BGE 86 IV 212 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
55. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. September 1960 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. | |
Regeste |
1. Art. 191 StGB. Darunter fällt auch Unzucht mit einer ehemündigen Italienerin, die das 16. Altersjahr noch nicht erreicht hat (Erw. 2); |
3. Art. 41 Ziff. 5 StGB. Unzulässige Verweigerung des bedingten Aufschubes der Landesverweisung (Erw. 6). | |
Aus den Erwägungen: | |
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Es trifft zu, dass die Frage der Ehefähigkeit des Mädchens auf Grund des Haager Eheschliessungsabkommens vom 12. Juni 1902 sich nach dem Gesetz des Heimatstaates beurteilt und Art. 84 des italienischen Codice civile die Frau, die das 14. Altersjahr erfüllt hat, ehemündig erklärt (BGE 75 I 84). Was unter Kind im Sinne von Art. 191 StGB zu verstehen ist, bestimmt jedoch ausschliesslich das schweizerische Strafgesetzbuch. Geschützt ist nach dem Wortlaut und Zweck dieser Bestimmung jeder Knabe und jedes Mädchen unter sechzehn Jahren. Das Gesetz will die geschlechtliche Integrität dieser Personen nicht bloss für den Fall wahren, dass sie noch körperlich unreif sind, sondern auch dann, wenn sie physiologisch bereits geschlechtsreif geworden sind, und dies aus der Erkenntnis, dass Jugendliche unter 16 Jahren geistig und sittlich noch nicht genügend entwickelt sind, um den ihnen bei frühzeitiger geschlechtlicher Betätigung drohenden Schädigungen körperlicher und psychischer Art gewachsen zu sein. Art. 191 stellt somit weder auf den Eintritt der Geschlechtsreife oder Ehefähigkeit, noch sonstwie auf den körperlichen oder sittlichen Zustand oder auf den Charakter des Opfers ab (vgl.BGE 72 IV 67,BGE 73 IV 157,BGE 78 IV 81, BGE 82 IV 156); entscheidend für die Zuerkennung des strafrechtlichen Schutzes ist einzig die Altersgrenze von 16 Jahren.
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Wie der Kassationshof bereits entschieden hat, bedeutet schon der Beischlaf und die beischlafsähnliche Handlung mit einem Partner, der das 16. Altersjahr noch nicht überschritten hat, in allen Fällen Missbrauch des Kindes (BGE 72 IV 67). Hätte der Ausdruck "missbrauchen" den vom Beschwerdeführer vertretenen Sinn, dass die fehlende körperliche oder sittliche Unreife des Kindes die Strafbarkeit des Täters ausschliesse, so müsste in jedem Einzelfall über den Reifegrad des Kindes Beweis geführt werden, was nicht nur unerwünscht und schwierig wäre, sondern auch den vom Gesetzgeber gewollten absoluten Kinderschutz wiederum in Frage stellen würde. Es wäre auch nicht einzusehen, weshalb die Strafbarkeit bei den Beischlafshandlungen (Art. 191 Ziff. 1) hätte eingeschränkt werden sollen, bei den andern unzüchtigen Handlungen (Ziff. 2) dagegen nicht. Dass eine solche unterschiedliche Behandlung des Täters nicht beabsichtigt war, ergibt sich sodann schlüssig aus dem französischen und italienischen Text, wo nur vom Vollzug des Beischlafes und beischlafsähnlicher Handlungen und nicht von Missbrauch des Kindes die Rede ist.
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Der Umstand, dass der Beschwerdeführer das Mädchen nach Heimatrecht hätte heiraten können, nützt ihm daher nichts. Weder die Ehemündigkeit des Mädchens noch die Absicht des Beschwerdeführers, es später zu heiraten, vermögen an der Tatsache etwas zu ändern, dass das 15 1/2jährige Mädchen noch ein Kind gemäss Art. 191 StGB war und dass es der Beschwerdeführer durch den Vollzug des Geschlechtsverkehrs im Sinne von Ziff. 1 Abs. 1 dieser Bestimmung zur Unzucht missbraucht hat. Art. 191 wäre nur dann nicht anwendbar, wenn er das Mädchen vor Aufnahme der geschlechtlichen Beziehungen geheiratet hätte, da es in diesem Falle am Merkmal der Unzucht fehlte, die unter Ehegatten ausgeschlossen ist.
