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19. Urteil des Kassationshofes vom 19. September 1967 i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen Oberli. | |
Regeste |
Wenn der Bundesanwalt gestützt auf Art. 266 BStP ein kantonales Rechtsmittel ergreift, hat er sich einzig an Art. 267 BStP zu halten; Formvorschriften des kantonalen Rechts, die weiter gehen als diese Bestimmung oder gar von ihr abweichen, braucht er nicht zu beachten. | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 18. Mai 1967 erklärte das Obergericht des Kantons Bern die Appellation der Bundesanwaltschaft als dahingefallen, weil diese sich nicht an Art. 318 Abs. 3 und 5 des Gesetzes über das kantonale Strafverfahren gehalten habe. Die Appellantin habe an der mündlichen Verhandlung weder teilgenommen noch sich vertreten lassen, obschon sie form- und fristgerecht vorgeladen worden sei. Auch habe sie nach Erhalt der Vorladung keinen schriftlichen Parteivortrag eingereicht. Dass sie ihrer Appellationserklärung eine einlässliche Begründung beigefügt habe, ändere nichts. Eine solche Begründung sei nach bernischem Verfahrensrecht nicht zulässig, könne folglich auch nicht als schriftlicher Parteivortrag berücksichtigt werden; die Partei müsse nach Einreichung der Appellation noch irgendwie kundtun, dass sie am oberinstanzlichen Verfahren interessiert sei. Das gelte selbst für die Bundesanwaltschaft, die nicht besser gestellt werden dürfe als eine andere Partei.
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C.- Die Bundesanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts wegen Verletzung von Art. 266 und 267 BStP aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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D.- Der Angeschuldigte hält die Beschwerde für unbegründet.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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Seine Befugnis, von diesen Rechtsmitteln Gebrauch zu machen, wäre indes oft illusorisch, wenn er innert der von den kantonalen Strafprozessordnungen vorgeschriebenen Fristen ![]() | 7 |
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a) Der Wortlaut des Art. 267 BStP gibt darüber keine Auskunft. Er schlösse an sich nicht aus, dass der Bundesanwalt oder sein Vertreter vor der Rechtsmittelinstanz zu erscheinen hat, wenn nach kantonalem Recht z.B. die Appellation einer Partei, die gehörig vorgeladen worden ist, aber der Verhandlung fernbleibt, als zurückgezogen oder dahingefallen zu betrachten ist (Solothurn § 415 Abs. 2, Luzern § 242 Abs. 1, Appenzell-I.Rh. Art. 63). Die Bundesanwaltschaft hat freilich in einem Bericht vom 23. März 1939 ausgeführt, dass sie, ausser in Fiskalstrafsachen (Art. 15 BStP), vor den kantonalen Strafbehörden eine Appellation nicht mündlich vertreten könne (Verwaltungsentscheide der Bundesbehörden 1939 Nr. 61). Da in mehreren Kantonen gerade die Appellation mündlich begründet werden muss (Nidwalden § 75, Uri § 116, Schaffhausen Art. 240, Solothurn § 415, Luzern § 242 Abs. 1 u.a.m.), gälte Art. 267 BStP also ausschliesslich und für die Anwendung kantonaler Vorschriften bliebe kein Raum mehr. Art. 15 BStP hat jedoch nicht die Tragweite, die ihm die Bundesanwaltschaft im Jahre 1939 beimass. Er bestimmt, dass der Bundesanwalt die Anklage vor den Strafgerichten des Bundes vertritt und dass er in Fiskalstrafsachen auch vor den Strafgerichten der Kantone auftreten ![]() | 9 |
b) Den Gesetzesmaterialien ist über die Tragweite des Art. 267 BStP wenig zu entnehmen. Bei der Beratung des Vorentwurfes vom April 1926 durch die Expertenkommission begnügte man sich mit der Bemerkung, dass Art. 291, der dann Art. 267 geworden ist, das Verfahren regle (Prot. III S. 20, Votum Stämpfli). Das liegt jedoch auf der Hand; unklar ist nur, ob die Bestimmung das Verfahren für den Bundesanwalt abschliessend regle. Darüber aber schweigen sich nicht nur die Protokolle der Expertenkommission, sondern auch diejenigen der parlamentarischen Kommissionen aus; sie bieten weder Anhaltspunkte dafür, dass der Bundesanwalt im Rechtsmittelverfahren den kantonalen Formvorschriften unterstellt werden sollte, noch lassen sie erkennen, dass man ihn von der Einhaltung dieser Vorschriften habe befreien wollen. Die Frage, ob er nach kantonalem Recht gezwungen werden könne, eine innert der Frist von zehn Tagen eingereichte Appellation vor der Rechtsmittelinstanz noch mündlich zu begründen, wurde offenbar überhaupt nicht aufgeworfen.
