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47. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. Dezember 1966 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen Zysset. | |
Regeste |
Art. 61 Abs. 1 StGB, Art. 102 Ziff. 2 SVG. |
2. Die Bestimmungen des Art. 102 Ziff. 2 SVG wollen den Art. 61 Abs. 1 StGB nicht einschränken, sondern vielmehr ergänzen, um zu verdeutlichen, wann auf dem Gebiete des Strassenverkehrsrechtes das öffentliche Interesse an der Veröffentlichung des Strafurteils schon von Gesetzes wegen zu bejahen ist (Erw. 2). |
3. Dass Art. 102 Ziff. 2 lit. b SVG sich auf Rückfälle von Angetrunkenheit am Steuer bezieht, schliesst nicht aus, Vorstrafen wegen solcher Vergehen unter dem Gesichtspunkt von lit. a ebenfalls Rechnung zu tragen (Erw. 3). |
4. Wer trunksüchtig ist, gehört überhaupt nicht ans Steuer (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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Am 26. August 1965 fuhr Zysset mit einem Personenwagen von seinem Wohnort Münsingen nach Bern, wo er nach 16 Uhr mehrere Wirtshäuser aufsuchte und vor allem Bier trank. Gegessen hat er den ganzen Tag angeblich nichts. Um Mitternacht wollte er nach Hause fahren. Er setzte sich in der Metzgergasse ans Steuer seines Wagens und fuhr, ohne die Scheinwerfer einzuschalten, weg. Nach kurzer Fahrt wurde er von der Polizei angehalten. Da sein Zustand auf Trunkenheit schliessen liess, hatte er sich einer Blutprobe zu unterziehen, die eine Alkoholkonzentration von 2,22 Gewichtspromille ergab.
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B.- Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte am 1. Februar 1966 Zysset wegen Fahrens in angetrunkenem Zustande und ohne Licht zu drei Monaten Gefängnis.
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Den Antrag des öffentlichen Anklägers auf Veröffentlichung des Urteils lehnte das Obergericht ab. Es hält dafür, dass der Angeklagte zwar vorsätzlich und daher zweifellos rücksichtslos gehandelt habe. Dieser Vorwurf treffe jedoch angetrunkene Fahrer überhaupt, wenn sie sich, wie Zysset, bewusst vergingen. Hingegen könne dem Angeklagten keine besondere Rücksichtslosigkeit im Sinne von Art. 102 Ziff. 2 lit. a SVG zur Last gelegt werden, da er nur wenige Meter weit gefahren sei. Dass er ![]() | 4 |
C.- Der Generalprokurator des Kantons Bern führt Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts insoweit aufzuheben, als es die Veröffentlichung verweigere, und die Sache zur Anordnung dieser Massnahme an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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D.- Zysset beantragt, die Nichtigkeitsbeschwerde abzuweisen.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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Angetrunkene Fahrer schaffen für andere Verkehrsteilnehmer schwere Gefahren, weil ihre Leistungs- und Beurteilungsfähigkeit spätestens bei einem Blutalkoholgehalt von 0,8 Gewichtspromille, der heute als allgemeingültiger Grenzwert gilt, eindeutig abnimmt. Diese Tatsache ist ernst zu nehmen, zumal im heutigen Verkehr vielfach schon der nüchterne Fahrer überfordert ist (BGE 90 IV 160 ff.). Angetrunkenheit am Steuer führt denn auch immer wieder zu schweren Unfällen. Dazu kommt, dass es sich dabei um ein sehr häufiges Vergehen handelt. Nach ![]() | 8 |
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In welchem Verhältnis diese Normen zu Art. 61 Abs. 1 StGB stehen, sagt das Strassenverkehrsgesetz nicht ausdrücklich, ergibt sich jedoch aus dessen Entstehungsgeschichte. Die Gerichte übten in der Anwendung des Art. 61 StGB grosse Zurückhaltung. Dieser Umstand veranlasste den Gesetzgeber, in Art. 102 Ziff. 2 SVG zwei Fälle von Verkehrsstrafhandlungen hervorzuheben, in denen er die öffentliche Blosstellung des Täters immer für gerechtfertigt hält und der Richter fortan davon auszugehen hat, dass die Öffentlichkeit an der Bekanntgabe des Urteils stets interessiert ist. Der Gesetzgeber wollte damit erreichen, dass angesichts der Leichtfertigkeit, mit der einzelne im Verkehr immer wieder Menschenleben aufs Spiel setzen, vom Abschreckungsmittel der