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4. Der Beschwerdeführer wusste, dass die Tochter noch nicht 16 Jahre alt war, als er mit ihr geschlechtlich zu verkehren begann, und es war ihm auch bekannt, dass in der Schweiz der Geschlechtsverkehr mit Mädchen, die im schutzwürdigen Alter stehen, verboten und strafbar ist. Wenn er trotzdem angenommen hat, er sei zur Tat berechtigt, so fehlten ihm hiefür zureichende Gründe im Sinne von Art. 20 StGB. Seine Annahme stützte sich einzig auf die Überlegung, dass der voreheliche Verkehr mit einer ehemündigen Italienerin nach italienischem Recht nicht strafbar sei. Er hat aber selber nie behauptet, geglaubt zu haben, dass er für sein Verhalten in der Schweiz dem italienischen und nicht dem schweizerischen Strafrecht unterstehe, und dafür, dass das schweizerische Strafrecht den Geschlechtsverkehr mit einer 15-jährigen Italienerin, die der Partner zu heiraten beabsichtigt, ausnahmsweise straflos lasse, hatte er keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr musste er mit der Möglichkeit, dass die Tat auch unter diesen Voraussetzungen unerlaubt sei, ernsthaft rechnen, nachdem die Mutter des Mädchens, die ja seine Heiratsabsichten kannte, ihn schon im Jahre 1957 und dann wieder unmittelbar vor dem ersten Geschlechtsverkehr mit der Tochter ausdrücklich auf die Strafbarkeit seines Vorhabens aufmerksam gemacht hatte. Nach dieser unmissverständlichen Warnung hätte er bei gehöriger Gewissenhaftigkeit, die auch von einem Südländer einfacher Herkunft zu erwarten ist, zum mindesten Zweifel haben müssen, ob er zum Geschlechtsverkehr berechtigt sei, und diese hätten ihn von der Tat abhalten müssen (vgl. BGE 85 IV 76). Hat er aber den Rechtsirrtum selber verschuldet, so kann er sich nicht auf Art. 20 StGB berufen.
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Die Vorinstanz verweigerte den bedingten Vollzug der Landesverweisung mit der Begründung, der Beschwerdeführer habe sich durch sein Verhalten des schweizerischen Gastrechtes unwürdig erwiesen und durch seine Verfehlung gezeigt, dass er nicht gewillt sei, sich schweizerischen Verhältnissen anzupassen und sich dem Recht des Gastlandes zu unterwerfen. Auf den ersten Teil dieser Begründung lässt sich jedoch die Verweigerung des bedingten Vollzuges der Nebenstrafe nicht stützen (vgl.BGE 68 IV 78Erw. 5), denn der Beschwerdeführer ist für sein strafbares Verhalten zu Gefängnis und für seine an den Tag gelegte Unwürdigkeit des schweizerischen Gastrechtes zu Landesverweisung verurteilt worden. Die Gewährung des bedingten Vollzuges hängt vielmehr einzig von den Besserungsaussichten ab und könnte nach Art. 41 Ziff. 1 StGB nur versagt werden, wenn Vorleben und Charakter des Beschwerdeführers oder die besonderen Tatumstände nicht erwarten liessen, dass er durch den bedingten Aufschub der Nebenstrafe von weiteren Delikten abgehalten werde. Gerade die Frage, ob sich der Beschwerdeführer künftig wohlverhalten werde, hat aber die Vorinstanz im Zusammenhang mit dem Entscheid über die Gewährung des bedingten Vollzuges der Hauptstrafe günstig beurteilt, indem sie erklärte, dass im Hinblick auf das Vorleben des Angeklagten und die gesamten Umstände des Falles schon die Ausfällung einer bedingt aufgeschobenen Strafe eine Bewährung erwarten lasse. Diese Beurteilung ist unangefochten geblieben. Ist aber von einer günstigen Voraussage auszugehen, so hält auch der zweite Teil der vorinstanzlichen Begründung nicht stand, da das erwartete Wohlverhalten geradezu voraussetzt, dass der Beschwerdeführer sich den schweizerischen Gesetzen anpasst und sich ihnen unterwirft. Der bedingte Aufschub der Landesverweisung, der die an den bedingten Vollzug der Hauptstrafe geknüpften Erwartungen nur begünstigen kann, ist daher bei dieser Sachlage zu gewähren.
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