BGE 82 IV 65 | |||
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14. Urteil des Kassationshofes vom 27. März 1956 i.S. Zistler gegen Zistler. | |
Regeste |
1. Art. 264, 268 BStP. Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde gegen einen Einstellungsbeschluss der letzten kantonalen Instanz, durch den die Gerichtsbarkeit der Schweiz verneint wird. | |
Sachverhalt | |
A.- Klara Zistler in Eismannsberg (Deutschland) stellte am 10. Oktober 1955 beim Bezirksamt Baden (Aargau) gegen ihren in Bergdietikon (Aargau) in der Landwirtschaft arbeitenden Ehemann, den deutschen Staatsangehörigen Josef Zistler, Strafantrag wegen Vernachlässigung von Unterstützungspflichten im Sinne des Art. 217 StGB. Sie behauptete, er habe sie und sein Kind Josef, geb. 1948, verlassen und sich in die Schweiz begeben, nachdem im April 1954 seine Scheidungsklage vom Landgericht Regensberg abgewiesen worden sei. Am 18. Juli 1955 habe ihn das Amtsgericht Kötzting verpflichtet, wöchentlich an ihren Unterhalt DM 28.- und an den Unterhalt des Kindes DM 12.- beizutragen. Es sei ihr aber nur gelungen, von ihm anfangs September 1955 Fr. 60.- zu erhalten, worauf er ihr am 29. September 1955 mitgeteilt habe, dass er nichts mehr leisten werde.
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B.- Das Bezirksamt Baden überwies die Akten der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Diese verfügte am 24. Oktober 1955, die Strafanzeige werde mangels örtlicher Zuständigkeit der Behörden des Kantons Aargau nicht an die Hand genommen. Sie führte aus, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sei die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten am Wohnsitze des Gläubigers als dem Erfüllungsort strafrechtlich zu verfolgen (BGE 69 IV 129). Die Anzeigerin habe Wohnsitz in Deutschland und habe schon während der ganzen Zeit, für welche schuldhafte Nichtbezahlung der Unterhaltsbeiträge geltend gemacht werde, dort gewohnt. Eine Strafverfolgung am derzeitigen Wohnsitz des Angeschuldigten könnte gemäss Art. 6 und 348 StGB allenfalls dann stattfinden, wenn der Angeschuldigte Schweizerbürger wäre. Das treffe aber nicht zu.
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C.- Mit Gesuch vom 31. Oktober 1955 an die Anklagekammer des Bundesgerichts beantragt Klara Zistler, die Behörden des Kantons Aargau seien zur Verfolgung des Angeschuldigten berechtigt und verpflichtet zu erklären. Sie macht geltend, in BGE 69 IV 126 ff. habe sich das Bundesgericht nur aus Zweckmässigkeitsgründen für den Gerichtsstand des Wohnsitzes des Geschädigten entschieden. Diese Erwägungen fielen weg, wenn der Geschädigte in der Schweiz keinen Wohnsitz habe, der Täter aber hier arbeite. Es wäre stossend, wenn ein Ausländer seine Familie verlassen und in der Schweiz ungestört arbeiten könnte, ohne für die Vernachlässigung seiner Unterhaltspflicht zur Rechenschaft gezogen zu werden. Eine Strafanzeige in Deutschland wäre im vorliegenden Falle zwecklos, weil die deutschen Behörden ja in der Schweiz nicht gegen den Angeschuldigten vorgehen könnten.
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D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Sie macht geltend, es treffe keine Sonderbestimmung des Strafgesetzbuches über die Zuständigkeit schweizerischer Gerichte zur Beurteilung im Auslande begangener Handlungen auf den vorliegenden Fall zu. Es bestehe kein Grund, von der Regel, dass die Tatbestände des Art. 217 StGB am Erfüllungsort zu verfolgen seien, abzuweichen. Die Strafverfolgung in Deutschland sei nicht unmöglich. Die schweizerischen Behörden hätten zur Erhebung von Beweisen, die nicht in Deutschland beigebracht werden könnten, Rechtshilfe zu leisten. Die Anzeigerin komme also nicht um ihr Recht, wenn sie auf dem Wege der Strafanzeige an die Behörden ihres Wohnortes verwiesen werde.
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E.- Josef Zistler bestreitet, sich strafbar gemacht zu haben.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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Dagegen sind die Voraussetzungen der Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof erfüllt. Die angefochtene Verfügung der Staatsanwaltschaft ist Einstellungsbeschluss, und zwar solcher letzter Instanz (Art. 268 Abs. 3 BStP). Das ergibt sich aus einem Abschreibungsbeschluss des Bezirksgerichtes Baden vom 17. November 1955, worin ausgeführt wird, Klara Zistler habe am 2. November 1955 unter Berufung auf § 10 des I. Ergänzungsgesetzes über die Strafrechtspflege Überweisung an das Gericht verlangt, doch habe dieses sie dahin belehrt, dass die Staatsanwaltschaft in Zuständigkeitsfragen endgültig entscheide, worauf die Beschwerdeführerin ihr Begehren zurückgezogen habe. Auch ist die Frage, ob dem Kanton Aargau in der vorliegenden Sache Gerichtsbarkeit zustehe, eine solche des eidgenössischen Rechts (Art. 269 Abs. 1 BStP).
