![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
3. Urteil des Kassationshofes vom 3. März 1972 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Lutz. | |
Regeste |
1. Art. 272 Abs. 1 und 2 BStP. Massgebende Urteilseröffnung für die Staatsanwaltschaft im Kanton Zürich (Erw. 1). | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
2. Am Abend des 27. November 1970 traf Lutz in Bonaduz seinen Bekannten Spadin. Beide genossen reichlich Alkohol. Morgens um 4 Uhr beschlossen sie, weitere Gaststätten aufzusuchen.
| 2 |
![]() | 3 |
B.- Am 15. Juni 1971 verurteilte das Bezirksgericht Zürich
| 4 |
- Spadin wegen fahrlässiger Körperverletzung im Sinne von Art. 125 Abs. 2 StGB, Fahrens in angetrunkenem Zustand im Sinne von Art. 91 Abs. 1 SVG und Fahrens ohne Führerausweis im Sinne von Art. 95 Ziff. 2 SVG zu 6 Monaten Gefängnis und Fr. 100.-- Busse;
| 5 |
- Lutz wegen fahrlässiger Körperverletzung im Sinne von Art. 125 Abs. 1 und 2 StGB, Fahrens in angetrunkenem Zustand im Sinne von Art. 91 Abs. 1 SVG und Gehilfenschaft zum Fahren in angetrunkenem Zustand zu 5 Monaten Gefängnis.
| 6 |
Das Gericht ordnete in beiden Fällen die Veröffentlichung des Urteils an.
| 7 |
Auf Appellation der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft bestätigte das Obergericht am 24. September 1971 im Falle Spadin den Schuldspruch der ersten Instanz sowie die ausgefällte Busse und erhöhte die Freiheitsstrafe auf 9 Monate Gefängnis. Lutz wurde der fahrlässigen Körperverletzung im Sinne von Art. 125 Abs. 1 StGB und des wiederholten Fahrens in angetrunkenem Zustand im Sinne von Art. 91 Abs. 1 SVG schuldig erklärt und zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt. Das Obergericht bestätigte in beiden Fällen die Urteilspublikation.
| 8 |
C.- Gegen diesen Entscheid führt die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung von Lutz wegen fahrlässiger Körperverletzung im Sinne von Art. 125 Abs. 2 StGB an die Vorinstanz zurückzuweisen.
| 9 |
![]() | |
10 | |
Rechnet man die mündliche Eröffnung als für den Fristenlauf massgebend, so ist die Beschwerdeanmeldung verspätet. Stellt man dagegen auf die schriftlichen Mitteilungen an die Staatsanwaltschaft ab, so sind die Fristen eingehalten.
| 11 |
Nach Art. 272 Abs. 1 BStP bestimmt das kantonale Recht, welche Eröffnung für den Fristenlauf massgebend ist. Die Beschwerdeführerin beruft sich für ihre Auffassung, wonach die schriftliche Zustellung des motivierten Urteils entscheidend sei, auf einen Entscheid des kantonalen Kassationsgerichtes, aus dem hervorgeht, dass nach § 431 der Zürcher StPO die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde innert 5 Tagen nach der Eröffnung des Urteils angemeldet und nach Zustellung des begründeten schriftlichen Urteils innert einer vom Präsidenten anzusetzenden Frist von 10 Tagen begründet werden muss; war die Staatsanwaltschaft bei der mündlichen Eröffnung nicht anwesend, so beginnt für sie die Frist zur Begründung der Nichtigkeitsbeschwerde mit der Zustellung des motivierten Urteils. Einer besonderen Anmeldung innert einer bereits vorher ablaufenden Frist bedarf es nicht.
