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33. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. Oktober 1962 i.S. Schlüchter gegen Schrag und Verlag des Schweiz. Kaufmännischen Vereins sowie Staatsanwaltschaft des Kantons Zürlch. | |
Regeste |
Art. 1 Abs. 2, Art. 42 Ziff. 1 lit. a und b URG. |
2. An Übungen und Anleitungen eines Lehrbuches für Maschinenschreiben besteht Urheberrecht, wenn sie originelles Ergebnis geistigen Schaffens sind (Erw. 2). |
3. Zum Verhältnis von Art. 42 Ziff. 1 lit. a zu 43 Ziff. 2 URG (Erw. 3). |
4. Mit Werk im Sinne des Art. 42 Ziff. 1 lit. b URG ist nicht das wiedergebende, sondern das wiedergegebene gemeint (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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Das Kaufmännische Lehrinstitut in Zürich erteilte unter der Leitung von Hans Schlüchter Fernkurse für Maschinenschreiben, wobei den Schülern fünf Lehrhefte zugestellt wurden. Das letzte Heft, welches die Seiten 55 bis 71 des Lehrganges umfasste, wurde von Heidi Schlüchter zusammengestellt, vervielfältigt und bis 1. April 1958 an ungefähr zwanzig Schüler versandt.
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Schrag hielt den Lehrgang Schlüchters für ein Plagiat seines Lehrbuches und stellte Strafantrag wegen Verletzung von Urheberrechten.
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B.- Das Obergericht des Kantons Zürich erklärte als Berufungsinstanz am 4. Mai 1961 Heidi Schlüchter der Übertretung von Art. 42 Ziff. 1 lit. a und b URG schuldig und verurteilte sie zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 150. -.
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Den Werkcharakter des Lehrbuches von Schrag bejahte es vor allem aus folgenden Gründen: Entscheidend sei, dass über ein blosses quantitatives Zusammenstellen eines ![]() | 5 |
Die Aufteilung des eigentlichen Lehrganges in "Erarbeitung der Tastatur" und "Praktische Arbeiten" sei nicht originell, sondern in der Natur der Sache begründet. Dagegen zeugten die Fingerübungen von einer eigenen Leistung; jede Übung charakterisiere sich durch einen besondern Aufbau und hange namentlich in bezug auf die Wahl der Buchstaben- und Wortfolgen mit den früheren Übungen zusammen. Indem der Verfasser immer wieder auf Erlerntes zurückgreife und Schwieriges wiederhole, suche er die gewünschten Bewegungen gewissermassen zu erzwingen. Dieser didaktisch wohldurchdachte Aufbau sei das Auswertungsergebnis einer reichen Erfahrung, also die Frucht einer geistigen Tätigkeit. Ob die von Schrag gewählte Reihenfolge in bezug auf Übungen und Buchstaben besser sei als diejenige anderer Lehrbücher, sei nicht von Belang; immerhin weise die Tatsache, dass die Angeklagte gewisse Fingerübungen weitgehend abgeschrieben habe, darauf hin, dass sie gerade diese didaktisch für besonders wertvoll betrachtete. Die "Praktischen Arbeiten" enthielten zahlreiche, nach Schwierigkeitsgrad geordnete Musterbriefe, wobei besonders Gewicht auf saubere und ![]() | 6 |
C.- Heidi Schlüchter führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, der Verlag des Schweizerischen Kaufmännischen Vereins und Schrag beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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Der Schutz des Urheberrechts bezieht sich in jedem Fall bloss auf die konkrete Darstellung der geistigen Leistung.
