BGE 97 IV 77 | |||
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21. Urteil des Kassationshofes vom 7. Mai 1971 i.S. Lötscher, Mascarin, Kaufmann, Witschi und Bohny gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt. | |
Regeste |
1. Art. 64 Abs. 1 StGB. |
2. Art. 20 StGB. |
Rechtsirrtum; zureichende Gründe verneint. | |
Sachverhalt | |
A.- Die Basler Verkehrsbetriebe erhöhten auf 1. Juli 1969 die Tramtaxen. Gegen diese Massnahme führte ein sog. "Aktionskomitee" am 1., 2., 3., 4., 5. und 18. Juli 1969 auf verschiedenen wichtigen Strassen und Plätzen der Stadt Basel Demonstrationen durch, die jeweils die Stillegung oder eine sonstige erhebliche Störung des Tramverkehrs zur Folge hatten. Um die Tramzüge längere Zeit aufzuhalten, setzten sich Gruppen von Demonstranten auf die Tramschienen und in deren Bereich, oder sie stellten sich dem Tramzug in den Weg. Durch Plakate, direkte Anrede, zeitweise auch durch Lautsprecher und Megaphon forderten die Teilnehmer das Publikum auf, sich am sog. "Sit-in" zu beteiligen. Die Demonstranten liessen sich von ihrem Vorhaben auch nicht durch die in der Presse ergangene und von der Polizei bekanntgegebene Mitteilung abhalten, eine Störung des Tramverkehrs sei strafbar. Ebenso wirkungslos blieb eine behördliche Warnung, die einer Abordnung des "Aktionskomitees" anlässlich einer Besprechung vom 10. Juli 1969 erteilt worden war, verbunden mit dem Vorschlag, den Barfüsserplatz für eine Demonstration ohne Tramstörung zur Verfügung zu stellen.
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Obwohl inzwischen eine Initiative für die Einführung des unentgeltlichen Trambetriebs zustande gekommen war, beschlossen die Anführer des "Aktionskomitees", es auf eine Machtprobe mit den Behörden ankommen zu lassen. Sie riefen deshalb auf den 18. Juli 1969 nochmals zu einer Grossdemonstration auf. Diese wurde durch ein starkes Polizeiaufgebot aufgelöst.
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B.- Peter Lötscher, Alvise Mascarin, Ulrich Kaufmann, Jörg Bohny und Fritz Witschi sowie weitere an den Demonstrationen beteiligte Personen wurden in Strafuntersuchung gezogen. Das Strafgericht Basel-Stadt sprach am 20./22. Mai 1970 die Angeklagten Mascarin und Witschi wegen fortgesetzter, die Angeklagten Lötscher, Kaufmann und Bohny wegen wiederholter und fortgesetzter Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen, schuldig und verurteilte Lötscher und Kaufmann zu je 20 Tagen, Mascarin, Bohny und Witschi zu je 15 Tagen Gefängnis. Es gewährte allen Verurteilten den bedingten Strafvollzug und setzte die Probezeit für jeden Täter auf zwei Jahre an. Ferner verfällte das Strafgericht Witschi wegen unerlaubten Betriebes eines Lautsprechers an einem Motorfahrzeug in eine Busse von Fr. 30.-.
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Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt hat mit Urteilen vom 31. August und 2. Oktober 1970 die Appellationen der Verurteilten abgewiesen und die vom Strafgericht gefällten Entscheide bestätigt.
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C.- Die fünf Angeklagten führen Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts mit dem Antrag auf Aufhebung der Urteile des Appellationsgerichts und Rückweisung an die Vorinstanz zur Neubeurteilung. Bohny macht eine Verletzung von Art. 64 StGB geltend und beantragt die Berücksichtigung achtungswerter Beweggründe, während die übrigen Verurteilten ausserdem Verzicht auf Strafe oder Strafmilderung in Anwendung von Art. 20 StGB verlangen.
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D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt beantragt Abweisung der Beschwerden.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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Die Frage, aus welchen Motiven ein Täter gehandelt habe, bezieht sich auf den inneren Tatbestand. Die darüber vom kantonalen Richter gemachten Feststellungen sind für den Kassationshof verbindlich und können mit Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden (Art. 273 Abs. 1 lit. b, 277bis Abs. 1 BStP).
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Dagegen ist es eine im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren überprüfbare Rechtsfrage, ob der vom Sachrichter festgestellte Beweggrund der Täter achtenswert sei. Selbst wenn die Beweggründe der Beschwerdeführer als achtungswert anerkannt werden, ist es gemäss Art. 64 StGB dem Sachrichter überlassen, ob er die Strafe mildern will. Er hat dabei sein Ermessen pflichtgemäss anzuwenden, also weder wesentliche Faktoren zu vernachlässigen noch unwesentliche zu berücksichtigen. Der Kassationshof schreitet nur ein, wenn dieses pflichtgemässe Ermessen überschritten wird (BGE 90 IV 154 E. 4).