| 12 |
Sollte die Staatsanwaltschaft aus diesem Urteil ableiten, auch eine eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde brauche von ihr nicht angemeldet zu werden, und es genüge die Einreichung einer begründeten Beschwerdeschrift innert 20 Tagen nach Zustellung des schriftlich motivierten Entscheides, so wäre diese Auffassung als unzutreffend abzulehnen. Weder das kantonale Prozessrecht noch das für dessen Auslegung zuständige Kassationsgericht vermöchten das in Art. 272 BStP geordnete Rechtsmittelverfahren für die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde zugunsten des öffentlichen Anklägers abzuändern. Das Hauptgewicht des Kassationsgerichtsurteils liegt offenbar im Hinweis auf § 203 GVG in der neuen Fassung von 1967. Danach wird nun in allen Fällen der Staatsanwaltschaft ein schriftliches Urteilsdispositiv zugestellt, gleichgültig, ob sie an ![]() | 13 |
14 | |
Demgegenüber gelangte das Obergericht hinsichtlich der schweren Körperverletzung zu einem Freispruch. Mittäterschaft erfordere ein vorsätzliches Handeln. Nichts deute darauf hin, dass Lutz und Spadin eine schwere Körperverletzung begehen wollten. Lutz sei nur Mittäter bei Führen eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand, was den Tatbestand des Überlassens des Fahrzeuges an einen Fahrunfähigen miterfasse. Er habe nur eine abstrakte Gefährdung voraussehen können.
| 15 |
Was die Meinung des Obergerichts betrifft, die Mittäterschaft bei Fahren in angetrunkenem Zustand umfasse das gesamte tatbestandsmässige, rechtswidrige und schuldhafte ![]() | 16 |
Im vorliegenden Fall ist nicht auszuschliessen, dass Spadin morgens um 4 Uhr nur infolge des genossenen Alkohols fahruntüchtig war, mittags in Zürich aber ausserdem noch unter erheblichem Schlafmangel litt. Spadin selbst hat behauptet, er sei im Zeitpunkt des Unfalls übermüdet gewesen. Er hatte immerhin seit ca. 30 Stunden nicht mehr geschlafen. Aus diesem Umstand erhellt, dass das Überlassen des Autos an den fahrunfähigen Spadin nicht bereits im Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem Zustand mitenthalten ist.
| 17 |
18 | |
a) Die natürliche Kausalität ist nicht bestritten. Hätte Lutz das Steuer seines Wagens nicht seinem Kollegen Spadin überlassen, so wäre dieser nicht in angetrunkenem Zustand nach Zürich gefahren. In der Überlassung des Wagens und der von Lutz jedenfalls mitbestimmten Fahrt liegt somit eine natürliche Ursache des Unfalles. Das Verhalten von Lutz hat zum Eintritt des Unfallerfolges beigetragen. Dass es nicht die einzige Ursache war, ist ohne Belang (BGE 91 IV 187 mit Verweisungen).
| 19 |
b) Was die Frage des adäquaten Kausalzusammenhanges betrifft, so schweigt sich das Obergericht darüber aus. Nach verbindlicher Feststellung der Vorinstanz haben sich Lutz und ![]() | 20 |
21 | |
Pflichtgemässe Vorsicht und Überlegung hätten ihn schon vom Antritt der Fahrt abhalten sollen. Steht doch nach dem angefochtenen Urteil fest, dass Lutz und Spadin sich "mit direktem Vorsatz" zur gemeinsamen Fahrt nach Zürich entschlossen, obschon sie sich ihres angetrunkenen Zustandes bewusst waren. Lutz fällt somit zur Last, dass er es als Fahrzeughalter in Kauf nahm, dass ein betrunkener Führer seinen Wagen lenkte. Hinsichtlich des Willens, nach Zürich zu fahren, ist ergänzend zu den vom Obergericht gemachten Ausführungen festzuhalten, dass der Vorsatz zur Fahrt sich nicht im ersten Entschluss morgens um 4 Uhr erschöpfte, sondern im Verlaufe des Vormittags immer wieder von neuem in Erscheinung trat, wenn Lutz und Spadin eine der besuchten Wirtschaften verliessen und sich auf die Weiterfahrt begaben.
