BGE 98 IV 76 | |||
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15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Juni 1972 i.S. Pulfer gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | |
Regeste |
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB. | |
Sachverhalt | |
A.- Pulfer, der seit 1948 in zahlreichen Fällen wegen Übertretungen der Verkehrsordnung gebüsst und namentlich in der Zeit von 1952 bis 1956 auch wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand und Verfehlungen des gemeinen Strafrechtes (Diebstahl, Betrug usw.) zu Freiheitsstrafen verurteilt werden musste, wurde am 15. April 1969 vom Gerichtspräsidenten VIII von Bern der Verfügung über gepfändete Sachen schuldig erklärt und mit einer auf zwei Jahre bedingt aufgeschobenen Freiheitsstrafe von 10 Tagen Gefängnis bestraft.
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Auf Berufung des Verurteilten und der Anklagebehörde bestätigte das Obergericht des Kantons Bern am 25. Februar 1972 den Schuldspruch, erhöhte jedoch die Strafe auf 20 Tage Gefängnis und verweigerte Pulfer ebenfalls den bedingten Strafvollzug.
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B.- Im Anschluss an das Strafurteil vom 4. November 1971 hatte der Gerichtspräsident IX von Bern beschlossen, auf einen Widerruf des Pulfer am 15. April 1969 gewährten bedingten Strafvollzuges zu verzichten und lediglich die Probezeit um ein Jahr zu verlängern.
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In Gutheissung einer Appellation des Generalprokurators des Kantons Bern widerrief das Obergericht dieses Kantons am 25. Februar 1972 den Pulfer am 15. April 1969 gewährten bedingten Strafvollzug.
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C.- Pulfer führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das den Widerruf des bedingten Strafvollzuges betreffende Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Einmal verkennt sie, dass im Falle eines Verzichts auf den Widerruf die früher angesetzte Probezeit nicht notwendig verlängert werden muss. Zwar sind anlässlich der letzten Revision des Strafgesetzbuches der deutsche und der französische Wortlaut des Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB insofern abgeändert worden, als die Worte "oder" und "ou", welche früher die Verlängerung der Probezeit als letzte der im Gesetz erwähnten Ersatzmassnahmen mit den vorgenannten verbanden, durch "und" und "et" ersetzt wurden. (Die italienische Fassung enthält weiterhin den Passus "o il prolongamento del periodo di prova..."). Diese Änderung wurde indessen nur vorgenommen, um deutlich zu machen, dass die verschiedenen Ersatzmassnahmen nicht nur alternativ, sondern auch kumulativ angeordnet werden können, "und zwar in dem Sinne, dass die zuständige Behörde wahlweise, wie es die Umstände erfordern, eine, zwei oder alle drei Sanktionen verfügen kann" (Prot. Komm. StR 13./15. Mai 1965, S. 42). Die Argumentation des Beschwerdeführers, die unzutreffend von einer regelmässigen Verlängerung der Probezeit ausgeht, hält demnach schon aus diesem Grunde nicht stand.
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Des weiteren kann dem Beschwerdeführer aber auch deswegen nicht gefolgt werden, weil seine Auffassung weder im Gesetzeswortlaut noch im Sinn und in der Entstehungsgeschichte der Bestimmung einen Anhalt findet. Dass die Voraussetzung der günstigen Prognose in Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB anders umschrieben ist als in Ziffer 1, ist kein schlüssiges Argument dafür, dass im ersteren Falle begründete Aussicht auf Bewährung nur für den Zeitraum der verlängerten Probezeit bestehen müsse. Auch in Ziffer 1 wird nicht ausdrücklich gesagt, dass der bedingte Strafvollzug nur bei der gerechtfertigten Erwartung einer dauernden Besserung durch eine blosse Warnungsstrafe gewährt werden dürfe. Das folgt indessen aus dem Sinn des Rechtsinstituts des bedingten Strafvollzuges und ist denn auch von der Rechtsprechung stets so