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35. Urteil des Kassationshofes vom 2. Oktober 1970 i.S. Haldimann gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | |
Regeste |
Art. 38 Abs. 1 SVG; Tragweite dieser Bestimmung im Verhältnis zu allgemeinen Vorsichtspflichten. |
2. Die Grundregel von Art. 26 Abs. 2 SVG gilt auch für den Führer einer Strassenbahn. |
3. Diesen trifft bei einem Manöver gemäss Art. 45 Abs. 1 VRV eine erhöhte Sorgfaltspflicht; nach den Umständen kann es geboten sein, ein solches Manöver durch eine Hilfsperson überwachen zu lassen. | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 16. März 1970 verurteilte der Gerichtspräsident IX von Bern Haldimann wegen unaufmerksamen Manövrierens mit der Strassenbahn (Art. 26, 48 SVG und 45 Abs. 1 VRV) und Hofer wegen unvorsichtigen Fahrens mit einem Tanklastenzug ![]() | 2 |
C.- Haldimann führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Beschwerdeführer bestreitet, sich der ihm zur Last gelegten Gesetzesverletzungen schuldig gemacht zu haben.
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Der Generalprokurator des Kantons Bern hat sich mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde vernehmen lassen.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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So gilt die Grundregel des Art. 26 Abs. 2 SVG, der zufolge besondere Vorsicht geboten ist, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein anderer Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird, auch für den Führer einer Strassenbahn. Wo solche besondere Umstände gegeben sind, darf auch dieser nicht einfach - auf sein Recht pochend - zufahren, sondern er hat alles in seiner Macht Liegende zu tun, um der drohenden Gefahr eines Unfalls zu begegnen. Er darf namentlich nicht weiterfahren, wenn er sieht oder bei gebotener Aufmerksamkeit hätte sehen können, dass ein anderer ihm den Vortritt nicht lassen will oder nicht lassen kann. Insoweit trifft ihn dieselbe allgemeine Sorgfaltspflicht wie andere vortrittsberechtigte Fahrzeuglenker ![]() | 6 |
Zusätzlich zu dieser allgemeinen Pflicht ist der Führer einer Strassenbahn kraft der ausdrücklichen Sonderregel des Art. 45 Abs. 1 VRV unter anderem beim Wechseln der Fahrbahnseite zu erhöhter Vorsicht gehalten. Dem Umstand, dass es sich hiebei, wie die Vorinstanz mit Recht ausführt, im Grunde genommen um ein verkehrsfremdes und deshalb gefährliches Manöver handelt, muss der Führer eines Tramwagens durch eigene und umsichtige Prüfung der Sachlage Rechnung tragen; er kann sich dieser besonderen Sorgfaltspflicht nicht mit dem Hinweis auf die nach Art. 38 Abs. 1 SVG bestehende Wartepflicht des andern entledigen (BGE 92 IV 36; SCHULTZ, Die strafrechtliche Rechtsprechung zum neuen SVG, S. 203/4; s. auch die Praxis zum Manöver des Art. 13 Abs. 5 VRV: BGE 91 IV 16, BGE 94 IV 77). Diese erhöhte Sorgfaltspflicht des Strassenbahnführers ist immer gegeben, wenn er eines der in Art. 45 Abs. 1 VRV erwähnten Manöver ausführt, unbekümmert darum, ob eine konkrete Gefahr geschaffen wird oder nicht. Die Verkehrsregeln des SVG und der VRV sind um der Verkehrssicherheit willen erlassen worden und wollen schon der abstrakten Gefährdung des Strassenverkehrs entgegenwirken (BGE 92 IV 34 /35).
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2. Im vorliegenden Fall stellt das Obergericht in tatsächlicher Beziehung fest, dass der Beschwerdeführer sich nicht mehr um die Verkehrsentwicklung gekümmert hat, nachdem er vom Abstellgeleise einmal losgefahren war. Insbesondere habe er nicht mehr in den rechten Rückspiegel geblickt, als er in den Bereich des Verkehrsstromes gelangt sei. Damit hat er die ihm nach Art. 45 Abs. 1 VRV obgelegene Pflicht zu erhöhter Vorsicht missachtet, zumal wenn man berücksichtigt, dass nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz das Manöver 12 Sekunden gedauert hat und nach den im Plan des wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich enthaltenen Angaben vom Beginn des Manövers bis zum Zeitpunkt, da die Führerkabine des von Hofer gesteuerten Tanklastenzuges neben dem Führerstand des Triebwagens der VBW-Bahn erschien, 7 bis 8 Sekunden verflossen waren. Vor 14.00 Uhr herrscht auf Innerortsstrecken in Städten zumeist reger Verkehr; der Strassenbahnführer, der von links nach rechts die Fahrbahnseite wechselt, hat deshalb dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ![]() | 8 |
Von diesem Vorwurf vermag ihn der Umstand nicht zu entlasten, dass er, als der Triebwagen quer in der Strasse fuhr, im Rückspiegel den Helvetiaplatz angeblich nicht mehr hat überblicken können. Die Vorinstanz hält dem zutreffend entgegen, dass Haldimann - wenn die Beobachtungsverhältnisse vom Führerstand des Triebwagens aus wirklich so schlecht gewesen sein sollten - sein Manöver durch eine Hilfsperson, z.B. den Kondukteur, hätte überwachen lassen sollen. Diese Pflicht ergab sich für den Beschwerdeführer unmittelbar aus Art. 45 Abs. 1 VRV (vgl. BGE 89 IV 143 und 145). Von der Anordnung einer solchen Vorkehr durfte Haldimann nicht deswegen absehen, weil der Schaffner mit dem Auslad voll beschäftigt gewesen sei. Zieht man in Betracht, dass das Manöver 12 Sekunden gedauert hat, so erhellt ohne weiteres, dass mit der Inanspruchnahme des Kondukteurs für den Wechsel der Fahrbahnseite der Auslad und damit die fahrplanmässige Abwicklung des Bahnbetriebes keine so erhebliche Verzögerung erfahren hätten, dass die genannte Massnahme dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten gewesen wäre.
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3. Eine Verletzung seiner Vorsichtspflicht hat sich der Beschwerdeführer aber auch dadurch zuschulden kommen lassen, dass er, als die Führerkabine des Lastenzuges 4-5 Sekunden vor der Kollision auf der Höhe seines Führerstandes erschien und er das Strassenfahrzeug wahrnahm, mit unverminderter Geschwindigkeit seine Fahrt fortsetzte, obwohl er sah, dass sich die beiden Fahrzeuge immer mehr näherten. Als erfahrener Triebwagenführer musste er bei gebotener Aufmerksamkeit erkennen, dass es dabei zu einer kritischen Lage kommen konnte. Da bei Schienenfahrzeugen die Ausladung in Biegungen erfahrungsgemäss grösser ist als auf geraden Strecken (BGE 92 IV 35), konnte ihm nicht entgehen, dass bei der Einfahrt des Triebwagens in das rechte Geleise für einen breiten Lastenzug zwischen dem Randstein und dem Lichtprofil jenes Wagens ![]() | 10 |
Demnach erkennt der Kassationshof:
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