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Informationen zum Dokument  BGE 89 IV 140  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. (Prozessuales). ...
2. Nach ständiger Rechtsprechung obliegt dem Führer, de ...
3. Der vom Parkplatz in die Kantonsstrasse einbiegende Lastzug de ...
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28. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Juli 1963 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zug gegen Stäubli.
 
 
Regeste
 
Art. 25 Abs. 1 MFG, 36 Abs. 4 SVG.  
 
Sachverhalt
 
BGE 89 IV, 140 (141)A.- Stäubli beabsichtigte am 15. Dezember 1961, gegen 16.50 Uhr, mit einem rund 13,5 m langen Lastzug von dem neben dem Restaurant Kollermühle gelegenen Parkplatz über das vorgelagerte Trottoir in die 7 m breite Kantonsstrasse Zug-Cham einzubiegen, um auf dieser nach links Richtung Zug wegzufahren. Es herrschte regnerisches Wetter, die Strasse war nass, und es begann zu dämmern. Stäubli machte während der Ausfahrt auf dem Trottoir einen Sicherheitshalt, hiess seinen Mitfahrer aussteigen, um links neben der Führerkabine des rechtsgesteuerten Lastwagens vom Trottoir aus zu beobachten, ob in Richtung Zug die auf 150 m überblickbare Strasse, die dort eine langgezogene Linksbiegung beschreibt, frei sei. Da dies zutraf, setzte er den Lastwagen in Bewegung und bog langsam in die Strasse ein, währenddessen der Mitfahrer wieder die Kabine bestieg. Dieser hatte gerade Platz genommen, als von Zug her ein Personenauto auftauchte, das nach den Angaben seines Führers Zeberle eine Geschwindigkeit von 80 km/Std hatte. Obschon Stäubli sofort beschleunigt haben will und Zeberle bremste und nach rechts auf den Vorplatz des Restaurants auszuweichen versuchte, wurde der linke rückwärtige Teil des Personenautos gegen den auf dem Trottoir befindlichen Einachsanhänger des Lastzuges geschleudert, dessen Spitze in diesem Augenblick in der Mitte der gegenüberliegenden Strassenhälfte angelangt war. An beiden Fahrzeugen entstand Sachschaden.
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B.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug erhob gegen Zeberle und Stäubli Anklage wegen fahrlässiger BGE 89 IV, 140 (142)Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237 Ziff. 2 StGB) und beantragte, beide Angeklagten zu einer Busse von je Fr. 30.- zu verurteilen.
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Das Strafgericht des Kantons Zug folgte diesem Antrag mit bezug auf den Angeklagten Zeberle, dem es vorwarf, er sei entweder mit einer Geschwindigkeit von weit über 80 km/Std, d.h. zu rasch gefahren oder aber unaufmerksam gewesen, da er rechtzeitig hätte anhalten können. Den Angeklagten Stäubli sprach es dagegen am 14. November 1962 frei.
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C.- Die Staatsanwaltschaft von Zug führt Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt, das freisprechende Urteil aufzuheben und die Sache zur Bestrafung Stäublis wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung:
 
