BGE 94 IV 72 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
20. Urteil des Kassationshofes vom 7. Juni 1968 i.S. Schmied gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | |
Regeste |
Art. 34 Abs. 1 SVG und Art. 7 Abs. 4 VRV. |
2. Pflichtwidriges Verhalten eines Automobilisten, der zwischen zwei Haltestelle-Inseln durchfährt, obschon dort ein aus der Gegenrichtung kommender Tramzug anhält (Erw. 2). |
3. Adäquater Kausalzusammenhang zwischen diesem Verhalten und den Körperverletzungen einer Fussgängerin (Erw. 3). | |
Sachverhalt | |
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Die Strasse weist auf dieser Strecke zwei Tramgeleise auf. Kurz nach der Brücke, wo die Fahrbahn sich auf 13,5 m verbreitert, befindet sich eine Tramhaltestelle mit je einer 28 m langen und 1,25 m breiten Schutzinsel in jeder Strassenhälfte. Die Insel in der rechten Hälfte überragt die andere aufwärts um etwa 8 m. Links und rechts bis zum Strassenrand bleiben je 3 m, zwischen den Inseln, wo die Tramgeleise durchführen, noch 5 m frei für die Durchfahrt.
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Als Schmied sich der Haltestelle näherte, hielt dort ein aus der Gegenrichtung kommender Tramzug an. Auf dem obern Ende der rechten Schutzinsel stand die 72-jährige Frau Kohli, die zum Viktoriaplatz hinaufschaute. Einige Meter vor dieser Insel holte Schmied einen mit 20-30 km/Std fahrenden Personenwagen ein, der die Insel rechts umfuhr. Schmied dagegen, der eine Geschwindigkeit von 40 km/Std innehielt, fuhr zwischen der Insel und dem haltenden Tramzug durch. Dabei stiess er mit Frau Kohli zusammen, welche die Strasse von der Insel aus nach links überqueren wollte. Die Fussgängerin wurde zu Boden geworfen und verletzt, trug aber keinen bleibenden Nachteil davon.
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B.- Frau Kohli liess gegen Schmied Strafklage einreichen. Der Gerichtspräsident VI von Bern sprach Schmied von der Anschuldigung der fahrlässigen Körperverletzung frei, das Obergericht des Kantons Bern erklärte ihn dagegen am 24. Oktober 1967 dieses Vergehens schuldig und verurteilte ihn in Anwendung des Art. 125 Abs. 1 StGB zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 100.--.
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C.-Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung.
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D.- Der Generalprokurator des Kantons Bern und die Strafklägerin halten die Beschwerde für unbegründet.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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a) Diese Bestimmung stellt nach ihrem eigenen Hinweis auf das Gesetz eine Ausführungsvorschrift zum Gebot des Rechtsfahrens dar. Soweit sie die Durchfahrt zwischen Traminseln gestattet, enthält sie eine Ausnahme vom Gebot, weicht also von der gesetzlichen Regelung ab. Das ist gemäss Art. 57 Abs. 1 SVG zulässig, wenn die Verordnungsvorschrift besondere Verhältnisse betrifft; nur dann kann der Bundesrat Ausnahmen von den Verkehrsregeln vorsehen. Art. 7 Abs. 4 VRV erfüllt diese Voraussetzung. Die Bestimmung regelt bloss das Verhalten des Fahrzeugführers an Haltestelle-Inseln, bezieht sich somit im Vergleich zu Art. 34 Abs. 1 SVG auf besondere Verhältnisse. Der Bundesrat konnte sich deshalb zum Erlass der Ausnahmevorschrift für befugt erachten, ohne die ihm vom Gesetz erteilte Ermächtigung zu überschreiten.
