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Informationen zum Dokument  BGE 86 IV 54  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
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2. (Ausführungen darüber, inwiefern die Merkmale von St ...
3. Dass die oben in Erw. 2 lit. a-c umschriebenen Machenschaften  ...
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16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. März 1960 i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen X., Y. und Z.
 
 
Regeste
 
Art. 19 Ziff. 1 BetMG.  
2. Der unbefugte Verkehr mit Betäubungsmitteln im Sinne dieser Bestimmung ist auch dann strafbar, wenn er unmittelbar dem (nicht mit Strafe bedrohten) Verbrauch durch einen Süchtigen dient (Erw. 3).  
 
Sachverhalt
 
BGE 86 IV, 54 (55)A.- Günther X. hat sich in der Zeit vom 12. März bis zum 17. April 1959 mindestens siebzig Ampullen Dilaudid-Atropin eingespritzt oder durch Ärzte, die ihn behandelten, einspritzen lassen. Diesen gegenüber täuschte er jeweilen vor, er leide an Nierensteinkoliken. Dadurch gelang es ihm wiederholt, eine Einspritzung von Dilaudid-Atropin oder wenigstens die Ausstellung eines Rezeptes zum Bezuge dieses Mittels zu erwirken.
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Weitere Ampullen konnte er sich durch Christel Y. und Johanna Z. verschaffen. Diese sprachen in Bern, Thun und Interlaken bei zahlreichen Ärzten vor, gaben an, dass sie sich auf der Durchreise befänden und an plötzlich aufgetretenen Nierenschmerzen litten, und behaupteten, dass ihr Vater Arzt sei und ihnen jeweilen Dilaudid-Atropin verordnet habe. Auf diese Weise gelang es ihnen verschiedene Male, Rezepte für das gewünschte Mittel zu erschleichen. Johanna Z. holte ausserdem für X. auf dem Postamt Lörrach einmal zehn und ein anderes Mal fünf Ampullen Dilaudid-Atropin ab, die A. von Berlin dorthin gesandt hatte.
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B.- Mit Urteil vom 14. Mai 1959 erklärte der Gerichtspräsident II von Thun X., Christel Y. und Johanna Z. der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel vom 3. Oktober 1951 (BetMG) schuldig. Er büsste X. mit Fr. 100.--, Christel Y. und Johanna Z. mit je Fr. 50.-.
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BGE 86 IV, 54 (56)C.- Auf Appellation der Verurteilten hin sprach das Obergericht des Kantons Bern sie am 13. Oktober 1959 frei.
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D.- Die Bundesanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das zweitinstanzliche Urteil sei aufzuheben und die Sache an das Obergericht zurückzuweisen, damit es die Angeklagten wegen Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 BetMG bestrafe.
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E.- X., sowie Christel Y. und Johanna Z. beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen.
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Aus den Erwägungen:
 
