BGE 98 IV 41 | |||
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8. Urteil des Kassationshofes vom 11. Februar 1972 i.S. Rieder gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | |
Regeste |
Art. 285 Ziff. 1 StGB. |
2. Begriff der rechtswidrigen Amtshandlung (Erw. 4 b). |
Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 StGB. |
1. Weite Auslegung der Gewalttat des zusammengerotteten Haufens (Erw. 5). |
2. Umschreibung des Teilnehmers an der Zusammenrottung (Erw. 6). |
Art. 64, 34, 20 und 19 StGB. |
Voraussetzungen für mildernde Umstände, Notstand, Rechts- und Tatirrtum (Erw. 7-8). | |
Sachverhalt | |
A.- Nachdem der Stadtrat von Zürich am 27. Juni 1968 die ultimative Forderung einer Gruppe "Fortschrittlicher Arbeiter, Schüler und Studenten" sowie des "Aktions-Komitees Autonomes Jugendzentrum" um Überlassung des Globus-Provisoriums an der Bahnhofbrücke (oder eines entsprechenden anderen Gebäudes im Stadtzentrum) abgelehnt hatte, ereigneten sich in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni 1968 im Raume Bahnhofplatz - Bahnhofbrücke - Central und im Raume Bellevue - Bürkliplatz schwere Zusammenstösse zwischen meist jugendlichen Demonstranten und den Ordnungskräften der Polizei.
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Hans-Rudolf Rieder wurde am Samstag abend auf der Heimfahrt durch die Menschenmenge beim Central zur Umkehr gezwungen. Er parkierte seinen Wagen im Niederdorf und begab sich aus Neugierde gegen 23.00 Uhr von der Zähringerstrasse her zu den Demonstranten auf der Bahnhofbrücke und am Central. Er schloss sich der Menge an, drängte sich nach vorn und verweilte rund eine halbe Stunde in der Masse der Demonstranten. Dabei beobachtete er, wie die Menge in Auseinandersetzungen mit der anwesenden Polizei begriffen war und wie gegen die Ordnungskräfte, die Wasser spritzten und Ausfälle in den Haufen unternahmen, feste und gefährliche Gegenstände geworfen wurden, um ihnen die befohlene Räumung des Platzes zu verunmöglichen. Er hatte gehört, dass es bei der Demonstration um das Globus-Provisorium gehe, welches die kommunistische Jugend übernehmen wolle. Als Rieder einen Wasserstrahl erhielt, begab er sich in ein Restaurant, um sich zu trocknen. Etwa um 24.00 Uhr steckte er am Hirschengraben einige Steine in die Taschen, um sie allenfalls gegen Polizisten werfen zu können. Darauf näherte er sich beim Central erneut dem Haufen der Demonstranten, die sich immer noch in tätlicher Auseinandersetzung mit der Polizei befanden. Als einige Polizisten einem Teilnehmer der Zusammenrottung am Eingang des Niederdorfes nachliefen, um ihn zu verhaften, stellte Rieder einem von ihnen das Bein und versuchte so, den Beamten zu Fall zu bringen.
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B.- Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich sprach Rieder mit Urteil vom 8. September 1970 der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte im Sinne von Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von 14 Tagen unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren.
