BGE 82 IV 86 | |||
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18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. März 1956 i.S. Schneider gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | |
Regeste |
Art. 113 StGB, Totschlag. | |
Sachverhalt | |
A.- Der 1934 geborene Hilfsarbeiter Schneider verlobte sich anfangs 1954 mit der ein Jahr älteren Bureauangestellten Margrit W. In der Folge kam es zwischen ihnen zu Auseinandersetzungen, die zusehends häufiger wurden. Seit dem Herbst 1954 fühlte Schneider, dass sich seine Braut von ihm lösen wollte. Am 14. Februar 1955 gab sie ihm den Verlobungsring zurück, weil sie genug davon hatte, ihn ständig bemuttern und in allem leiten zu müssen. Die Beziehungen brachen indessen nicht gänzlich ab. Margrit W. liess Schneider eine gewisse Hoffnung, dass sie wieder zusammenkommen könnten, wenn er sich ohne ihre Hilfe und Führung bewähre; sie flickte und glättete ihm weiterhin seine Wäsche und nahm später den Verlobungsring wieder zurück. Schneider wusste, dass sie schon vor Auflösung der Verlobung Stoll kennen gelernt hatte und mit diesem freundschaftliche Beziehungen unterhielt; er gab aber die Hoffnung nicht auf, Margrit W. wieder für sich zu gewinnen, und sperrte sich trotz der dafür sprechenden Anzeichen gegen die Annahme, dass Stoll an seine Stelle getreten sein könnte.
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Am Abend des 19. April 1955 suchte Schneider Margrit W. in Wallisellen auf, um sie auf den folgenden Sonntag zu einem Ausflug einzuladen. Sie lehnte aber die Einladung unter einem offensichtlichen Vorwand ab. Anschliessend begleitete Schneider das Mädchen auf dem Wege nach Opfikon, wo es an einer Übung des Handharmonikaklubs teilnahm. Unterwegs erklärte ihm Margrit W. unvermittelt, sie wolle nun allein weitergehen. Schneider erfasste sogleich, dass sie ihren neuen Liebhaber treffen wollte. Ohne sich zu verabschieden, kehrte er in Wut und enttäuscht nach Hause zurück. Er entschloss sich, seinen Nebenbuhler zu töten, nahm seinen Ordonnanz-Karabiner und 12 Patronen der Taschenmunition und passte an der Opfikonerstrasse Stoll ab. Gegen 23 Uhr fuhren dieser und Margrit W. auf ihren Fahrrädern nebeneinander Richtung Wallisellen. Schneider gab, nachdem die beiden an ihm vorbeigefahren waren, aus einer Entfernung von ca. 5 m aus dem Hüftanschlag einen Schuss auf Stoll ab, ohne ihn zu treffen. Er lud sofort nach und feuerte aus einer Entfernung von ca. 30 m stehend einen zweiten, nunmehr gezielten Schuss auf Stoll ab, der ebenfalls fehl ging. Schneider gab darauf seinen Plan auf und liess seinen Karabiner am Tatort zwischen Sträuchern zurück, wo er am folgenden Tag von einem Fussgänger gefunden wurde.
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B.- Das Obergericht des Kantons Zürich erklärte Schneider am 26. September 1955 des vollendeten Tötungsversuches (Art. 22, 111 StGB), der Nichtbefolgung von Dienstvorschriften (Art. 72 MStG) und des Missbrauchs und der Verschleuderung von Material (Art. 73 MStG) schuldig und verurteilte ihn unter Annahme verminderter Zurechnungsfähigkeit zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis, abzüglich 156 Tagen Untersuchungshaft.
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C.- Die von Schneider gegen dieses Urteil wegen Nichtanwendung von Art. 113 StGB erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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Aus den Erwägungen: | |
1. Nicht eine Tötung nach Art. 111 StGB, sondern einen mit milderer Strafe bedrohten Totschlag begeht, wer einen Menschen in einer nach den Umständen entschuldbaren heftigen Gemütsbewegung tötet (Art. 113 StGB). Der Totschlag ist wie nach früheren kantonalen Rechten eine Affekthandlung (meurtre par passion, omicidio passionale). Nach Art. 113 StGB genügt es aber nicht, dass die Leidenschaft die Triebfeder des Täters ist und dass dessen Vernunft und Wille im Zeitpunkt der Tat in einem gewissen Grade beeinträchtigt sind; auch beim Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötung kann der Täter in einem starken Affekt handeln. Der Grund für die mildere Bestrafung des Totschlages liegt darin, dass die heftige Gemütsbewegung, die den Täter zur Tat treibt, nach den Umständen "entschuldbar" ist.
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Entschuldbar ist eine Gemütsbewegung nicht schon dann, wenn sie aus den gesamten objektiven und subjektiven Umständen heraus psychologisch erklärt werden kann. Der Begriff der Entschuldbarkeit verlangt vielmehr eine Bewertung nach ethischen Grundsätzen: Die Gemütsbewegung darf nicht ausschliesslich oder vorwiegend egoistischen, gemeinen Trieben entspringen, sondern sie muss durch die äussern Umstände, welche die Erregung ausgelöst haben, gerechtfertigt erscheinen. Der gleiche Sinn ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzestextes. In den Beratungen der 2. Expertenkommission wurde wiederholt betont, dass die Gemütsbewegung durch eine Provokation, eine ungerechte Kränkung oder durch eine Notlage verursacht worden sein müsse. Die auf Anträge von Hafter und Thormann zurückgehende erste Fassung sprach denn auch von einer nach den Umständen "gerechtfertigten" heftigen Gemütsbewegung (Prot. 2, 147-165). Dass durch den später gewählten Ausdruck "entschuldbar" der Inhalt der ursprünglichen Anforderungen geändert worden wäre, ist nicht ersichtlich.
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2. Dem Beschwerdeführer musste mit der Auflösung des Verlöbnisses klar geworden sein, dass Margrit W. nicht mehr an ihn gebunden war und es auch nicht mehr sein wollte, zumal er schon vorher erkannt hatte, dass sie sich von ihm lösen wollte und in freundschaftliche Beziehungen zu Stoll getreten war. Auch wenn sie den Beschwerdeführer in einer gewissen Hoffnung liess, dass sie im Falle seiner Bewährung wieder zusammenkommen könnten, so lag darin noch keine bestimmte Zusicherung, die Auflösung des Verlöbnisses rückgängig zu machen, und auch keine Verpflichtung, das Verhältnis mit Stoll aufzugeben. Bei dieser Sachlage hätte sich der Beschwerdeführer sagen müssen, dass er Margrit W. nicht für sich allein beanspruchen durfte, sondern dass er gegenteils ihre Freiheit, die sie mit der Auflösung des Verlöbnisses wiedererlangt hatte, zu respektieren gehalten war, solange sie nicht auf ihren Entschluss zurückkam. Daher liegt in ihrem Verhalten am Abend des 19. April, insbesondere in der Ablehnung seiner Einladung und in der spätern Bemerkung, dass sie den letzten Teil des Weges nach Opfikon allein zu gehen wünsche, kein Rechtfertigungsgrund für seine Gemütsbewegung, in der er sich zur Tat entschloss. Sein Zorn war umso weniger gerechtfertigt, als er nicht gegen Margrit W., sondern gegen Stoll gerichtet war, der am Gespräch jenes Abends überhaupt nicht beteiligt war und auch sonst nichts unternommen hatte, was den Beschwerdeführer hätte reizen oder kränken können. Der Umstand allein, dass Stoll die Zuneigung von Margrit W. zu besitzen schien, macht die Gemütsbewegung des Beschwerdeführers nicht entschuldbar.
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