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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
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47. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. September 1959 i. S. Bossi gegen Iklé und Müller. | |
Regeste |
Art. 173 StGB, üble Nachrede. | |
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Wer in einer Lage, die ihn zwecks Wahrnehmung berechtigter Interessen zur Äusserung zwang, seine ehrenrührige Behauptung in angemessener Form gutgläubig aufstellte, nachdem er gewissenhaft alles Zumutbare vorgekehrt hatte, um sich von ihrer Richtigkeit zu überzeugen, machte sich nach früherer Rechtsprechung des Bundesgerichtes nicht strafbar (BGE 69 IV 116, BGE 70 IV 26, BGE 71 IV 189, BGE 72 IV 175, BGE 73 IV 16). Diese Rechtsprechung stammt aus der Zeit, da nach dem Wortlaut des Art. 173 StGB das Scheitern des Wahrheitsbeweises trotz des guten Glaubens des Täters, seine Behauptung sei wahr, zur Verurteilung führen musste. Sie brachte die unumgängliche Milderung, ohne die niemand es hätte wagen dürfen, jemanden z.B. in einer Strafanzeige oder in einem Prozess rufschädigender Tatsachen zu beschuldigen oder zu verdächtigen, wenn er nicht von vornherein sicher war, dass er seine Behauptung oder Vermutung als richtig beweisen könne. Nachdem die durch Bundesgesetz vom 5. Oktober 1950 abgeänderte Fassung des Art. 173 StGB in Kraft getreten war, wurde diese Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der Lehre (WAIBLINGER, ZBJV 91 106) ![]() | 1 |
Art. 173 StGB trägt mit der neuen Fassung den Fällen, in denen der Täter durch seine Äusserung berechtigte Interessen wahren will, in jeder Beziehung Rechnung. Ziff. 2 dieser Bestimmung verlangt nicht mehr, dass der Täter die Wahrheit seiner Äusserung beweise, sondern lässt ihn schon dann straflos, wenn er dartut, dass er ernsthafte Gründe hatte, die Äusserung in guten Treuen für wahr zu halten. Der gute Glauben entschuldigt unter diesen Voraussetzungen nicht nur den, der in einer Zwangslage berechtigte Interessen wahrnimmt, sondern auch andere Täter. Freilich lässt Art. 173 Ziff. 3 StGB den Beweis des Handelns in guten Treuen - und den Wahrheitsbeweis - nicht zu "für Äusserungen, die ohne Wahrung öffentlicher Interessen oder sonstwie ohne begründete Veranlassung, vorwiegend in der Absicht vorgebracht oder verbreitet werden, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere, wenn sich die Äusserungen auf das Privat- oder Familienleben beziehen". Diese Ausnahmebestimmung wird jedoch dem, der in Wahrung berechtigter Interessen handelt, nie zum Verhängnis. Gerade sie zeigt, dass das Gesetz die Fälle, in denen der Täter solche Interessen wahrt, durch Art. 173 Ziff. 2 StGB abschliessend ordnet. Das gilt vorab für den in Art. 173 Ziff. 3 ausdrücklich erwähnten Fall, dass die Äusserung zur Wahrung öffentlicher Interessen erfolgt. Wenn hier ausdrücklich bestimmt wird, in diesem Falle seien die in Art. 173 Ziff. 2 vorgesehenen Beweise zulässig, bedeutet das zugleich, Art. 173 Ziff. 2 regle ihn erschöpfend, d.h. auch der im öffentlichen Interesse Handelnde dürfe nur die erwähnten Beweise erbringen, nicht ausserdem einen besonderen Rechtfertigungsgrund der "Wahrung berechtigter öffentlicher Interessen" anrufen. Entsprechendes gilt für den Fall der Wahrung berechtigter privater Interessen. Art. 173 Ziff. 3 trägt ihm insofern Rechnung, als der in Wahrung solcher Interessen Handelnde ![]() | 2 |
Die neue gesetzliche Ordnung genügt auch sachlich. Es ist nicht unbillig, dass der in Wahrung berechtigter privater oder öffentlicher Interessen Handelnde wie jeder andere der Strafe nur entgeht, wenn er beweist, dass die Äusserung der Wahrheit entspricht oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten. Schon als die Rechtsprechung den Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen anerkannte, liess sie ihn nur dem zugute kommen, der seine Äusserung in angemessener Form gutgläubig tat, nachdem er gewissenhaft alles Zumutbare vorgekehrt hatte, um sich von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. Die Wahrung berechtigter Interessen war kein Freibrief, jemandem ins Blaue hinaus rufschädigende Tatsachen nachzureden oder ihn durch sachlich nicht vertretbare Werturteile zu beschimpfen. Heute kann es nicht anders sein.
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Das gilt insbesondere auch dann, wenn die Äusserung ![]() | 4 |
NOLL vertritt in BJM 1959 10 ff. die Auffassung, der Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen müsse auch anerkannt werden, um die angemessene Beurteilung der satirischen Ehrverletzungen zu ermöglichen; es bestehe ein allgemeines und berechtigtes Interesse, das öffentliche Leben durch satirische Darstellungen zu erheitern; das öffentliche Interesse an einer gewissen Narrenfreiheit gehe weiter als der durch die Entlastungsmöglichkeit von Art. 173 Ziff. 2 StGB geschützte Bereich; insbesondere bei der scherzhaften Beschimpfung und bei der ![]() | 5 |
Wer berechtigte Interessen verfolgt, befindet sich freilich auch unter der Herrschaft des geltenden Rechts noch in einer besonderen Lage, weil er vor der Wahl steht, entweder auf die Wahrnehmung dieser Interessen zu verzichten oder eine ehrverletzende Äusserung zu tun, die sich möglicherweise als unzutreffend erweisen wird. Der Richter kann und muss jedoch dieser besonderen Lage Rechnung tragen, wenn er entscheidet, ob der Täter ernsthafte Gründe hatte, die Äusserung in guten Treuen für wahr zu halten. Er wird an die Sorgfaltspflicht des Täters geringere Anforderungen stellen, wenn dieser ![]() | 6 |
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