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29. Entscheid der Anklagekammer vom 24. Juni 1971 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | |
Regeste |
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB. Bestimmung des Gerichtsstandes. |
2. Voraussetzungen für die nachträgliche Änderung eines von der Anklagekammer festgesetzten oder von den beteiligten Kantonen vereinbarten Gerichtsstandes (Erw. 2 und 3). | |
Sachverhalt | |
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Am 9. Februar 1971 wurde Oppliger auf Ersuchen des Untersuchungsrichters von Nidau in der Erziehungsanstalt Tessenberg unter anderem auch zu den strafbaren Handlungen einvernommen, die Gegenstand der Strafanzeige von Basel bilden. Er bestritt, dass er und Scheidegger einen Mantel, ein Kissen und Storenstoffe gestohlen hätten. Dagegen erklärte er, im entwendeten Wagen habe sich eine Art Blache befunden, die sie im Walde in der Gegend von Zürich, ungefähr 1 km vom Orte entfernt, wo sie den Wagen zurückliessen, abgelegt hätten. Scheidegger konnte am 9. Februar nicht einvernommen werden, denn er war in der Nacht vom 7./8. Februar zum zweiten Male aus der Erziehungsanstalt Tessenberg entwichen.
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Am 17. Februar anerkannte der Generalprokurator des Kantons Bern gegenüber der Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt den bernischen Gerichtsstand. Er führte unter anderem aus, die Beschuldigten hätten den Wagen, an dem sie sich in Orpund zu schaffen machten, etwa um 500-600 m verschoben, ohne jedoch den Motor in Gang setzen zu können. In diesem Falle dürfte nicht mehr von einem blossen Versuch der Entwendung zum Gebrauche gesprochen werden. Ein Diebstahl in Basel könne den Beschuldigten "im heutigen Zeitpunkt" nicht nachgewiesen werden. In den Kantonen Bern und Basel-Stadt ständen somit gleichartige Verfehlungen zur Beurteilung. Deshalb und weil die beiden Beschuldigten auf der Flucht aus einer bernischen Erziehungsanstalt handelten, sei die Gerichtsbarkeit des Kantons Bern anzuerkennen. Dies jedoch unter dem Vorbehalt, dass sich im Laufe des weiteren Verfahrens nicht neue, die örtliche Zuständigkeit beeinflussende Gesichtspunkte ergäben.
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Am 22. März wurde der neuerdings in die Erziehungsanstalt Tessenberg eingewiesene Scheidegger einvernommen. Er erklärte, in dem in Basel entwendeten Wagen hätten sich ein weisser Mantel und eine Art Blache befunden. Er und Oppliger ![]() | 4 |
Am 15. April wurde Scheidegger im Auftrage des Untersuchungsrichters von Nidau in der Anstalt Tessenberg über seine zweite Flucht einvernommen. Er sagte aus, er und drei weitere mit ihm entwichene Zöglinge hätten am 8. Februar in Le Landeron einen Personenwagen entwendet und seien damit nach Marseille gefahren. Dort habe er am Abend des 9. Februar bei einem Gärtnerhäuschen ein Paar Lederhandschuhe entdeckt und sie an sich genommen. Am Abend des 10. Februar seien er und seine Begleiter in der Gegend von Toulon festgenommen worden. In der Folge habe man sie in die Schweiz zurückgeführt.
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Am 23. April berief sich der Generalprokurator des Kantons Bern gegenüber der Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt auf das Geständnis Scheideggers vom 22. März, aus dem in Basel entwendeten Wagen einen Mantel gestohlen zu haben. Er machte unter Berufung auf einen Entscheid der Anklagekammer des Bundesgerichtes vom 13. Oktober 1970 i.S. Michel geltend, Begehungsort dieses Diebstahls sei in erster Linie Basel, wo der Wagen weggenommen wurde. Deshalb dürften nun die Behörden des Kantons Basel-Stadt zuständig sein, und zwar gemäss Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB, eventuell gemäss Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2, wenn die Wegnahme eines Personenwagens in Le Landeron als Diebstahl gewürdigt werden müsse.
