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55. Urteil des Kassationshofes vom 1. Dezember 1972 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Hauser. | |
Regeste |
Art. 26 Abs. 2 SVG. | |
Sachverhalt | |
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2) Am 24. Mai 1971, um 16.40 Uhr, führte Hauser seinen Personenwagen auf der äusseren rechten Fahrspur in Richtung Höngg. Während er sich der Abzweigung der Würzgrabenstrasse näherte, vor welcher ein Fussgängerstreifen die Europabrücke überquert, hielt vor diesem Streifen auf der Spur zu seiner Linken eine Fahrzeugkolonne. Er fuhr mit unverminderter Geschwindigkeit an dieser vorbei und stiess in die Einmündungszone der Würzgrabenstrasse vor, um die Fahrt geradeaus fortzusetzen. Im gleichen Augenblick bog Stöcklin am Steuer seines Personenwagens aus der Gegenfahrbahn vor ihm in Richtung Würzgrabenstrasse ab. Obschon Hauser sogleich bremste, konnte er den Zusammenstoss nicht mehr vermeiden. Stöcklin und seine Mitfahrerin Marie Nikles wurden infolge des heftigen Aufpralls tödlich verletzt.
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B.- Am 18. April 1972 verurteilte das Bezirksgericht Zürich Hauser wegen fahrlässiger Tötung zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von 3 Monaten und zu einer Busse von Fr. 800.--.
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Das Obergericht des Kantons Zürich sprach Hauser am 19. September 1972 von Schuld und Strafe frei.
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C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Verurteilung des Beschwerdegegners wegen fahrlässiger Tötung.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
1. Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass Hauser gegenüber Stöcklin vortrittsberechtigt gewesen ist. Des weitern hat die Vorinstanz in tatsächlicher Hinsicht und daher für den Kassationshof verbindlich festgestellt (Art. 277 bis Abs. 1 BStP), dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen oder in der ![]() | 6 |
Danach steht fest, dass Hauser es nicht an der gebotenen Aufmerksamkeit hat fehlen lassen, noch dass er wegen eines einem anderen Fahrzeuglenker zustehenden Vortrittsrechtes anders hätte fahren müssen, als er es tatsächlich getan hat. Etwas Gegenteiliges wird auch in der Beschwerde nicht behauptet. Für die Staatsanwaltschaft steht denn auch einzig die Frage zur Entscheidung, ob nicht die auf der linken Fahrspur haltende Fahrzeugkolonne vom Beschwerdegegner als ein konkretes Indiz dafür hätte gewertet werden müssen, dass sein Vortrittsrecht missachtet werden konnte.
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a) Die Vorinstanz hat die Frage verneint, weil Hauser lediglich durch logische Überlegungen auf die Möglichkeit einer solchen Gefährdung hätte schliessen können. "Kombinationen" solcher Art dürften jedoch einem vortrittsberechtigten Automobilisten nicht zugemutet werden, ansonst das Vortrittsrecht entwertet und ein zusätzliches Unsicherheitsmoment in den Verkehr hineingetragen werde. Im übrigen habe das Stocken der Kolonne auf der Nebenspur seinen Grund nicht nur in der Rücksichtnahme auf Fussgänger oder auf linksabbiegende Automobilisten haben können. Vielmehr komme es verhältnismässig oft vor, dass Kolonnen zum Anhalten gezwungen seien, wobei die verschiedensten Gründe (z.B. Motorpanne des ersten Wagens usw.) im Spiele sein könnten.
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Demgegenüber macht die Staatsanwaltschaft geltend, der Beschwerdegegner habe die stillstehende Kolonne gesehen, und er habe selber anerkannt, nicht gewusst zu haben, "ob die Gefahr, deretwegen die Kolonne anhielt, schon vorbei war oder nicht". Er habe also mit der Möglichkeit einer konkreten Gefahrenlage gerechnet, daraus aber nicht die sich aufdrängenden Schlussfolgerungen gezogen, habe er doch seine Fahrt unvermindert fortgesetzt und nicht einmal Bremsbereitschaft erstellt. Er habe es deshalb an der Vorsicht fehlen lassen, die am Platze sei, wenn Anzeichen dafür bestünden, dass sich ein anderer Strassenbenützer nicht richtig verhalten werde.