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C.- Gegen das Urteil des Obergerichts erhob der Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht und beantragte, es sei der angefochtene Entscheid wegen Verletzung von Art. 285 Ziff. 2, Art. 64, Art. 34, Art. 20 und Art. 19 StGB aufzuheben und zu neuer Entscheidung an die kantonale Behörde zurückzuweisen.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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a) Wie die Vorinstanz zutreffend erwähnt, kommt es nach der älteren bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht darauf an, ob die Handlung, an welcher der Täter den Beamten durch Gewalt oder Drohung hindert oder während deren Vornahme er ihn tätlich angreift, materiell berechtigt ist. Es genügt, dass sie Amtshandlung ist, d.h. innerhalb der Amtsbefugnis des Beamten liegt. Innerhalb seiner Amtsbefugnis handelt der Beamte nach jener Auffassung, wenn er den Befehl einer ihm vorgesetzten Behörde ausführt, die an sich zur Anordnung der fraglichen Tat zuständig ist, oder wenn ihm selbst eine solche Befugnis zukommt. Trifft das zu, so hat der Betroffene sich der Amtshandlung zu unterziehen, unter Vorbehalt des Rechtsweges, der ihm allenfalls zusteht, um ihre Gesetzmässigkeit abklären zu lassen. Er darf sich ihr nicht mit Gewalt oder Drohung widersetzen oder den Beamten bei ihrer Vornahme tätlich angreifen. Tut er das trotzdem, macht er sich nach Art. 285 StGB strafbar, und der Strafrichter hat nicht zu entscheiden, ob die Handlung des Beamten materiell rechtmässig gewesen sei, sondern nur, ob sie innerhalb der Amtsbefugnis des Beamten gelegen habe, d.h. ob dieser zuständig gewesen sei (BGE 74 IV 61, BGE 78 IV 118). Im Gegensatz zu ausländischen Rechtsordnungen erfüllte somit in der Schweiz nach dieser Praxis auch Widerstand gegen nicht formgerechtes Handeln des Beamten den Straftatbestand (SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. A. S. 489).
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Auch nach der älteren deutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung war jeder staatliche Befehl, selbst der erkanntermassen rechtswidrige, im Bereiche, wo nur die Ordnung des öffentlichen Verkehrs im Verhältnis zur Versammlungsfreiheit in Frage stand, vom Betroffenen zunächst zu befolgen. Solche Befehle deckten die Beamten auch dann, wenn die nachträgliche Prüfung ergab, dass der Vorgesetzte die Rechtslage verkannt hatte. Zur Prüfung der Rechtmässigkeit des Befehls waren die Beamten weder berechtigt noch verpflichtet (BGHSt 4, 1954, S. 162). Anders verhält es sich seit der Revision des § 113 des deutschen Strafgesetzbuches vom 20. Mai 1970.
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b) Zur Begründung seiner Auffassung beruft sich der Beschwerdeführer vor allem auf HEGNAUER, Zur Strafbarkeit der Widersetzlichkeit gegen Amtshandlungen, 52 SJZ 1956 S. 104, wonach eine Amtshandlung nur dann innerhalb der Amtsbefugnis liegt, wenn sie durch Gesetz und Amtspflicht geboten ist und keinen unrechtmässigen Angriff auf den Bürger darstellt. Im Falle der unmittelbaren Gesetzesvollziehung müssen dabei nach diesem Autor die im Gesetz im einzelnen umschriebenen Voraussetzungen erfüllt sein. Irrt sich der Beamte in den Voraussetzungen, die von ihm eine wertende Tätigkeit erfordern, so wird seine Amtshandlung allerdings noch nicht unrechtmässig, solange sie auf pflichtgemässer und sachlich vertretbarer Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen beruht. Erst wenn die Grenzen des Ermessens eindeutig überschritten sind, kann nach Hegnauer von einer unrechtmässigen Amtshandlung gesprochen werden.
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Das Bundesgericht hat sich dieser Auffassung genähert. Nachdem schon der Gesetzgeber die Möglichkeit ins Auge gefasst hatte, im Falle sachlich ungerechtfertigter Amtshandlungen die Strafe nach freiem Ermessen zu mildern oder von einer Bestrafung ganz abzusehen (Prot. 2. ExpKom V 163 und VI 77), hat der Kassationshof in BGE 74 IV 63 zunächst die Frage aufgeworfen, ob der Schutz von Amtshandlungen gegen Hinderung vorbehaltlos auch dann zu gewähren sei, wenn die Massnahme, zu deren Vollzug der Beamte befohlen ist, offenkundig widerrechtlich ist. In BGE 95 IV 175 E 3 führte das Bundesgericht sodann aus, der Betroffene habe sich ihr zu unterziehen, jedenfalls dann, wenn ihre Rechtswidrigkeit nicht offensichtlich sei. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Rechtswidrig ist somit eine Amtshandlung, wenn die Behörde oder der Beamte zu ihrer Vornahme sachlich oder örtlich unzuständig ist, wenn wesentliche Formvorschriften nicht beachtet werden oder wenn bei Ermessenentscheidungen das Ermessen missbraucht oder überschritten wird, also beispielsweise wenn der Grundsatz der Verhältnismässigkeit polizeilicher Eingriffe missachtet wird (BGE 91 I 321, BGE 92 I 35 und dort zitierte Entscheide).
