![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
33. Urteil des Kassationshofes vom 8. Juni 1965 i.S. Bogner gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden. | |
Regeste |
Art. 117 StGB; fahrlässige Tötung, dadurch begangen, dass die Opfer in ein wegen Lawinengefahr gesperrtes Gebiet zu einer Zeit erhöhter, von massgeblicher Seite öffentlich bekanntgegebener Schneebrettgefahr geführt wurden. | |
Sachverhalt | |
![]() ![]() | 1 |
B.- Der fahrlässigen Tötung angeklagt, wurde Bogner vom Kreisgerichtsausschuss Oberengadin am 27./28. August 1964 von Schuld und Strafe freigesprochen.
| 2 |
Auf Berufung der Staatsanwaltschaft hin verurteilte ihn der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden am 31. März 1965 wegen des eingeklagten Vergehens zu zwei Monaten Gefängnis unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit von zwei Jahren.
| 3 |
C.- Mit der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Bogner, das kantonale Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
| 4 |
Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
1. Art. 117 StGB bedroht mit Strafe denjenigen, der fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht. Vorausgesetzt ist danach ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Täters und dem Tod des Opfers. Ein derartiger Zusammenhang ist gegeben, wenn dieses Verhalten eine natürliche und zugleich eine rechtlich erhebliche, adaequate Ursache ![]() | 5 |
6 | |
![]() | 7 |
Die Beschwerde geht davon aus, mit der Beurteilung des adaequaten Kausalzusammenhanges werde "eine Voraussage erstellt" (gemeint wohl, über die Voraussagbarkeit befunden), bei welcher ausschliesslich der Gesichtspunkt des Täters massgeblich sein müsse. Diese Auffassung ist irrig. Der ursächliche, rechtlich erhebliche Zusammenhang entscheidet sich nach objektiven Gesichtspunkten; was der Täter voraussehen konnte oder musste, gehört nicht hierher, sondern ist beim Verschulden zu prüfen (BGE 86 IV 156, 157).
| 8 |
Fehl geht auch die Rüge, der Kantonsgerichtsausschuss habe die Erkenntnisse der Sachverständigen ausser acht gelassen. Das angefochtene Urteil hat sowohl das Gutachten des Eidgenössischen Institutes für Schnee- und Lawinenforschung als auch dasjenige des Experten Jost in die Erwägungen miteinbezogen und im wesentlichen darauf abgestellt. Es mag sein, dass es den Gutachten nicht in allen Punkten folgt. Der Richter ist an die Ansichten der Sachverständigen aber nicht gebunden. Ob er sie als schlüssig erachtet oder nicht, ist eine Frage der Beweiswürdigung. Deren Überprüfung kann nicht Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens sein (BGE 81 IV 130). Ebenso verfehlt ist die Beanstandung, der kantonale Richter habe "anerkannte Beweiswürdigungsregeln verletzt". Von Bundesrechts wegen (Art. 249 BStP) soll er gerade an keine gesetzliche Beweisregel gebunden sein, sondern die Beweise frei würdigen. Gewiss darf er das ihm zustehende Ermessen nicht missbrauchen. Diese Schranke findet sich im Verbot der Willkür, das aus dem Verfassungsgrundsatz der Rechtsgleichheit (Art. 4 BV) hergeleitet wird. Ob hiegegen ein Verstoss vorliege, konnte nur im Rahmen der vom Beschwerdeführer ebenfalls angestrengten staatsrechtichen Beschwerde überprüft werden. Die ![]() | 9 |
Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers kann angesichts der festgestellten Verhältnisse auch keine Rede davon sein, dass das Losbrechen der beiden Schneebretter - des einen so gut wie des andern - eine allzu entfernte Möglichkeit oder "ganz entfernte Zufälligkeit" (gemäss der angerufenen Lehre SCHWANDERS, Das Schweizerische Strafgesetzbuch S. 70 Nr. 136) gewesen sei, mit der Bogner vernünftigerweise nicht zu rechnen gehabt habe. Das Unfallereignis entsprach der allgemeinen Lebens- und Bergerfahrung. Es ist nichts anderes eingetreten, als wovor bereits vorher gewarnt worden war.
| 10 |
Ob die Opfer nicht durch die als zweite bezeichnete Lawine verschüttet worden seien und ob diese in Wirklichkeit nicht als erste niedergegangen sei, sind Fragen tatsächlicher Art, für die im Nichtigkeitsverfahren kein Raum ist (Art. 273 Abs. 1 lit. b und Art. 277bis Abs. 1 BStP). Sie sind übrigens unwesentlich. Zwar scheint das angefochtene Urteil das Abgleiten des Schneebrettes am Südwesthang auf die kräftigen Schwünge zurückzuführen, mit denen die Skiläufer in Einerkolonne zu Tale gefahren sind. Doch kommt hierauf wenig an. Zur Begründung der streitigen Verantwortlichkeit ist nicht notwendig, dass die Lawinen durch die Fahrweise der Skiläufer in Bewegung gesetzt worden seien. Es genügt, dass sich Bogner mit seiner Gruppe in die von Lawinen bedrohte Zone begab. Er setzte dadurch sich und seine Kameraden der Gefahr aus, auch von einer Lawine überrascht zu werden, die sich unabhängig von der Anwesenheit und dem Verhalten der Skifahrer loslösen konnte. Welches der beiden Schneebretter als erstes niedergegangen sei und welches von ihnen die Opfer unter sich begraben habe, braucht daher nicht untersucht zu werden.