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b) Dem Obergericht ist insoweit beizupflichten, als die in Art. 26 Abs. 2 SVG für den Vortrittsberechtigten geforderte Vorsichtspflicht nicht überspannt werden darf, soll das Vortrittsrecht seinen vollen Sinn bewahren. Aus diesem Grunde hat denn auch die Rechtsprechung zu Art. 26 Abs. 2 SVG verlangt, dass konkrete Anzeichen auf das mögliche Fehlverhalten eines andern hinweisen müssen, und sie hat insbesondere erklärt, ![]() | 12 |
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Aussagen des Beschwerdegegners im kantonalen Verfahren, dass ihm die Verhältnisse auf der Europabrücke geläufig waren. Vor der Bezirksanwaltschaft hatte Hauser erklärt, die fragliche Stelle auf der Höhe der Würzgrabenstrasse sei ihm als gefährlich bekannt. Weiter steht fest, dass er die auf der Nebenspur vor dem Fussgängerstreifen haltende Kolonne schon von weitem gesehen hat. Auch ergibt sich aus seinen eigenen Aussagen im kantonalen Verfahren, dass er sich wegen dieser Kolonne, die aus acht bis zehn Fahrzeugen bestanden haben soll, "stark darauf konzentriert" hatte, ob wohl irgendein Fahrzeug seine Fahrbahn überqueren wolle; er habe deshalb nach links geschaut, wo der vorderste Wagen der Kolonne stand, dabei jedoch nichts gesehen. Vor Bezirksgericht hat Hauser zudem erklärt, er habe, weil er nichts gesehen habe, nicht wissen können, ob die Gefahr, deretwegen die Kolonne angehalten habe, vorbei gewesen sei oder nicht. Aus diesen Aussagen erhellt, dass der Beschwerdegegner sich darüber Rechenschaft gegeben hat, dass aus dem durch die Kolonne seinem Blick entzogenen Bereich ein anderer Strassenbenützer auftauchen und ihm die Fahrbahn abschneiden könnte. Damit ist aber auch gesagt, dass Hauser die haltende Wagenkolonne tatsächlich als konkretes Anzeichen für ein mögliches Fehlverhalten eines Dritten verstanden hatte. Die durch jene Aussagen belegte Ungewissheit der Verkehrslage hätte ihm überdies eine solche Möglichkeit nach allgemeiner Erfahrung unmittelbar nahelegen müssen. Das ergibt sich einerseits daraus, dass der mit den örtlichen Verhältnissen vertraute Beschwerdegegner wusste, dass sich in der Einmündungszone der Würzgrabenstrasse keine optische Signalanlage befindet, welche die auf der ![]() | 13 |
Im übrigen wäre der Beschwerdegegner auch deswegen zu besonderer Vorsicht verpflichtet gewesen, weil die Wagenkolonne vor einem Fussgängerstreifen angehalten hatte. Er hätte unter solchen Umständen auch mit einem den Uebergang benützenden und unvorsichtig in seine Fahrbahn heraustretenden Fussgänger rechnen müssen. Indem er mit unverminderter Geschwindigkeit an der auf der Nebenspur haltenden Kolonne vorbeifuhr und in die Einmündungszone der Würzgrabenstrasse vorstiess, hat er es damit an der gebotenen Sorgfalt fehlen lassen. Solange er nämlich nicht sicher war, dass der Halt der Kolonne durch einen andern Grund als die Rücksichtnahme auf ein linksabbiegendes Fahrzeug oder auf einen Fussgänger bedingt war (z.B. durch eine Panne), durfte er nicht sehenden Auges in die ungewisse Verkehrslage hineinfahren, darauf vertrauend, dass die andern ihre Sorgfaltspflicht gewissenhaft erfüllen und damit die Verkehrssicherheit ausreichend gewährleisten würden. Vielmehr hätte er sich durch entsprechende Mässigung der Geschwindigkeit seines Fahrzeuges darauf einrichten müssen, dass er den Gefahren, welche bei jenen Verkehrsverhältnissen nach allgemeiner Erfahrung nahelagen, nach Möglichkeit wirksam begegnen konnte. Das hat Hauser nicht getan, weshalb ihm der Vorwurf einer Übertretung von Art. 26 Abs. 2 SVG nicht erspart werden kann.
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Fällt aber dem Beschwerdegegner nach dem Gesagten ein Verstoss gegen die Verkehrsordnung zur Last, so ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Da diese sich zur Frage des Kausalzusammenhangs zwischen jener Hauser zur Last fallenden Übertretung einerseits und dem Tod Stöcklins und der Marie Nikles anderseits im angefochtenen Urteil nicht ausgesprochen hat, wird sie dies nachholen und je nach dem Ausgang der Sache in diesem Punkte Hauser nach Art. 117 StGB oder nach Art. 90 SVG bestrafen müssen.
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