BGE 81 IV 101 | |||
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22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. März 1955 i.S. Guerino gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. | |
Regeste |
Art. 181 StGB. |
b) Nachteil, bestehend in einer üblen Nachrede oder Verleumdung, die der Täter androht (Erw. 2). |
c) Wann ist der angedrohte Nachteil ernstlich? (Erw. 3). | |
Sachverhalt | |
A.- Mit Strafklage vom 20. Mai 1954 beschuldigte Fräulein X Dorina Guerino der Körperverletzung, der Tätlichkeiten und der Sachbeschädigung. Am 26. Mai 1954 verhörte der Amtsstatthalter von Luzern-Stadt beide Parteien, wobei die Klägerin sich auf den verheirateten Y als Zeugen berief. Auf das hin telephonierte die Beklagte dem Y, um ihn davon abzuhalten, Zeugnis abzulegen. Sie erklärte ihm, wenn er als Zeuge erscheine, "packe sie alles aus". Darunter verstand sie, dass sie bekanntgeben werde, er unterhalte ehewidrige Beziehungen zu Fräulein X. Tatsächlich telephonierte sie am 28. Mai 1954 der Ehefrau des Y und sagte ihr, das Zeugnis ihres Ehemannes könne nicht gewertet werden, da er mit Fräulein X befreundet sei. Am gleichen Tage leistete Y der Vorladung vor den Amtsstatthalter Folge und sagte als Zeuge aus. Dorina Guerino schloss hierauf mit Fräulein X einen Vergleich, und letzteres zog den Strafantrag zurück. Das Strafverfahren gegen Dorina Guerino wurde wegen Nötigungsversuchs fortgesetzt.
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B.- Am 12. November 1954 erklärte das Amtsgericht Luzern-Stadt Dorina Guerino dieses Vergehens schuldig und büsste sie mit Fr. 20.-.
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C.- Dorina Guerino führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an das Amtsgericht zurückzuweisen.
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Sie macht geltend, es verletze Art. 181 StGB. Diese Bestimmung treffe nicht zu, weil sie sich gegen die Beschränkung der Handlungsfreiheit richte, Y jedoch nicht frei gewesen sei, als Zeuge zu erscheinen und auszusagen, sondern auf Grund einer Vorladung habe erscheinen müssen, deren Befolgung hätte erzwungen werden können. Die Beschwerdeführerin habe ihm auch nicht ernstliche Nachteile angedroht; die angedrohte Bekanntgabe eines ehewidrigen Verhältnisses sei kein ernstlicher Nachteil Wer solche Beziehungen unterhalte, müsse damit rechnen, dass sie bekannt werden. Es sei auch nicht abgeklärt, ob die Beziehungen des Y zu Fräulein X nicht tatsächlich schon bekannt gewesen seien, insbesondere seiner Ehefrau. Dazu komme, dass die Androhung ernstlicher Nachteile gleichbedeutend sei mit der schweren Drohung des Art. 180 StGB, eine solche hier aber fehle. Ferner sei nicht abgeklärt, wem gegenüber die Beschwerdeführerin ihre Aussagen über die Beziehungen des Y zu Fräulein X habe machen wollen. Gegenüber dem Amtsstatthalter wäre sie berechtigt gewesen, davon zu sprechen, um den Beweiswert der Aussagen des Y zu beanstanden. Das Telephongespräch mit Frau Y sei unerheblich, zumal die Beschwerdeführerin ihr nur erklärt habe, das Zeugnis ihres Ehemannes könne nicht gewertet werden, da er mit Fräulein X befreundet sei. Endlich habe die Beschwerdeführerin nicht rechtswidrig gehandelt, weil sie berechtigt gewesen sei, Y den angedrohten Nachteil zuzufügen. Es sei nämlich nicht verboten, Aussagen über ehewidrige Beziehungen einer Person zu machen. Die Androhung einer begründeten Strafklage sei schwerer, ohne den Tatbestand der Nötigung zu erfüllen. Umsoweniger könne die Androhung einer begründeten Aussage über ein nicht einwandfreies Verhalten darunter fallen.
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D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt, die Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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Die Rüge der Beschwerdeführerin hält aber überhaupt nicht stand. Richtig ist zwar, dass Art. 181 StGB sich gegen die Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit richtet. Sie liegt aber im Falle der Androhung ernstlicher Nachteile darin, dass das Opfer durch die Aussicht, solche Nachteile zu erleiden, zu einem Tun oder Unterlassen bestimmt wird, zu dem es sich ohne die Androhung nicht entschlösse. Ob sein Verhalten, das der Täter herbeiführen will, unrechtmässig oder rechtmässig sei und ob der Staat es verhindern könne oder nicht, ist unerheblich. Wer einen anderen durch Androhung ernstlicher Nachteile z.B. zur Begehung einer strafbaren Handlung veranlasst, verübt das Vergehen des Art. 181 so gut, wie wenn er ihn zu einem erlaubten Tun nötigte, obschon die vom Täter begehrte Handlung vom Standpunkt der Rechtsordnung aus nicht im Belieben des Opfers steht, sondern rechtswidrig ist und vom Staate verhindert werden muss, wenn er sie voraussieht. Entsprechend verhält es sich, wenn jemand einen andern durch Androhung ernstlicher Nachteile von einer Handlung abhalten will, zu der er rechtlich verpflichtet ist und die, wenn er sie nicht freiwillig vornimmt, vom Staate erzwungen wird. Es wäre eine sonderbare Rechtsordnung, wenn sie nur die Nötigung zu einem erlaubten Verhalten mit Strafe bedrohte, nicht auch die Nötigung zu einem rechtswidrigen Tun oder Unterlassen. Wer einen anderen durch Androhung ernstlicher Nachteile zur Verletzung seiner Pflichten veranlasst, handelt besonders verwerflich. Der Bürger, der bereit ist, seine Pflichten zu erfüllen, soll davon nicht durch Androhung ernstlicher Nachteile abgehalten werden; in solchem Vorgehen liegt ein Angriff auf die Freiheit seines Willens. Der Versuch, den die Beschwerdeführerin unternommen hat, war daher nicht untauglich.
