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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
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15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 12. Mai 1961 i.S. Kulm gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürieh | |
Regeste |
Auslieferungsrecht; Grundsatz der Spezialität. |
Wird der Grundsatz der Spezialität verletzt durch Anordnung des Strafvollzuges gemäss Art. 43 Ziff. 5 Abs. 2 StGB, wenn sich die Bewilligung zur Auslieferung nicht auf diese Anordnung erstreckte und die Schonfrist von einem Monat noch nicht abgelaufen war, als der Richter gemäss Art. 43 Ziff. 5 Abs. 2 StGB den Vollzug der Strafe verfügte? | |
Sachverhalt | |
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Während der Probezeit machte sich Kuhn der Zuhälterei, des Diebstahls, der Sachbeschädigung und der Zechprellerei schuldig. Das Bezirksgericht Zürich verurteilte ihn daher am 17. Mai 1960 im Abwesenheitsverfahren zu acht Monaten Gefängnis und zwei Jahren Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit.
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Vor der Ausfällung dieses Urteils hatte sich Kuhn nach Deutschland begeben. Nachdem gegen ihn in Zürich erneut ![]() | 3 |
B.- Wegen der am 17. Mai 1960 beurteilten strafbaren Handlungen und der Tatsache, dass sich Kuhn der Schutzaufsicht entzogen hatte, beschloss das Obergericht des Kantons Zürich am 10. Februar 1961, von der am 15. März 1957 ausgefällten, aber zufolge der Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB aufgeschobenen Strafe von drei Monaten Gefängnis, abzüglich 43 Tage erstandener Untersuchungshaft, einen Monat vollziehen zu lassen (Art. 43 Ziff. 5 Abs. 2 und 3 StGB).
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C.- Kuhn führt gegen diesen Beschluss Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er verlangt, dass vom Vollzug der Strafe abgesehen werde.
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D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Die Strafe, deren Vollzug durch den angefochtenen Beschluss angeordnet wird, ist wegen Verbrechen und Vergehen ausgefällt worden, die der Beschwerdeführer vor der Auslieferung begangen hat. Die Bewilligung zur Auslieferung erstreckt sich nicht auf die Anordnung des Vollzuges dieser Strafe. Der ersuchte Staat hat dieser Anordnung auch nicht nachträglich zugestimmt. Da sie während der Hängigkeit des Verfahrens wegen der Taten, für welche die Auslieferung bewilligt worden ist, getroffen wurde, somit die im Notenaustausch vom 6./23. März 1936 festgelegte Schonfrist von einem Monat noch nicht ![]() | 9 |
Ersteres fällt von vorneherein ausser Betracht; durch den Beschluss vom 10. Februar 1961 hat das Obergericht gegen den Beschwerdeführer nicht eine Strafe ausgefällt, sondern einzig den Vollzug einer solchen angeordnet. Fragen kann sich somit bloss, ob der Beschwerdeführer durch jenen Beschluss oder, was mit dem Grundsatz der Spezialität gleichfalls unvereinbar wäre, durch das Verfahren, das ihm vorausgegangen ist, im Sinne des Notenaustausches vom 6./23. März 1936 in seiner persönlichen Freiheit beschränkt wurde. Das ist, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers, gleichfalls zu verneinen.
