BGE 147 III 475 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 27.01.2022, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
48. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_50/2021 vom 6. September 2021 | |
Regeste |
Art. 229 Abs. 2 ZPO; Zeitpunkt des Aktenschlusses. | |
Sachverhalt | |
A. Mit Arbeitsvertrag vom 10. November 2017 stellte die A. AG (Arbeitgeberin, Beschwerdeführerin) B. (Arbeitnehmer, Beschwerdegegner) mit Wirkung ab 1. Juli 2017 als Chief Executive Officer der "A.a. Group" an. Am 26. November 2017 kündigte die Arbeitgeberin den Arbeitsvertrag unter Einhaltung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist per 31. Dezember 2018. (...)
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Am 9. Januar 2018 teilte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer mit, sie verzichte auf die Einhaltung des nachvertraglichen Konkurrenzverbots. Die Treuepflicht während der Kündigungsfrist bleibe davon aber unberührt. Mit E-Mail vom 17. April 2018 erinnerte die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer an seine Treue- und Geheimhaltungspflichten, nachdem Letzterer an der "Healthcare Business International"-Konferenz teilgenommen hatte.
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Mit Schreiben vom 23. November 2018 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis gestützt auf Art. 337 OR fristlos. (...) Am 6. Dezember 2018 teilte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer auf dessen Anfrage mit, er habe bei verschiedenen Gelegenheiten seine Treuepflichten, insbesondere seine Nichtkonkurrenzierungsverpflichtung, grob verletzt. (...) Ihm wurde trotz der fristlosen Kündigung am 23. November 2018 der gesamte Lohn für den Monat November 2018 ausbezahlt.
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B.
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B.a Am 28. März 2019 reichte der Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht Zürich Klage ein gegen die Arbeitgeberin und beantragte, diese zur Zahlung folgender Beträge zu verpflichten:
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- Fr. 40'926.35 brutto (Lohn Dezember 2018 plus Arbeitgeberbeitrag BVG) zuzüglich 5 % Zins ab 26. November 2018;
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- Fr. 133'333.40 (Entschädigung gemäss Art. 337c Abs. 3 OR) zuzüglich 5 % Zins ab 26. November 2018;
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- Fr. 1'040.- zuzüglich 5 % Zins ab 26. November 2018.
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Des Weiteren beantragte er die Feststellung, dass die fristlose Kündigung ungerechtfertigt gewesen sei.
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Mit Urteil vom 12. März 2020 verpflichtete das Arbeitsgericht die Arbeitgeberin, dem Arbeitnehmer Fr. 38'317.30 sowie Fr. 16'666.70 zuzüglich Zins zu bezahlen. Im Übrigen wies es die Klage ab; auf das Feststellungsbegehren trat es mangels eines Rechtsschutzinteresses nicht ein.
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B.b Gegen dieses Urteil erhob die Arbeitgeberin mit Eingabe vom 18. Mai 2020 Berufung beim Obergericht des Kantons Zürich mit dem sinngemässen Antrag, das Urteil - soweit sie belastend - aufzuheben und die Klage abzuweisen. Eventualiter sei das Verfahren an die Erstinstanz zur Ergänzung des Sachverhalts und Neuentscheidung zurückzuweisen. Mit Urteil vom 4. Dezember 2020 wies das Obergericht die Berufung ab. Es erwog, die Arbeitgeberin dringe mit ihren Einwänden gegen die erstinstanzliche Feststellung, wonach die fristlose Kündigung ungerechtfertigt gewesen sei, nicht durch.
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C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 25. Januar 2021 beantragt die Beschwerdeführerin, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich kostenfällig aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen; eventualiter das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Beschwerdegegner trägt auf Abweisung der Beschwerde an. Die Vorinstanz verzichtete auf Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: | |
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2.3.2.1 Diese Rechtsprechung wurde in der Literatur mehrheitlich kritisch aufgenommen.