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a) Christel Y. und Johanna Z. Ärzte durch Lügen veranlassten, ihnen Rezepte zum Bezuge von Dilaudid-Atropin auszustellen, worauf sie diese oder die gestützt darauf bezogenen Ampullen X. aushändigten;
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b) Johanna Z. für X. von der Schweiz aus in Lörrach fünfzehn Ampullen Dilaudid-Atropin abholte;
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c) X. gestützt auf Rezepte, die ihm durch Christel Y. oder Johanna Z. ausgehändigt worden waren oder deren Ausstellung er selber erschlichen hatte, von Apotheken Dilaudid-Atropin bezog.)
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d) X. hat durch unwahre Angaben überdies Ärzte veranlasst, ihm Dilaudid-Atropin einzuspritzen. Auf dieses Vorgehen trifft indessen keiner der Straftatbestände des Art. 19 Ziff. 1 BetMG zu. Wer sich durch einen Arzt von diesem zur Verfügung gestellte Betäubungsmittel einspritzen lässt, kauft sie nicht, sondern erhält sie auf Grund eines Auftrages verabreicht. Dafür, dass der Begriff des Kaufes im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 BetMG weiter auszulegen sei, als er in Art. 184 ff. OR umschrieben wird, fehlt jeder Anhaltspunkt. Die Annahme, dass im Sinne jener Strafbestimmung ein Betäubungsmittel auch "kaufe", BGE 86 IV, 54 (57)wer es sich von einem Arzt einspritzen lässt, wäre vielmehr nicht nur mit dem allgemeinen Sprachgebrauch unvereinbar, sondern würde auch der Absicht des Gesetzgebers zuwiderlaufen, den (unbefugten) Verbrauch von Betäubungsmitteln nicht mit Strafe zu bedrohen (vgl. Protokoll der Sitzung der Expertenkommission vom 17. Dezember 1948, S. 19). Damit scheidet auch die Möglichkeit aus, jemandem, der sich ein Betäubungsmittel durch einen Arzt einspritzen lässt, zur Last zu legen, er habe es im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 BetMG "erlangt". Da durch die Art. 19 ff. BetMG nicht der Genuss von Betäubungsmitteln mit Strafe bedroht, sondern der schwarze Markt getroffen werden soll (vgl. StenBull NatR 1951 S. 627, Votum des Berichterstatters Leupin), kann unter Erlangen im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 BetMG nur ein Entgegennehmen verstanden werden, das die tatsächliche Verfügungsmacht über das Betäubungsmittel verschafft. Für diese Auslegung spricht auch der französische Wortlaut des Gesetzes, der den Tatbestand des Erlangens mit "acquérir" umschreibt (ROLF 1952 S. 241), worunter nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht auch das Einspritzenlassen durch einen Arzt verstanden werden kann. Dementsprechend setzt auch die Annahme, jemand "besitze" im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 BetMG ein Betäubungsmittel, voraus, dass die tatsächliche Verfügungsgewalt eingeräumt und damit die Möglichkeit erlangt worden ist, es dem Schwarzhandel zuzuführen. Indem sich X. Betäubungsmittel einspritzen liess, hat er sie demnach weder im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 BetMG gekauft, noch erlangt oder besessen.
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Damit ist indessen keineswegs gesagt, dass unter allen Umständen straflos bleibe, wer durch unwahre Angaben einen Arzt veranlasst, ihm Betäubungsmittel einzuspritzen. Darin kann beispielsweise eine Anstiftung zu unrechtmässiger Verwendung oder Abgabe von Betäubungsmitteln im Sinne von Art. 20 Ziff. 1 Abs. 4 BetMG liegen.
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3. Dass die oben in Erw. 2 lit. a-c umschriebenen BGE 86 IV, 54 (58)Machenschaften die Merkmale von Straftatbeständen des Art. 19 Ziff. 1 Abs. 2-4 BetMG an sich erfüllen, hat auch das Obergericht angenommen. Es hat jedoch von einer Bestrafung der Beschwerdegegner abgesehen, weil sich aus den Gesetzesmaterialien und einer Gegenüberstellung der Art. 19 und 20 BetMG ergebe, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der Selbstverbraucher, der sich im Sinne jener Bestimmung unbefugt Betäubungsmittel verschafft, und ebenso alle Personen, die entgegen jener Vorschrift solche unmittelbar für einen Süchtigen beschaffen, straffrei bleiben sollen, sofern der Bezug nicht im Sinne von Art. 20 Ziff. 1 Abs. 3 BetMG auf Grund eines gefälschten oder verfälschten Rezeptes erfolgt, was hier aber nicht zutreffe. Diese Auffassung geht fehl.