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2. Nach ständiger Rechtsprechung obliegt dem Führer, der ein parkiertes oder sonstwie abgestelltes Motorfahrzeug in den Verkehr einfügen will, eine erhöhte Vorsichts- und Sorgfaltspflicht. Er hat allen auf der Strasse verkehrenden Fahrzeugen, ob sie von rechts oder links kommen, den Vortritt einzuräumen und muss daher die nach den Umständen geeigneten Massnahmen treffen, um zu verhindern, dass herannahende Strassenbenützer durch sein Einbiegemanöver behindert oder gar gefährdet werden (BGE 83 IV 33, 90, BGE 84 IV 109; ebenso Art. 36 Abs. 4 SVG). Bei der heutigen Verkehrsdichte und namentlich bei der Einfahrt in eine Strasse, auf der mit grösseren Geschwindigkeiten gefahren werden darf, genügt im allgemeinen nicht, dass bloss unmittelbar vor dem Anfahren beobachtet wird, ob die Strasse frei sei, sondern die Beobachtung muss auch noch während des Einbiegens fortgesetzt werden, damit vor einem überraschend auftauchenden Vortrittsberechtigten noch angehalten oder ihm durch rasche Beschleunigung die ungestörte Weiterfahrt BGE 89 IV, 140 (143)ermöglicht werden kann. Wo die Sicht auf die Strasse verdeckt ist, darf der Einbiegende zunächst nur soweit in die Fahrbahn eindringen, dass ein herannahender Fahrzeugführer ihn aus angemessener Entfernung sehen und seine Annäherung anzeigen kann; nachher hat er an der Fahrbahnstelle, wo er selber die Strasse nach beiden Seiten überblicken kann, erneut anzuhalten, um zu prüfen, ob er die Einfahrt ohne Behinderung des Verkehrs fortsetzen könne oder ob er allenfalls zurückweichen müsse (BGE 83 IV 91, BGE 84 IV 112). Unter Umständen ist der Führer eines Fahrzeuges, das zum Einbiegen geraume Zeit braucht, gehalten, Warnposten aufzustellen, um herannahende Fahrzeuge rechtzeitig auf das Hindernis aufmerksam zu machen oder aufzuhalten. Diese Massnahme kann sich aus der Pflicht zu gesteigerter Sorgfalt ergeben (BGE 64 I 358, Urteile des Kassationshofes vom 9. Oktober 1959 i.S. Schmid und vom 8. November 1961 i.S. Volpi). Die seit 1. Januar 1963 in Kraft stehende Verordnung über die Strassenverkehrsregeln bestimmt ausdrücklich, dass wenn nötig eine Hilfsperson das Fahrmanöver zu überwachen habe (Art. 15 Abs. 3 VRV).
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a) Unaufmerksamkeit oder mangelhafte Beobachtung kann ihm nicht vorgeworfen werden. Stäubli hat vor der Einfahrt einen Sicherheitshalt eingeschaltet und ist erst in die Strasse eingebogen, nachdem er festgestellt hatte, dass sie, soweit sie überblickt werden konnte, frei war. Es kann auch nicht gesagt werden, er habe während des Einbiegens den herannahenden Wagen nicht oder zu spät bemerkt und sei deshalb nicht imstande gewesen, die neue Verkehrslage rechtzeitig zu erkennen und sich darauf einzustellen. Er hat vielmehr beim Auftauchen des Vortrittsberechtigten BGE 89 IV, 140 (144)sofort den Entschluss gefasst, sein Fahrzeug zu beschleunigen, und ihn in der Annahme ausgeführt, es werde ihm gelingen, den Lastzug soweit vorzuziehen, dass Zeberle, ohne seine Fahrbahn verlassen zu müssen, hinter dem Anhänger durchfahren könne. Dies wäre Zeberle auch möglich gewesen, wenn er nicht unaufmerksam gewesen wäre, sondern seine Geschwindigkeit von 80 km/Std rechtzeitig vermindert hätte, denn bei der Sichtweite von 150 m hätte er sogar anhalten können, selbst dann, wenn seine Geschwindigkeit erheblich grösser gewesen sein sollte (Anhaltestrecke bei 110 km/Std und einer mittleren Bremsverzögerung von 6 m/sek2 = 108,3 m). Seine tatsächliche Fahrweise, die ihn ausserstande setzte, den Zusammenstoss mit dem Anhänger des Lastzuges zu verhindern, obschon der rechts an das Trottoir angrenzende Vorplatz zum Ausweichen offen stand, lässt darauf schliessen, dass sich ein Unfall voraussichtlich auch dann ereignet hätte, wenn Stäubli statt zu beschleunigen sofort angehalten hätte; denn aller Wahrscheinlichkeit nach wäre Zeberle bei seiner verspäteten Reaktion und seiner hohen Geschwindigkeit nicht mehr in der Lage gewesen, auf verhältnismässig kurzer Strecke von der rechten auf die linke Fahrbahn zu wechseln und unbehelligt vor dem Lastwagen, der ungefähr in der Strassenmitte gestanden wäre, vorbeizukommen. Hievon abgesehen hätte ein Halt in der Strassenmitte die Zeit, während der die dem Verkehr von Zug vorbehaltene Fahrbahn versperrt wurde, nur noch verlängert und dadurch die Gefahr weiterer Unfälle hervorrufen können. Aus dem gleichen Grunde und weil ein grösseres Strassenstück eingesehen werden konnte, drängte sich auch nicht auf, noch langsamer in die Strasse einzubiegen, als es der Beschwerdegegner wegen der Schwerfälligkeit des Lastzuges ohnehin tun musste.