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2.3.2.1.1 So hält etwa LEUENBERGER BGE 144 III 67 für inkonsequent. Bei einer schriftlichen Replik oder Duplik würden die Noven auch nicht in einer Eingabe vor den Rechtsschriften, sondern im Rahmen der Rechtsschriften vorgetragen. "Zu Beginn der Hauptverhandlung" hätte, so LEUENBERGER, durchaus im Sinne von "in den ersten Parteivorträgen" ausgelegt werden können. Demgegenüber sei klar, dass Noven in den Entgegnungen (Art. 228 Abs. 2 ZPO) zu den ersten Parteivorträgen nicht mehr unbeschränkt vorgebracht werden könnten (CHRISTOPH LEUENBERGER, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Zivilprozessrecht im Jahr 2018, 1. Teil: Zivilprozessrecht im internen Verhältnis, ZBJV 156/2020 S. 101; ders. , Note zum Urteil 4A_338/2017 vom 24. November 2017, SZZP 2018 S. 117; eben so ERICH KAUFMANN, Noven in der Hauptverhandlung [Art. 229 ZPO] - Was heisst "zu Beginn der Hauptverhandlung"?, in: Entscheide des Arbeitsgerichtes Zürich 2019, S. 83 f.).
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2.3.2.1.2 Noch weiter gehen SOGO/BAECHLER, die den Entscheid als wenig überzeugend kritisieren. Ihnen zufolge ist die Wendung "zu Beginn der Hauptverhandlung" dahingehend auszulegen, als damit die Replik und die Duplik (wohl im Sinne von Art. 228 Abs. 2 ZPO) gemeint ist (SOGO/BAECHLER, Aktenschluss im summarischen Verfahren, AJP 2020 S. 318 Fn. 20).
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2.3.2.1.3 TAPPY bemängelt die bundesgerichtliche Rechtsprechung zwar nicht explizit, stellt sich ihr aber insofern entgegen, als er - unter Verweis auf diese - eine andere Auffassung vertritt. Ihm zufolge ist Art. 229 Abs. 2 ZPO dahingehend zu verstehen, dass neue Tatsachen und Beweismittel noch "au début des premières plaidoiries" (DENIS TAPPY, in: Commentaire romand, Code de procédure civile, 2. Aufl. 2019, N. 19 zu Art. 229 ZPO; ders. , a.a.O., N. 13 zu Art. 228 ZPO) ins Verfahren eingebracht werden könnten. Eine Begründung dafür findet sich in seinen Ausführungen indes nicht.
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2.3.2.1.4 BOHNET kritisiert diese Rechtsprechung als zu formalistisch. Sie verkompliziere das Verfahren unnötig, müsse dieser zufolge doch zwischen jenen Vorbringen unterschieden werden, welche noch nicht ins Verfahren eingebracht worden seien und jenen, welche bereits darin Eingang gefunden hätten und deshalb im Rahmen der ersten Parteivorträge aufgegriffen werden dürften (FRANÇOIS BOHNET, Note zum Urteil 4A_338/2017 vom 24. November 2017, SZZP 2018 S. 117). An anderer Stelle bezeichnet BOHNET die Rechtsprechung ohne nähere Begründung als "streng" ( ders . , Restriction de la possibilité d'alléguer en procédure sommaire [arrêt 4A_557/2017], Newsletter bail.ch vom April 2018 S. 4, www.bail.ch/bail/page/newsletter[besucht am 1. Mai 2021]) oder als im ordentlichen Verfahren fraglich, im vereinfachten Verfahren sinnlos ( ders . , Ecritures, maximes de procédure et débats dans le procès civil social, in: Le procès civil social, 2018, Rz. 37).
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2.3.2.1.5 HEINZMANN seinerseits gibt zu bedenken, dass die ersten Parteivorträge den Parteien gerade die Möglichkeit geben sollten, sich zum Sachverhalt zu äussern. Daher sei es nicht nachvollziehbar, weshalb die Behauptungsphase vorgezogen werden solle. Diese Einschränkung beraube die ersten Parteivorträge zu einem grossen Teil ihrer Funktion, ohne dass prozessökonomische Gründe dies erforderten (MICHEL HEINZMANN, Newsletter ZPO Online vom 7. Februar 2018, Bemerkungen zum Urteil BGer 4A_338/2017, www.zpo-cpc.ch/ newsletter [besucht am 30. April 2021]; ders. , Allégation et contestation - le ping-pong procédural, BR 2019 S. 141).