verstanden worden (BGE 74 IV 196,BGE 77 IV 69, BGE 88 IV 7, BGE 94 IV 52). Was aber insoweit bezüglich der Prognose nach Art. 41 Ziff. 1 StGB gilt, muss auch für die Voraussage nach Ziffer 3 Abs. 2 des genannten Artikels Geltung haben. Denn seinem Wesen nach ist der Entscheid des Richters nach den beiden Bestimmungen kein grundsätzlich anderer. Hier wie dort ist von einem Vollzug der Strafe nur Umgang zu nehmen, wenn der Täter nach den gesamten Umständen Gewähr dafür bietet, dass er sich durch eine blosse Warnungsstrafe dauernd bessern lasse, und sich deswegen der Strafvollzug als unnötig erweist. In dieselbe Richtung weisen auch die Materialien. Namentlich ergibt sich aus den Beratungen der Kommission des Ständerates, durch die jene Voraussetzung der begründeten Aussicht auf Bewährung in Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB des Gesetzesentwurfes aufgenommen wurde (GERMANN, Grundzüge der Partialrevision des schweiz. StGB durch das Gesetz vom 18.3.1971, in ZStR 1971 S. 350), dass der Richter, der die neue Tat zu beurteilen hat und nach der neuen Ordnung auch über den Widerruf des seinerzeit gewährten bedingten Strafvollzuges befinden soll, hiebei in der Würdigung der Umstände der neuen wie der früheren Tat durch keine weiteren gesetzlichen Schranken gebunden werden wollte, ausser durch diejenigen der Ziffer 1 (Prot. Komm. StR 16./18.8.1965, S. 77, und 21./22.2.1966, S. 127). Und in der parlamentarischen Beratung selber wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mit dem Erfordernis der begründeten Aussicht auf Bewährung eine Richtlinie gegeben werde, die an den Gedanken des bedingten Strafvollzuges anknüpfe (StenBull NatR 1969, S. 108 Votum Schmid). Schliesslich stellt GERMANN, der von der Kommission des Ständerates als Experte beigezogen worden war, fest, dass der Richter beim Entscheid über den Widerruf "wie bei der Frage der nochmaligen Gewährung des bedingten Strafvollzuges für das neue Delikt" sinngemäss zu berücksichtigen habe, ob nach den gesamten Erfahrungen mit dem Verhalten des Verurteilten gleichwohl noch Aussicht auf Bewährung bestehe, wenn statt des Strafvollzuges der Verurteilte bloss verwarnt oder allenfalls auch die Probezeit verlängert werde (Schweiz. StGB, 9. Aufl., S. 95 oben). Tatsächlich wäre es denn auch nicht zu verstehen, warum die Anforderungen an die Prognose im Fall des Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB weniger strenge sein sollten als bei derjenigen nach Ziffer 1. Wird einem Täter, der erstmals vor Gericht steht, die Rechtswohltat des bedingten Strafvollzuges nur gewährt, wenn sich die Erwartung rechtfertigt, er werde durch die Warnungsstrafe dauernd gebessert werden, so muss solches erst recht von dem Verurteilten gefordert werden, der innert einer ihm gesetzten Probezeit rückfällig geworden ist und damit das in ihn gesetzte Vertrauen auf künftiges Wohlverhalten bereits getäuscht hat.
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Damit hat das Obergericht seine Prognose auf Überlegungen gestützt, die den Grundgedanken des Gesetzes nicht widersprechen (BGE 77 IV 68). Das wird denn auch vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellt. Er macht jedoch geltend, das Obergericht habe nicht berücksichtigt, dass er nunmehr die 20-tägige Gefängnisstrafe für das neue Vergehen verbüssen müsse und dass keine Umstände vorlägen, die den Schluss zuliessen, dass die Strafe bei ihm wirkungslos am Ziel vorbeigehen und ihren erzieherischen Zweck vollständig verfehlen würde. Es dürfe vielmehr angenommen werden, dass er aus der Strafverbüssung eine Lehre ziehen und sich bessern werde. Er habe sich nach einiger Zeit etwas schwankender Lebensführung eindeutig stabilisiert und bekleide eine verantwortungsvolle Stelle im Bundesdienst. Seit der Verurteilung im Jahre 1969 habe er zudem seine finanzielle Situation geordnet. Diese Umstände liessen den Schluss auf eine charakterliche Festigung zu, die eine künftige Bewährung als naheliegend erscheinen lasse.