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2. Die Beschwerdeführerin hat Y durch die Drohung, sie werde bekanntgeben, dass er zu Fräulein X ehewidrige Beziehungen unterhalte, gefügig zu machen versucht. Ob er solche Beziehungen tatsächlich unterhalten oder mit Fräulein X nur kameradschaftlich verkehrt hat, ist im angefochtenen Urteil offen gelassen worden. Darauf kommt, wie das Amtsgericht zutreffend annimmt, auch nichts an. Die Bekanntgabe ehewidriger Beziehungen - worunter die Beschwerdeführerin in erster Linie die Bekanntgabe an Frau Y verstand, an die sie sich dann auch telephonisch gewendet hat - war für Y im einen wie im anderen Falle ein Nachteil, weil sie einen Angriff auf seine Ehre enthielt, der als üble Nachrede oder Verleumdung sogar Strafe nach sich ziehen konnte. Daran würde selbst dann nichts geändert, wenn gewisse Drittpersonen schon gewusst oder sich eingebildet haben sollten, Y unterhalte mit Fräulein X ehewidrige Beziehungen; denn ein Angriff auf die Ehre einer Person wird nicht dadurch rechtmässig, dass der Ruf des Angegriffenen bereits, sei es begründeter-, sei es unbegründeterweise, gelitten hat. Ebensowenig kommt etwas darauf an, ob Y ohnehin damit rechnen musste, dass sein Umgang mit Fräulein X einmal bekannt und für ehewidrig gehalten werde, insbesondere von seiner Ehefrau. Was die Beschwerdeführerin ihm androhte, war nichtsdestoweniger eine seinen Ruf gefährdende und daher für ihn nachteilige Blossstellung.
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3. Auch war der angedrohte Nachteil "ernstlich" im Sinne des Art. 181 StGB. Die Auffassung des Beschwerdeführers, dieses Merkmal sei nur erfüllt, wenn eine schwere Drohung im Sinne des Art. 180 StGB vorliege, ist vom Kassationshof bereits in einem Urteil vom 31. Dezember 1949 i.S. Peck widerlegt worden. Schon der Wortlaut des Gesetzes verbietet, die Androhung nach Art. 181 jener nach Art. 180 gleichzustellen. Eine "schwere Drohung" (Art. 180) setzt mehr voraus als eine "Androhung ernstlicher Nachteile" (Art. 181), da zwischen "schwer" und "ernstlich" ein gradueller Unterschied besteht. Er kommt auch im französischen Text zum Ausdruck, wo von "menace grave" (Art. 180) und "menaçant d'un dommage sérieux" (Art. 181) die Rede ist. Mit Rücksicht auf diese klare Abstufung in den beiden Texten kann nichts darauf ankommen, dass der italienische mit den Ausdrücken "grave minaccia" (Art. 180) und "minaccia di grave danno" (Art. 181) noch am ehesten für die Gleichstellung der beiden Androhungen angerufen werden könnte. Dazu kommt, dass auch die weiteren, von einander abweichenden Erfordernisse der beiden Tatbestände einen Unterschied in der Androhung erkennen lassen, der sich der Täter im einen und im anderen Falle bedient. Um jemanden "in Schrecken oder Angst" zu versetzen (Art. 180), braucht es mehr, als um ihn zu einer Handlung, Unterlassung oder Duldung zu nötigen, die er sonst nicht gewollt hätte (Art. 181). Die höhere Anforderung in Art. 180 ist auch sachlich gerechtfertigt durch den inneren Unterschied der beiden Tatbestände, indem die Drohung die Freiheit der Willensbildung lediglich gefährdet, die Nötigung dagegen sie verletzt; gegenüber blossen Gefährdungshandlungen ist das Strafgesetz zurückhaltender als gegenüber Verletzungen der gleichen Rechtsgüter. Art. 181 setzt nicht voraus, dass der angedrohte Nachteil so schwer sei, dass der Betroffene ob der Androhung in Schrecken oder Angst geraten könnte; es genügt, wenn der Nachteil ernstlich genug ist, um den Betroffenen in seiner Handlungsfreiheit wesentlich beeinträchtigen zu können. Das war hier der Fall. Dass Y sich nicht hat beeindrucken lassen, sondern seine Zeugenpflicht erfüllt hat, steht dieser Würdigung nicht im Wege. Die Ernstlichkeit des Nachteils hängt nicht vom tatsächlichen Erfolge der Androhung ab, sondern vom objektiven Ausmass des angedrohten Eingriffs.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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