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2.3.2.1.6 SOGO/NAEGELI kritisieren, BGE 144 III 67 rufe in formeller und inhaltlicher Hinsicht Fragen auf. Ohne dass es notwendig gewesen wäre, greife das Bundesgericht in einem obiter dictum eine Frage auf und beantworte sie ohne Begründung bewusst in Abweichung von seiner bisherigen Rechtsprechung. Die vorgegebene Lösung sei zudem wenig praktikabel. Sie schaffe eine erhebliche Fehlerquelle, da Gerichte wie Parteien die gesetzlich nicht vorgesehenen Tatsachenvorträge leicht übersehen könnten (zum Ganzen SOGO/ NAEGELI, in: ZPO, 3. Aufl. 2021, N. 17a zu Art. 229 ZPO).
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2.3.2.1.7 BRUGGER demgegenüber begrüsst diese Rechtsprechung. Er interpretiert BGE 144 III 67 dahingehend, dass neue Tatsachen und Beweismittel in einer separaten, den ersten Parteivorträgen zeitlich vorangehenden, Äusserung vorzubringen seien, die er als "Tatsachenvortrag" bezeichnet. Darin seien ausschliesslich neue Tatsachen und Beweismittel vorzutragen, während sämtliche weiteren Ausführungen, die über neue Tatsachen und Beweismittel hinausgehen, für den anschliessenden ersten Parteivortrag aufzusparen seien. Plädiere eine Partei in ihrem Tatsachenvortrag, habe sie das Gericht auf die ersten Parteivorträge zu verweisen. Nach dieser zweiten unbeschränkten Äusserungsmöglichkeit im Tatsachenvortrag trete der Aktenschluss ein (zum Ganzen DANIEL BRUGGER, Der Tatsachenvortrag "zu Beginn" der Hauptverhandlung [Art. 229 Abs. 2 ZPO], ZZZ 2019 S. 26). Diese strikte Trennung von Tatsachenvortrag und den ersten Parteivorträgen trage der Mündlichkeit des Verfahrens Rechnung. So könnten sich die Parteien im Tatsachenvortrag vorab darauf konzentrieren, neue Behauptungen vorzubringen, neue Beweismittel einzureichen oder zu beantragen und die Behauptungen des Prozessgegners zu bestreiten. Im ersten Parteivortrag bräuchten sie sich um das Behaupten und Bestreiten nicht mehr zu sorgen, sondern könnten sich darauf fokussieren, ihren Antrag zu begründen und das Gericht von ihrem Standpunkt zu überzeugen (BRUGGER, a.a.O., S. 27). Weiter verbessere ein solches Vorgehen die Waffengleichheit, da ansonsten der Beklagte auf den mündlichen Vortrag des Klägers, den dieser anhand der schriftlichen Klageantwort vorbereiten konnte, umgehend (oder allenfalls nach einer kurzen Pause) antworten müsse. Diese Ungleichheit würde durch den Tatsachenvortrag gemildert, da in diesem die einzelnen neuen Tatsachen und Beweismittel des Klägers klar ausgewiesen würden, was dem Beklagten eine adäquate Antwort darauf erleichtere (BRUGGER, a.a.O., S. 27). Jenen Stimmen, die sich gegen einen separaten Tatsachenvortrag aussprechen, da ein solcher das Verfahren unnötig verkompliziere, hält BRUGGER entgegen, dadurch könne zwar die Vorbereitung der Hauptverhandlung aufwendiger werden, jedoch werde die Hauptverhandlung sowohl für die Parteien (zunächst Fokussierung auf Behaupten, anschliessend auf Begründen) als auch für das Gericht (Protokollierung) vereinfacht (BRUGGER, a.a.O., S. 27 f.). Zwar könne nicht ausgeschlossen werden, dass Doppelspurigkeiten zwischen Tatsachenvortrag und Parteivortrag auftreten würden, doch könnten diese auf ein Mindestmass verringert werden, wenn das Gericht nur dann zur Hauptverhandlung mit der Möglichkeit für neue Sachvorbringen vorlade, wenn an der Hauptverhandlung nicht viele neue Tatsachen und Beweismittel zu erwarten seien (BRUGGER, a.a.O., S. 28).
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2.3.2.1.8 Weitere Autoren schliessen sich der bundesgerichtlichen Rechtsprechung an, ohne diese zu kommentieren (so etwa BAUMGARTNER/DOLGE/MARKUS/SPÜHLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 10. Aufl. 2018, Kap. 5 Rz. 42; STAEHELIN/STAEHELIN/BACHOFNER, in: Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2019, § 10 Rz. 40b und § 21 Rz. 9a).
