BGE 97 IV 31 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. März 1971 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden gegen N. | |
Regeste |
Art. 254 StGB, Unterdrückung von Urkunden; Verhältnis zu Art. 57 - Abs. 1 Satz 2 PVG. | |
Sachverhalt | |
A.- Am 13. März 1968 zahlte die Kassiererin der Sektion B. der Krankenkasse Konkordia, Frau F., am Schalter des Postbüros B. den Betrag von Fr. 1000.-- an die Krankenkasse Konkordia in Luzern ein. Die Lehrtochter N. nahm das Geld entgegen, stempelte Abschnitt, Stamm und Empfangsschein und übergab den letztern der Einzahlerin. Den Betrag von Fr. 1000.-- trug sie nicht in die Einzahlungsrechnung der Postkasse ein; Stamm und Abschnitt vernichtete sie.
| 1 |
Am. 21. März 1968 zahlte Frau F. an die gleiche Adresse einen weitern Betrag von Fr. 800.-- ein. N. wiederholte bei dieser Einzahlung ihre Machenschaften vom 13. März. Sie stellte am gleichen Tag einen Einzahlungsschein über Fr. 1000.-- aus, wobei sie als Adressatin die Krankenkasse Konkordia in Luzern und als Einzahlerin Frau F. einsetzte. Hierauf trug sie den Betrag von Fr. 1000.-- in die Einzahlungsrechnung der Postkasse ein.
| 2 |
B.- Das Kantonsgericht von Graubünden erklärte N. am 21. April 1970 der fortgesetzten Unterdrückung von Urkunden sowie wegen einer weiteren Verfehlung der Urkundenfälschung schuldig und verurteilte sie zu 3 Monaten Gefängnis, bedingt aufgeschoben auf eine Probezeit von 2 Jahren; von der Anklage der Veruntreuung und der Verletzung der Beförderungspflicht (Art. 57 PVG) sprach es sie frei.
| 3 |
C.- Die Staatsanwaltschaft Graubünden führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Verurteilung der Angeklagten wegen Veruntreuung und Verletzung der Beförderungspflicht.
| 4 |
Aus den Erwägungen: | |
2. Gegen die Freisprechung von der Anklage der Verletzung der Beförderungspflicht bringt die Staatsanwaltschaft vor, wenn durch die Vernichtung einer Urkunde auch die Beförderung eines Geldbetrages verunmöglicht werde, ständen die beiden Tatbestände des Art. 254 StGB und des Art. 57 PVG in Idealkonkurrenz.
| 5 |
a) Nach Art. 333 Abs. 1 StGB finden die allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs auf Taten, die in andern Bundesgesetzen mit Strafe bedroht sind, insoweit Anwendung, als diese Bundesgesetze nicht selbst Bestimmungen aufstellen. Das Postverkehrsgesetz enthält lediglich die allgemeine Bestimmung in Art. 56, dass die in Art. 59 bis 62 genannten strafbaren Handlungen auch bei fahrlässiger Begehung strafbar sind. Nach Art. 63 PVG bleiben für Tatbestände, die im Postverkehrsgesetz nicht aufgeführt sind, die einschlägigen Strafgesetze des Bundes vorbehalten. In welchem Verhältnis diese zu den Vorschriften des Postverkehrsgesetzes stehen, ist damit nicht geregelt. Insbesondere ist nicht gesagt, dass bei den unter beide Gesetze zugleich fallenden Handlungen das eine dem andern vorgehe, sei es in dem Sinne, dass Vorschriften mit der Androhung schwererer Strafen anwendbar wären, sei es als Sondergesetz. Mangels einer solchen besonderen Regelung ist nach den allgemeinen Grundsätzen über das Zusammentreffen verschiedener Strafvorschriften zu entscheiden, wie sie für die Anwendung oder Nichtanwendung von Art. 68 StGB bestimmend sind, also danach, ob der Unrechtsgehalt der zu beurteilenden Handlung durch die Bestrafung bereits nach einer der zusammentreffenden Bestimmungen völlig abgegolten werde oder nicht (vgl. BGE 91 IV 32 E 2).
| 6 |
b) Schutzobjekt des Art. 57 Abs. 1 Satz 2 PVG ist die "Postsendung". Postsendungen sind im vorliegenden Fall die Abschnitte der Postzahlscheine, ausser man wolle in ihnen Mitteilungen der Post selbst erblicken, womit eine Anwendung von Art. 57 PVG von vornherein entfiele. Der Abschnitt (wie der sog. Stamm) des Einzahlungsscheins ist geeignet, Tatsachen von rechtlicher Bedeutung zu beweisen; er ist also Urkunde im Sinne von Art. 110 Ziff. 5 StGB. Urkunden sind aber auch Schutzobjekt von Art. 254 StGB. Die Handlung der Beschwerdegegnerin, das Vernichten, ist in Art. 254 StGB wie in Art. 57 PVG unter Strafe gestellt. Die beiden Bestimmungen unterscheiden sich - abgesehen davon, dass unter Art. 57 PVG auch Postsendungen ohne Urkundencharakter fallen - lediglich darin, dass Urkundenunterdrückung nach Art. 254 StGB überdies Schädigungsabsicht oder unrechtmässige Vorteilsabsicht verlangt. Die letztere ist bei der Beschwerdegegnerin gegeben, denn sie wollte nach der Feststellung der Vorinstanz das Kassenmanko verdecken. Mit der Bestrafung wegen Unterdrückung von Urkunden ist somit der Unrechtsgehalt ihrer Handlung vollständig abgegolten. Es gebricht ihr an einem mehrfachen Verschulden, das die Verwirkung mehrerer Freiheitsstrafen nach sich zöge. Also liegt nicht Idealkonkurrenz, sondern scheinbare Konkurrenz (unechte Gesetzeskonkur renz) vor.
| 7 |
Demnach erkennt der Kassationshof:
| 8 |
9 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |