz. 82).
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5.3 Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass die Patenteinschränkung bei einer strikt wörtlichen Auslegung von Art. 229 Abs. 1 ZPO, wonach auf den Zeitpunkt der Entstehung abgestellt wird, ein echtes Novum ist. Jedoch berücksichtigt eine solche Auslegung zu wenig, dass die Novenregelung ein Ausfluss der Eventualmaxime ist, wie auch im zitierten Entscheid 4A_432/2013 hervorgehoben wurde. Die Eventualmaxime besagt, dass sämtliche Parteivorbringen innerhalb eines bestimmten Verfahrensabschnittes erfolgen müssen und im späteren Verfahrensverlauf nicht mehr nachgeschoben werden können. Einer Partei ist es daher nicht gestattet, sich zunächst auf das Vorbringen des zur Begründung des Hauptstandpunkts erforderlichen Materials zu beschränken und, falls sich später ergibt, dass der Hauptstandpunkt nicht geschützt werden kann, dazu überzugehen, neue ![]() ![]() | 20 |
Auch prozessökonomische Einwände, wie sie die Vorinstanz und die Beschwerdegegnerin anführen, vermögen daran nichts zu ändern. Es trifft zu, dass die Beschwerdegegnerin bei Nichtberücksichtigung des Verzichts eine neue Klage gestützt auf das eingeschränkte Patent einreichen kann. Jedoch ist dies die Folge jedes nur prozessualen Entscheids ohne materielle Beurteilung (vgl. dazu E. 7 hiernach). Die Beschwerdegegnerin gibt sodann zu bedenken, ein generelles Verbot der Berücksichtigung eines Teilverzichts nach Aktenschluss führe insofern zu negativen Konsequenzen, als inskünftig mit dem letzten Schriftsatz vorsorglich eine Fülle von Eventualbegehren gestellt werden müssten, für den Fall, dass im ![]() ![]() | 21 |
6. Der Sorgfaltsnachweis gemäss Art. 229 Abs. 1 lit. b ZPO setzt voraus, dass die Dupliknoven kausal waren für die danach vorgenommene Patenteinschränkung (BGE 146 III 55). Nach diesem Entscheid ist einerseits erforderlich, dass (erst) die Dupliknoven das Vorbringen der Patenteinschränkung (durch die Klägerin) veranlasst haben, andererseits dass das Novum in technischer bzw. thematischer Hinsicht als Reaktion auf die Dupliknoven aufzufassen ist. Im zitierten Entscheid wurde die erste Voraussetzung bejaht, weil die Beklagte eine (angeblich) neuheitsschädliche japanische Patentschrift erst mit der Duplik formell ins Verfahren eingebracht hatte und die Klägerin darauf in ihrer Stellungnahme zur Duplik reagierte und das Patent einschränkte. Das Fachrichtervotum wurde erst später erstattet. Die Kausalität zu den Dupliknoven war somit offensichtlich gegeben. Vorliegend reagierte die Beschwerdegegnerin vorerst nicht auf den erstmals in der Duplik erhobenen Einwand der Ungültigkeit des Patents gemäss Art. 123 Abs. 2 des Europäischen Patentübereinkommens vom 5. Oktober 1973, revidiert in München am 29. November 2000 (EPÜ 2000; SR 0.232.142.2) bzw. Art. 26 Abs. 1 lit. c PatG (SR 232.14); die Einschränkung erfolgte vielmehr erst als Reaktion auf das Fachrichtervotum vom 22. Juni 2018, ![]() ![]() | 22 |
Sowohl echte wie unechte Noven müssen aber gemäss Art. 229 Abs. 1 ZPO ohne Verzug vorgebracht werden. Wurde die Patenteinschränkung durch die Vorbringen in der Duplik verursacht, hätte die Patenteinschränkung als Reaktion darauf erfolgen müssen. Das Vorbringen erst nach dem Fachrichtervotum war verspätet.
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Erwägung 7 | |
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