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2.3.2.2 Bereits vor dem Entscheid 144 III 67 war in der Literatur umstritten, wie der Ausdruck "zu Beginn der Hauptverhandlung" zu verstehen ist.
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Nach der restriktivsten Auffassung sollten neue Tatsachen und Beweismittel vor den ersten Parteivorträgen eingebracht werden müsen (so FABIENNE HOHL, Procédure civile, Bd. I, 2. Aufl. 2016, Rz. 1331; dies. , Procédure civile, Bd. II, 2. Aufl. 2010, Rz. 1196; DOMINIK MILANI, Die Handhabung der Eventualmaxime im vereinfachten Verfahren unter besonderer Berücksichtigung von Art. 229 Abs. 2 ZPO, Jusletter 16. Mai 2011 Rz. 61).
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Den Gegenpol dazu bildeten jene Autoren, die neue Tatsachen und Beweismittel noch in der Replik und der Duplik nach Art. 228 Abs. 2 ZPO zulassen wollten (namentlich LAURENT KILLIAS, in: Berner Kommentar, Bd. II, 2012, N. 19 zu Art. 229 ZPO; DANIEL WILLISEGGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 8 und 38 zu Art. 229 ZPO).
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Eine vermittelnde Position nahmen jene Stimmen ein, welche dafür plädierten, neue Tatsachen und Beweismittel immerhin dann noch unbeschränkt zu berücksichtigen, wenn sie in den ersten Parteivor trägen nach Art. 228 Abs. 1 ZPO vorgebracht wurden, wobei einige Autoren verlangten, dass diese neuen Tatsachen zu Beginn des ersten Parteivortrags eingebracht werden mussten (HOFMANN/LÜSCHER, Le Code de procédure civile, 2. Aufl. 2015, S. 212; RAFAEL KLINGLER, Die Eventualmaxime in der Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2010, Rz. 421), während andere keine derartige Beschränkun g äusserten (so THOMAS ENGLER, in: ZPO Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2015, N. 3a zu Art. 229 ZPO; CHRISTOPH LEUENBERGER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], 3. Aufl. 2016, N. 12 zu Art. 229 ZPO;LEUENBERGER/ UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2016, Rz. 11.109; SÉBASTIEN MORET, Aktenschluss und Novenrecht nach der Schweizerischen Zivilprozessordung, 2014, Rz. 214 ff.; ERIC PAHUD, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kommentar, 2. Aufl. 2016, N. 21 zu Art. 229 ZPO; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 10 Rz. 40b; ebenfalls in den ersten Parteivorträgen, jedoch unklar, ob damit auch die Replik und die Duplik i.S.v. Art. 228 Abs. 1 ZPO gemeint sind: GASSER/ RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kurzkommentar, 2. Aufl. 2014, N. 7 zu Art. 229 ZPO; NAEGELI/MAYHALL, in: ZPO, 2. Aufl. 2014, N. 16 zu Art. 229 ZPO; MICHAEL WIDMER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], 2010, N. 3 zu Art. 229 ZPO).
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2.3.3.1 Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen (sprachlich-grammatikalisches Element). Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss das Gericht unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente nach der wahren Tragweite der Norm suchen. Dabei hat es insbesondere den Willen des Gesetzgebers zu berücksichtigen, wie er sich namentlich aus den Gesetzesmaterialien ergibt (historisches Auslegungselement). Weiter hat das Gericht nach dem Zweck und den dem Text zu Grunde liegenden Wertungen zu forschen, namentlich nach dem durch die Norm geschützten Interesse (teleologisches Element). Zu berücksichtigen ist ferner die systematische Stellung der Norm im Kontext und das Verhältnis, in welchem sie zu anderen Gesetzesvorschriften steht (systematisches Element). Das Bundesgericht befolgt bei der Auslegung von Gesetzesnormen einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es ab, die einzelnen Auslegungselemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen ( BGE 146 III 217 E. 5; BGE 145 III 324 E. 6.6; BGE 144 III 29 E. 4.4.1; BGE 131 III 314 E. 2.2; BGE 121 III 460 E. 4a/bb; je mit Hinweisen).