| 22 |
Der Vorwurf der Fahrlässigkeit trifft Lutz weiter deswegen, weil er die Gefahr eines Fehlverhaltens seines Kollegen erkannte oder bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit hätte erkennen können. Die Vorinstanz nimmt an, Lutz habe zwar die erhebliche, während der langen Fahrt durch den angetrunkenen Lenker ![]() | 23 |
Wahrscheinlicher ist, dass das Obergericht mit der oben wiedergegebenen Stelle zum Ausdruck bringen wollte, Lutz habe zwar jederzeit mit einer abstrakten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer rechnen müssen, nur gerade die konkrete Verletzung der Fussgängerin Zörgiebel habe er nicht voraussehen können. In einer solchen Argumentation liegt jedoch eine Verkennung des Fahrlässigkeitsbegriffs. Schon die allgemein bekannte Tatsache, dass ungenügende Nachtruhe und reichlich genossener Alkohol im allgemeinen einen Zustand der Fahrunfähigkeit schaffen, hätte Lutz davon abhalten sollen, Spadin das Steuer seines Wagens zu überlassen. Die möglichen Folgen seines Verhaltens zu bedenken war er umsomehr verpflichtet, als er sich nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz der Fahruntüchtigkeit Spadins bewusst war. Lutz erkannte überdies während der Fahrt die abstrakte Gefährdung der übrigen Verkehrsteilnehmer. Als Fahrzeughalter war er verpflichtet, seinen Kollegen vom Führen des Wagens abzuhalten, und bei pflichtgemässer Überlegung hätte er sich sagen müssen, dass angesichts des Zustandes von Spadin sich die Gefahr eines Zusammenstosses mit einem Fussgänger jederzeit verwirklichen könne, ja sogar, dass diese Möglichkeit nahe lag. Ob er hätte bedenken können und sollen, dass sich die Ereignisse gerade so abspielen würden, wie sie sich dann zugetragen haben, ist unerheblich ![]() | 24 |
5. Fehl geht die Annahme der Vorinstanz, dem Halter eines Motorfahrzeuges sei bei Überlassung desselben an einen angetrunkenen Lenker die von diesem verursachte Körperverletzung nur dann als Fahrlässigkeit anzulasten, wenn das Gesetz dies ausdrücklich sage; das ergebe sich beispielsweise aus Art. 93 Ziff. 2 Abs. 2 SVG und Art. 96 Ziff. 2 SVG. Bei diesen Bestimmungen geht es um die Frage, wie weit neben dem Fahrzeuglenker auch der Halter haftet, wenn er es wissentlich oder aus Nachlässigkeit duldet, dass ein nicht betriebssicheres, nicht versichertes oder nicht mit gültigen Kontrollschildern ausgerüstetes Fahrzeug geführt wird. Diese Regeln umschreiben nur die strafrechtliche Mitverantwortlichkeit des Halters an der strafbaren Fahrzeugbenützung durch den Dritten. Insoweit entsprechen sie Art. 2 Abs. 1 VRV in Verbindung mit Art. 31 Abs. 2 SVG. Von den möglichen Folgen des unerlaubten Fahrens mit dem ungenügend ausgerüsteten Fahrzeug und von der Verantwortlichkeit von Lenker und Halter hiefür ist jedoch auch in den Art. 93 und 96 SVG nicht die Rede. Der Vergleich der Vorinstanz mit diesen Bestimmungen ist indessen in anderer Hinsicht zutreffend. Wer als Halter sein Fahrzeug einem fahrunfähigen Lenker überlässt, macht sich im Sinne von Art. 2 Abs. 1 VRV strafbar; dasselbe gilt für den Halter, der sein nicht betriebssicheres Fahrzeug (ungenügende Bremsen, Bereifung, Beleuchtung usw.) durch einen Dritten lenken lässt. Verursacht der Lenker einen Unfall, der auf seine Fahrunfähigkeit (im Falle des Art. 2 Abs. 1 VRV) oder auf die Fahruntüchtigkeit des Fahrzeuges (im Falle des Art. 93 SVG) zurückzuführen ist, und hätte der Halter diese Folge bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit voraussehen können, so ist dieser wegen fahrlässiger Körperverletzung, fahrlässiger Tötung usw. zu bestrafen. Einer ![]() | 25 |
Demnach erkennt der Kassationshof:
| 26 |
27 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |