![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
2. Urteil des Kassationshofes vom 8. Februar 1968 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Baselland gegen Jakob. | |
Regeste |
Art. 32 StGB. Waffengebrauch der Polizei. |
2. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit als allgemeine Schranke polizeilicher Eingriffe in fremde Rechtsgüter; Anforderungen an die Verhältnismässigkeit des Eingriffes (Erw. 2 a). |
3. Anwendung des Grundsatzes auf das Verhalten eines Polizeimannes, der auf einen vermeintlichen Verbrecher schiesst, um ihn festnehmen zu können (Erw. 2 b). | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
Unterdessen hatte Plattner versucht, Hochuli und Heimo festzuhalten. Sie wehrten sich, und Heimo konnte sich losreissen. Polizeimann Jakob sah ihn gegen den Bahndamm flüchten und rief ihm zu, er solle halten und als er dies nicht tat, gab der Polizist einen Warnschuss ab. Heimo liess sich von seinem Vorhaben indes nicht abschrecken; er entkam.
| 2 |
Der Polizeimann gebot dann Urs Jakob, vor ihm her zum Posten zu marschieren. Auf halbem Wege drehte der Jugendliche sich plötzlich um und griff den Polizisten an. Dieser wehrte ab und packte den Burschen vorne am Hemd, konnte aber nicht verhindern, dass Urs Jakob sich losriss und von neuem die Flucht ergriff. Auf einen Warnruf und die nochmalige Drohung mit der Schusswaffe reagierte er nicht. Der Polizeimann gab daraufhin aus etwa 15 m Entfernung einen gezielten Schuss auf die Beine des Flüchtenden ab und traf ihn in den linken Oberschenkel. Zusammen mit seinem Vorgesetzten Plattner brachte er den Verletzten sogleich zu einem Arzt. Erst dort erkannte Polizeimann Jakob in dem Flüchtling seinen jüngern Bruder, den er seit drei Jahren nicht mehr gesehen hatte.
| 3 |
Urs Jakob war wegen der erlittenen Verletzungen bis am 3. Juli 1967 in einem Spital, trug aber keinen bleibenden Nachteil davon.
| 4 |
B.- Die Staatsanwaltschaft Baselland erhob gegen Polizeimann Jakob Anklage wegen vorsätzlicher einfacher Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB. Das Strafgericht ![]() | 5 |
Auf Appellation hin sprach das Obergericht des Kantons Baselland am 12. Dezember 1967 den Angeklagten dagegen frei. Es hält dafür, Jakob sei nach Art. 32 StGB in Verbindung mit dem Dienstreglement der Polizei zur Abgabe des gezielten Schusses berechtigt und verpflichtet gewesen; jedenfalls habe er unter den gegebenen Umständen mit guten Gründen solcher Meinung sein können.
| 6 |
C.- Die Staatsanwaltschaft führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es aufzuheben und die Sache zur Bestrafung des Angeklagten an das Obergericht zurückzuweisen.
| 7 |
Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
8 | |
2. Nach § 44 des Dienstreglementes hat die Polizei im Kanton Baselland die Waffe als letztes Mittel zu verwenden, insbesondere wenn Personen, welche ein schweres Verbrechen oder ein schweres Vergehen begangen haben oder eines solchen ![]() | 9 |
a) Art. 32 StGB enthält selber keine Schranken für das kantonale Recht. Solche können sich indes aus dem allgemeinen Vorrang des Bundesrechts und, was das kantonale Amts- oder Dienstrecht insbesondere anbelangt, aus den Normen der allgemeinen Rechtsordnung ergeben (BGE 47 II 179und 508). Hiezu gehört in erster Linie der Grundsatz der Angemessenheit oder Verhältnismässigkeit, der besagt, dass Eingriffe in fremde Rechtsgüter nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung des Zweckes, der sie rechtfertigt, erforderlich ist. Dieser Satz gilt zwar vor allem im Verwaltungsrecht (statt vieler: BGE 87 I 453, BGE 91 I 327; RUCK, Schweiz. Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Bd. I S. 49), ist aber bei der Anwendung der Art. 32 ff. StGB ebenfalls zu beachten, gleichviel, ob er in der kantonalen Vorschrift, auf die sich der Täter zu seiner Rechtfertigung oder Entschuldigung beruft, zum Ausdruck kommt oder nicht. Der Kassationshof hat denn schon bisher die Angemessenheit von Handlungen kantonaler Beamten immer unabhängig von kantonalen Vorschriften geprüft (vgl.BGE 72 IV 178,BGE 76 IV 26). Zu beachten ist ferner, dass alle Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe eine Wertabwägung voraussetzen, bei der nicht nur der Wert der kollidierenden Rechtsgüter, sondern sämtliche Unrechts- und Rechtfertigungselemente zu berücksichtigen sind (NOLL, a.a.O. S. 165).