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2.3.3.2 Die deutsche Fassung von Art. 229 Abs. 2 ZPO spricht davon, dass neue Tatsachen und Beweismittel "zu Beginn der Hauptverhandlung" unbeschränkt vorgebracht werden können. Der Gesetzgeber scheint hierin einen der "eigentlichen" Hauptverhandlung zeitlich vorgelagerten Moment zu verstehen, spricht er doch in Abs. 1 von Art. 229 ZPO davon, dass "[i]n der Hauptverhandlung" neue Tatsachen und Beweismittel nur unter eingeschränkten Voraussetzungen berücksichtigt werden könnten. Die ersten Parteivorträge nach Art. 228 ZPO werden "[n]ach Eröffnung der Hauptverhandlung"gehalten, d.h. jedenfalls in der Hauptverhandlung. Ob sie unmit telbar nach Eröffnung, zu Beginn der Hauptverhandlung, gehalten werden, hält die Zivilprozessordnung nicht ausdrücklich fest. Dass das Gesetz in Art. 229 Abs. 2 ZPO vom Beginn der Hauptverhandlung spricht und nicht auf die vorstehend in Art. 228 ZPO erwähnten ersten Parteivorträge verweist, deutet darauf hin, dass mit der Wendung "zu Beginn der Hauptverhandlung" ein anderer Moment gemeint ist als "[n]ach der Eröffnung der Hauptverhandlung".
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Im Unterschied zur deutschen Fassung, wird im französischsprachigen Text sowohl bei Art. 229 Abs. 2 ZPO als auch bei Art. 228 Abs. 1 ZPO von der Eröffnung der Hauptverhandlung gesprochen, wobei sich die Formulierungen unterscheiden. Während neue Tatsachen und Beweismittel "à l'ouverture des débats principaux" eingebracht werden können, werden die ersten Parteivorträge "une fois les débats principaux ouverts" gehalten. Letztere Formulierung bezeichnet einen abgeschlossenen Vorgang, nämlich jenen Moment, da die Hauptverhandlung bereits eröffnet ist . Demgegenüber meint "à l'ouverture" einen Zeitpunkt bei der Eröffnung, der damit den ersten Parteivorträgen vorangeht. Die französische Fassung der Zivilprozessordnung bestätigt somit die aus dem Wortlaut der deutschsprachigen Fassung gewonnene Erkenntnis, dass Art. 229 Abs. 2 ZPO einen anderen Zeitpunkt meint als Art. 228 ZPO, wobei dem französischen Text entnommen werden kann, dass ersterer Zeitpunkt, d.h. jener nach Art. 229 Abs. 2 ZPO, letzterem zeitlich vorangeht.
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Wie in der deutschen Fassung wird im italienischen Text bei Art. 229 Abs. 2 ZPO festgehalten, neue Tatsachen und Beweismittel können zu Beginn der Hauptverhandlung ("all'inizio del dibattimento") vorgebracht werden. Ebenfalls deckungsgleich sind die beiden Sprachversionen mit Blick auf Art. 228 Abs. 1 ZPO ("[n]ach Eröffnung der Hauptverhandlung" bzw. "[a]perto il dibattimento"), weshalb das zum deutschsprachigen Text Ausgeführte entsprechend für die italienische Fassung gilt.
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Im Ergebnis spricht das sprachlich-grammatikalische Element dafür, dass "zu Beginn der Hauptverhandlung" einen Zeitpunkt vor den ersten Parteivorträgen nach Art. 228 ZPO meint.