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a) Wohl wird der unbefugte Verbrauch von Betäubungsmitteln weder durch Art. 19 noch durch eine andere Bestimmung des Betäubungsmittelgesetzes mit Strafe bedroht. Daraus folgt aber keineswegs, dass der Süchtige auch straffrei sei, wenn er, um sich Betäubungsmittel zu beschaffen, eine der in Art. 19 BetMG mit Strafe bedrohten Handlungen begeht, und dass selbst Dritte wegen eines solchen Vorgehens straflos bleiben, sofern sie dabei ausschliesslich darauf ausgehen, unmittelbar einem Süchtigen Betäubungsmittel zuzuhalten. Verhielte es sich so, so wäre Art. 19 BetMG beim Vorliegen einer der dort mit Strafe bedrohten Tat nur ausnahmsweise anwendbar, weil der Schwarzhandel mit Rauschgiften regelmässìg dazu dient, diese einem Süchtigen verfügbar zu machen. Es liegt auf der Hand, dass eine derart weitgehende Einschränkung der Anwendbarkeit dieser Strafbestimmung vom Gesetzgeber nicht vorgesehen worden wäre, ohne dies durch ihre Fassung wenigstens anzudeuten oder im Gesetz sonstwie zum Ausdruck zu bringen, zumal in einem Erlass, bei dem offensichtlich auf die lückenlose Umschreibung der Straftatbestände besonderes Gewicht gelegt worden ist. Das Betäubungsmittelgesetz enthält jedoch nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass Art. 19 nur mit der vom BGE 86 IV, 54 (59)Obergericht angenommenen Einschränkung anwendbar sei. Insbesondere unterscheidet diese Bestimmung nicht, zu welchem Zwecke die dort mit Strafe bedrohten Machenschaften vorgenommen werden, nämlich ob die Tat ausschliesslich der Beschaffung von Rauschgift zum Verbrauch durch einen Süchtigen diene oder nicht.
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b) Damit stimmt überein, dass sich auch in den Gesetzesmaterialien keine Hinweise finden lassen, die für die Auffassung sprächen, auf die das Obergericht die Freisprechung der Beschwerdegegner stützt. Dass jemand für Machenschaften, die das Gesetz in Art. 19 ausdrücklich mit Strafe bedroht, straffrei sein soll, nur weil sie unmittelbar dem Verbrauch von Betäubungsmitteln durch den Süchtigen dienten, wurde nie erörtert. Die Strafbarkeit des Süchtigen gab nur insoweit zu Erörterungen Anlass, als anfänglich erwogen wurde, auch den unbefugten Genuss von Betäubungsmitteln mit Strafe zu bedrohen. Als die Expertenkommission schliesslich in zustimmendem Sinne davon Kenntnis nahm, dass auf den Erlass einer dahingehenden Strafbestimmung verzichtet werde, wurde zugleich, ohne dass dagegen Einspruch erhoben wurde, festgestellt, dass bei Begehung eines Betäubungsmitteldeliktes durch einen Rauschgiftsüchtigen von Fall zu Fall die Frage der Zurechnungsfähigkeit zu prüfen sein werde (Protokoll der Sitzung der Expertenkommission vom 17. Dezember 1948, S. 19, Votum des Vertreters der Bundesanwaltschaft). Diese Feststellung, deren Begründetheit auch im Verlaufe der parlamentarischen Beratung nicht in Zweifel gezogen wurde, setzt voraus, dass der Süchtige, der einen der Straftatbestände des Art. 19 BetMG erfüllt, wie jeder andere Täter strafbar ist, es sei denn, dass er zufolge seiner Sucht unzurechnungsfähig sei.
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c) Die Auffassung der Vorinstanz findet aber nicht nur im Wortlaut des Art. 19 BetMG und in den Gesetzesmaterialien keine Stütze, sondern widerspricht auch dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Die Strafbefreiung der Betäubungsmittelverbraucher und jener Personen, die ihnen BGE 86 IV, 54 (60)Rauschgift beschaffen, würde dem Schwarzhandel mit solchen Mitteln Tür und Tor öffnen, während das Betäubungsmittelgesetz gerade erlassen wurde, um ihn zu unterbinden und damit den unbefugten Genuss einzudämmen.
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d) Schliesslich lässt sich auch aus einer Gegenüberstellung der Art. 19 und 20 BetMG nichts für die erwähnte Auffassung des Obergerichtes ableiten. Die von ihm angestellte Überlegung, Art. 19 könne unmöglich das blosse Beschaffen von Betäubungsmitteln durch oder unmittelbar für einen Süchtigen unter Strafe stellen, wenn nach Art. 20, der die gleichen Strafen androhe wie jene Bestimmung, das Verschaffen von Betäubungsmitteln nur strafbar sei, sofern dazu ein gefälschtes oder verfälschtes Rezept Verwendung finde, ist schon deshalb unhaltbar, weil das Obergericht dabei von einer falschen Voraussetzung ausgeht. Es verkennt, dass Art. 20, im Gegensatz zu Art. 19, nicht den Verkehr mit Betäubungsmitteln, sondern das Fälschen oder Verfälschen ärztlicher Rezepte bzw. die Verwendung eines von einem Dritten gefälschten oder verfälschten Rezeptes mit Strafe bedroht, sofern es zum Zwecke der Beschaffung von Betäubungsmitteln geschieht. Damit werden also Vorbereitungshandlungen zum unbefugten Betäubungsmittelverkehr im Sinne von Art. 19 BetMG erfasst. Wenn schon diese, gleichgültig von wem sie vorgenommen werden, unter Strafe gestellt sind, ist schlechterdings nicht einzusehen, inwiefern sich daraus ergeben soll, dass entgegen dem klaren Wortlaut des Art. 19 Ziff. 1 BetMG der unbefugte Verkehr mit Betäubungsmitteln selbst nur ausnahmsweise, nämlich nur dann, wenn er nicht unmittelbar dem Verbrauch durch einen Süchtigen dient, strafbar sei.
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