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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
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58. Urteil des Kassationshofes vom 29. September 1972 i.S. Iseli gegen Statthalteramt des Bezirkes Zürich. | |
Regeste |
Art. 1 Lotteriegesetz und Art. 43 Ziff. 2 Lotterieverordnung. |
2. Ein erheblicher Unsicherheitsfaktor ist schon dann gegeben, wenn der Zufall nur eine wesentliche (nicht ausschliessliche) Rolle spielt; für die Ermittlung der nichtzufälligen Elemente ist auf die Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit des durchschnittlichen Teilnehmers abzustellen (Erw. 3). |
Art. 20 StGB: Voraussetzung für Rechtsirrtum (Erw. 4 a). | |
Sachverhalt | |
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Ein wenig Scharfsinn gehört schon dazu, aber Ihr typisch weiblicher Spürsinn wird Sie sicher auf die richtige Fährte bringen. Und wer weiss, vielleicht verfallen Sie zum ersten Mal einem Goldrausch - einem romantischen Goldrausch, der das nüchterne Einkaufen wieder einmal spannend und prickelnd macht.
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Sie gehen einfach in die Fachgeschäfte und Warenhäuser und suchen sich sorgfältig einen der abgebildeten SAWACO-Slips heraus. Haben Sie das richtige Modell gefunden - kaufen Sie es!
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Im Rahmen dieser Werbeaktion liess die Achtnich & Co. AG in Warenhäusern und anderen Geschäften mit den gleichen Anzeigen versehene Kartonbehälter aufstellen. In jedem dieser Behälter befanden sich ca. 45 Slips dreierlei Machart, jedes Stück in einem Plastikbeutel verpackt, der die Musterung teilweise sichtbar werden liess. Bei der ganzen Aktion wurden insgesamt 500 "Golden-Slips" ausgesetzt, die sich von der übrigen Ware durch eine abweichende Musterung unterschieden und so vorbereitet waren, dass sie sich beim ersten Waschen goldgelb färbten. Auf ungefähr drei Kartonbehälter fiel ein "Golden-Slip".
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B.- Am 21. Juli 1971 verfällte das Statthalteramt des Bezirkes Zürich Fritz Iseli wegen Übertretung von Art. 1 und 4 in Verbindung mit Art. 38 des Bundesgesetzes betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten vom 8. Juni 1923 (LG) und Art. 43 Ziff. 2 der Vollziehungsverordnung zum genannten Gesetz in der Fassung des BRB vom 10. Mai 1938 (LV) in eine Busse von Fr. 200.--.
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Nachdem der Gebüsste gerichtliche Beurteilung verlangt hatte, sprach der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich ihn von Schuld und Strafe frei, überband ihm aber die Verfahrenskosten.
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Auf kantonale Nichtigkeitsbeschwerde des Statthalteramtes verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich Iseli am 26. Juni 1972 wegen Übertretung von Art. 1 und 4 LG und Art. 43 Ziff. 2 LV zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 200.--.
