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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
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48. Urteil des Kassationshofes vom 23. Dezember 1965 i.S. Brunner gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | |
Regeste |
Art. 18 Abs. 3 und 117 StGB. Fahrlässige Tötung. |
2. Adäquater Kausalzusammenhang zwischem diesem Verhalten und dem tödlichen Absturz eines Kursteilnehmers (Erw. 2). | |
Sachverhalt | |
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Der Kurs begann mit der Einzelausbildung. Jeder Teilnehmer hatte sich insbesondere im Klettern und Abseilen zu üben, wobei er nach der Weisung des Kursleiters stets zu sichern war.
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Am 9. Juli begaben sich die Klassen Brunner und Hari vom Zeltlager am Oeschinensee in die auf 2840 m ü.M. gelegene Blümlisalphütte. Sie beabsichtigten, am nächsten Tag die Blümlisalpgruppe zu überqueren. Die Tour konnte jedoch nicht ausgeführt werden, weil es am Morgen regnete. Als das Wetter sich am 10. Juli gegen 9.00 Uhr etwas besserte, beschlossen ![]() | 3 |
Als Brunner mit seinen Leuten den Gipfel erreichte, war die Klasse Hari bereits im Begriffe abzusteigen. Brunner folgte ihr nach einem kurzen Halt über die gewöhnliche Route. Diese führt vom Gipfel her zunächst über Geröll und brüchiges Gestein auf eine 21 m hohe Felsstufe, die in der Fallinie durchstiegen werden muss, wobei man durch eine ziemlich steil abfallende Rinne nach 12 bis 14 m auf zwei schmale Rampen und von dort über eine 7 m lange Felsplatte hinunter auf ein Firnfeld gelangt. Auf der Felsstufe holte die Klasse Brunner die vorausgehende Gruppe, deren Teilnehmer einzeln gesichert auf das Firnfeld abstiegen, wieder ein. Um sie in dem zerklüfteten und brüchigen Fels nicht zu gefährden, musste Brunner mit seinen Seilschaften oben warten. Brunner tat dies offenbar nicht gern, weil ein kalter Wind wehte, es wieder zu schneien begann und die Leute in ihren durchnässten Kleidern froren. Er will sich schon in diesem Augenblick gefragt haben, ob sie nicht schneller vorankämen, wenn er die ganze Klasse abseilen liesse.
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Als der letzte Mann der Klasse Hari aus dem Fels war, liess Brunner vorerst seine beiden Seilgefährten Dr. von Mühlenen und Keller gesichert bis zu den Rampen absteigen. Keller entdeckte dabei einen sog. Längshaken, der am obern Ende der Rinne in einem Riss steckte, und machte Brunner darauf aufmerksam. Dieser wies ihn an, seinen Karabiner in den Haken einzuklinken und das Seil durch den Karabiner laufen zu lassen. Nachdem auch Keller eine Rampe erreicht hatte, kletterte Brunner zum Haken, zerrte an ihm und schlug mit einem Stein daran, um festzustellen, ob er "singe"; dies hätte bedeutet, dass er noch festgeklemmt sei. Brunner vernahm, wie er sagte, ![]() | 5 |
B.- Das Strafamtsgericht Frutigen und auf Appellation hin am 3. Dezember 1964 auch das Obergericht des Kantons Bern verurteilten Brunner wegen fahrlässiger Tötung zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von zehn Tagen.
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C.- Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung. Er bestreitet, dass er sich pflichtwidrig unvorsichtig verhalten habe und dass zwischen seinem Verhalten und dem Unfall ein rechtserheblicher Kausalzusammenhang bestehe.
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D.- Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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a) Die Besteigung der Wilden Frau über die gewöhnliche Route gilt als leicht und erfordert nur etwa 2 1/2 Stunden (s. Hochgebirgsführer durch die Berner Alpen, Bd. II S. 96/7).
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b) Pflichtwidrig unvorsichtig handelte der Beschwerdeführer dagegen beim Abstieg über die Felsstufe. Gewiss blieb es Brunner unbenommen, die Gruppe auf das Firnfeld abseilen zu lassen, um Zeit zu gewinnen. Ein solches Manöver hätte er aber als Kursleiter und Führer mit aller Sorgfalt vorbereiten und überwachen müssen. Dies gilt umsomehr, als er sich dabei eines alten Felshakens bedienen wollte. Diesen hat er wohl durch Zug am Seil und indem er mit einem Stein dranschlug, auf seine Haltbarkeit geprüft. Das genügte jedoch nicht. Bei vorgefundenen Haken ist stets besondere Vorsicht geboten, weil man nicht wissen kann, wann sie eingeschlagen wurden, wie tief sie im Felsriss stecken und welchen Belastungen sie schon ausgesetzt waren. Im vorliegenden Fall hat sich nachträglich denn auch herausgestellt, dass der nur 9,5 cm lange Haken für Kalkfelsen eher zu kurz war, dass er nur 5 cm tief im Riss steckte, obschon er bis zum Hals eingetrieben war, dass er ferner wegen seiner rechteckigen Form im Riss aufstund und zu dick und leicht verbogen war. Dazu kommt, dass alte Haken sich mit der Zeit, wie der Beschwerdeführer weiss, unter dem Einfluss der Spannung und Witterung lockern können, insbesondere wenn sie, wie hier, in losem oder zerklüftetem Fels zurückgelassen werden. Dass der Haken keinen hellen Klang abgab oder - wie Brunner sich ausdrückte - nicht "sang", als er mit dem Stein dranklopfte, war übrigens ein untrügliches Zeichen von Lockerung.
