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42. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_183/2020 vom 6. Mai 2021 | |
Regeste |
Art. 269a und 270 OR; Miete; Anfechtung des Anfangsmietzinses für Wohnräume in einer Altbaute; Orts- und Quartierüblichkeit. |
Tatsächliche Vermutung der Missbräuchlichkeit bei massiven Erhöhungen des Anfangsmietzinses von deutlich über 10 %, die sich nicht durch die Entwicklung des Referenzzinssatzes bzw. der Schweizerischen Konsumentenpreise erklären lassen (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 3.3). |
Um die Vermutung der Missbräuchlichkeit zu erschüttern, muss die Vermieterin begründete Zweifel an deren Richtigkeit wecken (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 4.2 und 4.3). | |
Sachverhalt | |
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B. Mit Eingabe vom 2. Mai 2017 stellte die Mieterin bei der zuständigen Schlichtungsbehörde das Begehren, es sei der Anfangsmietzins für missbräuchlich zu erklären. Nachdem an der Schlichtungsverhandlung keine Einigung erzielt werden konnte, unterbreitete die Schlichtungsbehörde den Parteien einen Urteilsvorschlag. Dieser wurde von der Vermieterin abgelehnt, worauf ihr die Klagebewilligung erteilt wurde. Mit Klage vom 14. September 2017 beantragte die Vermieterin beim Mietgericht Zürich, es sei der Anfangsmietzins von netto Fr. 1'060.- pro Monat für die von der Mieterin gemietete Wohnung, kostenfällig als nicht missbräuchlich zu erklären. Eventualiter sei der vom Gericht als nicht missbräuchlich erachtete Nettomietzins für die Wohnung gerichtlich festzulegen.
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Zur Begründung der Orts- und Quartierüblichkeit des Mietzinses reichte die Vermieterin ein Privatgutachten ins Recht und offerierte insgesamt 23 Vergleichsobjekte, die hinsichtlich Lage, Grösse, ![]() ![]() | 3 |
Mit Urteil vom 26. August 2019 erklärte das Mietgericht den monatlichen Nettomietzins von Fr. 1'060.- als missbräuchlich und setzte diesen rückwirkend per Mietbeginn auf Fr. 855.- fest (zzgl. einer monatlichen Akontozahlung von insgesamt Fr. 165.-).
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Eine dagegen gerichtete Berufung wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 2. März 2020 ab.
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C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Vermieterin dem Bundesgericht, das angefochtene Urteil des Obergerichts sei kostenfällig aufzuheben und demgemäss sei der Anfangsmietzins von netto Fr. 1'060.- pro Monat für die von der Beschwerdegegnerin gemietete Wohnung als nicht missbräuchlich zu erklären. Eventualiter sei die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und neuer Entscheidung an das Obergericht oder das Mietgericht zurückzuweisen. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde abzuweisen und das Urteil des Obergerichts zu bestätigen. Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut. Es hebt das Urteil des Obgergerichts auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung an dieses zurück.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
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(...)
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Erwägung 3.2 | |
3.2.1 Gemäss BGE 139 III 13 ist Rechtsmissbrauch eine rechtshindernde Tatsache, für welche die Beweislast der Gegenpartei des Rechtsinhabers obliegt, woraus sich ergibt, dass die Beweislast ![]() ![]() | 11 |
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3.2.3 Die dargelegte Rechtsprechung wurde zuletzt im Urteil 4A_191/2018 vom 26. März 2019 E. 3.3.3 wiedergegeben, wobei insbesondere auch auf kritische Stimmen in der Lehre verwiesen wurde. Auch im Urteil 4A_400/2017 vom 13. September 2018 E. 2.2.2.2, nicht publ. in: BGE 144 III 514 und im Urteil 4A_295/2016 vom 29. November 2016 E. 5.3.1 wurde die dargelegte Rechtsprechung erläutert. Eine Anwendung der Rechtsprechung musste allerdings in allen drei Urteilen nicht erfolgen. Im Urteil 4A_191/2018 vom 26. März 2019 kam das Bundesgericht zum Schluss, die Vorinstanz habe zu Recht das Kriterium des übermässigen Nettoertrags ![]() ![]() | 13 |
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Im zitierten Urteil 4A_400/2017 E. 2.2.2.2, nicht publ. in: BGE 144 III 514 , nahm das Bundesgericht seine Überlegungen in BGE 139 III 13 auf und hielt fest, werde der vereinbarte Anfangsmietzins erheblich erhöht, sei zu vermuten, dass der vereinbarte Mietzins als missbräuchlich anzusehen sei ("est présumé abusif"), sodass es der Vermieterin obliege, sich auf Vergleichselemente stützende Gegenbeweise zu erbringen ("incombe au bailleur d'apporter des ![]() ![]() | 16 |
Es ist somit präzisierend festzuhalten, dass bei einer erheblichen Erhöhung des Mietzinses gegenüber dem Vormietverhältnis - über eine (verstärkte) Mitwirkungsobliegenheit hinaus - von einer tatsächlichen Vermutung der Missbräuchlichkeit auszugehen ist.