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Gegen solche Amtshandlungen stehen dem Betroffenen in erster Linie die Rechtsmittel zur Verfügung. Nur wo von diesen von vorneherein kein wirksamer Schutz zu erwarten ist, lässt sich - ähnlich wie beim Notstand nach Art. 34 StBG - der gewalttätige Widerstand rechtfertigen (vgl. JOSEF BRUNNER, Widersetzlichkeit und Aufreizung zur Widersetzlichkeit nach den Gesetzgebungen der Kantone Basel-Stadt und -Landschaft und der Eidgenossenschaft, S. 64; BVerfGE 5, 1956, S. 377). Voraussetzung ist aber in jedem Falle, dass die Widerrechtlichkeit der Amtshandlung offensichtlich sei und dass der Widerstand der Bewahrung oder Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes diene. Gebricht es daran oder ist die Widerrechtlichkeit der Amtshandlung auch bloss zweifelhaft, so fehlt es an der besonderen Ausnahmesituation, die den gewalttätigen Widerstand zu rechtfertigen vermag.
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Diese Rechtslage gilt für jede Art polizeilicher Eingriffe. Es besteht kein Anlass, Teilnehmern einer Demonstration ein weitergehendes Widerstandsrecht zuzubilligen als Personen, die in ihrer persönlichen Freiheit (Verhaftung) oder in ihrem Hausrecht (Hausdurchsuchung) usw. betroffen werden.
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c) Der Beschwerdeführer macht geltend, beim Globuskrawall hätten die Demonstranten sich den Anordnungen der Polizei widersetzen dürfen, weil die Aktion von den Verwaltungsspitzen direkt geleitet worden sei.
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Demgegenüber räumt die Beschwerde selbt ein, dass ein Bürger sich nicht tätlich widersetzen dürfe, wenn ein Polizist einfach seine Pflicht erfülle und gar nicht in der Lage sei, die rechtliche und tatsächliche Begründetheit eines ihm von der vorgesetzten Behörde erteilten Befehls zu überprüfen. Damit wird sinngemäss anerkannt, dass die einzelnen Polizisten, die am 29. und 30. Juni 1968 befehlsgemäss durch Wasserwerfer und Brachialgewalt die Menge vertreiben wollten, innerhalb ihrer Amtsbefugnis gehandelt haben. Gewalttätigkeiten, die sich gegen die ausführenden Polizeileute richteten, waren demnach gemäss Art. 285 StGB strafbar. Dabei ist gleichgültig, ob die Polizei ihre Befehle im voraus erhalten hatte, ob sie ihr im Laufe der Aktion durch Funk oder andere Übertragungsmittel von einer Zentrale aus erteilt wurden oder ob die Polizeioffiziere und allenfalls der zuständige Stadtrat den Einsatz von einem Balkon aus durch Lautsprecher leiteten. Bei jeder dieser Möglichkeiten beschränkten sich die Führungsspitzen auf die Befehlsausgabe und die Polizei auf deren pflichtgemässe Ausführung. Nicht gedeckt sind dabei selbstverständlichjene unentschuldbaren Brutalitäten, die einige Polizisten bei den Globuskrawallen in Überschreitung der Befehlsvollziehung begingen.