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C.- Iseli führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung, eventuell zur Umgangnahme von einer Strafe wegen Rechtsirrtums an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Statthalteramt der Stadt Zürich hat sich mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde vernehmen lassen.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
1. Nach Art. 38 LG ist strafbar, wer eine durch dieses Gesetz verbotene Lotterie ausgibt oder durchführt. Gemäss Art. 1 LG gilt als Lotterie jede Veranstaltung, bei der gegen ![]() | 14 |
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a) Zum richtigen Verständnis des Tatbestandsmerkmals des Abschlusses eines Rechtsgeschäftes ist vom Wortlaut des Art. 43 Ziff. 2 LV auszugehen, durch den Art. 1 LG verdeutlicht wird. Aus ihm ergibt sich nämlich, dass der Abschluss eines Rechtsgeschäftes der Teilnahme an der Veranstaltung vorauszugehen hat ("nach Leistung eines Einsatzes oder nach Abschluss eines Rechtsgeschäftes"), dass er im Hinblick auf ![]() | 16 |
b) Unerheblich ist in diesem Zusammenhang aber auch der Einwand, dass die Teilnehmer den "Treffer" angeblich mit Sicherheit schon vor dem Geschäftsabschluss hatten auswählen können und damit das Risiko des Leerausgehens nicht mehr bestanden habe. Einmal gehört das Verlustrisiko nicht zum Gewinnbegriff des Lotteriegesetzes (BGE 58 I 279). Es wird darin nicht nur nicht erwähnt, sondern durch den Einbezug der Fälle, in welchen der Einsatz durch den Abschluss eines Rechtsgeschäftes ersetzt wird, notwendig ausgeschlossen (STAEHELIN, Das Bundesgesetz betr. die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten, Diss. Zürich 1941, S. 46/7; s. auch EGOLF, Über das schweizerische Lotteriewesen und dessen strafrechtliche Bekämpfung, Diss. Zürich 1915, S. 102). Damit erfasst nämlich das Gesetz auch Rechtsgeschäfte, die den Teilnehmer nur zur Leistung eines gewöhnlichen marktgemässen Gegenwertes einer ![]() | 17 |
c) Im vorliegenden Fall hat deshalb die Vorinstanz gestützt auf die tatsächliche Feststellung, dass nur die Kundin, die einen Slip kaufte, in den Genuss des in Aussicht gestellten Gewinns habe kommen können, die Voraussetzung des Abschlusses eines Rechtsgeschäftes mit Fug bejaht. Übrigens anerkennt auch der Beschwerdeführer selber, dass zur schliesslichen Erlangung des Gewinns von Fr. 100.-- der Kauf eines sog. "Golden-Slip" notwendig gewesen sei. Insoweit bestand deshalb auch nach seiner Meinung für die Teilnahme an der Veranstaltung ein Kaufzwang, was nach Art. 1 LG und 43 Ziff. 2 LV genügt.
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3. Der Beschwerdeführer macht des weiteren geltend, das Obergericht habe zu Unrecht auch das Tatbestandsmerkmal des Zufalls bejaht. Es räume selber ein, dass dieser bei der Gewinnermittlung von jeder aufmerksamen und findigen Kundin schon vor dem Kauf habe ausgeschlossen werden können. Zudem ergebe sich aus dem Werbetext, welcher in fünf Absätzen die Aktion deutlich umschrieben habe, dass es sich darum handelte, bestimmte Muster herauszusuchen. Der Veranstalter habe dabei dem Publikum sogar geraten, zuerst eines der auf den Kartonbehältern sehr deutlich abgebildeten Modelle zu suchen und erst zu kaufen, wenn es gefunden sei. Die für die richtige Auswahl massgebende Musterung sei deutlich gewesen. Auch sei im Text hervorgehoben worden, dass es sich für die Interessenten darum handelte, "sorgfältig", mit "Scharfsinn" und mit "weiblichem Spürsinn" den Gewinnerslip herauszusuchen. Der Interessent habe es selber in der Hand gehabt, den Treffer ausfinding zu machen. Vom Teilnehmer abhängige Faktoren hätten deshalb ein derartiges Übergewicht gehabt, dass der Zufall bei der Gewinnerlangung praktisch ![]() | 19 |