Urteilsveröffentlichung vermehrt Gebrauch gemacht werde (s. Botschaft des Bundesrates zum Entwurf eines Bundesgesetzes über den Strassenverkehr vom 24. Juni 1955, BBl 1955 II 66). Daraus erhellt, dass die Bestimmungen des Art. 102 Ziff. 2 SVG den Art. 61 Abs. StGB nicht einschränken, sondern vielmehr ergänzen wollen, um zu verdeutlichen, wann auf dem Gebiete des Strassenverkehrsrechtes das öffentliche Interesse an der Veröffentlichung des Strafurteils schon von Gesetzes wegen zu bejahen ist, die Massnahme folglich angeordnet werden muss (vgl. SCHULTZ, Die Strafbestimmungen des SVG, S. 100 ff. und dort angeführtes Schrifttum). Fehlen die besonderen Voraussetzungen des SVG, so heisst ![]() | 10 |
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b) All diese Vorgänge vermochten den Beschwerdegegner am 26. August 1965, als er mit einem Personenwagen nach Bern fuhr, nicht davon abzuhalten, sich wieder sinnlos zu betrinken. Obschon er wusste, dass er nachher den Wagen führen werde, suchte er zwischen 16 Uhr und Mitternacht mindestens sechs Wirtshäuser auf, um sich dem Trunke hinzugeben. Vor einer beabsichtigten Heimfahrt als Automobilist einen solchen Pintenkehr zu unternehmen, war in hohem Masse verwerflich und verantwortungslos. Das gilt umsomehr, als Zysset im Verlaufe des Abends Gelegenheit genug hatte, sich nicht nur an die Ursachen und Folgen seiner frühern Vergehen zu erinnern, sondern sich auch über die schädlichen Auswirkungen übermässigen Alkoholgenusses auf die Fahrsicherheit und über die schweren Gefahren, die betrunkene Fahrzeugführer für andere Verkehrsteilnehmer schaffen, Rechenschaft zu geben. Er war sich übrigens nach seinen eigenen Erfahrungen durchaus im klaren, dass er im angetrunkenen Zustand kein Motorfahrzeug lenken durfte. Wenn er sich dennoch erheblich betrank und mit einem Alkoholgehalt von 2,22 Promille, d.h. einem ziemlich schweren Rausch, ans Steuer zu setzen wagte, um mit dem Wagen nach Münsingen zu fahren, so zeugt das von einer besonders rücksichtslosen und gewissenlosen Einstellung andern Strassenbenützern gegenüber.
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Dass er bereits nach kurzer Fahrt von der Polizei angehalten wurde, hilft über diese Einstellung des Beschwerdegegners ![]() | 13 |
c) Die Vorinstanz meint freilich, die wiederholte Begehung spiele für die Urteilspublikation nur in dem Falle eine Rolle, den Art. 102 Ziff. 2 lit. b SVG regle, da diese Bestimmung sonst überflüssig würde und die darin enthaltene Frist von fünf Jahren keinen Sinn mehr hätte. Sie irrt. Art. 102 Ziff. 2 lit. b SVG setzt nicht voraus, dass der Fahrer rücksichtslos handle. Selbst eine zweimalige Angetrunkenheit am Steuer braucht nicht notwendig besondere Rücksichtslosigkeit zu offenbaren. Dies wird zum Beispiel dann zu verneinen sein, wenn ein nur leicht angetrunkener Motorfahrzeugführer im Bewusstsein seines Zustandes äusserst vorsichtig fährt, um irgendwelchen Unfallzu vermeiden. Auch in einem solchen Falle hat der Richter jedoch die Urteilspublikation anzuordnen, wenn der Fahrer innert fünf Jahren rückfällig geworden ist. Legt der Motorfahrzeugführer dagegen eine besondere Rücksichtslosigkeit an den Tag, so ist die Massnahme gemäss Art. 102 Ziff. 2 lit. a SVG schon bei erstmaliger Begehung und ohne Rücksicht darauf, ob und allenfalls in welchem Grade er angetrunken sei, anzuordnen (BGE 91 IV 35 f.).
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Schon daraus erhellt, dass die beiden Bestimmungen verschiedene Fälle regeln. An ihrer selbständigen Bedeutung ändert auch nichts, dass lit. b sich auf Rückfälle von Angetrunkenheit innert fünf Jahren bezieht. Das schliesst nicht aus, Vorstrafen wegen solcher Vergehen unter dem Gesichtspunkt von lit. a ebenfalls Rechnung zu tragen. Wie sehr dies sachlich gerechtfertigt sein kann, zeigt gerade der vorliegende Fall. Wer sich, wie Zysset, erneut in einem Rauschzustand ans Steuer setzt, um sich mit dem Wagen auf eine verkehrsreiche Strasse zu begeben, schon früher mehrere Warnungen in den Wind geschlagen ![]() | 15 |
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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