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DasAppellationsgericht führt im angefochtenen Entscheid aus, es sei denkbar, dass die Teilnahme an den Demonstrationen auf achtungswerte Beweggründe zurückzuführen sei. Dafür spreche der Unwille über die starke Taxerhöhung, der vor allem bei jungen Leuten verständlicherweise zu augenfälligen Handlungen führen konnte, was dem altersmässigen Bedürfnis nach Aktivität und Erleben von Ungewöhnlichem entspreche. Bei den Angeklagten würden diese Überlegungen aber nicht zutreffen. Die Demonstration vom 18. Juli 1969 habe Aufschluss über ihre von Anfang an vorhandenen Beweggründe gegeben.
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Nach den für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist es den Angeklagten bekannt gewesen, dass Geduld und Nachsicht der Behörden erschöpft waren und die Polizei beauftragt war, weitere Störungen des Trambetriebs zu verhindern. Ausserdem wussten die Angeklagten, dass die allgemeine Erregung über die Taxerhöhung bereits abgeflaut und die Initiative zur Einführung des unentgeltlichen Trambetriebes zustande gekommen war. Auch war ihnen bekannt, dass die Regierung nachdrücklich auf die Unzulässigkeit von Störungen des Trambetriebs verwiesen, den Polizeieinsatz gegen neue Behinderungen angedroht und eine bewilligte Demonstration auf dem Barfüsserplatz vorgeschlagen hatte. Hätte man für die Zeit vor dem 18. Juli 1969 im Zweifel sein und darum zugunsten der Beschwerdeführer entscheiden können, diese wollten die von ihnen als ungerecht empfundene Massnahme der Verkehrsbetriebe bekämpfen, so zeigten sie nunmehr, dass die Machtprobe mit den Behörden für sie entscheidend war. Mochten sie selbst anfänglich der Meinung sein, nur grossangelegte Demonstrationen könnten etwas erreichen, war in der Zwischenzeit die genannte Initiative nicht nur ergriffen worden, sondern bereits zustande gekommen. Verliessen sich die Beschwerdeführer anfänglich auf die entgegenkommende Zurückhaltung der Behörden, so wussten sie nunmehr, dass der Regierungsrat weitere Störungen der öffentlichen Verkehrsbetriebe nicht dulden und dass die Polizei einschreiten werde. Trotzdem haben sie solche wiederholt. Wenn die Vorinstanz ihnen deshalb ethisch hochstehende Beweggründe abspricht, hat sie damit Art. 64 StGB nicht verletzt. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Beschwerdeführer keine aktive Gewalt anwandten. Ihr passiver Widerstand war nicht weniger wirksam, musste doch die Polizei zweimal ihre Versuche, den Tramzügen die Durchfahrt freizumachen, aufgeben.
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Ebensowenig kann die Berufung auf das Demonstrationsrecht dazu führen, dass der Richter die Beweggründe bestimmter Demonstranten anders beurteilt, als dies sonst der Fall wäre. Die Vorinstanz hat ohne Verletzung des Art. 64 StGB aus den von ihr festgestellten Tatsachen gefolgert, die Beschwerdeführer hätten nicht aus vorwiegend achtungswerten Motiven gehandelt, im Gegensatz etwa zu andern jugendlichen Demonstranten.
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b) Selbst wenn mit den Beschwerdeführern anzunehmen wäre, auf Grund der Feststellungen des Appellationsgerichtes müsse angenommen werden, die Angeklagten hätten aus achtungswerten Motiven gehandelt, so wäre damit noch keine Rechtsverletzung dargetan. Art. 64 StGB stellt es in das Ermessen des Richters, ob er bei Vorliegen gewisser in dieser Bestimmung aufgezählter Voraussetzungen die Strafe mildern will. Dazu erklärt das angefochtene Urteilausdrücklich, eine Strafmilderung gegenüber den Angeklagten wäre auch dann nicht am Platze, wenn einer der Gründe des Art. 64 StGB bejaht würde. Bohny bemerkt dazu, mit einer solchen Behauptung sei es nicht getan. Die übrigen Beschwerdeführer setzen sich mit dieser Erklärung der Vorinstanz überhaupt nicht auseinander. Es wird somit nicht dargetan, inwiefern sich das Appellationsgericht einer Ermessensüberschreitung schuldig gemacht haben soll. Dass es sich mit dem einen genannten Satz begnügte, entkräftet ihre Schlussfolgerung nicht. Der Sachrichter ist nicht einmal verpflichtet, die Ablehnung der Strafmilderung ausdrücklich zu erklären. Jene kann sich aus den Umständen ergeben (BGE 90 IV 154 E. 4). Lehnt er die Strafmilderung ausdrücklich ab, so ist er nicht gehalten, dies näher zu begründen. Der Kassationshof hat auf Nichtigkeitsbeschwerde hin nur dann einzuschreiten, wenn der Sachrichter die Strafmilderung aus unsachlichen Gründen verweigert oder rechtlich erhebliche Gründe nicht oder unrichtig angewandt hat. Dass dies in den vorliegenden Fällen zutreffen würde, machen die Beschwerdeführer mit Recht nicht geltend.