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2.3.3.3 Die geltenden Art. 228 f. ZPO entsprechen den Art. 224 f. des Entwurfs des Bundesrats vom 28. Juni 2006 für eine Schweizerische Zivilprozessordnung (E-ZPO; BBl 2006 7463). Während Art. 224 E-ZPO unverändert in die geltende Zivilprozessordnung übernommen wurde und nunmehr deren Art. 228 ZPO bildet, fand sich in Art. 225 Abs. 1 E-ZPO eine von Art. 229 Abs. 2 ZPO abweichende Regelung. Dieser zufolge konnten die Parteien "[...] bis und mit den ersten Parteivorträgen neue Tatsachen und Beweismittel vorbringen". Die vorberatende Kommission des Ständerats (Erstrat) beantragte, Art. 225 Abs. 1 E-ZPO dahingehend zu modifizieren, dass neue Tatsachen und Beweismittel in der Hauptverhandlung nur noch berücksichtigt werden, "wenn sie [lit. a] ohne Verzug vorgebracht werden; und [lit. b] trotz zumutbarer Sorgfalt nicht vorher vorgebracht werden konnten" (AB 2007 S 529). Mithin sollte der Aktenschluss noch vor der Hauptverhandlung eintreten. Der Nationalrat lehnte diese Änderung ab und stimmte dem Entwurf des Bundesrats zu (AB 2008 N 964). Eine Minderheit schlug (gar) vor, "neue Tatsachenbehauptungen, Einreden und Bestreitungen" noch "bis und mit den letzten Parteivorträgen" unbeschränkt zu berücksichtigen (AB 2008 N 964 f.). Während der Ständerat weiterhin an der Version seiner Kommission festhielt (AB 2008 S 728), schlug die Kommission des Nationalrats vor, Art. 225 Abs. 1 E-ZPO zu streichen und Art. 225 E-ZPO einen Absatz 2bis hinzuzufügen, der nahezu wörtlich dem heutigen Art. 229 Abs. 2 ZPO entspricht ("Falls weder ein zweiter Schriftenwechsel noch eine Instruktionsverhandlung stattgefunden haben, können neue Tatsachen und Beweismittel zu Beginn der Hauptverhandlung vorgebracht werden"). In den Ratsdebatten wurde dieser Vorschlag unisono als Kompromisslösung bezeichnet (Voten Thanei, Aeschbacher, Widmer-Schlumpf, Lüscher und Vischer, AB 2008 N 1629 ff.; Votum Janiak, AB 2008 S 883). Auf der einen Seite würden es das Postulat der Verfahrensbeschleunigung und das Kostenargument erfordern, Noven (in der Hauptverhandlung) auszuschliessen; andererseits verlange das Postulat der Wahrheitsfindung ein möglichst weites Novenrecht (Votum Thanei, AB 2008 N 1629; ähnlich Voten Fluri und Vischer, AB 2008 N 1630 f.). Diese Kompromisslösung wurde in der Folge sowohl vom National- (AB 2008 N 1631) als auch vom Ständerat (AB 2008 S 883) getragen.
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Daraus, dass die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung (Novenschranke nach den ersten Parteivorträgen) als zu weitgehend und jene des Ständerats (Novenschranke vor Hauptverhandlung) als zu restriktiv abgelehnt wurden und die Räte beabsichtigten, einen Kompromiss zu finden, kann geschlossen werden, dass jedenfalls jene in der Literatur vertretene Auffassung dem historischen Element entgegensteht, welche neue Tatsachen und Beweismittel in den ge samten ersten Parteivorträgen, d.h. auch noch in der Replik und der Duplik nach Art. 228 Abs. 2 ZPO, zulassen will. Nicht klar ist, ob der Bundesrat mit seinem Vorschlag, neue Tatsachen und Beweismittel "bis und mit den ersten Parteivorträgen" zu berücksichtigen, auch die Replik und die Duplik nach Art. 228 Abs. 2 ZPO (= Art. 224 Abs. 2 E-ZPO) einschliessen wollte. Falls dies zuträfe, könnte bereits dann von einem Kompromiss gesprochen werden, wenn Noven nur im jeweils ersten Vortrag unbeschränkt eingebracht werden dürften. Verstünde man die Wendung demgegenüber dahingehend, dass der Bundesrat die Replik und die Duplik ausschliessen wollte, müsste die Wendung "zu Beginn der Hauptverhandlung" einen Moment vor den ersten Parteivorträgen meinen, da ansonsten kein Kompromiss vorläge.
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Einen Anhaltspunkt, dass die Novenschranke bereits vor den ersten Parteivorträgen fallen sollte, stellt das Votum von Lüscher für die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats dar (AB 2008 N 1630), welche Art. 225 Abs. 2 bis E-ZPO vorschlug. Ihm zufolge soll es nach dieser Bestimmung möglich sein, neue Tatsachen und Beweismittel vor Beginn der Hauptverhandlung ("avant le début des débats principaux") unbeschränkt ins Verfahren einzubringen. Wenngleich diese Aussage dem Wortlaut von Art. 225 Abs. 2 bis E-ZPO widerspricht ("à l'ouverture des débats principaux"), kann sie als Indiz dafür gewertet werden, dass nach Ansicht der Kommission neue Tatsachen und Beweismittel in den ersten Parteivorträgen nur mehr eingeschränkt zulässig sein sollten.
