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Informationen zum Dokument  BGE 89 IV 1  Materielle Begründung
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Regeste
Aus den Erwägungen:
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
1. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 31. Januar 1963 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.
 
 
Regeste
 
Art. 53 Abs. 1 StGB.  
2. Die Entziehung der elterlichen Gewalt durch die Vormundschaftsbehörde steht dem strafweisen Entzug der Gewalt nicht im Wege.  
 
BGE 89 IV, 1 (1)Aus den Erwägungen:
 
Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, ihm die elterliche Gewalt über alle Kinder entzogen zu haben, obschon er sich nur an der ältesten Tochter verfehlte und Anhaltspunkte für eine Gefährdung der andern Kinder aus erster und zweiter Ehe nicht bestünden. Die elterliche Gewalt über H. sei ihm übrigens schon durch die Vormundschaftsbehörde BGE 89 IV, 1 (2)gestützt auf Art. 285 ZGB entzogen worden; insoweit sei der Entzug durch das Obergericht überhaupt gegenstandslos.
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Der Beschwerdeführer verkennt, dass die Entziehung der elterlichen Gewalt nach Art. 53 StGB Strafe ist. Schon das spricht dafür, dass sie auch ausgesprochen werden kann, wenn der Entzug sachlich nicht nötig ist, d.h. das Wohl des Kindes ihn nicht verlangt. Art. 53 StGB macht denn auch die Zulässigkeit der Strafe nicht davon abhängig, dass das Wohl des Kindes ihn erfordere oder dass der Täter unfähig sei, die elterliche Gewalt auszuüben. Voraussetzung des Entzuges ist bloss, dass der Täter durch ein Verbrechen oder Vergehen, für das er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, seine elterlichen Pflichten verletzt hat. Das trifft hier zu. Zudem ist mit dem Entzug der elterlichen Gewalt gemäss Art. 53 StGB notwendigerweise verbunden, dass der Verurteilte unfähig erklärt werde, sie auszuüben. Auch das gehört zur Nebenstrafe. Diese trifft den Verurteilten nicht nur im Verhältnis zu einem Kinde, dem gegenüber er sich charakterlich nicht eignet, die elterliche Gewalt auszuüben, sondern im Verhältnis zu allen Kindern, gleichviel ob er ihnen gegenüber ein Verbrechen oder Vergehen begangen hat und sich zur Ausübung der Gewalt nicht mehr eignet. Die Unfähigkeit, die elterliche Gewalt auszuüben, ist Rechtsfolge der Nebenstrafe, nicht deren Voraussetzung. Sie wird namentlich auch ausgesprochen im Hinblick auf Kinder, die noch nicht geboren sind; ob der Verurteilte diesen ein guter oder schlechter Vater sein wird, kann man noch nicht wissen. Daraus geht deutlich hervor, dass die Nebenstrafe des Entzuges der elterlichen Gewalt und der Unfähigkeit zu deren Ausübung unabhängig davon ausgesprochen wird, ob der Verurteilte sich zur Ausübung der elterlichen Gewalt nicht mehr eigne und wenn ja, gegenüber welchen Kindern er sich nicht mehr eigne. Dasselbe folgt aus Art. 78 StGB. Nach dieser Bestimmung hängt die Wiedereinsetzung in die elterliche Gewalt nicht davon ab, ob der Verurteilte imstande ist, BGE 89 IV, 1 (3)die Gewalt wieder pflichtgemäss auszuüben, sondern davon, ob sein Verhalten die Wiedereinsetzung rechtfertigt und ob der Verurteilte den Schaden ersetzt hat. Auch daraus erhellt, dass der Strafrichter nach andern Gesichtspunkten urteilt als die zuständige zivile Behörde, wenn sie die elterliche Gewalt entzieht oder wieder herstellt.
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Ob es zulässig gewesen wäre, die Strafe lediglich im Verhältnis zu einem einzigen oder einzelnen Kindern auszusprechen, braucht nicht entschieden zu werden. Immerhin ist zu bemerken, dass es ein Widerspruch wäre, den Verurteilten unfähig zu erklären, die elterliche Gewalt auszuüben, ihm aber diese Gewalt über einzelne von mehreren Kindern zu belassen. Wenn sie im vorliegenden Fall gegenüber allen Kindern entzogen wurde, so lässt sich jedenfalls nicht sagen, die Vorinstanz habe dadurch ihr Ermessen überschritten.
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Eine andere Frage ist, ob der strafweise Entzug gegenüber H. zulässig war, nachdem schon die Vormundschaftsbehörde die elterliche Gewalt entzogen hatte. Das ist zu bejahen. Durch die Massnahme der Vormundschaftsbehörde wurde die strafgerichtliche Entziehung nicht gegenstandslos, wie der Beschwerdeführer behauptet. Das ergibt sich schon daraus, dass die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in die elterliche Gewalt als Massnahme der Rehabilitation (Art. 78 StGB) strenger sind als die Voraussetzungen der zivilrechtlichen Wiederherstellung der Gewalt (Art. 287 ZGB).
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