| 10 |
Welche Anforderungen an die Verhältnismässigkeit des Eingriffes und damit an die Rechtfertigung zu stellen sind, entscheidet sich nicht allgemein, sondern nach den Umständen des Einzelfalles, namentlich nach dem Grund und der Art der Massnahme, den Mitteln und der Zeit, die dem Handelnden zur Verfügung stehen. Je schwerwiegender der Eingriff ist und je mehr Mittel und Zeit dem Handelnden zur Verfügung stehen, desto ![]() | 11 |
b) Nach diesen Grundsätzen kann im vorliegenden Fall nicht zweifelhaft sein, dass das Verhalten des Angeklagten durch Art. 32 StGB gedeckt, seine Freisprechung folglich nicht zu beanstanden ist. Gewiss heben Staatsanwaltschaft und Strafgericht mit Recht hervor, dass die Polizei sich schon nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit grosse Zurückhaltung auferlegen muss, die Waffe in Fällen, wie hier, daher nur verwenden darf, wenn der Fliehende ein schweres Delikt begangen oder eines solchen dringend verdächtig erscheint und andere Mittel nicht ausreichen. Selbst dann soll die Polizei nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Zweckes erforderlich ist, lebensgefährliche Verletzungen also möglichst vermeiden. Im Schrifttum wird denn auch mit Recht vor leichtfertigem Waffengebrauch eindringlich gewarnt und eine Beschränkung dieses Mittels auf Fälle verlangt, die es nach den Grundsätzen der Wertabwägung und der Verhältnismässigkeit überhaupt als zulässig erscheinen lassen (s. inbes. NOLL, a.a.O. S. 182 ff.; HARTMANN, Der Waffengebrauch der Polizei, in Festgabe Max Obrecht S. 331 ff.).
| 12 |
Das heisst indes nicht, dass die Angemessenheit polizeilichen Vorgehens auch dann zu verneinen sei, wenn gewichtige Gründe einen Polizeibeamten zur Auffassung bringen konnten, er habe mit einem gefährlichen Verbrecher zu tun, den er nur mit der Waffe zu stellen vermöge. Solche Gründe aber hatte der Angeklagte.
| 13 |
![]() | 14 |
Unter diesen Umständen durfte der Angeklagte mit Grund der Meinung sein, er habe mit einem gefährlichen Verbrecher zu tun, der sich dem Zugriff der Polizei um jeden Preis entziehen wolle. Das Obergericht stellt übrigens ausdrücklich fest, dass der Angeklagte tatsächlich dieser Meinung war. Was die Staatsanwaltschaft dagegen vorbringt, ist Kritik an der Beweiswürdigung und daher nicht zu hören. Der Angeklagte hat von der Waffe auch nicht leichtfertig, sondern erst nach mehreren Warnungen und nachdem er offenbar keine andere Möglichkeit zur Festnahme des vermeintlichen Verbrechers mehr sah, Gebrauch gemacht. Er vergewisserte sich zudem, dass keine Drittpersonen gefährdet waren, und schoss absichtlich auf die Beine des Flüchtenden, um dessen Leben zu schonen. Auch dieses Vorgehen des Angeklagten war angemessen und ist folglich durch Art. 32 StGB gedeckt. Er ist daher zu Recht freigesprochen worden.
| 15 |
Demnach erkennt der Kassationshof:
| 16 |
17 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |