BGE 95 IV 68 - Ausweisfälschung | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
19. Urteil des Kassationshofes vom 23. Mai 1969 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | |
Regeste |
1. Art. 1 StGB. Vom Wortlaut abweichende Auslegung des Gesetzes (Erw. 3 a). |
3. Art. 252 StGB. Fälschung von Ausweisen. Müssen die in diesem Artikel genannten Papiere notwendig Urkunden gemäss Art. 110 Ziff. 5 StGB sein? (offen gelassen; Erw. 1 am Anfang). |
4. Art. 251/252 Ziff. 1 Abs. 3 StGB. Gebrauch gefälschter Urkunden und Ausweise durch den Fälscher ist strafbar, sofern dieser für die Fälschung straflos blieb (Erw. 3 b und c). | |
Sachverhalt | |
A.- S., der Ende 1962 an der Eidg. Technischen Hochschule das Maschineningenieur-Diplom erworben hatte, nahm im Frühjahr 1963 an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich das Studium der Nationalökonomie auf. Ende Februar 1968 meldete er sich zur Lizentiatsprüfung an. Im Testatheft, das er dabei einreichte, hatte er 29 Unterschriften von 13 Dozenten gefälscht.
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B.- Das Bezirksgericht Zürich sprach S. mit Urteil vom 7. Juni 1968 der Fälschung von Ausweisen im Sinne von Art. 252 Ziff. 1 und 2 StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer auf zwei Jahre bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von 14 Tagen.
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Das Obergericht verurteilte S. am 5. November 1968 unter Bestätigung des bezirksgerichtlichen Schuldspruchs zu einer nach zwei Jahren Bewährung löschbaren Busse von Fr. 400.--. C. - Der Angeklagte erhob kantonale Kassations- und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde.
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Die kantonale Beschwerde wurde vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 6. März 1969 im Sinne der Erwägungen abgewiesen.
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Mit der eidgenössischen Beschwerde beantragt der Angeklagte Aufhebung des Urteils und Rückweisung der Sache an das Obergericht zur Freisprechung. Die Staatsanwaltschaft beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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Nach der Zürcher Universitätsordnung, wie sie vom Obergericht verbindlich dargestellt und gewürdigt wird (Art. 277 bis Abs. 1 und Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP), kommt den Testaten der Dozenten der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Urkundenqualität im Sinne des Art. 110 Ziff. 5 zu.
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a) Gemäss diesen Vorschriften haben die Studierenden sämtliche Vorlesungen und Übungen in das Testatbuch einzutragen; die Testate werden von den Dozenten kraft ihres Lehramtes ausgestellt und können nur von ihnen erteilt werden; sie bilden die Bescheinigung für den Besuch der Kollegien, und diese Ausweise oder solche anderer Universitäten sind erforderlich für die Zulassung zu den Prüfungen. Darnach hat der Besuch der Vorlesungen, der mit den Testaten bescheinigt wird, unbestritten rechtliche Bedeutung im Sinne von Art. 110 Ziff. 5.
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c) Damit ist der Urkundencharakter gegeben. Daran ändert nichts, dass die Testaterteilung nach den Feststellungen der Vorinstanz namentlich für grosse Vorlesungen mehr und mehr zur blossen Formsache geworden ist, viele Professoren ihre Unterschriften unbesehen geben und der Beschwerdeführer deshalb die fehlenden Testate noch nachträglich hätte erhalten können, wenn er sich darum bemüht hätte. Diese Verhältnisse betreffen nicht die rechtliche Bestimmung, sondern die tatsächliche Eignung der Testate zum Beweis des Kollegienbesuches. Nach Art. 110 Ziff. 5 genügt aber zur Urkundenqualität, dass die Schrift zum Beweis entweder bestimmt oder geeignet ist (entsprechend die Rechtsprechung des Kassationshofes, z.B. BGE 81 IV 240, BGE 91 IV 7).
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In der Literatur wird freilich die Auffassung vertreten, Urkunden seien nur Schriften, die sich zum Beweis eignen, und darauf, ob die Schrift vom Aussteller zum Beweis bestimmt wurde oder nicht, komme nichts an (HAEFLIGER, ZStR 1958 S. 404 f.; SCHWANDER, Strafgesetzbuch 2. Aufl. S. 453 Nr. 690a; ablehnend L. BURCKHARDT, ZStR 1960 S. 87 ff.; GERMANN, ZStR 1961 S. 405 FN 11). Jedoch selbst bei Zugrundelegung dieser Auffassung kommt den Testaten wenigstens insofern Urkundencharakter zu, als sie festhalten, welche Erklärung der Dozent im betreffenden Augenblick abgegeben hat. Sie sind auf jeden Fall nicht nur bestimmt, sondern auch geeignet zum Beweis dafür, dass er die von der Universitätsordnung als Studienausweis für die Zulassung zur Prüfung vorausgesetzte Bescheinigung ausgestellt hat (BGE 73 IV 50Erw. 2, 110 Erw. 2; BGE 80 IV 115 Erw. 2; BGE 88 IV 34 unten).
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Unter diesen Umständen kann ungeprüft bleiben, ob die Testate nicht auch für den Besuch der Vorlesungen immerhin solange Beweis schaffen, als nicht das Gegenteil bewiesen ist, was genügen würde; dass sie den vollen und unwiderleglichen Beweis erbringen, wäre nach der Rechtsprechung nicht nötig (BGE 91 IV 7).
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Ebenso kann die These der Vorinstanz auf sich beruhen, wonach die Testate zwar nicht den effektiven Besuch der Vorlesungen nachweisen, wohl aber bescheinigen, dass der Dozent das eingetragene Kolleg als besuchte Vorlesung im Sinne der Prüfungsbestimmungen gelten lasse, sie als besucht anrechne. Rechtserhebliche Tatsache ist schwerlich die Meinung des Dozenten über die Bedeutung des Testates, sondern das, was dieses nach der Universitätsordnung darstellt.
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Diese Würdigung des Sachverhaltes durch das Kassationsgericht schliesst die Annahme aus, der Beschwerdeführer habe schon die Fälschungen in der Absicht begangen, den nächsten Prüfungstermin nicht zu verpassen. Wie sich aus den Erwägungen über den Vorsatz ergibt, nimmt das in Wirklichkeit auch das Obergericht nicht an. Es räumt vielmehr als möglich ein, dass der Beschwerdeführer die Unterschriften, abgesehen von den Testaten "Käfer", ursprünglich aus logisch nicht erfassbaren Gründen mehr oder weniger zum Zeitvertreib nachgeahmt habe, und wirft ihm als vorsätzliche Strafhandlung nach Art. 252 StGB nur vor, später von den nachgeahmten Unterschriften im Bewusstsein ihrer Fälschung gegenüber den Universitätsorganen Gebrauch gemacht zu haben.
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3. a) Demnach hat das Obergericht Abs. 3 und nicht den von ihm im Urteilsdispositiv angeführten Abs. 2 von Art. 252 Ziff. 1 StGB angewendet. Damit ist es über den Wortlaut dieser Bestimmung hinausgegangen, nach welchem der Gebrauch eines Ausweises zur Täuschung nur strafbar ist, wenn die Schrift von einem Dritten, nicht, wenn sie vom Gebrauchenden selber hergestellt wurde. Das heisst indessen nicht notwendig, dass die Vorinstanz entgegen Art. 1 StGB auch über das Gesetz hinaus gegangen sei. Der Gesetzestext ist Ausgangspunkt der Gesetzesanwendung. Selbst der klare Wortlaut bedarf aber der Auslegung, wenn er vernünftigerweise nicht der wirkliche Sinn des Gesetzes sein kann. Massgeblich ist nicht der Buchstabe des Gesetzes, sondern dessen Sinn, der sich namentlich aus den ihm zugrundeliegenden Zwecken und Wertungen ergibt, im Wortlaut jedoch unvollkommen ausgedrückt sein kann. Sinngemässe Auslegung kann auch zu Lasten des Angeklagten vom Wortlaut abweichen. Der Grundsatz "keine Strafe ohne Gesetz" (Art. 1) verbietet bloss, im Gesetz fehlende Wertungen zugrundezulegen, also neue Straftatbestände zu schaffen oder bestehende derart zu erweitern, dass die Auslegung durch den Sinn des Gesetzes nicht mehr gedeckt ist (BGE 87 IV 118, BGE 88 IV 93, BGE 90 IV 96 und 187 Erw. 6, BGE 91 IV 28; BGE 87 I 16, BGE 88 II 482; GERMANN, Kommentar zu Art. 1 StGB N 63, 10 und 125, ZStR 1963 S. 83 ff. und 365 ff., Probleme und Methoden der Rechtsfindung S. 104 ff.; WAIBLINGER, ZBJV 1955 Bd. 91 bis S. 235 ff.; SCHULTZ, ZStR 1957 S. 51 ff., 1962 S. 150 ff.; MEIER-HAYOZ, Kommentar zu Art. 1 ZGB N 51, 132 f., 175 ff.).