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Die Vorschrift steht übrigens mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, das selber keine abschliessende Regelung enthält, im Einklang. Die Frage, ob den Fahrzeugführern die Durchfahrt zwischen Traminseln zu gestatten sei, war in den Beratungen des Gesetzesentwurfes sehr umstritten. Schliesslich setzte sich die Meinung durch, dass die Durchfahrt nicht allgemein verboten werden, es grundsätzlich vielmehr beim bisherigen Rechtszustand bleiben solle (vgl. insbes. Vernehmlassungen S. 81; Prot. Exp. Kom. S. 40 und 104; Prot. Kom. NR S. 130, StR S. 68; StenBull NR 1957 S. 186, StR 1958 S. 107). Der Bundesrat trug dem Rechnung, indem er die Durchfahrt zwischen den Inseln gestattete, wenn keine Strassenbahn sich dort befindet oder herannaht. Seine Vorschrift entspricht damit denn auch der Regel, die, wenn nicht wörtlich, so doch sinngemäss schon in Art. 61 Abs. 4 MFV enthalten war.
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b) Art. 7 Abs. 4 VRV gestattet dem Fahrzeugführer die Durchfahrt zwischen Schutzinseln ohne Rücksicht darauf, von welcher Seite er sich der Haltestelle nähert und ob er nach der Durchfahrt geradeaus weiterfahren oder nach links abbiegen will. Die Bestimmung frägt aber auch nicht danach, aufwelchem Geleise sich die Strassenbahn befinden oder nähern müsse, damit die Durchfahrt für den Fahrzeugführer verboten sei. Nach ihrem klaren Wortlaut genügt, dass eine Strassenbahn zwischen den Inseln hält oder sich der Haltestelle nähert, die Strassenmitte also nicht frei ist. Wollte man die Bestimmung auf die jeweilige Fahrtrichtung der Strassenbahn beschränken, so wäre sie praktisch überflüssig, da sich bereits aus dem Gesetz ergibt, wie der Fahrzeugführer sich im gleichgerichteten Verkehr der Strassenbahn gegenüber zu verhalten hat. Der fahrenden Strassenbahn, die sich ihm von hinten nähert, hat er das Geleise freizugeben (Art. 38 Abs. 1 SVG), sei es, dass er die Fahrt beschleunigt oder bei langsamer Fahrt sich an den rechten Strassenrand hält (Art. 34 Abs. 1 Satz 2 SVG). Die haltende Strassenbahn sodann hat er dort, wo eine Schutzinsel vorhanden ist, schon gemäss Art. 38 Abs. 3 Satz 2 SVG rechts zu überholen.
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Eine Beschränkung des Art. 7 Abs. 4 VRV auf den gleichgerichteten Verkehr wäre auch sachlich nicht gerechtfertigt, ganz abgesehen davon, dass die Bestimmung diesfalls noch weiter vom Gesetz abwiche, als ihr Wortlaut es zulässt. Die Gefahr, dass Fussgänger an einer Haltestelle die Strasse überschreiten und dabei dem übrigen Verkehr in die Quere kommen, wenn dort eine Strassenbahn eintrifft, anhält oder abfährt, besteht unbekümmert darum, ob die anderen Fahrzeuge in der gleichen Richtung wie die Strassenbahn oder in der Gegenrichtung verkehren. In Art. 7 Abs. 4 VRV wird denn auch beigefügt, dass an Haltestellen auf Fussgänger besonders Rücksicht zu nehmen ist (vgl. Art. 33 Abs. 3 SVG). Im gleichen Sinne bestimmt Art. 38 Abs. 3 Satz 1 SVG, dass die haltende Strassenbahn nur in langsamer Fahrt gekreuzt werden darf. Diesen Pflichten könnte der Fahrzeugführer aber nicht nachkommen, wenn er den Raum zwischen der sich auf dem linken Geleise befindenden Strassenbahn und der rechten Schutzinsel zum Überholen eines anderen Fahrzeuges benützen dürfte.