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Darüber hinaus ist festzustellen, dass die meisten der von den Beschwerdeführern herangezogenen Vergleichsfälle anders liegen als die zur Beurteilung stehenden Tramstörungen. Fasnacht, 1. Mai-Umzug, Festumzug der Turnvereine usw. sind Veranstaltungen, die im voraus bekanntgegeben und von den zuständigen Behörden bewilligt werden. Die Verkehrsbetriebe, die Verkehrspolizei und der private Strassenbenützer können sich darauf einrichten und unter Umständen Umleitungskurse wählen. Der Verkehrsbetrieb wird durch solche Veranstaltungen zwar zu Umstellungen veranlasst, aber nicht rechtswidrig verunmöglicht. Die Beschwerdeführer dagegen hatten es nach den Feststellungen der Vorinstanz geradezu darauf angelegt, durch ihre Demonstrationen den Tramverkehrlahmzulegen oder erheblich zu stören, um damit die Fahrgäste sowie die für den Betrieb verantwortlichen Behörden herauszufordern und auf diese Weise die Öffentlichkeit wachzurütteln.Auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit ist es daher nicht zu beanstanden, wenn die in den Beschwerden erwähnten "Störungen" anders behandelt wurden als die Handlungen der Beschwerdeführer.
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Im übrigen ist nicht einzusehen, welchen Einfluss die Unterlassung von Strafsanktionen gegen andere Tramstörer auf die Anwendung von Art. 64 StGB haben könnte. Ob die Beweggründe der Beschwerdeführer achtungswert waren oder nicht, hängt nicht vom mehr oder weniger energischen Eingreifen der Strafverfolgungsbehörden gegenüber andern Störern ab.
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Der Richter kann auf Bestrafung verzichten oder die Strafe nach freiem Ermessen mildern, wenn der Täter aus zureichenden Gründen angenommen hat, er sei zur Tat berechtigt. Die Beschwerdeführer machen geltend, sie hätten angenommen, das Demonstrationsrecht gehe dem Strafgesetz vor. Ihr Verteidiger bemerkt dazu, diese Auffassung sei zwar falsch, für einen Rechtsunkundigen aber ohne weiteres vertretbar, zumal der Tramverkehr auch durch andere Strassenbenützer gestört werde, zum Beispiel durch Fuhrwerke, Fussgänger, Musikkapellen und Trachtengruppen.
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Dass der Tramverkehr gelegentlich auf Fuhrwerke, Umzüge usw. Rücksicht nehmen muss, hat mit der Frage, ob unter Berufung auf das Demonstrationsrecht der Tramverkehr straflos gestört werden dürfe, nichts zu tun.
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Dass die Beschwerdeführer aber jemals angenommen haben sollten, das Strafgesetz finde auf sie keine Anwendung, weil sie durch die Demonstrationsfreiheit geschützt seien, ist durch nichts nachgewiesen und von beiden kantonalen Gerichten verneint worden.
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Das Appellationsgericht stellt weiter verbindlich fest, dass die Angeklagten wiederholt und unzweideutig auf die Unzulässigkeit ihres Verhaltens aufmerksam gemacht worden sind. Die Polizei habe ausserdem am 2. Juli 1969 erfolglos versucht, einem Tramzug den Weg zu bahnen; ein zweiter Versuch sei am 3. Juli 1969 wiederum am Widerstand der Demonstranten gescheitert. Die Beschwerdeführer unterschlagen diese Ausführungen und bestreiten einfach die weitere Feststellung der Vorinstanz, dass im übrigen jedermann wisse, dass der Tramverkehr nicht gestört werden dürfe.
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Diese Vorbringen der Beschwerdeführer sind trölerisch. Es war nicht Sache der kantonalen Gerichte, einen behaupteten Rechtsirrtum zu widerlegen, sondern Sache der Angeklagten, die zureichenden Gründe darzutun, die eine Berufung auf Art. 20 StGB rechtfertigen könnten. Das ist in keinem Abschnitt des Verfahrens geschehen. Die Beschwerdeführer geben in ihrer Beschwerde selbst zu, von der Polizei auf die Unzulässigkeit der Betriebsstörungen hingewiesen worden zu sein. Selbst wenn sie vorher noch wider alles Erwarten im Zweifel über die Rechtslage gewesen wären, konnten sie nach dieser Belehrung durch die zuständigen Behörden nicht mehr in guten Treuen annehmen, zu ihrem Verhalten berechtigt zu sein (BGE 88 IV 123 E. 3, BGE 86 IV 215 E. 5, BGE 83 IV 203). Von Rechtsirrtum kann somit nicht die Rede sein. Anders wäre es nur, wenn die Beschwerdeführer von einer der Polizei übergeordneten Behörde, beispielsweise der Staatsanwaltschaft oder dem Regierungsrat eine eindeutige Erlaubnis erhalten hätten, ihr "Sit-in" durchzuführen. Dass das der Fall gewesen sei, behaupten die Beschwerdeführer aber nicht.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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