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Angesichts der im Schrifttum geäusserten und auch in der parlamentarischen Beratung in Erscheinung getretenen Zweifel an der dauernden erzieherischen Wirkung kurzer Freiheitsstrafen (s. GERMANN, Grundzüge der Partialrevision, S. 371, insbes. S. 373; SCHULTZ, Dreissig Jahre schweizerisches StGB, ZStR 1972, S. 61 ff.; STRATENWERTH, Zur Teilrevision des StGB, SJZ 1969, S. 306 ff.; s. auch den Bericht des EJPD an die Kommission des NatR vom 9.8.1967, S. 7), kann nicht ohne weiteres erwartet werden, dass der Beschwerdeführer durch den Vollzug der 20-tägigen Gefängnisstrafe von weiteren Straftaten abgehalten wird. Die begründete Aussicht auf Bewährung muss sich zwar nicht zur Gewissheit verdichten. Sie darf aber auch nicht in einer bloss unbestimmten Hoffnung bestehen (vgl. BGE 91 IV 2 Nr. 1), sondern es müssen sachliche Gründe für die Wahrscheinlichkeit einer dauernden Besserung sprechen. Eine solche Erwartung kann jedoch in den Vollzug der genannten Gefängnisstrafe im vorliegenden Fall schon deswegen nicht gesetzt werden, weil der Beschwerdeführer nach der verbindlichen Annahme des Obergerichtes chronischer Alkoholiker ist und seine neue Straftat unmittelbar mit diesem Übel zusammenhängt. Bei solchen Delinquenten verspricht erfahrungsgemäss nur eine längere erzieherische Beeinflussung und Behandlung Erfolg. Zu einem anderen Schluss besteht hier umso weniger Anlass, als der Beschwerdeführer bereits seit Mai 1971 wegen eines durch seinen Alkoholismus bedingten Leberleidens in ärztlicher Behandlung steht und die dringlichen Ermahnungen seines Arztes zur Abstinenz wenig gefruchtet haben. Nach dem angefochtenen Urteil trinkt Pulfer wohl etwas weniger als früher. Er nimmt jedoch immer noch erhebliche Mengen Alkohol zu sich und dies unter alltäglichen Umständen. Das belegt insbesondere auch die neue Straftat, hat doch der Beschwerdeführer weniger als ein Jahr nach seiner vorletzten Verurteilung und ohne besonderen Anlass am 17. März 1971 bewusst eine "eigentliche motorisierte Pintenkehr" ausgeführt, wobei er bei hohem Alkoholgehalt des Blutes eine weite Strecke am Steuer seines Fahrzeuges zurückgelegt hat und dabei in gefährlicher Weise immer wieder in die dem Gegenverkehr vorbehaltene Fahrbahn geraten ist. Dazu kommt, dass Pulfer auch sonst eine auffällige Neigung zeigt, sich leichthin über Verkehrsvorschriften hinwegzusetzen, ist er doch seit 1948 in regelmässiger Folge in über 30 Fällen gebüsst worden (vgl. BGE 90 IV 178 Erw. 2), wovon dreimal im Jahre 1969, und dies nach seiner Verurteilung vom 14. April 1969, als er unter Probe stand. Auch hat er wiederholt gegen gemeinrechtliche Strafvorschriften verstossen, und musste er schon einmal wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand verurteilt werden. Mögen diese letzteren Verfehlungen auch zeitlich weiter zurückliegen, so sind sie doch für die Prognose nicht völlig belanglos (BGE 76 IV 73, 171;BGE 79 IV 161; BGE 93 IV 3 Nr. 1). Vielmehr gehören sie mit ins Bild, das sich der Richter bei Würdigung der Bewährungsaussichten machen muss, und in diesem Rahmen gesehen bestätigen sie die Feststellung des Obergerichtes, dass es sich bei der neuen Tat nicht um ein einmaliges Versagen gehandelt hat (BGE 86 IV 8, BGE 88 IV 7, BGE 95 IV 55). Am Gesagten vermag sodann auch der Umstand wenig zu ändern, dass der Beschwerdeführer eine verantwortungsvolle Stelle im Bundesdienst bekleidet und seine finanziellen Verhältnisse heute geordnet sind. Abgesehen davon, dass der letztere Umstand keine ernsthafte Gewähr für eine dauernde künftige Besserung gibt (nichtveröffentlichtes Urteil vom 19.1.1960 i.S. Steiner), hat der Beschwerdeführer - wie die Vorinstanz feststellt - die neue Straftat begangen, als er bereits sozial angepasst gewesen ist. Dieser Umstand hat ihn jedoch nicht von der Begehung eines neuen Deliktes abzuhalten vermocht, so dass nicht einzusehen ist, warum er nunmehr eine nachhaltigere Wirkung sollte entfalten können.
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Die Tatsache, dass die Vorinstanz es unterlassen hat, den Vollzug der neuen Gefängnisstrafe von 20 Tagen in ihre Prognose nach Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB einzubeziehen, hat demnach auf den Ausgang der Sache keinen Einfluss gehabt. Inwiefern aber das Obergericht mit der Annahme einer erheblichen Rückfallgefahr sonstwie gegen das Gesetz verstossen oder sein pflichtgemässes Ermessen überschritten habe, legt der Beschwerdeführer selber nicht dar.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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