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Dazu kommt, dass der Verkehr in hohem Masse an einfachen und klaren Regeln interessiert ist, die nur dort durchbrochen werden sollen, wo besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen; Ausnahmen, die dem Verkehrsgefühl widersprechen, werden erfahrungsgemäss nur schwer begriffen und geben leicht zu Täuschungen oder Verwirrung Anlass, womit weder der Flüssigkeit noch der Sicherheit des Verkehrs gedient ist. Dieses Interesse besteht auch am Gebot des Rechtsfahrens, auf das sich der Verkehr, weil es zu den Grundregeln des Gesetzes gehÖrt, soll verlassen können. Das Linksfahren kann deshalb nur dann gestattet sein, wenn es durch eine Ausnahmeregel gedeckt wird.
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2. Das war hier nicht der Fall. Das Obergericht hält für erwiesen, dass der aus der Gegenrichtung kommende Tramzug zwischen den Schutzinseln anhielt und selbst im Augenblick, als der Angeklagte mit Frau Kohli zusammenstiess, noch stillstand. Unter diesen Umständen hätte der Beschwerdeführer die Schutzinsel wie der ihm vorausfahrende Personenwagen rechts umfahren müssen. Indem er stattdessen zwischen der Insel und der haltenden Strassenbahn durchfuhr, hat er das in Art. 7 Abs. 4 VRV enthaltene Verbot missachtet. Dass er am Viktoriaplatz nach links abbiegen wollte, ändert nichts. Wie die Vorinstanz feststellt, beginnt die Vorsortierspur für die Linksabbieger erst 128 m oberhalb der Haltestelle. Diese Strecke hätte dem Beschwerdeführer hinreichend genügt, um gegen die Strassenmitte einzuspuren, zumal kein Fahrzeug folgte, das zur Hast genötigt hätte (vgl. BGE 93 IV 103 Erw. b am Ende). Er versucht das mit Recht nicht mehr zu widerlegen.
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Ein pflichtwidriges Verhalten ist nach ständiger Rechtsprechung dann als adäquate Ursache zu betrachten, wenn es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der Erfahrung des Lebens geeignet war, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, so dass der Eintritt des Erfolges durch die Pflichtwidrigkeit allgemein als begünstigt erscheint (statt vieler:BGE 64 II 204,BGE 73 IV 232, BGE 83 II 411, BGE 92 IV 25). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die Vorschriften über das Verhalten des Fahrers an Haltestellen wollen Gefahren vorbeugen, denen Benützer der Strassenbahn auf dem Gang von und zu den Schutzinseln ausgesetzt sind. Das gilt auch vom Verbot, zwischen den Inseln durchzufahren, wenn dort eine Strassenbahn anhält. Die Fahrweise des Beschwerdeführers, der sich über dieses Verbot hinwegsetzte, war daher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geeignet, einen Unfall herbeizuführen.
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Die Rechtserheblichkeit des Kausalzusammenhanges würde nur entfallen, wenn das Verhalten der Fussgängerin ausserhalb des normalen Geschehens läge. Das lässt sich nicht sagen. Gewiss hat Frau Kohli nicht nach links geschaut, bevor sie von der Schutzinsel auf die Fahrbahn trat. Die Erfahrung zeigt indes, dass Fussgänger den Halt der Strassenbahn nicht nur häufig dazu ausnützen, die Strasse zu überqueren, sondern sich dabei auch leicht der Meinung hingeben, der übrige Verkehr werde gerade wegen des Haltes der Strassenbahn vermehrt auf sie Rücksicht nehmen. Unter solchen Umständen kommt es immer wieder vor, dass Fussgänger sich voreilig oder unbedacht auf die Strasse begeben und deshalb überraschend vor Fahrzeugen auftauchen, welche die haltende Strassenbahn überholen oder kreuzen wollen. Im vorliegenden Fall kann übrigens von einem aussergewöhnlichen Verhalten der Fussgängerin umsoweniger die Rede sein, als die Beschwerde selber wiederholt davon ausgeht, Frau Kohli habe sich auf das Durchfahrtsverbot verlassen.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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