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Ist ein Werk als Ganzes schutzfähig, so heisst das nicht notwendig, dass es auch die einzelnen Teile seien, wie die Geschädigten behaupten. Dies trifft vielmehr nur zu, wenn die fraglichen Teile als solche den Schutzvoraussetzungen genügen (ULMER, a.a.O. 117; BGE 85 II 123 Erw. 3). Es ist deshalb zu prüfen, ob die Stellen, welche Heidi ![]() | 13 |
a) Die Beschwerdeführerin entnahm dem Lehrbuch Schrags fünf Übungen, die inhaltlich Geschäftsbriefe darstellen, aber vom Datum bis zur Unterschrift aus einem einzigen Abschnitt bestehen. In bezug auf den Inhalt änderte sie durchwegs lediglich Namen und Ziffern; dagegen gab sie die Übungen mit einer Ausnahme in handelsüblichen Briefformen wieder, mit andern Worten, sie löste die Aufgaben der Vorlage. Ausserdem übernahm sie ein Briefmuster in den wesentlichen Teilen. Der Inhalt der benutzten Übungen unterscheidet sich in nichts von demjenigen alltäglicher Geschäftsbriefe. Dass es sich anders verhielte und ihm insoweit ein Urheberrecht zustünde, wagt auch Schrag nicht zu behaupten. Wenn sein Lehrbuch in diesem Teile noch eine gewisse Individualität aufweist, kann diese lediglich in der Auswahl und Anordnung der Briefe erblickt werden. In den den Übungen vorangehenden Erläuterungen bemerkt der Verfasser, dass die Aufgaben nach dem Schwierigkeitsgrad geordnet seien. Am Anfang handle es sich um leichte Briefe (Zerlegen in Abschnitte, Unterstreichen, Einrücken oder Einmitten einzelner Satzteile), dann folgten Schritt um Schritt weitere Darstellungsmöglichkeiten, bis zuletzt auch schwierigere Aufstellungen vorkämen. Indem Schrag somit an sich alltägliche Briefe nicht beliebig verwendete, sondern sie zur Unterrichtung des Schülers nach pädagogischen Gesichtspunkten auswählte und anordnete, gab er seinem Lehrgang auch in diesem Abschnitt eine persönliche Note, zu der es einer individuellen geistigen Tätigkeit bedurfte.
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Von einer Verletzung von Urheberrechten durch Heidi Schlüchter kann indes gleichwohl nicht die Rede sein. Es ist offensichtlich, dass sich die Beschwerdeführerin um die charakteristischen Grundzüge der Übungen, nämlich Auswahl und Anordnung der Briefe, in keiner Weise kümmerte.
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b) Schrag wirft der Beschwerdeführerin ferner vor, seinem Lehrbuch Anleitungen und Erläuterungen entnommen zu haben, die sich auf die Beherrschung der Ziffernreihe, das Anschlagen einer Akzententaste, die Verwendung von besondern Zeichen (&-Zeichen, Klammern, Sternchen, Schrägstrich, Anführungs- und Fortsetzungszeichen), auf das Unterstreichen, das Papier (Qualität, Farbe, Format, Einspannen) und die Darstellung von Adresse oder Anrede bezögen.
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Nach Auffassung der Beschwerdeführerin geht es hier um Binsenwahrheiten, die in allen Schulen gelehrt würden, oder um Ratschläge, die in jedem Papierkatalog enthalten seien. Sie hat insofern recht, als die entlehnten Stellen offenbar keine neuen Erkenntnisse vermitteln. Darauf kommt indes bei der Prüfung der Frage, ob Urheberrechte verletzt worden seien, nichts an; massgebend ist vielmehr einzig, ob die konkrete Darstellung des Gedankens individuelle Züge aufweise, also originell sei. Dies ist selbst bei einem an sich nichtssagenden Einfall möglich. Bei Sprachwerken kommt zwar der Auswahl des zu behandelnden Gegenstandes eine besondere Bedeutung zu. Dem Verfasser eines wissenschaftlichen Werkes insbesondere sind in der individuellen Sprachgestaltung viel engere Grenzen gezogen als z.B. einem Dichter oder Romanschriftsteller, weil er sich an bestimmte Sachverhalte und namentlich an Fachausdrücke zu halten hat, wenn er ernst genommen und verstanden werden will. Aber selbst dann dürfte es selten vorkommen, dass ein und derselbe Gedanke nicht auf verschiedene Weise zum Ausdruck gebracht werden könnte, ohne dass die Sprachgebilde deswegen literarisch gleichwertig zu sein brauchen. Anders verhält es sich jedenfalls hier nicht.