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Bei einem echten Unterlassungsdelikt wie der Vernachlässigung von Unterstützungspflichten (Art. 217 StGB) ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts "ausführen" gleichbedeutend mit "unterlassen" (BGE 69 IV 129). Daran ist festzuhalten, nicht aber an der weiteren Überlegung, die Erfüllung werde im Falle der Nichtleistung aus bösem Willen am zivilrechtlichen Erfüllungsorte unterlassen, der sich gemäss Art. 74 OR für Geldleistungen regelmässig am Wohnsitze des Gläubigers befinde. Hier, am Erfüllungsorte, tritt lediglich der Erfolg ein, darin bestehend, dass der Unterhalts- oder Unterstützungsberechtigte die Leistung nicht erhält. Die Unterlassung selbst und das Wollen des Schuldners, auf dem sie beruht, spielen sich dagegen dort ab, wo der Schuldner im Zeitpunkt, da er erfüllen sollte, sich befindet. An seinem Aufenthaltsorte fasst er den massgebenden Entschluss und dauert sein böser Wille an, und hier unterlässt er das, was er unternehmen müsste, um dem Gläubiger im Zeitpunkt der Fälligkeit am Erfullungsorte die geschuldete Leistung zu verschaffen. Von seinem Aufenthaltsorte muss der Schuldner z.B. abreisen, um sich zur persönlichen Erbringung der Leistung an den Erfüllungsort zu begeben. Regelmässig wird er auch an seinem Aufenthaltsorte auf die Post gehen, wenn er sich ihrer bedienen will, um dem Gläubiger die Leistung anzuweisen. Ebenso wird er von hier aus den Verwalter seines anderswo liegenden Vermögens telephonisch, brieflich oder durch Boten beauftragen, dem Gläubiger die Leistung am Erfüllungsorte zur Verfügung zu stellen. Die rechtliche Lage ist gleich wie bei Nichtleistung aus Arbeitsscheu oder Liederlichkeit. Für diesen Fall hat das Bundesgericht schon bisher angenommen, das strafbare Verhalten trage sich nicht am Erfüllungsorte, sondern dort zu, wo der Arbeitsscheue oder Liederliche sich des Erwerbes oder der richtigen Verwaltung seiner Mittel enthält und in die Unmöglichkeit der Erfüllung setzt.
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Da Josef Zistler während der ganzen Zeit, da er die von der Beschwerdeführerin behauptete Unterhaltspflicht angeblich nicht erfüllt hat, in der Schweiz wohnte, beurteilt sich sein Verhalten somit nach schweizerischem Recht, und zwar unabhängig davon, ob die Ansprüche von Frau und Kind auch zivilrechtlich vom schweizerischen Recht beherrscht sind.
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3. Für Handlungen, die materiell dem schweizerischen Recht unterstehen, muss in der Schweiz auch die Strafverfolgung eingeleitet werden können. Es wäre sonderbar, wenn der schweizerische Gesetzgeber nicht immer dann, wenn materiell schweizerisches Recht gilt, die schweizerischen Behörden auch zur Verfolgung des Täters hätte verpflichten wollen, unbekümmert darum, wo der Erfolg eingetreten ist. Art. 346 Abs. 1 Satz 1 StGB sieht denn auch den Gerichtsstand des Ortes vor, wo die strafbare Handlung ausgeführt wurde, ohne zu unterscheiden, ob auch der Erfolg in der Schweiz oder ob er im Auslande eingetreten sei. Das Gesetz geht sogar weiter, indem es in Art. 348 StGB einen schweizerischen Gerichtsstand auch für Fälle vorschreibt, in denen die strafbare Handlung im Auslande verübt worden ist, aber - nach den Bestimmungen der Art. 4-6 StGB - materiell schweizerisches Recht anwendbar ist.
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Josef Zistler muss daher in der Schweiz verfolgt werden. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach Vernachlässigung von Unterstützungspflichten am Erfüllungsort zu verfolgen und zu beurteilen sind (BGE 69 IV 126 ff.), ändert hieran nichts. Sie gilt nur, wenn ausser dem Ort der Ausführung auch der Ort des Erfolges (Erfüllungsort) in der Schweiz liegt. In diesem Falle sprechen Gründe der Zweckmässigkeit für den Gerichtsstand des Erfüllungsortes, wie im erwähnten Präjudiz näher ausgeführt ist. Diesen Grundsatz auch anzuwenden, wenn der Erfüllungsort im Auslande und nur der Ort der Begehung in der Schweiz liegt, hiesse auf die schweizerische Gerichtsbarkeit und die Anwendung des schweizerischen Strafrechts verzichten, wo das Gesetz sie verlangt. Das geht nicht an.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird dahin gutgeheissen, dass die Verfügung der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau vom 24. Oktober 1955 aufgehoben wird und die Behörden des Kantons Aargau zur Verfolgung und Beurteilung des Josef Zistler wegen Vernachlässigung von Unterstützungspflichten berechtigt und verpflichtet werden.
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