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Der Grundsatz der Spezialität bedeutet nicht, dass der ersuchende Staat von jeder Massnahme absehen müsse, die der Verfolgung oder Bestrafung wegen anderer als der von der Auslieferung erfassten Taten dient oder die Vollstreckung einer für solche ausgesprochene Strafe bezweckt. Eine so weitgehende Beschränkung der Strafgewalt des ersuchenden Staates wäre durch den Zweck der Spezialität nicht gedeckt. Diese soll die Rechte des ersuchten Staates wahren. Infolgedessen dürfen die Rechte des ersuchenden Staates nur in dem Masse beschränkt werden, als sie es wären, wenn keine Auslieferung stattgefunden hätte. Bevor ein Verfolgter ausgeliefert wird, kann der ersuchende Staat aber beispielsweise, wenn sein Prozessrecht dies zulässt, die Strafverfolgung und Aburteilung im Abwesenheitsverfahren durchführen. Diese Möglichkeit wird ihm durch die seinen Interessen dienende Auslieferung nicht genommen. Die Verfolgung anderer als der von der Auslieferung erfassten Taten, wie auch Massnahmen, die auf die Vollstreckung der für solche Taten ausgesprochenen Strafe abzielen, sind deshalb zulässig, wenn dabei gleich vorgegangen wird, wie wenn ![]() | 11 |
Diese Grundsätze sind im vorliegenden Falle beachtet worden. Über die Frage, ob und allenfalls inwieweit die am 15. März 1957 ausgefällte, aber nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB aufgeschobene Strafe zu vollziehen sei, weil der Beschwerdeführer während der Probezeit, die ihm mit der bedingten Entlassung aus der Arbeitserziehungsanstalt angesetzt worden war, vorsätzlich Verbrechen und Vergehen verübt hatte, hätte das Obergericht auch befinden können, wenn er sich ausser Landes befunden hätte. Und in dem Verfahren, das dem angefochtenen Beschluss vorausgegangen ist, wurde gegen den Beschwerdeführer persönlich kein prozessuales Zwangsmittel angewendet, jedenfalls kein solches, das nicht hätte angewendet werden können, wenn er nicht ausgeliefert worden wäre. Er wurde weder verhaftet, noch vorgeführt oder verhört, sondern einzig aufgefordert, zur Frage der Anordnung des Strafvollzuges schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Aufforderung hätte, z.B. durch Veröffentlichung im Amtsblatt oder auf dem Rechtshilfeweg, auch erlassen werden können, wenn er ausser Landes gewesen wäre. Irgendwelche Zwangsmassnahmen gegen die Person des Beschwerdeführers wurden im Zusammenhang mit jener Aufforderung weder angedroht noch ergriffen. Er wurde lediglich darauf hingewiesen, dass wenn er auf eine Stellungnahme verzichte, auf Grund der Akten entschieden würde, was in der Folge dann tatsächlich geschah und wiederum keine Abweichung von dem Verfahren darstellt, das bei Abwesenheit des Beschwerdeführers im Auslande hätte durchgeführt werden können.
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c) Anders verhielte es sich hinsichtlich der Vollstreckung dieses Beschlusses vor Ablauf der einmonatigen Schonfrist. Der Vollzug einer Freiheitsstrafe, die wegen anderer als der von der Auslieferung erfassten Taten ausgefällt wurde, stellt eine Beschränkung der persönlichen Freiheit dar, die auf Grund der im Notenwechsel vom 6./23. März 1936 festgelegten authentischen Interpretation des Art. 4 Abs. 3 des Auslieferungsvertrages mit Deutschland im schweizerisch-deutschen Auslieferungsverkehr unzulässig ist. Wie die Staatsanwaltschaft, der nach § 464 zürch. StPO der Vollzug des Urteils vom 15. März 1957 und damit auch des Beschlusses vom 10. Februar 1961 obliegt, in ihrer Vernehmlassung zur Nichtigkeitsbeschwerde ausführt, wird sie jedoch die Strafe "vorläufig" nicht vollziehen lassen. Das Obergericht bemerkt in seinem Bericht vom 18. April 1961, diese Erklärung sei dahin zu verstehen, dass mit dem Vollzug zugewartet werde, bis die staatsvertraglichen Voraussetzungen dafür gegeben seien, d.h. die im Notenaustausch vom 6./23. März 1936 festgelegte Schonfrist abgelaufen sei. Hat die zuständige Vollstreckungsbehörde aber in diesem Sinne den Vollzug der Strafe aufgeschoben, so hat auch sie sich nicht über den Grundsatz der Spezialität, wie er im schweizerisch-deutschen Auslieferungsverkehr gilt, hinweggesetzt.
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d) Wenn es, wie ober dargelegt wurde, mit dem Grundsatz der Spezialität vereinbar ist, den angefochtenen Beschluss zu fassen, so steht dieser Grundsatz auch der Zustellung des Beschlusses an den Beschwerdeführer nicht im Wege. Wäre Kuhn ausser Landes gewesen, so hätte ihm der Beschluss durch Veröffentlichung im Amtsblatt (§ 206 in Verbindung mit § 197 des zürcherischen Rechtspflegegesetzes) oder auf dem Rechtshilfewege mitgeteilt werden können.
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