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Aber auch wenn man die gegen die Führungsspitzen selbst gerichteten Handlungen in Betracht zieht oder den ganzen gewaltsamen Widerstand als gegen die Anordnung des Stadtrates und der Polizeioflìziere gerichtet betrachten wollte, erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Die Vorinstanz hat für den Kassationshof verbindlich festgestellt, dass der Stadtrat und die Stadtpolizei kantonalrechtlich im Rahmen ihrer Zuständigkeit gehandelt haben und dass ihre Kompetenzen nach zürcherischem Recht nicht durch ein behauptetes Demonstrationsrecht des Bürgers beschränkt waren. Das Obergericht verwies im weitern zutreffend auf die bundesgerichtliche Praxis, wonach die durch die Bundesverfassung geschützten Freiheitsrechte, wie die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit, nur im Rahmen der gesetzlichen Ordnung garantiert sind und kein Recht zur Störung der öffentlichen Sicherheit, des öffentlichen Verkehrs und des privaten Eigentums gewähren (BGE 91 I 321, BGE 92 I 31 und dort zitierte Entscheide). Hinsichtlich der Angemessenheit der polizeilichen Massnahmen stellte die Vorinstanz fest, dass die Handlungen der Polizei, mit Ausnahme jener einzelnen Übergriffe, angesichts der gespannten Lage verhältnismässig gewesen seien. Zwar waren die Meinungen darüber sowohl im zürcherischen Parlament wie in Kommentaren der Massenmedien und des Publikums geteilt. Noch während des Gerichtsverfahrens bestand eine gewisse Unsicherheit in dieser Richtung. Daraus ergibt sich jedoch, dass die Frage der behaupteten Unverhältnismässigkeit zumindest zu Zweifeln Anlass gab. Dann aber war das Verhalten der Zürcher Polizei nicht offensichtlich rechtswidrig.
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In BGE 70 IV 220 hat das Bundesgericht ausgeführt, es hängevon den Umständenab, wieviele PersonendieAnsammlung umfassen müsse, damit die Tat als von einem Haufen begangen erscheine. In seinem Entscheid vom 22./25. Februar 1971 in Sachen Ackermann et cons. ("Groupe Bélier") erklärte das Bundesstrafgericht sodann, die Gewalttat, die von einem Haufen verübt oder angedroht wird, müsse weit ausgelegt werden, weil die Zusammenrottung an sich schon eine Bedrohung für den öffentlichen Frieden darstelle.
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Ob die ganze vieltausendköpfige Ansammlung jenes Abends als einheitlicher Haufen im Sinne des Art. 285 Ziff. 2 StGB zu betrachten ist, kann somit dahingestellt bleiben. Sicher ist, dass der Beschwerdeführer sich an Stellen aufgehalten hat, wo die Menge der Polizei gewalttätigen Widerstand leistete. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung waren jedenfalls in diesem Bereiche die Voraussetzungen des Art. 285 Ziff. 2 StGB erfüllt.
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Begeht ein zusammengerotteter Haufen die in Art. 285 Ziff. 1 StGB umschriebenen Handlungen, so macht sich nach Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 jeder Teilnehmer an der Zusammenrottung strafbar. Nicht erforderlich ist, dass er selbst aktiv gehandelt hat. Die Gewalttätigkeit ist nur Strafbarkeitsbedingung, braucht also vom Vorsatz nicht erfasst zu werden (HAFTER, Bes. Teil S. 722; LOGOZ, Commentaire, partie spéciale S. 662; PETRZILKA, Zürcher Erläuterungen zum Schweizerischen Strafgesetzbuch, S. 399).
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Das Bundesgericht hat in BGE 70 IV 221 und seither in ständiger Rechtsprechung erklärt, Teilnehmer sei, wer bewusst und gewollt sich der Zusammenrottung zugesellt oder in ihr verbleibt, obschon er die vom Haufen begangene Tat kennt und sie als Tat des Haufens billigt. Die Anwesenheit als solche werde bestraft, weil sie zum mindesten die Psyche der Masse nachteilig beeinflussen und damit gefährlich wirken könne. Ob sie im einzelnen Falle wirklich die Tat des Haufens physisch und psychisch fördere, sei unerheblich. Daher sei es auch nicht nötig, dass der Teilnehmer mit seiner Anwesenheit eine solche Förderung bezwecke. Die Billigung genüge.