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3.3.2 Umstritten ist weiter, was im Hinblick auf die in BGE 139 III 13 begründete Vermutung der Missbräuchlichkeit als erhebliche Erhöhung des Anfangsmietzinses gilt. In BGE 139 III 13 ging es um eine massive Erhöhung von 43.61 % ( BGE 139 III 13 E. 3.1.1). Im Urteil 4A_475/2012 vom 6. Dezember 2012 ging es um eine Erhöhung von 28.97 % für die Wohnung, wobei zudem die Miete für den - mit separatem Vertrag gemieteten - Parkplatz um 75 % erhöht wurde (zit. Urteil 4A_475/2012 E. 2.1.1). BGE 139 III 13 erwähnt allerdings bereits eine Schwelle von 10 % ("[...] trouve tout son sens dans l'hypothèse où ce dernier, comme en l'espèce, a augmenté le nouveau loyer de plus de 10 % par rapport à l'ancien loyer"; BGE 139 III 13 E. 3.2). Auch im Urteil 4A_400/2017 vom 13. September 2018 wird mit Verweis auf BGE 136 III 82 E. 3.4 eine Erhöhung von mehr als 10 % erwähnt (zit. Urteil 4A_400/2017 ![]() ![]() | 18 |
Ein Teil der Lehre schliesst daraus, die Vermutung der Missbräuchlichkeit gemäss BGE 139 III 13 greife bereits bei einer Mietzinserhöhung, welche 10 % überschreite (PETER ZAHRADNIK, Fragen im Zusammenhang mit der Anfechtung der Anfangsmiete und der Formularpflicht, mp 2014 S. 267 ff., 285 f.; RUBLI, a.a.O., S. 29 f.; BOHNET/JEANNIN, a.a.O., S. 69; CONOD, a.a.O., S. 3; KOLLER 2018, a.a.O., S. 533 f.). Auch WEBER führt aus, die Rechtsprechung des Bundesgerichts scheine sich in die Richtung zu entwickeln, dass dieses die Erheblichkeit im Zusammenhang mit der Missbrauchsüberprüfung gleichsetze mit der formalen Anfechtungsvoraussetzung nach Art. 270 Abs. 1 lit. b OR (WEBER, a.a.O., N. 13a zu Art. 270 OR).
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In den nach BGE 139 III 13 ergangenen Urteilen (zit. Urteile 4A_400/ 2017 E. 2.2.2.2, nicht publ. in: BGE 144 III 514 und 4A_295/2016 E. 5.3.1) werden die 10 % zwar erneut erwähnt, aus dem Verweis auf BGE 136 III 82 E. 3.4 geht indes hervor, dass das Bundesgericht die 10 % in Bezug auf die formelle Voraussetzung für die Anfechtbarkeit des Anfangsmietzinses nach Art. 270 Abs. 1 lit. b OR heranzieht. Daraus kann nun aber nicht abgeleitet werden, dass eine Erhöhung von mehr als 10 % bereits als erhebliche Erhöhung gilt, welche die Vermutung der Missbräuchlichkeit gemäss BGE 139 III 13 greifen lässt. So werden im Übrigen im Urteil 4A_191/2018 vom 26. März 2019 die 10 % nicht mehr erwähnt (zit. Urteil 4A_191/2018 E. 3.3.3).
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ROHRER, der die in BGE 139 III 13 begründete Vermutung per se ablehnt, und darin eine eigentliche Beweislastumkehr erblickt, argumentiert, soweit man aus BGE 139 III 13 ableiten möchte, die Vermutung greife schon dann, wenn der Mietzins gegenüber dem früher massgebenden Mietzins um mehr als 10 % angehoben werde, ergäbe sich die stossende Situation, dass die Vermieterin immer - und nicht nur im Ausnahmefall - den Beweis für die Zulässigkeit des Anfangsmietzinses zu erbringen hätte. Abgesehen von Ausnahmefällen fehle es ja bei einer Erhöhung des Anfangsmietzinses gegenüber dem vom Vormieter bezahlten Mietzins um weniger als 10 % an der Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Anfechtungsrechts (BEAT ROHRER, in: Das schweizerische Mietrecht [nachfolgend: Mietrecht], 4. Aufl. 2018, N. 54 zu Art. 270 OR). Diese Argumentation überzeugt, selbst wenn nicht von einer (eigentlichen) ![]() ![]() | 21 |
(...)
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Erwägung 4.3 | |
4.3.1 Um begründete Zweifel an der Richtigkeit der Vermutung zu wecken, ist beispielsweise denkbar, dass die Vermieterin Statistiken ![]() ![]() | 25 |
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4.3.3 Der kantonale Richter hat die von der Vermieterin dargelegten Indizien, einschliesslich der Vergleichsobjekte, unter Berücksichtigung seiner allgemeinen Lebenserfahrung und seiner Kenntnis des lokalen Marktes zu würdigen. Kommt er zum Schluss, die Vermieterin habe begründete Zweifel an der Vermutung geweckt, entfällt diese. In diesem Fall obliegt es dem Mieter, mithilfe von 5 Vergleichsobjekten bzw. einer amtlichen Statistik (vgl. hiervor ![]() ![]() ![]() | 27 |
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