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37. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 18. August 1972 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen X. | |
Regeste |
Art. 191 StGB. | |
Sachverhalt | |
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Am 21. Oktober 1971 heiratete X. das Mädchen in London. Y. brachte am 19. Januar 1972 einen Knaben zur Welt.
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B.- Das Bezirksgericht Winterthur verurteilte X. am 5. November 1971 wegen wiederholter Unzucht mit einem Kind im Sinne von Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 2 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von 6 1/2 Monaten, teilweise als Zusatzstrafe zum Urteil des Bezirksgerichtes Zürich vom 23. Februar 1971.
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C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht. Sie beantragt Aufhebung des obergerichtlichen Entscheides und Rückweisung der Sache an die Vorinstanz, damit diese X. im Sinne von Art. 191 Ziff. 1 und 2 StGB schuldig spreche und bestrafe.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
1. Art. 191 StGB bedroht denjenigen mit Strafe, der ein Kind unter 16 Jahren zum Beischlaf oder zu einer ähnlichen Handlung missbraucht, oder der mit einem Kind unter 16 Jahren eine andere unzüchtige Handlung vornimmt. Dem Wortlaut dieser Bestimmung ist nichts zu entnehmen, was im Falle eines sogenannten "matrimonium subsequens" auf eine Strafloserklärung des Täters schliessen liesse. Der Umstand, dass das Gesetz in Art 191 StGB in dieser Hinsicht nichts sagt, bedeutet noch nicht, dass es insoweit eine Lücke aufweist, die vom Richter ausgefüllt werden darf. Hat der Gesetzgeber gewollt darauf verzichtet, bei Art. 191 StGB die nachfolgende Ehe zwischen Täter und Geschädigter als Strafbefreiungsgrund zu berücksichtigen, so liegt ein qualifiziertes Schweigen vor. Bieten jedoch das Gesetz und die Materialien keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine negative Entscheidung in der betreffenden Frage ![]() | 6 |
Ob eine zwingende Notwendigkeit zur Aufnahme einer Bestimmung über die betreffende Rechtsfrage besteht und wie bei Annahme einer echten Lücke diese zu füllen sei, hat der Strafrichter nach anerkannten Auslegungsregeln zu prüfen. Im Strafrecht ist ergänzende Rechtsfindung allerdings im Gegensatz zum Privatrecht insofern unzulässig, als dadurch ohne gesetzliche Grundlage die Strafbarkeit begründet werden soll (GERMANN, Kommentar zum StGB, N 12 7 zu Art. 1 StGB).
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Im angefochtenen Entscheid wird ausgeführt, die vom Strafgesetzbuch bezweckte Verbrechensbekämpfung werde ins Gegenteil verkehrt. wenn die Anwendung des Gesetzes die Gefahr neuer Rechtsbrüche schaffe. Art. 191 StGB wolle die ![]() | 10 |
Diese Auffassung vermag nicht zu überzeugen.
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a) Die Strafe bezweckt in erster Linie eine Resozialisierung des Täters und damit einen Schutz der Gesellschaft vor künftigen deliktischen Handlungen. Dass der nach Art. 191 StGB beurteilte Täter nach der Straftat das Opfer heiratet, ist unter diesem Gesichtspunkt ohne Bedeutung.
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b) Der Art. 191 StGB innewohnende, besondere Zweckgedanke besteht darin, Kinder vor verfrühten sexuellen Erlebnissen zu schützen. Das Gesetz geht davon aus, dass sexuelle Erlebnisse im Kindesalter, besonders zu Beginn der Pubertät, die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes ernsthaft schädigen können. Da Kinder deswegen geschützt werden sollten, weil ihnen die geistig-charakterliche Reife und die Kenntnisse der möglichen Gefahren abgehen, sodass sie das intensive sexuelle Erlebnis innerlich noch nicht sachgerecht verarbeiten können, wurde mit Art. 191 StGB eine besonders einschneidende Strafnorm geschaffen. Der Gegensatz in der Voraussetzung und in der Zielsetzung zwischen dieser Bestimmung einerseits und den Art. 183, 196 und 197 StGB anderseits ist offensichtlich. Diese drei Normen betreffen Straftaten gegenüber Personen, die an sich für geschlechtliche Erlebnisse reif erscheinen. Geschützt wird hier nicht die ungestörte Entwicklung eines Kindes, das von verfrühtem geschlechtlichen Kontakt ferngehalten werden soll, sondern die Willensfreiheit der Frau, insbesondere in ihrem Entschlusse darüber, ob und mit wem sie geschlechtliche Beziehungen aufnehmen will. Sie soll nicht gegen ihren freien Willen entführt (Art. 183 StGB) oder in Ausnützung jugendlicher Unerfahrenheit oder des Vertrauens (Art. 196 StGB) oder eines Abhängigkeitsverhältnisses (Art. 197 StGB) zur geschlechtlichen Hingabe veranlasst werden, die sie bei völlig freiem Willensentschluss nicht gewährt hätte. Es ist folgerichtig, dass in diesen Fällen die nach der Tat freiwillig vom Opfer mit dem Täter abgeschlossene Ehe als Heilung des früheren Angriffs auf den freien Willen gedeutet wird, begibt sich die Frau damit doch in eine Schicksals- und Geschlechtsgemeinschaft mit dem Täter. Da Schutzobjekt des Art. 191 ![]() | 13 |
c) Würde in Fällen wie dem vorliegenden im "matrimonium subsequens" ein Strafbefreiungsgrund erblickt, dann könnten künftige Täter versucht sein, das von ihnen missbrauchte Kind zu einer überstürzten Eheschliessung zu verleiten, um selber der Strafverfolgung zu entgehen. Solche Ehen sind unerwünscht, weil jedenfalls das noch im Entwicklungsalter stehende Kind durch die eingegangene Verbindung und eine allfällige Mutterschaft überfordert wird. Zudem stehen sie im Widerspruch zu dem vom schweizerischen Gesetzgeber geschaffenen Institut der Ehe, das eine innige Lebensgemeinschaft zweier verantwortungsbewusster Menschen im Auge hat.
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d) Im angefochtenen Entscheid wird ausgeführt, der Gesetzgeber habe bei Schaffung von Art. 191 StGB die Strafbefreiung bei nachfolgender Ehe zwischen dem Täter und der Geschädigten deshalb nicht aufgenommen, weil er nicht an die Möglichkeit der Verheiratung eines noch nicht 16-jährigen Kindes gedacht habe. Diese Auffassung stellt eine blosse Vermutung dar und findet weder in den Materialien noch in Lehre und Rechtsprechung eine Stütze.
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Unbehelflich ist ferner das Argument des Obergerichts, dass sich eine nachträgliche Bestrafung von X. zum Nachteil der Ehefrau und des Kindes auswirke. Diese an sich unerwünschte Folge tritt mit jeder Verurteilung eines Familienvaters zu einer unbedingten Freiheitsstrafe ein. Die Vorinstanz verkennt, dass in Art. 191 StGB das Schutzobjekt und der staatliche Strafanspruch nicht davon abhängen, wie sich die Beziehungen zwischen dem Täter und der Geschädigten nach der Tat gestalten.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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