| 11 |
4. Aus mehreren tatsächlichen und daher für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen schliesst der Kantonsgerichtsausschuss, dass die von Bogner angeworbenen Skifahrer zu ihm in einem Dienstverhältnis standen. Ob diese Beurteilung, die unangefochten blieb, richtig sei, ist zweifelhaft. Die Frage kann jedoch offen bleiben. Denn jedenfalls steht fest, dass dem Beschwerdeführer allein schon als Urheber und Leiter des Unternehmens eine entsprechende Sorgfaltspflicht oblag. Die Vorinstanz hat allerdings die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, ![]() | 12 |
Hinzukommt - was das Verschulden des Beschwerdeführers erhöht - die Missachtung der Warn- und Verbotstafeln, die beim Ausgang der oberen Skiliftstation angebracht waren. Die Tafel "Allgemeines Fahrverbot", die namentlich im Parsenngebiet seit 1951 für Routensperrungen verwendet ![]() | 13 |
"Verständlich scheint es mir trotzdem, oben ,Gefahr', unten ,Abzweigung'. Sinngemäss warnt es vor einer Gefahr in Richtung der beiden Pfeile, die im Schneegelände in den meisten Fällen eben die Lawinengefahr ist."
| 14 |
Zur Frage, ob er die im konkreten Falle getroffenen Sperrmassnahmen als genügend ansehe, antwortete der genannte Sachverständige:
| 15 |
"Ja, denn die Tafel ,Allgemeines Fahrverbot' wies eindeutig darauf hin, dass die Abfahrt ins Val Selin gesperrt sei."
| 16 |
Die Errichtung von Warn- und Verbotstafeln ausserhalb der Pisten ist etwas Aussergewöhnliches. Umsomehr mussten sie den Skifahrern, welche den Skilift Trais Fluors verliessen, auffallen. Unerheblich ist, ob für das Anbringen solcher Zeichen eine gesetzliche Grundlage fehle, in dem Sinne, dass keine Vorschrift bestehe, die eine Behörde oder sonst jemanden verpflichtet, die Gefahren anzuzeigen, denen sich Skifahrer aussetzen. Kein vernünftiger Mensch wird deshalb auf den Gedanken kommen, dass mangels einer solchen gesetzlichen Grundlage die angezeigte Gefahr nicht bestehe.
| 17 |
Dass Bogner auf Grund eigener Untersuchungen keine Lawinengefahr erkennen konnte, entlastet ihn keineswegs. Es war eine weitere Vermessenheit, seine persönliche Beurteilung der Lage, die sich notwendigerweise nur auf eine oberflächliche Untersuchung stützen konnte, über all das zu stellen, was einen vorsichtigen Skifahrer davon hätte abhalten müssen, sich zu jener Zeit in das Val Selin zu begeben. Dazu gehörte die Kenntnis, dass die Schneeverhältnisse im Alpengebiet damals aussergewöhnlich waren, dass das Val Selin im besonderen Gefahren in sich barg, dass der letzte, laufend veröffentlichte Lawinenbericht vor erhöhter Lawinen- und Schneebrettgefahr warnte, endlich die persönliche Warnung Tischhausers und die angebrachten Warnzeichen. Indem sich Bogner darüber hinwegsetzte, bezw. - hinsichtlich des Lawinenberichtes - sich nicht darum kümmerte, handelte er schuldhaft unvorsichtig.
| 18 |
19 | |
Ebenso unerheblich ist der Hinweis auf eine Stelle im Ergänzungsbericht des Sachverständigen Schild, demzufolge nach dem Abgleiten oberflächlicher Nasschneemengen in der Regel keine Lawinengefahr mehr bestehe. Der Beschwerdeführer behauptet selber nicht, derartige Rutsche beobachtet und eben deshalb angenommen zu haben, der Hang könne ohne Gefahr befahren werden. Zudem haben nach verbindlicher Feststellung der Vorinstanz diese im Film festgehaltenen Schneerutsche gerade den zusammenhängenden Vertikalstreifen, der von der Filmgruppe für die Abfahrt benutzt wurde, nicht erfasst.
| 20 |
5. Offen kann die Frage bleiben, ob bei einem solchen Bergunglück die strafrechtliche Verantwortung Einzelner dann entfällt, wenn die Opfer die erkennbare Gefahr ihrerseits bewusst auf sich genommen haben. Die Beschwerde spricht sich hiezu nicht aus. Für den zu beurteilenden Fall lässt sich nur feststellen, dass Barbara Henneberger und Bud Werner zum mindesten die Signale bemerkt haben mussten, die beim Ausgang der Skiliftanlage angebracht waren. Weshalb sie sich dadurch nicht ihrerseits hatten abhalten lassen, der Gruppe auf dem Weg in das gefährdete Gebiet zu folgen, kann dahin gestellt bleiben. Die Frage einer allfälligen Entlastung des Beschwerdeführers könnte sich in diesem Zusammenhang nur dann stellen, wenn er seine Kameraden über die Gefahrenlage genau aufgeklärt hätte, und zwar nicht nur nach dem, was er selber wusste (aussergewöhnliche Schneeverhältnisse, Tücken des Val Selin, Ermahnung Tischhausers), sondern auch was er bei pflichtgemässer Sorgfalt anhand des letzten Lawinenberichtes hätte in Erfahrung bringen können und müssen. Durch Unterlassung dieser Aufklärung liess er seine Kameraden in Unkenntnis von Umständen, die ihnen die Ernsthaftigkeit der erwähnten Signale zum Bewusstsein gebracht hätte. Nichts liegt dafür vor, das den Beschwerdeführer etwa zur Annahme berechtigt hätte, die Beteiligten würden ohnehin jede Gefahr auf sich nehmen. Im Gegenteil; gemäss verbindlicher Feststellung des Kantonsgerichtsausschusses hatte die Filmequipe beschlossen, "sehr vorsichtig zu fahren". Das deutet darauf ![]() | 21 |
Demnach erkennt der Kassationshof:
| 22 |
23 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |