BGE 90 IV 98 | |||
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21. Urteil des Kassationshofes vom 12. Mai 1964 i.S. Bracher gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich. | |
Regeste |
Art. 76 MFV, 49 Abs. 4 Verordnung über die Strassensignalisation vom 31. Mai 1963. | |
Sachverhalt | |
A.- Bracher führte am 11. September 1962 gegen 13.30 Uhr in Zürich ein Personenauto mit einer Geschwindigkeit von 50 km/Std durch den General GuisanQuai Richtung Bürkliplatz/Bellevuebrücke. Als er noch 25 m von der Lichtsignalanlage vor dem Bürkliplatz entfernt war, wechselte das grüne Licht auf das gelbe Zwischensignal, das 2-3 Sekunden aufleuchtete. Bracher fuhr zu und kam an der Lichtsignalanlage vorbei, bevor das rote Licht erschien.
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B.- Der Polizeirichter der Stadt Zürich verurteilte Bracher wegen Nichtbeachtung des Haltezeichens der Verkehrsregelungsanlage gestützt auf Art. 76 Abs. 2 und 5 MFV und § 15 der kantonalen Verordnung über die Strassensignalisation vom 30. April 1953 zu einer Busse von Fr. 10.-.
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Auf Einsprache des Verurteilten bestätigte der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich am 7. November 1963 die Bussenverfügung.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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2. Wie der Kassationshof in seinem Urteil vom 14. September 1959 i.S. Biedermann ausgeführt hat, soll das gelbe Zwischensignal, das vor dem Wechsel vom grünen zum roten Licht eingeschaltet wird, die Fahrzeugführer auf das bevorstehende Fahrverbot aufmerksam machen und verhindern, dass sie nach der Umschaltung auf rotes Licht, womit in der Regel gleichzeitig dem Querverkehr die Fahrt frei gegeben wird, sich noch in der Kreuzung befinden und mit Fahrzeugen aus anderer Richtung zusammentreffen können. Diese Gefahr besteht auch dann, wenn noch unmittelbar vor Beendigung des nur wenige Sekunden aufleuchtenden gelben Zwischensignals in die Kreuzung eingefahren wird. Das gelbe Zwischenlicht hat daher grundsätzlich den Sinn, dass an der Signalanlage angehalten werden muss. Eine Ausnahme wurde im erwähnten Entscheid nur für den Fall gemacht, dass ein Fahrzeugführer beim Aufleuchten des gelben Lichts sich der Signalanlage bereits so weit genähert hat, dass er überhaupt nicht mehr oder nur noch mittels einer Stoppbremsung anhalten könnte (BGE 85 IV 156 ff.). Damit stimmt die Verordnung über die Strassensignalisation vom 31. Mai 1963, in Kraft seit 1. August 1963, im wesentlichen überein, indem Art. 49 Abs. 4 bestimmt, dass gelbes, ruhendes Licht, das auf grünes Licht folgt, Halt bedeute, sofern das Fahrzeug vor der Verzweigung halten könne.
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a) Dem Beschwerdeführer kann insoweit zugestimmt werden, als er annimmt, zum Anhalten wäre eine Bremsstrecke von 13 m erforderlich gewesen. Er anerkennt, dass sein Wagen (Alfa Romeo) mit sehr guten Bremsen ausgerüstet ist, und es ist auch unbestritten, dass die Fahrbahn eben, trocken und asphaltiert war. Eine mittlere Bremsverzögerung von nahezu 7,6 m/sec2, wie sie der Beschwerdeführer bei einem Bremsweg von 13 m und bei einer Geschwindigkeit von 50 km/Std erreichte, ist unter günstigen Verhältnissen, jedenfalls in den Bereichen geringer und mittlerer Geschwindigkeiten, bei Fahrzeugen neuerer Bauart durchaus möglich. Schon im Jahre 1937 wurde für die Zulassung leichter Motorwagen mit Vierradbremsen zum Verkehr von der Kommission der kantonalen amtlichen Automobilexperten eine Mindestverzögerung von 5 m/sec2 vorgeschrieben, die nicht unterschritten werden durfte (BRÜSTLEIN, Strassenverkehrsrecht 1960, S. 106). Seither ist sowohl die Wirksamkeit der Bremsen als auch die Strassenhaltung der Fahrzeuge durch Verlagerung des Schwergewichtspunktes nach unten verbessert worden. In neueren Bremswegtabellen wird denn auch bei guten bis sehr guten Bremsen auf ebenen, trockenen und guten Fahrbahnen allgemein mit einer mittleren Bremsverzögerung von 6-7 m/sec2 und darüber gerechnet (vgl. BADERTSCHER/SCHLEGEL, Kommentar zum SVG (1964), S. 86; BRÜDERLIN, Die Mechanik des Verkehrsunfalles bei Kraftfahrzeugen (1941), S. 114, Tabelle II; MOSER, Angemessene Geschwindigkeit im Strassenverkehr (1954), S. 38, 40; RÉAU, Circulation routière (1955/56), S. 26; BEDOUR, Précis des accidents d'automobile (1955), S. 108/9; FARINELLI, Digesto stradale (1959), S. 41/2). Dabei ist zu beachten, dass diese Zahlen Durchschnittswerte darstellen, also regelmässig auch die bei höheren Geschwindigkeiten erreichbaren geringeren Verzögerungen mitberücksichtigen. Mit besonders guten Bremsen und Reifen können daher, namentlich bei niederen und mittleren Fahrgeschwindigkeiten, auch höhere Verzögerungswerte erreicht werden. Bereits BRÜDERLIN (a.a.O. S. 114, Tabelle I) rechnet mit solchen von 7-8 m/sec2 und SORDET (Semaine judiciaire 1953, S. 553) gelangt anhand zahlreicher Gerichtsfälle zur Feststellung, dass bei einer Geschwindigkeit von rund 50 km/Std, guter Strassen- und Fahrzeugzustand vorausgesetzt, im Durchschnitt allgemein eine Verzögerung von über 8 m/sec2 erzielt werde.