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b) Stäubli hat seine Sorgfaltspflicht auch nicht dadurch verletzt, dass er seinen Beifahrer nicht auf das gegenüberliegende Trottoir schickte, um von dort aus die Verkehrslage zu beobachten. Diese Massnahme wäre geboten BGE 89 IV, 140 (145)gewesen, wenn der Beschwerdegegner selber keine Beobachtungsmöglichkeit gehabt hätte oder seine Sicht vom Führersitz aus beschränkt gewesen wäre. Das traf jedoch nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz nicht zu. Aus Zug kommende Fahrzeuge hätten übrigens von der andern Strassenseite aus nicht merklich früher wahrgenommen werden können, da die Linksbiegung der Strasse langgezogen ist und überdies über eine Kuppe führt.
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c) Die Staatsanwaltschaft sieht ein Verschulden des Beschwerdegegners auch darin, dass er in die Strasse eingefahren sei, ohne die Gewissheit zu haben, dass durch sein Einschwenkmanöver kein vortrittsberechtigtes Fahrzeug an der ungestörten Weiterfahrt behindert werde; denn er habe wissen können, dass er für die Überquerung der Strasse mindestens 9 Sekunden brauche, und mit andern Fahrzeugen rechnen müssen, die mit 80 km/Std fahren und die überblickbare Strecke von 150 m in weniger als 7 Sekunden zurücklegen.
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Diese Auffassung verkennt, dass das Vortrittsrecht den Berechtigten nicht von jeder Pflicht den wartepflichtigen Strassenbenützern gegenüber entbindet. Diese haben zwar besonders vorsichtig zu sein und sind in erster Linie verpflichtet, jede Gefährdung des Strassenverkehrs zu vermeiden (vgl. BGE 83 IV 34 Erw. 1), aber die Verantwortung für die mit der Einfahrt verbundenen Gefahren lastet nicht ausschliesslich auf ihnen. Auch der Vortrittsberechtigte untersteht der allgemeinen Sorgfaltspflicht, hat daher auf die übrigen Strassenbenützer Rücksicht zu nehmen und darf nicht auf Kosten der Verkehrssicherheit sich blindlings auf sein Vortrittsrecht verlassen (BGE 77 IV 221,BGE 79 II 216, BGE 81 IV 137 /8, BGE 83 IV 87, 171, BGE 84 IV 58 Erw. 2, BGE 89 IV 100). Auf besondere Rücksichtnahme ist aber der Führer eines schwerfälligen und langsam beweglichen Lastzuges, der zum Einbiegen aus einem Grundstück, Abstellplatz oder dergleichen in eine öffentliche Strasse notwendigerweise verhältnismässig lange Zeit braucht, angewiesen. Er darf deshalb erwarten, dass Vortrittsberechtigte ihm BGE 89 IV, 140 (146)die Einfahrt oder Überquerung der Strasse nicht verunmöglichen oder über Gebühr erschweren, sondern wenn nötig ihre Fahrt verlangsamen oder sogar anhalten, vorausgesetzt, dass er seinerseits den nach den Umständen erforderlichen Sorgfaltspflichten nachkommt und dass das beabsichtigte oder begonnene Einbiegemanöver für herannahende Vortrittsberechtigte frühzeitig genug erkennbar ist, sei es durch Warnposten oder Zeichengebung, sei es dadurch, dass das einbiegende Fahrzeug aus genügend grosser Entfernung gesehen werden kann. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall, wie dargelegt, erfüllt. Insbesondere genügte die Sichtweite von 150 m bei den Geschwindigkeiten, mit denen auf der Kantonsstrasse zu rechnen war, um sich rechtzeitig auf die Behinderung durch den einbiegenden Lastzug einrichten zu können. Der Beschwerdegegner durfte daher trotz der Ungewissheit, ob er vor dem Herannahen eines Fahrzeuges das Einbiegen auf die andere Fahrbahn werde beendigen können, in die Kantonsstrasse einfahren und im Augenblick, als Zeberle auftauchte, darauf vertrauen, dieser werde auf ihn Rücksicht nehmen und durch Verminderung seiner Geschwindigkeit die Fortsetzung der Überquerung der Strasse ermöglichen.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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