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Unter diesen Umständen war es zum vorneherein ein grosses ![]() | 13 |
Unverständlich war sodann, dass der Beschwerdeführer es nicht für nötig gefunden hat, die oben wartenden Seilschaften auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Er hat sie weder vor einer voreiligen Benützung des Hakens gewarnt, noch sich um die Sicherung des Abseilmanövers rechtzeitig gekümmert. Indem er sich als erster ungesichert abseilte, erweckte er bei den Wartenden im Gegenteil die Meinung, die Abseilstelle habe sich als zuverlässig erwiesen und biete volle Gewähr, sodass auf eine Sicherung verzichtet werden könne.
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Ein Fehler war es auch, dass Brunner den Welschen das Seil wegnahm, ohne sich mit ihnen über das weitere Vorgehen zu verständigen. Da er als Kursleiter und Führer ungesichert voranging, musste er damit rechnen, dass sie seinem Beispiel unverzüglich folgen würden. Darauf musste er sich umsomehr gefasst machen, als ihm gerade die Welschen als Draufgänger bekannt waren und alle möglichst bald die schützende Hütte erreichen wollten. Dass Humbert sogleich nachkam, ist dem Beschwerdeführer übrigens, wie er selber zugibt, nicht entgangen. Obschon er in diesem Augenblick noch hätte einschreiten und den Unfall vermeiden können, unternahm er nichts, um weitere Teilnehmer ![]() | 15 |
c) Dass die welschen Kursteilnehmer das Klettern und Abseilen bereits gut beherrschten, entlastet den Beschwerdeführer nicht. Vernier ist nicht abgestürzt, weil er selbst versagt hätte, sondern weil er zu Unrecht angenommen hat, der Führer habe den Haken gewissenhaft geprüft. Das pflichtwidrige Verhalten des Beschwerdeführers lässt sich auch nicht damit entschuldigen, dass er Dr. von Mühlenen beim Weiterklettern habe überwachen und sich zudem zuerst habe vergewissern wollen, ob das doppelt genommene Kunstfaserseil bis zum Firn hinunterreiche. Brunner war als Kursleiter und Führer nicht nur für seine Seilgefährten, sondern auch für die übrigen Seilschaften verantwortlich. Er durfte sie unter den gegebenen Umständen nicht ohne Weisungen zurücklassen, es jedenfalls nicht ihnen anheimstellen, ob sie einander beim Abseilen sichern wollten oder nicht. Ein kurzer Zuruf hätte genügt, um sie von einem unüberlegten oder voreiligen Einsteigen abzuhalten.
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Ebensowenig hilft dem Beschwerdeführer, dass der Untersuchungsrichter an der Unfallstelle mehrere Haken einzuschlagen vermochte, die Gewähr für ein sicheres Abseilen boten. Brunner hat selber keine Haken eingeschlagen, sondern sich mit einem vorgefundenen begnügt, der offenbar nicht mehr festsass und sich zudem für Kalkfelsen nicht eignete. Unerheblich ist ferner, dass der Haken keinen Sturz aufzuhalten hatte. Dies enthob den Beschwerdeführer nicht der Pflicht, die nötigen Vorkehren zu treffen, um einen Unfall zu verhüten. Dieser Pflicht genügte Brunner auch nicht dadurch, dass er den Karabiner entfernte und statt dessen eine Seilschlinge anbrachte, um die Hebelwirkung auf den Haken auszuschalten; denn dadurch wurde die Verwirklichung der Gefahr wohl verzögert, aber nicht ausgeschlossen. Dem Vorwurf der Fahrlässigkeit vermag der Beschwerdeführer schliesslich auch mit dem Einwand nicht zu entgehen, dass er selber vom guten Halt des Hakens überzeugt war und sich ihm als erster anvertraute. Das zeigt bloss, dass er sich der Gefahr nicht bewusst war, ändert jedoch nichts daran, dass er die Möglichkeit eines tödlichen Unfalles als Folge seines pflichtwidrigen Verhaltens nach den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen hätte voraussehen können.
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2. Nach dem angefochtenen Urteil ist Humbert infolge ![]() | 18 |
Der rechtserhebliche Kausalzusammenhang zwischen den Fehlern Brunners und dem Unfall entfiele nur, wenn es ausserhalb jeder Erwartung gelegen hätte, dass Humbert und Vernier sogleich folgen würden. Davon kann jedoch entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht die Rede sein. Er übersieht auch hier, dass er ihnen als Kursleiter und Führer mit dem schlechten Beispiel vorangegangen ist. Angesichts der eigenen Unbekümmertheit Brunners, der sich als erster ungesichert abseilte, erscheint es nicht als etwas Aussergewöhnliches, dass ihm die beiden Welschen unaufgefordert und auf gleiche Weise folgten. Auch andere hätten das getan. Mit dieser Möglichkeit hätte der Beschwerdeführer vielmehr rechnen sollen, ganz abgesehen davon, dass er schon den ersten nachkommen sah und auch dann noch hätte einschreiten und den Unfall vermeiden können.
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Der Beschwerdeführer ist deshalb zu Recht wegen fahrlässiger Tötung im Sinne von Art. 117 StGB bestraft worden.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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