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57. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B.B. und C.B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_831/2020 vom 29. Juni 2021 | |
Regeste |
Art. 647 Abs. 2 Ziff. 2, Art. 647c ff., Art. 712h Abs. 1 und 2 Ziff. 1 sowie Art. 712m Abs. 1 Ziff. 1 ZGB. | |
Sachverhalt | |
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Im Zuge der Erneuerung des ihnen zu Sondernutzungsrecht zugewiesenen Teils des Vorplatzes verlegte das Ehepaar B. auch den gemeinsam genutzten Zugangsweg. Gleichzeitig liess es die gemeinsamen Werkleitungen für Strom, Wasser und Gas erneuern, die unterhalb ihrer Vorplatzhälfte zur Liegenschaft führen.
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B. A. war mit diesen baulichen Massnahmen nicht einverstanden. Klageweise verlangte sie beim Kantonsgericht Schaffhausen die Wiederherstellung des vorherigen baulichen Zustandes. Das Ehepaar B. beantragte die Abweisung der Klage und forderte widerklageweise die hälftige Beteiligung an den Kosten für die Erneuerung der Werkleitungen im Betrag von Fr. 8'210.-.
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Mit Entscheid vom 26. September 2019 hiess das Kantonsgericht die Klage weitestgehend gut und wies die Widerklage ab.
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In teilweiser Gutheissung der Beschwerde des Ehepaares B. wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen mit Entscheid vom 28. August 2020 die Sache zur Durchführung eines Beweisverfahrens und zur neuen Entscheidung an das Kantonsgericht zurück. Die Widerklage hiess es teilweise gut und verpflichtete A. zur Zahlung von Fr. 6'340.50.
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C. In Bezug auf die Widerklage hat A. am 6. Oktober 2020 beim Bundesgericht eine Beschwerde eingereicht mit dem Begehren um deren Abweisung. Mit Vernehmlassung vom 22. April 2021 haben die Beschwerdegegner auf Abweisung der Beschwerde geschlossen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Widerklage ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: | |
3. Das Obergericht hat erwogen, gemäss den Akten habe die Beschwerdeführerin es noch vor Ausführung der Arbeiten abgelehnt, an die Erneuerung der Gas- und Wasserleitungen etwas beizutragen. ![]() ![]() | 9 |
4. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 423 Abs. 2 OR sowie von Art. 647d Abs. 3 und Art. 647e Abs. 2 ZGB. Sie hält fest, dass es um gemeinschaftliche Teile gehe und sie einer Sanierung explizit nicht zugestimmt habe, weshalb die Beschwerdegegner in eine fremde Rechtssphäre eingegriffen hätten. Die Argumentation des Obergerichts, dass die Ablehnung der Vorteilsannahme vorliegend ausser Betracht falle und die Vorteilsaneignung automatisch eingetreten sei, würde bedeuten, dass jeder Geschäftsführer dem Geschäftsherrn irreversible bauliche Massnahmen aufnötigen ![]() ![]() ![]() ![]() | 10 |
Erwägung 5 | |
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Diesbezüglich ist zu beachten, dass der Stockwerkeigentümer jeweils Miteigentümer der Sache, gleichzeitig aber auch Mitglied der Gemeinschaft ist. Die rechtlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Stockwerkeigentümern und der Gemeinschaft laufen grundsätzlich über diese und gemeinschaftliche Belange bedürfen der Beschlussfassung ( BGE 145 III 121 E. 4.3.4 S. 128 f.), was insbesondere für Verwaltungshandlungen und bauliche Massnahmen an gemeinschaftlichen Teilen gilt (Art. 712g Abs. 1 i.V.m. Art. 647a f. bzw. Art. 647c ff. ZGB), wobei ein Stockwerkeigentümer entweder den Beschluss unter den allgemeinen Voraussetzungen gerichtlich anfechten (Art. 712m Abs. 2 i.V.m. Art. 75 ZGB) oder - zumal die Anfechtungsklage bei einem negativen Beschluss über eine bauliche Massnahme nicht zielführend ist - bei Verwaltungshandlungen, die für die Erhaltung des Wertes und der Gebrauchsfähigkeit der gemeinschaftlichen Sache notwendig sind, die gerichtliche Anordnung verlangen kann (Art. 712g Abs. 1 i.V.m. Art. 647 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB).