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b) Dagegen kann dem Beschwerdeführer nicht eine Reaktionszeit von einer vollen Sekunde zugebilligt werden. Der Kassationshof hat schon wiederholt erklärt, dass der Motorfahrzeugführer in Lagen, in denen er mit Gefahren oder Hindernissen zu rechnen hat und daher zu besonderer Aufmerksamkeit verpflichtet ist, nicht die allgemein übliche Reaktionszeit von einer Sekunde beanspruchen darf, sondern in dem Augenblick, in dem die vermutete Gefahr erkennbar wird, imstande sein muss, innert einem Bruchteil einer Sekunde zu reagieren, z.B. die Fussbremse wirksam zu betätigen (ebenso SORDET a.a.O. S. 549), wobei dieser Sekundenbruchteil beim Bremsen naturgemäss dann am kleinsten ist, wenn dem Führer nach den Umständen zuzumuten war, den Fuss schon vor Eintritt der Gefahr vom Gashebel wegzunehmen und vorsorglich auf das Bremspedal zu legen. Jedenfalls zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet aber war der Beschwerdeführer i m Hinblick auf die Signalanlage am Bürkliplatz, die er aus grösserer Entfernung sehen konnte. Wer sich während verhältnismässig längerer Zeit bei grünem Licht einer Lichtsignalanlage nähert, wie es hier der Fall war, muss darauf gefasst sein, dass ein Wechsel von Grün auf Gelb stattfindet, bevor er beim Signal eintrifft. Er hat sich dementsprechend vorzusehen, dass er auf das Haltezeichen, das jederzeit aufleuchten kann, rasch reagieren kann. Das gilt nicht nur bei automatischen, sondern auch bei Signalanlagen, die von Hand gesteuert werden. Dürfte sich der Fahrzeugführer, der sich ihr auf eine gewisse Distanz genähert hat, darauf verlassen, dass die grüne Phase seinetwegen verlängert werde, so würde entweder die Verkehrssicherheit beeinträchtigt, indem dann bei dichterem Verkehr in Kauf genommen werden müsste, dass zur Unzeit noch Fahrzeuge in die Kreuzung einfahren, oder aber es könnte den jeweiligen Bedürfnissen des Verkehrs aus andern Richtungen nicht hinreichend Rechnung getragen werden, was ebenfalls untragbar wäre.
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In der Literatur wird die Auffassung vertreten, die Reaktionszeit könne nicht weiter als auf 0,5 sec (SCHWARZ, Der Motorfahrzeugführer, S. 312; MOSER, a.a.O. S. 36) oder auf 0,6 sec (FLOEGEL/HARTUNG, Strassenverkehrsrecht (14. Aufl.), S. 90; LAVES/BITZEL/BERGER, Der Strassenverkehrsunfall (1956), S. 36) verkürzt werden. Andere Autoren nehmen an, dass die Reaktionszeit des durchschnittlichen Fahrzeugführers stets weniger als eine Sekunde betrage; sie legen ihren Tabellen einen mittleren Wert von 0,6 sec (BEDOUR, a.a.O. S. 108) oder von 0,75 sec (PERRAUD-CHARMANTIER, Code de la route (1962), S. 79) zugrunde. Wird davon ausgegangen, der Beschwerdeführer hätte bei pflichtgemässer Vorsicht und Anspannung auf das Haltezeichen innert 0,6-0,7 sec die Bremse betätigen können, so wäre sein Fahrzeug während dieser Zeit 8,3-9,7m ungebremst weitergerollt, und er hätte infolgedessen bei einem Bremsweg von 13 m höchstens eine Strecke von 23 m zum Anhalten benötigt.
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c) Stand demnach dem Beschwerdeführer zum Anhalten eine um mindestens 2 m längere Strecke zur Verfügung, als nötig war, so kann er sich auch nicht darauf berufen, er hätte sein Fahrzeug nicht ohne Gefährdung anderer zum Stehen bringen können, und dies umsoweniger, als der Verkehr in Richtung Bürkliplatz ein lockerer gewesen ist, was nur heissen kann, dass sich die Fahrzeuge in grösseren Abständen gefolgt sind. Unter solchen Umständen verbietet übrigens auch Art. 12 Abs. 2 VRV brüskes Halten nicht, weshalb an der in BGE 85 IV 157 /8 vertretenen Auffassung, dass dem Fahrzeugführer eine Stoppbremsung vor einer Signalanlage allgemein nicht zugemutet werden könne, jedenfalls unter der Voraussetzung, dass ihm kein anderes Fahrzeug unmittelbar nachfolgt, nicht festgehalten werden könnte. Davon abgesehen ist im Stadtverker mit der Möglichkeit, dass ein vorausfahrendes Fahrzeug plötzlich anhalten muss, zu rechnen. Der Führer eines nachfolgenden Fahrzeuges hat daher entsprechend aufmerksam und bremsbereit zu sein und einen dem Strassen- und Fahrzeugzustand genügenden Abstand zu wahren, damit er seinerseits jederzeit rasch und ohne Gefährdung anderer anhalten kann.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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