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Informationen zum Dokument  BGE 84 IV 12  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ..... ...
2. Indem Frau X. der ihrem Ehemann anvertrauten Kasse wiederholt  ...
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6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. März 1958 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen X.
 
 
Regeste
 
Art. 28 Abs. 1, 137 Ziff. 3 StGB.  
 
Sachverhalt
 
BGE 84 IV, 12 (13)A.- X. ist seit 1. Januar 1955 Kassier der Sektion Y. der Schweizerischen Krankenkasse Helvetia. Es obliegt ihm der Einzug von Mitgliederbeiträgen und die Vornahme gewisser Auszahlungen an die Mitglieder. Er hat der Zentralverwaltung periodisch Abrechnung zu erstatten und einen allfälligen Saldo der Zentralkasse zu überweisen. Das Krankenkassengeld bewahrt er getrennt von der eigenen Barschaft in einer verschlossenen Eisenkassette auf.
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In den Jahren 1955 und 1956 nahm seine Ehefrau wiederholt Geld aus der Kasse und verbrauchte es im Haushalt. Die nicht genau feststellbare Summe der entwendeten Beträge beläuft sich auf wenigstens Fr. 517.45 und höchstens Fr. 1000.--.
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B.- Das Bezirksgericht Aarau verurteilte Frau X. am 23. August 1957 unter anderem wegen fortgesetzten Diebstahls zu einer bedingt aufgeschobenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten Gefängnis.
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Auf Beschwerde der Verurteilten stellte das Obergericht des Kantons Aargau das Verfahren wegen Diebstahls ein. Es nahm an, Frau X. habe sich der Veruntreuung zum Nachteil ihres Ehemannes schuldig gemacht, der jedoch keinen Strafantrag gestellt habe. Aus demselben Grunde müsste eine Bestrafung auch entfallen, wenn statt Veruntreuung Diebstahl anzunehmen wäre.
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C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei wegen Verletzung von Art. 137 Ziff. 3 StGB aufzuheben und die Sache zur Verurteilung der Beschwerdegegnerin wegen fortgesetzten Diebstahls sowie zur Neubemessung der Strafe an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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D.- Frau X. beantragt Abweisung der Beschwerde.
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BGE 84 IV, 12 (14)Der Kassationshof zieht in Erwägung:
 
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Im vorliegenden Fall steht fest, dass X. die von den Krankenkassenmitgliedern einbezahlten Beträge stets getrennt von seiner eigenen Barschaft aufbewahrte. Das eingezogene Geld war somit eine "fremde" Sache, es gehörte der Schweizerischen Krankenkasse Helvetia (BGE 81 IV 233). Diese wurde in ihrer Eigenschaft als Eigentümerin des Kassetteninhalts durch die strafbaren Handlungen der Beschwerdegegnerin unmittelbar verletzt (BGE 74 IV 7,BGE 78 IV 215). Dass sie heute nicht mehr geschädigt ist, weil X. die Fehlbeträge jeweils durch Verrechnung mit seiner Inkassoprovision und durch Barzuschüsse ausglich, hilft der Beschwerdegegnerin nicht. Die nachträgliche Schadensdeckung macht die - wenn auch nur vorübergehend, so doch - tatsächlich eingetretene Schädigung der Krankenkasse Helvetia nicht ungeschehen. Damit aber steht fest, dass die Diebstähle der Beschwerdegegnerin zur Verletzung eines Opfers führten, das weder ihr Angehöriger noch ihr Familiengenosse war. Frau X. ist daher von Amtes wegen zu verfolgen.
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Angesichts dessen braucht die Frage nicht entschieden zu werden, ob X. als Inhaber des Gewahrsams am gestohlenen Geld ebenfalls Verletzter im Sinne des Art. 28 StGB sei. Selbst wenn dies anzunehmen wäre, müsste es beim Gesagten sein Bewenden haben. Denn bei Verletzung mehrerer Personen ist die Regel des Art. 137 Ziff. 3 StGB nur anwendbar, wenn alle Betroffenen Angehörige oder Familiengenossen des Diebes sind. Das Privileg des Art. 137 Ziff. 3 StGB hat seinen Grund in den persönlichen Verhältnissen BGE 84 IV, 12 (15)des Täters zum Verletzten und dringt daher nicht durch, wenn die Tat gleichzeitig und unmittelbar auch Dritte verletzt.
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