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5.2 Bauliche Massnahmen, welche gemeinschaftliche Teile betreffen, bedürfen unabhängig davon, ob sie notwendig, nützlich oder luxuriös sind, eines Beschlusses der Gemeinschaft (THURNHERR, Bauliche Massnahmen bei Mit- und Stockwerkeigentum, 2010, Rz. 139 und 183; MANZ, Unterhalt und Ersatzneubau im Stockwerkeigentum, 2021, Rz. 269 und 277; WERMELINGER, Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 2019, N. 110 zu Art. 712l ZGB i.V.m. N. 69 f. und 170 zu Art. 712m ZGB); Unterschiede ergeben sich einzig hinsichtlich des nötigen Beschlussquorums (vgl. Art. 647c, Art. 647d Abs. 1 und Art. 647e Abs. 1 ZGB). ![]() ![]() | 13 |
Zum einen sind dies die gewöhnlichen Verwaltungshandlungen im Sinn von Art. 647a Abs. 1 ZGB, welche das Gesetz mit Ausbesserungen, Erntearbeiten u.ä.m. charakterisiert. Dass der Ersatz von Werkleitungen darunter subsumiert werden könnte, wird zu Recht von keiner Seite geltend gemacht. Zum anderen ist eine vorgängige Beschlussfassung dort nicht nötig, wo Massnahmen keinerlei Aufschub dulden, weil sonst Gefahr im Verzug liegt. So können bauliche Massnahmen an gemeinschaftlichen Teilen immer dann von einem einzelnen Stockwerkeigentümer auf Kosten aller bzw. der Gemeinschaft in die Wege geleitet werden, wenn damit die gemeinschaftliche Sache vor drohendem oder wachsendem Schaden bewahrt wird (Art. 712g Abs. 1 i.V.m. Art. 647 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB). Dabei handelt es sich durchwegs um notwendige Massnahmen im Sinn von Art. 647c ZGB, während aber der Umkehrschluss nicht zutrifft: keineswegs sind notwendige Massnahmen immer auch dringlich, so dass ein Stockwerkeigentümer ohne Beschluss handeln darf (THURNHERR, a.a.O., Rz. 144, ferner Rz. 131; WERMELINGER, a.a.O., N. 128 zu Art. 712a ZGB); einzig besteht hier für den unterlegenen Stockwerkeigentümer wie gesagt die Möglichkeit, den (vorgängig negativ ausgefallenen) Beschluss durch eine richterliche Anordnung ersetzen zu lassen (Art. 712g Abs. 1 i.V.m. Art. 647 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB; BGE 141 III 357 E. 3.2 S. 360). Massstab für die Dringlichkeit ist, ob ein vernünftiger Mensch unter den konkreten Umständen mit seinem Eingreifen nicht länger zugewartet hätte (vgl. THURNHERR, a.a.O., Rz. 145 und 155; WERMELINGER, a.a.O., N. 128 zu Art. 712a ZGB).
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Dringlichkeit im erwähnten Sinn wäre im vorliegenden Kontext beispielsweise gegeben bei einer geborstenen Leitung, deren nicht sofortige Reparatur zu Schaden führen oder einen solchen jedenfalls als drohend erscheinen lassen würde (THURNHERR, a.a.O., Rz. 144 und 160; WERMELINGER, a.a.O., N. 130 zu Art. 712a ZGB). Dass eine dahingehende Situation vorgelegen hätte, lässt sich dem angefochtenen Entscheid nicht entnehmen. Vielmehr wird implizit das Gegenteil festgestellt, indem das Obergericht festhält, dass die Firma D. zum Ersatz geraten habe, dass die Leitungen unbestrittenermassen teils bis zu 70 Jahre alt gewesen seien, dass sie gemäss Richtlinien Impulsprogramm IP Bau, Bundesamt für Konjunkturfragen, Alterungsverhalten von Bauteilen und Unterhaltskosten, Bern 1994, eine ![]() ![]() | 15 |
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Ob überhaupt und inwieweit bei eigenmächtigem Handeln eines Stockwerkeigentümers auf das Recht der Geschäftsführung ohne ![]() ![]() | 17 |
Die Beschwerdeführerin hält in diesem Zusammenhang nicht zu Unrecht fest, dass die Anwendung der betreffenden Rechtsfiguren bei nicht reversiblen baulichen Massnahmen zur Folge hätte, dass ein Stockwerkeigentümer gegen den Willen der anderen seine Pläne umsetzen und sich hierfür bezahlt machen könnte. Noch akzentuierter würde sich das Problem stellen, wenn sich ein Handwerker über den ihm erteilten Auftrag hinwegsetzen und eigenmächtig zusätzliche oder luxuriösere bauliche Massnahmen vornehmen und sich in der Folge auf Geschäftsführung ohne Auftrag bzw. auf Art. 423 Abs. 2 OR berufen würde.
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Zuständig zur Beschlussfassung wie auch zur rechtmässigen Erteilung der Aufträge an die Bauhandwerker ist bei gemeinschaftlichen Teilen nach dem in E. 5.2 und 5.3 Gesagten die Gemeinschaft, welche im Bereich der Verwaltungstätigkeit nicht nur allein entscheidungszuständig, sondern auch handlungsfähig und prozessual verselbständigt ist (Art. 712l Abs. 1 und 2 ZGB; vgl. auch BGE 145 III 121 E. 4.3.5 S. 129 f.; BGE 142 III 551 E. 2.2 S. 553). Ein allfälliger Ersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigter Bereicherung wäre deshalb wenn schon gegen die Stockwerkeigentümergemeinschaft zu richten, für welche der eigenmächtige Stockwerkeigentümer tätig geworden ist. Soweit die Stockwerkeigentümergemeinschaft erfolgreich ins Recht gefasst werden könnte und Kosten übernehmen müsste, hätte sie für deren Verteilung wiederum Beschluss zu fassen (vgl. Art. 712m Abs. 1 Ziff. 4 ZGB). Wie ![]() ![]() ![]() | 20 |
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