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24. Urteil des Kassationshofes vom 9. April 1965 i.S. Meier gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | |
Regeste |
Art. 33 Abs. 2, 49 Abs. 2 SVG, Art. 6 Abs. 1, 47 Abs. 3 VRV. | |
Sachverhalt | |
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B.- Das Bezirksgericht Zürich sprach Meier frei. Es führte aus, Meier sei auf Grund des festgestellten Bremsweges von 3,3 m mit der nicht zu beanstandenden Geschwindigkeit von 22,5 km/Std gefahren und habe bei dieser Geschwindigkeit und bei einer Reaktionszeit von einer Sekunde zum Anhalten zwei Sekunden gebraucht, während der mit eilenden Schritten die Fahrbahn überquerende Fussgänger eine Gehgeschwindigkeit von 2,5 m/sec. gehabt und somit die Strecke von 4 m vom Trottoirrand bis zur Kollisionsstelle in 1,6 Sekunden zurückgelegt habe. Für Meier sei daher der Zusammenstoss unvermeidbar gewesen. Polentarutti habe den Fussgängerstreifen entgegen den Vorschriften nicht in angemessener Entfernung von dem herannahenden Fahrzeug betreten und sei infolgedessen nicht vortrittsberechtigt gewesen, weshalb es auch nicht darauf ankomme, ob er allenfalls das Handzeichen schon vor dem Betreten der Fahrbahn gegeben habe.
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C.- Das Obergericht des Kantons Zürich hob auf Berufung des Geschädigten das bezirksgerichtliche Urteil am 8. Dezember 1964 auf, erklärte Meier wegen Übertretung der Art. 33 Abs. 2 SVG und 6 Abs. 1 VRV der fahrlässigen Körperverletzung (Art. 125 StGB) schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 200.--.
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Es ging davon aus, der Fahrzeugführer habe nach Art. 33 ![]() | 4 |
Das Obergericht nahm sodann an, Meier habe zudem zu spät zu bremsen begonnen oder zu langsam gebremst. Wenn ein Fussgänger die Strasse überschreiten wolle, so könne ihm diese Absicht in der Regel nicht erst, wenn er den Fuss auf die Fahrbahn setze, sondern schon Sekundenbruchteile vorher angesehen werden. So verhalte es sich auch hier. Das erste Anzeichen der Absicht Polentaruttis, die Strasse zu überqueren, sei bestimmt schon 0,4 Sekunden vor dem Beginn der Überschreitung zu sehen gewesen. Meier seien somit die benötigten zwei Sekunden zur Verfügung gestanden, und er hätte bei sofortiger und richtiger Reaktion noch rechtzeitig anhalten können.
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D.- Gegen dieses Urteil führt Meier Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an das Obergericht zurückzuweisen.
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E.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
1. a) Das Verhalten des Fahrzeugführers an Fussgängerstreifen wird in Art. 33 Abs. 2 SVG und Art. 6 Abs. 1 VRV geregelt. Nach der ersten Bestimmung hat er vor Fussgängerstreifen besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um Fussgängern, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten, den Vortritt zu lassen. Nach der zweiten Bestimmung, welche die besondere Vorsicht näher umschreibt, hat der Fahrzeugführer die Geschwindigkeit so zu mässigen, dass er den Fussgängern den ![]() | 8 |
Für die Fussgänger bestimmt Art. 49 Abs. 2 SVG, dass sie auf dem Fussgängerstreifen vortrittsberechtigt sind, dass sie ihn aber nicht überraschend betreten dürfen. Art. 47 Abs. 3 VRV sodann führt hiezu aus, dass Fussgänger, die den Vortritt beanspruchen, dies dem Fahrzeugführer anzuzeigen haben, indem sie den Streifen mit einem Fuss betreten oder ein deutliches Handzeichen geben, und dass sie den Vortritt nicht beanspruchen dürfen, wenn das Fahrzeug nicht rechtzeitig halten könnte.
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b) Das Obergericht verlangt gestützt auf den Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 VRV, dass der Fahrzeugführer jeden Fussgänger durchlassen müsse, der vor dem Fahrzeug den Fussgängerstreifen erreiche, indem es annimmt, der Vortritt stehe dem Fussgänger immer dann zu, wenn er den Fussgängerstreifen betrete oder diese Absicht bekunde, bevor das Fahrzeug den Streifen erreiche. Demnach könnte das Vortrittsrecht ohne Rücksicht darauf, wie weit das Fahrzeug vom Streifen entfernt ist, ausgeübt werden. Diese Auffassung ist unhaltbar. Sie hätte zur Folge, dass der Fahrzeugführer jedes Mal, wenn er einen Fussgänger vor dem Streifen stehen sähe, sich nur noch im Schrittempo nähern könnte, um dem Fussgänger auch dann noch den Vortritt zu lassen, wenn dieser erst im letzten Augenblick vor dem Fahrzeug in die Fahrbahn träte. Eine solche Regelung würde, namentlich auf verkehrsreichen Strassen, zu unerträglichen Stockungen im Verkehrsablauf führen, was nicht der Sinn des Art. 6 Abs. 1 VRV sein kann.
