BGE 90 IV 134 | |||
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28. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. Oktober 1964 i. S. Wehrli gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn. | |
Regeste |
Art. 254 Abs. 1 StGB. | |
Sachverhalt | |
A.- a) Wehrli besorgte während zwei Jahren als Angestellter und von 1950 an als Inhaber des Treuhandbureau Fiscuna AG im Auftragsverhältnis die Buchhaltung der Firma Vogt AG Im Juni 1958 ging das Treuhandbureau Fiscuna AG an Studer über. Im Übernahmevertrag vereinbarten Wehrli und Studer, dass sämtliche Buchhaltungsunterlagen aus früheren Jahren im Gewahrsam der Fiscuna AG bleiben sollen. Wehrli behielt in der Folge zahlreiche Buchhaltungsbelege, die ihm die Firma Vogt AG übergeben hatte, darunter solche, die er im Juli 1958 in Abwesenheit des neuen Inhabers in den Räumen der Fiscuna AG abgeholt hatte, bei sich zurück und weigerte sich, sie der Firma Vogt AG bzw. der Fiscuna AG herauszugeben, da sie nach seiner Auffassung geeignet waren, Steuerhinterziehungen seiner früheren Auftraggeberin zu beweisen und bei einer Auseinandersetzung mit dieser als Druckmittel zu dienen.
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b) Wehrli erhielt in den Jahren 1957 und 1958 von der Firma Vogt AG zwei Darlehen im Gesamtbetrag von Fr. 150 000.--, doch leistete er nur eine der monatlichen Rückzahlungen, zu denen er verpflichtet war. Zur gleichen Zeit verkaufte er der Firma Vogt AG in der Höhe der beiden Darlehen Aktien, die ihm gehörten; dieser Kauf soll jedoch simuliert gewesen sein. Als Studer mit einem neuen Begehren um Rückgabe der Akten an Wehrli gelangte, antwortete ihm dieser mit Schreiben vom 14. September 1962, dass die Einleitung einer Strafuntersuchung gegen ihn oder die Geltendmachung der Darlehensforderung unweigerlich eine Untersuchung gegen die Firma Vogt AG wegen Steuerhinterziehung zur Folge hätte.
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B.- Das Obergericht des Kantons Solothurn nahm an, Wehrli habe die Buchungsbelege zu seinem Vorteil teils beiseitegeschafft, teils, soweit er sie nach seinem Ausscheiden aus der Fiscuna AG bei dieser abgeholt hatte, entwendet. Es verurteilte ihn am 6. Dezember 1963 wegen Urkundenunterdrückung (Art. 254 Abs. 1 StGB) und wegen Erpressungsversuches (Art. 156 Ziff. 1 Abs. 2 und 22 Abs. 1 StGB) zu zwölf Monaten Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug und zu Fr. 800.-- Busse.
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C.- Wehrli führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei von der Anklage der Urkundenunterdrückung freizusprechen.
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D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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Beiseitegeschafft ist eine Urkunde nicht schon jedesmal, wenn sie dem Berechtigten oder Mitberechtigten vorenthalten, sondern erst, wenn ihm der Gebrauch der Urkunde als Beweismittel verunmöglicht wird. Das muss schon daraus geschlossen werden, dass das Gesetz das Beiseiteschaffen dem Beschädigen und Vernichten der Urkunde gleichstellt, also voraussetzt, dass auch die Beiseiteschaffung für den Berechtigten die Wirkung der Unbenützbarkeit der Schrift als Beweismittel habe. Der gleiche Schluss ergibt sich aus der französischen Wendung "faire disparaître". Wer eine Sache, die er mit Wissen des Berechtigten besitzt, verschwinden lassen will, beschränkt sich nicht darauf, deren Herausgabe zu verweigern, sondern er verbringt sie an einen Ort, wo sie dem Berechtigten nicht mehr zugänglich ist (Urteile des Kassationshofes vom 9. Dezember 1955 i.S. Graubünden gegen Attenhofer und vom 19. Juni 1959 i.S. Käppeli gegen Zug). Etwas anderes folgt auch nicht aus dem italienischen Text, der für beiseiteschaffen (faire disparaître) den Ausdruck "sopprimere" verwendet. Unterdrücken hat einen engeren Sinn als vorenthalten oder entziehen. Unterdrückt ist eine Urkunde erst, wenn der Berechtigte ausserstande ist, von ihr als Beweismittel Gebrauch machen zu können, sei es, dass die Schrift ganz oder teilweise zerstört, sei es, dass sie dem Berechtigten unzugänglich gemacht wurde. Letzteres trifft aber nicht zu, wenn ihm ein Dritter bloss die Urkunde nicht herausgeben will. Der Berechtigte hat es in der Hand, die unrechtmässig verweigerte Herausgabe auf dem Rechtswege zu erzwingen. In solchen Fällen die Verletzung der Herausgabepflicht als Beiseiteschaffen nach Art. 254 StGB zu bestrafen, kann auch in Hinsicht auf die Strafdrohung, Zuchthaus oder Gefängnis, nicht dem Sinn des Gesetzes entsprechen.
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Der Beschwerdeführer hat demnach die ihm übergebenen Buchhaltungsbelege nicht beiseitegeschafft, denn er behielt sie weiterhin bei sich und weigerte sich bloss, sie der Berechtigten zurückzugeben. Da die Auftraggeberin wusste, wo sich die Urkunden befanden, hatte sie jederzeit die Möglichkeit, ihr Eigentum gerichtlich herauszuverlangen.
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2. Dem Beschwerdeführer kann auch nicht eine Entwendung im Sinne des Art. 254 StGB vorgeworfen werden. Den Auftrag zur Besorgung der Buchhaltung hatte er von der Firma Vogt AG persönlich erhalten, und es scheint, dass er ihn auch während der Zeit, da er das Treuhandbureau Fiscuna AG leitete, im eigenen, nicht im Namen dieser Firma ausgeführt hat. Die Buchungsbelege waren ihm also persönlich anvertraut, und er konnte infolgedessen, auch wenn er sie erst nach der Übergabe des Treuhandbureau dort abgeholt hat, an ihnen keine Entwendung begehen. Davon abgesehen war der Vogt AG bekannt, dass sich auch diese Urkunden im Gewahrsam des Beschwerdeführers befanden; nichts hinderte sie, sich mittels Klage ihren Besitz zu verschaffen. Die Urkunden wurden somit, selbst wenn sie vom Beschwerdeführer unrechtmässig an sich genommen worden sein sollten, der Berechtigten auf jeden Fall nicht unzugänglich gemacht.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 6. Dezember 1963 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers von der Anklage der Unterdrückung von Urkunden und zu neuer Beurteilung der Strafe an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.
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