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Am 25. Mai antwortete die Jugendanwaltschaft Basel-Stadt, sie verneine die Zuständigkeit der Behörden dieses Kantons. Sie machte geltend, es beständen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschuldigten bei der Behändigung des Wagens in Basel nicht nur diesen, sondern auch die sich darin befindenden Gegenstände wegnehmen wollten. Scheidegger habe sich erst beim Verlassen des Wagens in Dielsdorf entschlossen, sich den Mantel anzueignen. Deshalb dürften die Behörden des Kantons Zürich zur weiteren Behandlung dieses Falles zuständig sein.
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B.- Mit Eingabe vom 18./22. Juni 1971 beantragt der Generalprokurator des Kantons Bern der Anklagekammer des Bundesgerichtes, die Behörden des Kantons Basel-Stadt, eventuell jene des Kantons Zürich zur Verfolgung und Beurteilung ![]() | 8 |
Die Anklagekammer zieht in Erwägung: | |
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Dazu kommt, dass der Gerichtsstand nicht davon abhängt, was dem Beschuldigten schliesslich nachgewiesen werden kann. Er richtet sich nach den strafbaren Handlungen, die durch die Strafverfolgung abgeklärt werden sollen, d.h. Gegenstand der Untersuchungen bilden, es wäre denn, dass sich die massgebende Beschuldigung von vornherein als haltlos erweise (BGE 71 IV 167,BGE 74 IV 125, BGE 87 IV 44, BGE 88 IV 44, BGE 91 IV 55). Der Diebstahl an einem Mantel, einem Polsterkissen und Storenstoff bildete Gegenstand der in Basel angehobenen und vom Untersuchungsrichter von Nidau fortgesetzten Untersuchung, ohne ![]() | 10 |
Der Generalprokurator des Kantons Bern hätte daher den Gerichtsstand dieses Kantons - unter Hinweis auf den Entscheid der Anklagekammer vom 13. Oktober 1970 i.S. Michel - mit der Begründung ablehnen können, für die Verfolgung des Diebstahls an den im Wagen befindlichen Sachen sei Basel zuständig, wo der Wagen weggenommen und schon am 6. Januar 1971 wegen Diebstahls Strafanzeige erstattet worden war. Nachdem er sich am 17. Februar 1971 mit der Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, wenn auch unter einem Vorbehalt, auf den Gerichtsstand Bern geeinigt hat, geht die Berufung auf den Entscheid i.S. Michel jedoch fehl, weil nun über die nachträgliche Änderung eines vorläufig anerkannten Gerichtsstandes zu entscheiden ist.
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Ob ein triftiger Grund vorliegt, beurteilt sich nach objektiven Gesichtspunkten, nicht nach den Überlegungen und Vorstellungen der Behörde, die den Gerichtsstand anerkannte.
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Im vorliegenden Falle lautete der Vorbehalt des Generalprokurators des Kantons Bern dahin, "dass sich im Laufe des weiteren Verfahrens nicht neue, die örtliche Zuständigkeit beeinflussende Gesichtspunkte ergäben". Dieser Vorbehalt schliesst eine blosse "revisio in iure" des Gerichtsstandsbeschlusses vom 17. Februar aus. Der Umstand, dass der Generalprokurator damals annahm, der Diebstahl könne den Beschuldigten "im heutigen Zeitpunkt" nicht nachgewiesen werden, und er diesen Nachweis nunmehr für möglich hält, ist kein triftiger Grund zur Änderung des Gerichtsstandes, da dieser schon damals richtigerweise nicht von der Möglichkeit des Schuldbeweises, sondern von den erhobenen Beschuldigungen abhing. Nur neue Beschuldigungen, die sich auf erst nach dem 17. Februar ausgeführte oder den Behörden bekannt gewordene Handlungen stützen, können allenfalls Anlass zu einer Änderung des Gerichtsstandes geben.
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Neu bekannt geworden ist sodann der Diebstahl an einem Paar Handschuhen, den Scheidegger am 9. Februar in der Gegend von Marseille verübt haben will. Da Scheidegger Schweizer ist und sich in der Schweiz befindet, muss er für diese Tat in der Schweiz verfolgt werden (Art. 6 StGB). Aber auch dieser Umstand bildet keinen triftigen Grund zur Verschiebung des Gerichtsstandes nach Basel oder Zürich. Im Ausland verübte strafbare Handlungen sind in der Schweiz am Wohnort des Täters und subsidiär an dessen Heimatort zu verfolgen ![]() | 17 |
Demnach erkennt die Anklagekammer:
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