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Unter der Herrschaft des Organisationsgesetzes von 1893 war der Bundesrat berechtigt, gegen Urteile in Strafsachen, die er den Kantonen zur Beurteilung überwiesen hatte, bei den oberen kantonalen Instanzen Berufung einzulegen (Art. 158 und 159). Diese Befugnis ist mit Beschluss vom 17. November 1914 dem ![]() | 11 |
Dass es nach seiner Auffassung bei der früheren Übung blieb, brachte der Bundesrat noch im Geschäftsbericht für das Jahr 1946 (S. 231) zum Ausdruck. Er führte darin aus, dass die Bundesanwaltschaft sich einzig an Art. 267 zu halten habe, wenn sie gestützt auf Art. 266 ein kantonales Rechtsmittel ergreife; an die kantonalen Formvorschriften sei sie nicht gebunden, weshalb sie namentlich zur Begründung ihrer Anträge auch nicht vor der kantonalen Rechtsmittelinstanz aufzutreten brauche.
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c) Zu prüfen bleibt, ob diese Auffassung dem Sinn und Zweck der bundesrechtlichen Regelung entspricht. Art. 267 BStP ist offensichtlich erlassen worden, um der besondern Stellung der Bundesanwaltschaft Rechnung zu tragen, der im Unterschied zu den kantonalen Staatsanwaltschaften aufgetragen ist, in allen Kantonen Rechtsmittel einzulegen. Ihr Auftrag erstreckt sich zudem Jahr für Jahr auf sehr viele Strafurteile; er bezieht sich insbesondere auf Entscheide, die nach einem Bundesgesetz oder nach einem Beschluss des Bundesrates gemäss Art. 265 Abs. 1 BStP dem Bundesrat mitzuteilen sind. Nach den Geschäftsberichten des Bundesrates waren dies in den letzten zehn Jahren jährlich zwischen 3450 und 5780 Entscheide. Dazu kommen Urteile in Bundesstrafsachen, die gestützt auf Art. 18 und 254 BStP zur Verfolgung und Beurteilung den kantonalen Behörden überwiesen werden; auch solche Urteile sind von der Bundesanwaltschaft zu überprüfen und nötigenfalls gestützt auf Art. 266 BStP mit kantonalen Rechtsmitteln weiterzuziehen.
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Dieser Arbeitsanfall war namentlich nach dem BRB vom 17.
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d) Aus all diesen Gründen muss angenommen werden, dass die Bundesanwaltschaft sich einzig an Art. 267 BStP zu halten hat, folglich von der Beobachtung weitergehender oder gar davon abweichender Formvorschriften der Kantone befreit ist, wenn sie ein kantonales Rechtsmittel ergreift. Die Gültigkeit ihrer Appellation durfte daher im vorliegenden Fall nicht davon abhängig gemacht werden, dass sie zu den mündlichen Verhandlungen erschien oder nach Erhalt der Vorladung einen schriftlichen Parteivortrag einreichte.
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Dass diese Lösung im Kanton Bern auf eine Besserstellung der Bundesanwaltschaft hinauslaufe, lässt sich nur insofern sagen, als andere Parteien zu den mündlichen Verhandlungen erscheinen müssen. Diese Besserstellung ist jedoch gewollt und in der besonderen Lage der Bundesanwaltschaft begründet. Im übrigen bedeutet aber der Umstand, dass die Bundesbehörde das Rechtsmittel nach Bundesrecht schriftlich zu begründen hat, einen Vorteil für den Angeklagten, der von den Einwänden der Bundesanwaltschaft schon vor der mündlichen Verhandlung Kenntnis nehmen kann, wenn eine solche vorgesehen ist. Schliesslich lässt sich auch nicht mit sachlichen Gründen behaupten, eine einlässlich begründete Appellation dürfe nicht als schriftlicher Parteivortrag berücksichtigt werden, weil eine Partei auch nach Einreichung des Rechtsmittels noch bekunden ![]() | 17 |
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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