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Diese Begründung wurde von der Literatur kommentarlos übernommen (LOGOZ, a.a.O. 662; SCHWANDER, a.a.O. 490; GERMANN, Textausgabe des StGB zu Art. 285). Auch die kantonale Praxis hält sich im allgemeinen daran, insbesondere die Vorinstanz. Eine abweichende Meinung vertritt das Geschworenengericht des Kantons Zürich im Urteil vom 18. Dezember 1970 gegen Werner Strebel. Danach wären nur solche Personen strafbar, die durch ihre besondere Aktivität den Widerstand fördern. Diese Auffassung widerspricht dem Wortlaut des Art. 285 StGB. Selbst wenn man aber von ihr ausginge, so wäre im vorliegenden Fall die Teilnahme zu bejahen, weil die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich nur gegen solche Personen Anklage erhoben hat, die entweder selbst Gewalt anwandten oder durch ihr Verhalten in anderer Weise zum Ausdruck brachten, dass sie die Tat des Haufens billigten. Das trifft auch für den Beschwerdeführer zu. Die Vorinstanz stellt fest, dass Rieder um 24.00 Uhr mehr als kurze Zeit sich dem Haufen beigesellte, aus dem heraus nach wie vor Gewalttätigkeiten gegen die Polizei verübt wurden und dass er zugegebenermassen das Gefühl gehabt habe, als Glied einer Menge zu handeln. Die Umstände, dass der Beschwerdeführer Steine mit sich nahm, um sie nötigenfalls gegen die Polizei zu schleudern und dass er einem Polizisten das Bein stellte, bekunden hinreichend die Billigung der Gewalttätigkeiten des Haufens durch ihn. Im übrigen betrifft die Billigung einer Handlung einen inneren Tatbestand. Die entsprechende Feststellung der Vorinstanz ist somit für den Kassationshof verbindlich. Sie kann vom Beschwerdeführer nicht angefochten werden (Art. 273 Abs. 1 lit. b, Art. 277bis BStP). Die Vorinstanz hat kein Bundesrecht verletzt, wenn sie das Verhalten Rieders als Teilnahme im Sinne des Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 StGB würdigte, zumal zu seinen Gunsten das Beinstellen nicht als eigentliche Gewalthandlung gemäss Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2 betrachtet wurde.
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Es erscheint zunächst fraglich, ob der Angeklagte sich im kantonalen Verfahren rechtsgenüglich auf Art. 64 StGB berufen hat oder dies unzulässigerweise erst mit der Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht tut. Jedenfalls ist die Rüge materiell unbegründet. Selbst wenn die Voraussetzungen dieser Bestimmung im vorliegenden Fall erfüllt wären, d.h. wenn die Polizei durch ungerechte Reizung oder Kränkung so ernstlich zu der strafbaren Handlung des Täters Anlass gegeben hätte, dass Rieder dafür nicht die volle Verantwortung treffen würde, stellen Art. 64/65 StGB es ins Ermessen des Richters, ob er die Strafe mildern will (nicht veröffentlichter Entscheid des Kassationshofes vom 2. Mai 1968 i.S. Marciello). Das muss nicht jedesmal schon dann geschehen, wenn eine der in Art. 64 StGB genannten Voraussetzungen erfüllt ist, sondern nur, wenn sich ausserdem die mildere Strafe, welche dann ausgefällt werden muss, rechtfertigt (vgl. BGE 92 IV 203 f, BGE 83 IV 189, BGE 71 IV 79). Nach BGE 90 IV 154 E. 4 kann der Richter dem Strafmilderungsgrund auch bloss innerhalb des angedrohten ordentlichen Strafrahmens Rechnung tragen, wenn er findet, dass die Umstände des Falles eine Milderung nicht rechtfertigen. Die Vorinstanz hat von diesem Ermessen Gebrauch gemacht, ohne es zu überschreiten, indem sie entgegen dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft, lautend auf 21 Tage Gefängnis, die Strafe auf 14 Tage festsetzte. Art. 64/65 StGB wären nur verletzt, wenn das Urteil die Voraussetzungen einer Milderung in einer mit dem Gesetz unvereinbaren Weise begründet oder verneint oder wenn es trotz Bejahung der Voraussetzungen die Milderung in Überschreitung des pflichtgemässen Ermessens verweigert hätte (BGE 95 IV 63 E. 2). Da dies im vorliegenden Fall nicht zutrifft, hält die Beschwerde auch in diesem Punkt nicht stand.