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b) Art. 252 will wie Art. 251 StGB Treu und Glauben im Verkehr schützen. Dieses Rechtsgut wird verletzt durch den erfolgreichen täuschenden Gebrauch gefälschter, verfälschter oder unwahrer Ausweise und Urkunden. Lediglich in Gefahr gebracht wird es durch die Herstellung solcher Dokumente. Es kann nun nicht der Sinn des Gesetzes sein, den Fälscher nur zu bestrafen für die blosse Gefährdung des geschützten Rechtsgutes, nicht hingegen für seine Verletzung. Ebenso unvernünftig wäre es, nur den Gebrauch eines fremden Falsifikats, nicht aber den eines eigenen zu ahnden, denn Treu und Glauben wird durch beides gleichermassen beeinträchtigt. Das aber wäre die Folge der wörtlichen Anwendung von Art. 251/252 Ziff. 1 Abs. 3. Dazu kann es freilich nur kommen, wenn der Fälscher für die Fälschungshandlung nicht zu bestrafen ist, so weil ihm damals die Täuschungsabsicht fehlte, oder weil die Fälschungshandlung verjährt ist oder im Ausland begangen wurde und in der Schweiz nicht verfolgt werden kann. Normalerweise wird der Fälscher für die Fälschungshandlung bestraft, und eine zusätzliche Ahndung des durch ihn begangenen Gebrauchs des Falsifikats ist insofern unnötig, als im Fälschungstatbestand der Vorsatz des täuschenden Gebrauchs bereits erfasst wird. Auf diesen Normalfall ist der Gesetzestext zugeschnitten. Er ist zu weit und erfasst auch Ausnahmefälle wie die erwähnten, für die er zu einem widersinnigen Ergebnis führt. Abgesehen vom Wortlaut besteht kein Grund, den Fälscher, der das Falsifikat selber verwendet und wegen der Fälschungshandlung nicht bestraft werden kann, gegenüber dem Dritten, der eine gefälschte Urkunde gebraucht, zu privilegieren. In diesem Fall ist deshalb auch der Fälscher wegen Gebrauchs seines Falsifikats zu bestrafen. Mit dieser Auslegung wird nicht eine Wertung in das Gesetz hineingetragen. Der Tatbestand des Gebrauchs eines Falsifikats ist im Gesetz enthalten. Doch sind die Bestimmungen so gefasst, dass der Fälscher selber bei wörtlicher Anwendung den Tatbestand des Gebrauchs nicht erfüllen kann. Dass es aber nicht der Sinn des Gesetzes sein kann, den straflos gebliebenen Fälscher auch noch für den Gebrauch seines Falsifikats ungestraft zu lassen, ist unzweifelhaft (DUBS, ZStR 1959 S. 94 ff.; HAEFLIGER, SJK 138 Ersatzkarte S. 6 Ziff. 5; GERMANN, ZStR 1961 S. 403 f.).
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c) Die sinngemässe Auslegung wird gestützt durch die Entstehungsgeschichte. Nach Art. 176 des Vorentwurfs von 1908 war die Urkundenfälschung erst mit dem Gebrauch vollendet, ausser bei den öffentlichen Urkunden, bei denen nach Art. 177, zur Verstärkung des Strafschutzes (ZUERCHER, Erläuterungen S. 326), schon die Herstellung des Falsifikats das Delikt vollendete. In beiden Artikeln war daneben der Gebrauch des Falsifikats als selbständiger Tatbestand vorgesehen. Die 2. Expertenkommission entschied sich dann für eine alternative Variante ihrer Redaktionskommission. Diese fasste die beiden Artikel in einem einheitlichen Urkundendelikt zusammen, das im Sinne des heute geltenden Textes mit der Fälschung vollendet war; dazu trat der Gebrauch des Falsifikats durch einen Dritten; die Fälschung öffentlicher Urkunden wurde zum qualifizierten Fall; als privilegierter Fall wurde die Fälschung von Ausweispapieren in den Artikel aufgenommen. Durch die Beschränkung des zusätzlichen Tatbestandes des Gebrauchs auf Drittpersonen sollte für den Fälscher die Realkonkurrenz ausgeschlossen werden (Prot. 2. ExpK V S. 62 ff.). Offensichtlich wurde aber übersehen, dass der Fälscher für die Fälschungshandlung unter Umständen gar nicht strafbar oder verfolgbar ist. Der Fälscher wurde zweifellos nicht bewusst für diese Fälle auch hinsichtlich des Gebrauchs straflos gelassen, nachdem gleichzeitig der Schutz des Rechtsgutes durch generelle Vorverlegung des Zeitpunktes der Vollendung auf die Fälschungshandlung erhöht wurde. Der Tatbestand wurde vielmehr so umschrieben, um die Realkonkurrenz zwischen Fälschung und Gebrauch auszuschliessen. Entfällt daher die Realkonkurrenz im Einzelfall, so ist der Fälscher wegen des Gebrauchs zu bestrafen.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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