BGE 89 IV 91 | |||
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18. Urteil des Kassationsholes vom 22. März 1963 i.S. Siegenthaler gegen Generalprokurator des Kantons Bern | |
Regeste |
Art. 237 Ziff. 2 StGB, 25 Abs. 1 MFG/4 Abs. 3 VRV, 20 MFG/29 Abs. 1 VRV. |
Er muss sich der Wirkung seines Warnsignals auf die Kinder vergewissern, wozu unter Umständen die Aufnahme einer Blickverbindung nötig ist. | |
Sachverhalt | |
A.- Karl Siegenthaler steuerte am 3. Mai 1962 etwa um 11 Uhr den Ford-Kastenwagen seines Arbeitgebers in Liebefeld mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 45 km/Std. durch die Wabersackerstrasse in Richtung Wabern. Auf der rechts neben der Strasse gelegenen Wiese vor der Brauerei Hess sah er in ca. 25 Metern Entfernung die sechsjährige Brigitte Schwab am Strassenrand stehen. Sie blickte nach dem gegenüberliegenden Trottoir, wo sich weitere Kinder aufhielten. Siegenthaler gab ein knappes Warnsignal, worauf ihm das Kind einen kurzen Blick zuwarf und dann den Kopf wieder nach der andern Strassenseite wandte, ohne jedoch Anstalten zum Überqueren der Strasse zu treffen. Unmittelbar bevor Siegenthaler an ihm vorbeifuhr, sprang es in seine Fahrbahn, wurde vom Auto erfasst und mehrere Meter weit nach vorn geschleudert. Die Verletzungen des Kindes machten seine Überführung in Spitalpflege nötig, hinterliessen aber keine bleibenden Nachteile.
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B.- Der Gerichtspräsident VI des Amtsbezirkes Bern erklärte Siegenthaler am 24. August 1962 der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs schuldig und bestrafte ihn mit einer bei Bewährung nach zwei Jahren löschbaren Busse von 70 Franken. Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte das Urteil am 23. November 1962. Beide Instanzen legten Siegenthaler zur Last, er habe weder seine Geschwindigkeit genügend gemässigt noch das Kind hinreichend gewarnt.
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C.- Siegenthaler beantragt mit der Nichtigkeitsbeschwerde seine Freisprechung. Er macht geltend, er habe nach seinem Warnsignal nicht damit rechnen können, dass das Kind plötzlich auf die Strasse springen werde.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
Nach der Rechtsprechung hat der Autolenker, der Kindern am Strassenrand begegnet, entweder seine Geschwindigkeit so stark zu mässigen, dass er jede aus einer unbedachten Bewegung des Kindes entstehende Gefahr rechtzeitig bannen kann (Art. 25 Abs. 1 MFG), oder er hat die Kinder rechtzeitig und so deutlich zu warnen, dass sie seine Annäherung wahrnehmen, ehe sie sich der Gefahr aussetzen (Art. 20 MFG). Von diesen Grundsätzen abzuweichen besteht umso weniger Anlass, als sie in der neuen Strassenverkehrs-Gesetzgebung verankert worden sind (Art. 4 Abs. 3; 29 Abs. 1 VRV). Sie tragen der allgemein bekannten Sorglosigkeit der Kinder im Strassenverkehr Rechnung, die längs der Strasse einem Ziel zustrebend plötzlich die Richtung ändern und ohne sich umzusehen über die Strasse eilen (vgl.BGE 77 IV 37) oder, eben noch am Strassenrand in eine Beschäftigung vertieft, unvermittelt auf die Strasse hinaus treten können.
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Die Geschwindigkeit des Beschwerdeführers war zwar auch nach den Feststellungen der Vorinstanz mit 40 bis 45 km/Std. den allgemeinen Verkehrsverhältnissen angepasst. Sie trug aber dem besondern Umstand nicht Rechnung, dass sich beidseits der Strasse Kinder aufhielten und dass auf der rechts unmittelbar an die Fahrbahn anstossenden Wiese ein Kind am Strassenrand verweilte, das nach den Gespielen auf der andern Seite Ausschau hielt. Diese Feststellungen entsprechen der von der Vorinstanz als richtig bezeichneten und damit für den Kassationshof verbindlichen frühern Darstellung des Beschwerdeführers. Deshalb sind die heute in der Beschwerdeschrift im Widerspruch dazu aufgestellten Behauptungen unbeachtlich, das Kind habe nach dem Warnsignal halb sitzend weiterhin Blumen gepflückt, sich dann plötzlich aufgerichtet und sei auf die Strasse gesprungen. Dazu hätte es in der kurzen Zeitspanne, da der Beschwerdeführer die 25 Meter bis zu ihm zurücklegte, auch gar keine Möglichkeit gehabt. Dieser hätte vielmehr bedenken sollen, dass das Kind von seinem Standort nahe dem Strassenrand aus so rasch in seine Fahrbahn gelangen konnte, dass ihm ein rechtzeitiges Anhalten nicht mehr möglich sein würde. Er hätte deshalb seine Geschwindigkeit diesen Umständen entsprechend stark herabsetzen müssen.
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Wollte er aber schon seine Fahrt mit unverminderter Geschwindigkeit fortsetzen, so hätte dies nur unter deutlicher Warnung des Kindes geschehen dürfen. Das kurze Hupzeichen des Beschwerdeführers genügte nicht. Zur deutlichen Warnung gehört in solchen Fällen auch, dass sich der Lenker vergewissert, ob das Kind die Gefahr beachtet. Das ist nicht dann schon der Fall, wenn es ein kurzes Warnsignal mit einem flüchtigen Blick beantwortet. Je nach den Umständen gibt dem Autolenker erst eine anhaltende Blickverbindung mit dem Kind die nötige Gewissheit. Der Beschwerdeführer konnte feststellen, dass ihn das sechsjährige Mädchen nur kurz anschaute und seine Aufmerksamkeit hernach wieder auf die andere Strassenseite lenkte. Es war deswegen damit zu rechnen, dass die nahende Gefahr im Bewusstsein des Kindes möglicherweise durch neue Eindrücke zurückgedrängt würde. Der Beschwerdeführer hätte deshalb die Warnung wiederholen oder, wenn dies nicht mehr möglich war, sich gegen ein unerwartetes Verhalten des Kindes durch Herabsetzung der Geschwindigkeit vorsehen müssen. Beides hat er pflichtwidrig unterlassen. Das angefochtene Urteil besteht daher zu Recht.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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