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a) Nach Art. 34 StGB besteht eine Notstandslage dann, wenn die Gefahr, die dem zu rettenden Gut droht, unmittelbar, d.h. weder vergangen noch künftig, sondern gegenwärtig und nicht anders abzuwenden ist (BGE 75 IV 51). Damit die Notstandstat straflos bleibe, darf die Gefahr nicht vom Täter verschuldet und die Preisgabe des gefährdeten Gutes diesem nicht zuzumuten sein, was voraussetzt, dass letzteres ebenso wertvoll sei wie das Gut, in welches eingegriffen wird (GERMANN, a.a.O. zu Art. 34 StGB). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Rieder beobachtete nur, dass die Polizisten einen Dritten verhaften wollten; er hatte aber weder Anhaltspunkte für eine Widerrechtlichkeit der Verhaftung noch dafür, dass dem Flüchtling Brutalitäten drohten. Von einer Gefahr für den Dritten, die nicht anders als durch das Dazwischentreten Rieders abzuwenden und bei welcher die Preisgabe des Gutes dem Dritten nach Art. 34 Ziff. 2 StGB unzumutbar war, kann nicht die Rede sein (BGE 94 IV 70).
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b) Der Beschwerdeführer beruft sich auf Rechtsirrtum. Er sei erst am späten Abend zur Menschenansammlung gestossen und habe nicht wissen können, dass die Polizei die Strassen für den Verkehr habe frei machen wollen. Nachdem Tausende von Leuten am Ort des Geschehens weilten, und die Polizei in jüngster Zeit auch gegen nicht bewilligte Demonstrationen nicht mit Gewalt eingeschritten sei, habe er annehmen dürfen, nichts Unrechtes zu tun, wenn er am Eingang der Niederdorfstrasse als Zuschauer stehen bleibe.
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Die Vorinstanz hat zutreffend auf Art. 20 StGB verwiesen, wonach nur derjenige sich auf Rechtsirrtum berufen kann, der aus zureichenden Gründen annimmt, er sei zur Tat berechtigt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist Art. 20 StGB nicht schon dann anwendbar, wenn der Täter tatsächlich oder vermeintlich Gründe hatte, die Tat nicht für strafbar zu halten, sondern nur dann, wenn seine Gründe die Annahme, er tue überhaupt kein Unrecht, zu entschuldigen vermögen (BGE 90 IV 208, BGE 81 IV 196 und dort zitierte Entscheide). Solche Gründe sind nicht nachgewiesen. Die Vorinstanz hat verbindlich festgestellt, dass Rieder sich um 23.00 und 24.00 Uhr während einiger Zeit in einem Menschenhaufen aufhielt, der den Versuchen der Polizei zur Räumung des Platzes hartnäckig Widerstand leistete und aus dem heraus zahlreiche Gewalttätigkeiten gegen die Polizei verübt wurden. Der Beschwerdeführer konnte deshalb nicht aus zureichenden Gründen annehmen, er sei berechtigt, zusammen mit dem gewalttätigen Haufen der Polizei Widerstand zu leisten, sie gegebenenfalls mit Steinen zu bewerfen und einem Polizisten das Bein zu stellen, um ihn an der Verhaftung eines Flüchtigen zu hindern (BGE 86 IV 212).
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c) Der Beschwerdeführer behauptet schliesslich eine Verletzung von Art. 19 StGB. Danach muss der Richter die Tat zugunsten des Täters nach dem Sachverhalt beurteilen, den sich der Täter irrtümlich vorgestellt hat (vgl. SCHULTZ, Zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung über den Sachverhaltsirrtum, StGB Art. 19, in ZStrR, 1961, S. 82 und dort zitierte Literatur). Im vorliegenden Fall ist keine irrige Vorstellung des Beschwerdeführers über den Sachverhalt dargetan. Rieder gibt zu, dass er nicht wusste, wie sich der von der Polizei verfolgte Demonstrant vorher verhalten hatte. Er konnte also nicht einfach annehmen, es handle sich um einen Unschuldigen. Ebensowenig hatte der Beschwerdeführer Anhaltspunkte dafür, dass die Polizisten den Mann verprügeln würden oder dass er nach der Festnahme polizeilichen Brutalitäten ausgesetzt sein werde; er behauptet selbst nicht, von solchen Vorkommnissen im fraglichen Zeitpunkt Kenntnis gehabt zu haben.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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