BGE 82 IV 190 | |||
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41. Urteil des Kassationshofes vom 12. Oktober 1956 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. | |
Regeste |
Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2 Abs. 2 StGB. | |
Sachverhalt | |
1 | |
Von 1942 an liessen sich die Eheleute K., die schon früher Ferienkinder bei sich aufgenommen hatten, von Fürsorgestellen regelmässig für kürzere oder längere Zeit Kinder zuweisen. 1942 bis 1948 betreuten sie ein Mädchen, dem unter anderem zwei Auslandschweizerknaben folgten. 1950/51 wurde die 1941 geborene Sylvia H., deren Mutter gestorben war, mit zwei Geschwistern bei den Eheleuten K. untergebracht. Die Kinder blieben rund anderthalb Jahre, bis sie der Vater nach seiner Wiederverheiratung zu sich nahm. 1955 verbrachte Sylvia die Sommerferien bei den Eheleuten K.
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1952 und 1953 wies ihnen das Fürsorgeamt der Stadt Zürich die 1944 geborene Annamarie H. für die Sommerferien zu; 1954 nahmen sie das Kind auf Bitte der Mutter zu sich in die Sommerferien. Auf Empfehlung von "Pro Juventute" brachte der "Schweizerbund" die 1942 geborene Annamarie S. von Mitte Mai bis 8. Juli 1954 zur Erholung bei den Eheleuten K. unter, die während dieser Jahre ausserdem eine Reihe weiterer Kinder betreuten.
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B.- K. verging sich im Mai 1951 sowie im Sommer 1953, 1954 und 1955 an den drei Mädchen, indem er ihre Brüste und ihren Geschlechtsteil betastete. Annamarie H. entkleidete er überdies wiederholt den Unterkörper, um sein Glied zwischen die Oberschenkel und gegen den Geschlechtsteil des Mädchens zu stossen.
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Das Kriminalgericht des Kantons Aargau verurteilte K. am 2. Mai 1956 wegen wiederholter unzüchtiger Handlungen mit Pflegekindern im Sinne des Art. 191 Ziff. 2 Abs. 2 StGB und wiederholter beischlafsähnlicher Handlungen mit Pflegekindern im Sinne des Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 StGB zu zwei Jahren und vier Monaten Zuchthaus, stellte ihn für vier Jahre in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit ein und sprach Annamarie H. Fr. 400.-- als Genugtuung zu.
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D.- Die Staatsanwaltschaft beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
Wer sich der Unzucht mit einem Kind unter sechzehn Jahren schuldig macht, wird gemäss Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2 Abs. 2 StGB schärfer bestraft, wenn das Kind der Schüler, Zögling, Lehrling, Dienstbote oder das Kind, Grosskind, Adoptivkind, Stiefkind, Mündel oder Pflegekind des Täters ist.
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Der französische und der italienische Text verwenden im zweiten Absatz der Ziff. 1 und 2 des Art. 191 StGB für Pflegekind allgemein gehaltene Umschreibungen: un enfant confié à ses soins, un fanciullo affidato alle cure di questo (des Täters). Darunter könnte jedes Kind verstanden werden, das auch nur ganz vorübergehend der Obhut einer Person anvertraut ist. Dass dies nicht der wahre Sinn der Bestimmung sein kann, ergibt sich jedoch nicht nur aus den hohen Mindeststrafen von zwei Jahren Zuchthaus (Ziff. 1 Abs. 2) bezw. drei Monaten Gefängnis (Ziff. 2 Abs. 2), sondern auch daraus, dass das Pflegekind zusammen mit dem Kind, Grosskind, Adoptivkind, Stiefkind und Mündel genannt wird. Damit wird offenbar eine ähnliche enge Bindung vorausgesetzt. Das heisst anderseits nicht, dass nur die Pflegekindschaft im engeren Sinn darunter falle, d.h. nur das Verhältnis, in dem der Besorger am Kinde dauernd Vater- oder Mutterstelle vertritt. Gegen eine solche Einengung des Begriffs spricht schon die Einbeziehung der Schüler, Zöglinge, Lehrlinge und Dienstboten in den Kreis der besonders geschützten Kinder. Wie das Dienstbotenverhältnis (vgl. BGE 71 IV 192 Erw. 4; BGE 78 IV 158; BGE 80 IV 64) wird die Pflegekindschaft im Sinn des zweiten Absatzes der Ziff. 1 und 2 des Art. 191 StGB vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass das Kind dem Täter in einer Weise zur Betreuung anvertraut sein muss, dass auf der einen Seite eine besondere Autorität, auf der anderen eine entsprechende Abhängigkeit begründet wird. Dem Missbrauch dieser Autorität und Abhängigkeit wollen die verschärften Strafandrohungen entgegentreten.
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Pflegekind im genannten Sinn war jedenfalls Sylvia H., als sie 1950/51 mit ihren beiden Brüdern nach dem Tod der Mutter rund anderthalb Jahre bei den Eheleuten K. untergebracht war. Wenn auch in Aussicht genommen war, dass der Vater die Kinder bei einer Wiederverheiratung zu sich nehmen werde, so sollten sie doch nach den verbindlichen (Art. 277 bis Abs. 1 BStP) Feststellungen der Vorinstanz bis dahin bei den Eheleuten K. ein Heim finden und von ihnen während dieser Zeit, deren Dauer nicht von vornherein feststand, wie von den eigenen Eltern betreut werden.
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Weniger klar ist die Rechtslage mit Bezug auf den Ferienaufenthalt der Sylvia H. im Sommer 1955 sowie die Ferienaufenthalte der Annamarie H. in den Jahren 1953 und 1954 (1952 kam es zu keinen unzüchtigen Handlungen) und den Erholungsaufenthalt der Annamarie S. Wären sie als gewöhnliche Feriengäste in einer verwandten oder bekannten Familie aufgenommen worden, so wäre nach dem, was in BGE 71 IV 192 Erw. 4 ausgeführt worden ist, zweifelhaft, ob von Pflegeverhältnissen gesprochen werden könnte, obwohl nicht übersehen werden darf, dass auch so untergebrachte Kinder der Hausgewalt ihrer Gastgeber unterstehen, deren Autorität sich oft stärker auswirkt als die der Eltern. Die Stellung der Eheleute K. unterschied sich jedoch wesentlich von der einfacher Gastgeber. Seit Jahren liessen sie sich, namentlich von Fürsorgestellen, fortwährend Kinder zu längerem oder kürzerem Aufenthalt zuweisen, wobei sie gelegentlich deren mehrere gleichzeitig betreuten. Diese Zuteilungen beruhten auf einem besonderen Vertrauensverhältnis; sie war z.B. seitens des Fürsorgeamts der Stadt Zürich mit bestimmten Weisungen für die Unterbringung und Betreuung der Kinder verbunden. Dieses Vertrauensverhältnis und der Rückhalt, den die Eheleute K. in der Zusammenarbeit mit den Fürsorgestellen fanden, schufen auf Seite der Kinder eine Abhängigkeit und auf Seite des Besorgers eine Autorität, die sich der eines Lehrers, Heim- oder Anstaltsleiters, Lehrmeisters oder Dienstherrn ohne weiteres vergleichen lässt. Auch während der genannten Ferien- und Erholungsaufenthalte lag daher ein Pflegeverhältnis im Sinn des zweiten Absatzes der Ziff. 1 und 2 des Art. 191 StGB vor.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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