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Im Ergebnis kann aus dem historischen Element geschlossen werden, dass neue Tatsachen und Beweismittel jedenfalls in der Replik und der Duplik im Sinne von Art. 228 Abs. 2 ZPO nicht mehr unbeschränkt vorgebracht werden dürfen. Die Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte spricht eher dafür, dass die Novenschranke bereits vor den ersten Parteivorträgen fällt.
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2.3.3.4 In systematischer Hinsicht ist zu bemerken, dass aus der Strukturierung von Art. 229 ZPO nichts abgeleitet werden kann, was zur vorliegend zu beantwortenden Frage beiträgt. Gleiches gilt für die Einbettung der Bestimmung auf Kapitel- ("Hauptverhandlung", Art. 228-234 ZPO) sowie auf übergeordneten Ebenen der Gesetzessystematik.
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2.3.3.5 Die Bestimmung von Art. 229 Abs. 2 ZPO will sicherstellen, dass sich die Parteien zwei Mal unbeschränkt äussern können. Dieses Ziel wird ungeachtet dessen erreicht, ob diese Äusserung in den ersten Parteivorträgen oder (separat) davor geschieht. Wie zur Entstehungsgeschichte der Norm angeführt (E. 2.3.3.3 hiervor), beabsichtigte der Gesetzgeber, durch Art. 229 Abs. 2 ZPO einen Kompromiss zu finden zwischen dem Interesse an Verfahrensbeschleunigung (und damit verbundener Reduktion der Kosten) einerseits und dem Interesse an möglichst uneingeschränkter Wahrheitsfindung andererseits. Auch diesen beiden Interessen werden die in der Literatur propagierten Zeitpunkte für den Eintritt der Novenschranke gerecht, da alle in der Hauptverhandlung liegen (und nicht etwa vor dieser) und das Verfahren allesamt gleichsam verzögern. Dass der Bestimmung weitere Zwecke zukommen sollten, wie sie bisweilen in der Literatur diskutiert werden (so z.B. Vereinfachung der Hauptverhandlung oder Verbesserung der Waffengleichheit), ist den Materialien nicht zu entnehmen.
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Mithin kann dem Zweck der Bestimmung nicht entnommen werden, ob mit der Wendung "zu Beginn der Hauptverhandlung" ein Moment vor den ersten Parteivorträgen gemeint ist, oder ob damit die jeweils erste Äusserung im Rahmen der ersten Parteivorträge gemäss Art. 228 Abs. 1 ZPO angesprochen wird oder gar die Entgegnungen nach Art. 228 Abs. 2 ZPO mitgemeint sind.
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2.3.3.6 Während aus dem systematischen und dem teleologischen Element keine Erkenntnisse betreffend das Verständnis von Art. 229 Abs. 2 ZPO gewonnen werden können, spricht das sprachlich-grammatikalische Element dafür, dass "zu Beginn der Hauptverhandlung" einen Zeitpunkt vor den ersten Parteivorträgen nach Art. 228 ZPO meint. In dieselbe Richtung deutet das historische Auslegungselement. In einer Gesamtwürdigung ist mithin festzustellen, dass neue Tatsachen (wozu auch Bestreitungen zählen; Urteil 4A_498/2019 vom 3. Februar 2020 E. 1.5, in: SZZP 2020 S. 457) und Beweismittel gemäss Art. 229 Abs. 2 ZPO vor den ersten Parteivorträgen ins Verfahren eingebracht werden müssen. Diese (unbeschränkte) Äusserung zu Beginn der Hauptverhandlung ist demnach zu unterscheiden von den in Art. 228 ZPO erwähnten ersten Parteivorträgen.
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Jenen Autoren, die ein derartiges Vorgehen mangels Praktikabilität als Verkomplizierung des Verfahrens ablehnen, ist zwar dahingehend beizustimmen, dass eine solche Auftrennung bei den Parteien zu einem höheren Aufwand in der Vorbereitung der Verhandlung führt und der Zeitbedarf der Hauptverhandlung (marginal) steigen dürfte, doch werden diese Nachteile dadurch aufgewogen, dass die neuen Vorbringen für die Gegenpartei und für das Gericht so klar zu fassen sind, was sowohl das Gericht entlastet als auch der Waffengleichheit dient.
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