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Zwischen den Vorschriften, die das Verhalten der Fahrzeugführer an Fussgängerstreifen regeln (Art. 33 Abs. 2 SVG, Art. 6 Abs. 1 VRV), und jenen, die das Vortrittsrecht der Fussgänger auf den Streifen ordnen (Art. 49 Abs. 2 SVG, Art. 47 Abs. 3 VRV), besteht eine Wechselbeziehung, die bei der Auslegung der einen oder andern dieser Bestimmungen beachtet werden muss. Wenn der Fussgänger nach Art. 49 Abs. 2 SVG den Streifen nicht überraschend betreten darf und Art. 47 Abs. 3 VRV ausdrücklich vorschreibt, dass er den Vortritt nicht beanspruchen darf, falls das Fahrzeug nicht rechtzeitig halten könnte, so heisst das umgekehrt, dass der Fahrzeugführer in diesem Falle den Vortritt nicht zu gewähren hat. Dieser muss ![]() | 11 |
Anderseits darf die Ausübung des Vortrittsrechts aber auch nicht von der Geschwindigkeit herannahender Fahrzeuge abhängig gemacht werden, wozu die Vorschrift Anlass geben könnte, dass der Fussgänger den Vortritt nicht beanspruchen dürfe, wenn das Fahrzeug nicht rechtzeitig halten könnte (Art. 47 Abs. 3 VRV). Nach Art. 33 Abs. 2 SVG und Art. 6 Abs. 1 VRV ist der Fahrzeugführer verpflichtet, bei der Annäherung an Fussgängerstreifen seine Geschwindigkeit so zu mässigen, dass er imstande ist, den Fussgängern den Vortritt zu gewähren, wenn sie ihn in angemessener Entfernung vom Fahrzeug in Anspruch nehmen. Mit der Verpflichtung des Fahrzeugführers zur Mässigung der Geschwindigkeit vor Fussgängerstreifen will verhindert werden, dass er durch schnelles Fahren dem Fussgänger die Ausübung des Vortrittsrechts verunmögliche. Es soll also nicht dem Fahrzeugführer überlassen bleiben, durch die Geschwindigkeit, mit der er gegen den Streifen zufährt, die für die Ausübung des Vortritts angemessene Entfernung frei zu bestimmen. Er muss sich vielmehr mit so mässiger Geschwindigkeit dem Streifen nähern, dass dem Fussgänger, der den Vortritt in angemessener Entfernung beansprucht, genügend Zeit verbleibt, um die Fahrbahn ungehindert überschreiten zu können. Der ordnungsgemäss das Vortrittsrecht ausübende Fussgänger soll sich darauf verlassen können, dass auch der Fahrzeugführer sich ihm gegenüber pflichtgemäss verhält (BGE 90 IV 216), d.h. dass er die Geschwindigkeit frühzeitig genug herabsetzt, um nötigenfalls vor dem Streifen halten zu können.
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Wie in BGE 86 IV 38 ausgeführt wurde, kann die angemessene Entfernung, auf die noch damit gerechnet werden muss, ![]() | 13 |
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Der Beschwerdeführer, der bremste, als der Fussgänger die Fahrbahn betrat, konnte sein Fahrzeug auf der Kollisionsstelle - kurz vor dem entfernteren Rand des 4,5 m breiten Fussgängerstreifens - praktisch anhalten. Der Bremsweg betrug nach der Annahme der Vorinstanzen 3,3 m und der Weg, den der Wagen bei der Geschwindigkeit von 22,5 km/Std in der Reaktionszeit zurücklegte, 6,25 m, sofern die Reaktionszeit ![]() | 15 |
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b) Für die Beantwortung der Frage, ob der Beschwerdeführer den Unfall hätte vermeiden können, ist auch von Bedeutung, wie rasch der Fussgänger auf der Fahrbahn gegangen ist. Dem angefochtenen Urteil liegen die Feststellungen des Bezirksgerichts zugrunde, wonach Pollentarutti die Fahrbahn eilenden Schrittes, also mit einer Geschwindigkeit von 2,5 m/sec., überquert habe, ohne dass das Obergericht diese Annahmen einer Prüfung unterzog. Es frägt sich indessen, ob die erwähnte Gehgeschwindigkeit von 2,5 m/sec. nicht eher einem Laufschritt entspreche und ob tatsächlich ein solcher angenommen werden wollte.
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c) Die Frage, ob der Beschwerdeführer den Unfall zufolge Nichtbeherrschung des Fahrzeuges (Art. 31 Abs. 1 SVG) verschuldet habe, kann daher mangels hinreichender Feststellungen vom Kassationshof nicht zuverlässig nachgeprüft werden. Das Obergericht hat sie erneut zu beurteilen, wozu ergänzende Feststellungen über die Art der Zeichengebung und die tatsächliche Gehgeschwindigkeit des Fussgängers notwendig sind.
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d) Der unter Hinweis auf BGE 89 IV 105 erhobene Einwand des Beschwerdeführers, dass es nicht angehe, seine Verantwortlichkeit von Sekundenbruchteilen abhängig zu machen, hält nicht stand. Im angezogenen Bundesgerichtsentscheid ging es um die Frage, ob ein Fahrzeugführer strafrechtlich verantwortlich ![]() | 20 |
Demnach erkennt der Kassationshof:
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