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Zum Beweise dafür, dass beispielsweise die Ausführungen ![]() | 19 |
Werden dagegen die entsprechenden Ausführungen der Beschwerdeführerin mit denjenigen Schrags verglichen, so wird offensichtlich, dass es sich bei den ersteren um Wiedergaben handelt. Darüber vermögen auch die kleinen Änderungen, die offenbar bloss zur Tarnung des Vorgehens vorgenommen wurden, nicht hinwegzutäuschen. Das Gleiche gilt von den übrigen Anleitungen und Erläuterungen, die dem Lehrbuch Schrags entnommen worden sind. Zwei Ausnahmen sind immerhin gegeben:
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aa) Die Fingerzuteilung in der Ziffernreihe wird von Schrag wie folgt erläutert: "Linke Hand: a-Finger = 2, s-Finger = 3, d-Finger = 4 ..... rechte Hand: j-Finger = 7 und 8 ...". Es handclt sich hier um eine in der Schweiz allgemein übliche Erläuterungsform, die individuellem Schaffen keinen Spielraum mehr lässt. Die Anleitung Schrags kann sowenig wie diejenige der Beschwerdeführerin, die das Gleichheitszeichen durch das Zeitwort "schlägt an" ersetzte, als originell bezeichnet werden. Übrigens ist nicht einzusehen, was Heidi Schlüchter in ![]() | 21 |
bb) Von irgendwelcher Originalität kann auch bei den Ausführungen Schrags über die Verwendung des &-Zeichens keine Rede sein. Die hiervor angeführten Verfasser ähnlicher Lehrbücher äussern sich durchwegs in den gleichen herkömmlichen Formen. Heidi Schlüchter hat deshalb keine Urheberrechte verletzt, wenn sie sich an die Formulierung Schrags hielt und das von diesem erwähnte Beispiel teilweise übernahm.
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c) Die dem Lehrbuch Schrags entnommenen Fingerübungen bestehen aus ausgewählten Verbindungen von Buchstaben und Ziffern, die sich im Laufe der Übung nach einem bestimmten Plan wandeln und wiederholen. Die verschiedenen Spielarten sind zweifelos sowohl in ihrer Konzeption wie in ihrer planmässigen Anordnung und Abwandlung das Ergebnis einer geistigen Tätigkeit. Gewiss werden einige davon auch in andern Lehrbüchern enthalten sein. So ist die Verbindung k9k auch in den Lehrgängen von Weiss und Mantel anzutreffen; bei letzterem sind auch die Gruppen f6f und j7j zu finden. Es handelt sich jedoch hiebei um Einzelfälle, welche die Originalität der Übungen Schrags nicht zu beeinträchtigen vermögen. Hieran ändert auch nichts, dass die Übungen keinen Gedanken ausdrücken. Es genügt, dass sie nicht einer Schablonenarbeit, sondern individuellem Schaffen entspringen und in ihrer Zusammenstellung originell sind. Das trifft zu. Ihr didaktisch wohldurchdachter Aufbau beruht nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz auf intensiver Beobachtung und der Auswertung von reichen Erfahrungen, ist also, wie das Obergericht zutreffend folgert, die Frucht einer schöpferischen Tätigkeit. Die benutzten Fingerübungen geniessen daher auch als blosse Teile des Werkes den Schutz des Urheberrechts. Zu Bedenken besteht umsoweniger Anlass, als sich Heidi Schlüchter nicht damit begnügte, bloss vereinzelte Verbindungen zu übernehmen, sondern ganze Zeilen sklavisch abschrieb.
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Die Beschwerdeführerin hat nicht das Lehrbuch Schrags, sondern nur das fünfte Heft des Lehrgangs Schlüchters in ![]() | 26 |
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