a) Inwiefern der letztere Umstand im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal der Zufälligkeit des Gewinnerwerbs von Belang sein sollte, ist nicht ersichtlich. Was aber die Behauptung des Beschwerdeführers anbelangt, die Vorinstanz habe selber anerkannt, dass jede findige und aufmerksame Kundin den Zufall habe ausschalten können, so trifft sie nicht zu. Das Obergericht hat lediglich ausgeführt, er, Iseli, sei der Auffassung, dass der Zufall bei der Gewinnermittlung von jeder aufmerksamen und findigen Kundin schon vor dem Kauf habe ausgeschaltet werden können. Daran hat es den Satz angefügt: "Das war grundsätzlich nicht ausgeschlossen", um jedoch unvermittelt fortzufahren: "Dass die Kundin das Augenmerk auf die... minim abweichende Musterung zu richten hatte, kam jedoch im Werbetext nur undeutlich zum Ausdruck. Das herauszufinden, blieb dem Scharfsinn des Publikums überlassen. Klar ging für die Kundin aus den Inseraten und Aufdrucken nur hervor, dass ein beim ersten Waschen goldgelb werdender Slip ein Treffer war, usw." Und schliesslich gelangte es zum Ergebnis, auf Grund der "Auskündigung" und bei der Art der Durchführung der Veranstaltung sei das breite Publikum davon ausgegangen, dass über den Gewinnerwerb letztlich durch die Waschprobe entschieden werde, so dass dieser deshalb für die Mehrzahl der Teilnehmer massgeblich vom Zufall abgehangen habe. Im Zusammenhang der gesamten Erwägungen betrachtet, kann daher der erste an das Vorbringen des Beschwerdeführers angeschlossene Satz des Obergerichtes nur besagen, dass objektiv zwar die Möglichkeit bestanden hatte, den Zufall weitgehend auszuschalten, dass subjektiv aber - und darauf kommt es an (STAEHELIN, op.cit. S. 48) - wegen verschiedener von der Vorinstanz erwähnter Umstände (Undeutlichkeit des Werbetextes, besonderes Hervorheben der Waschprobe ![]() ![]() | 20 |
b) Wollte man aber annehmen, der Werbetext habe abweichend von der Meinung der Vorinstanz schon für den Durchschnitt der Kundschaft deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Treffereigenschaft von der Musterung abhing, so hülfe das dem Beschwerdeführer nichts. Denn Sorgfalt war im vorliegenden Fall nicht nur zum richtigen Verständnis des Werbetextes ![]() | 21 |
4. Eventualiter stellt sich der Beschwerdeführer auf den Standpunkt, es komme ihm Rechtsirrtum zugute, weshalb von Strafe Umgang zu nehmen sei. Er habe nämlich auf Anraten seines Anwaltes auf eine erste Variante der Werbeaktion, bei welcher die Treffer allein durch die Goldgelbfärbung beim Waschen nach dem Kauf bestimmt worden wäre, verzichtet und auch die zu beurteilende Veranstaltung erst durchgeführt, nachdem sein Rechtsberater sie als zulässig bezeichnet habe. Das Obergericht habe die Anwendung von Art. 20 StGB unter Berufung auf BGE 81 IV 196 verweigert. In diesem Falle habe jedoch der Täter guten Glauben behauptet, obschon er Erkundigungen unterlassen hatte. Hier lägen die Verhältnisse anders. Durch die vorgängige Abklärung der Rechtsverhältnisse und durch Verzicht auf eine erste Variante der Verkaufsaktion habe der Beschwerdeführer bewiesen, dass er nicht Unrecht habe tun wollen. Das von ihm eingeholte Rechtsgutachten vom 10. Dezember 1970 habe die Verkaufsaktion als nicht unter den Lotteriebegriff fallend bezeichnet. Er habe daher keinen Anlass gehabt, sich nicht auf die erhaltene Rechtsauskunft zu verlassen, zumal sich auch die Kommission zur Überwachung der Lauterkeit in der Werbung des Schweizerischen Reklame-Verbandes ![]() | 22 |
a) Nach ständiger Rechtsprechnung kann sich auf Rechtsirrtum nur berufen, wer zureichende Gründe zur Annahme hatte, er tue überhaupt nichts Unrechtes, und nicht schon, wer die Tat bloss für straflos hielt (BGE 81 IV 196, BGE 91 IV 29 und 164, BGE 93 IV 124). Zureichend ist ein Grund nur dann, wenn dem Täter aus seinem Rechtsirrtum kein Vorwurf gemacht werden kann, weil er auf Tatsachen beruht, durch die sich auch ein gewissenhafter Mensch hätte in die Irre führen lassen (BGE 75 IV 153). Obschon Rechtsunkenntnis dabei in der Regel kein zureichender Grund ist (BGE 91 IV 152, BGE 93 IV 124, BGE 98 IV 50 /51), müsste dem rechtsunkundigen Täter der Rechtfertigungsgrund des Rechtsirrtums ausnahmsweise zugebilligt werden, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine Rechtsfrage zu lösen war, die er wegen ihrer besonderen Natur und erhöhten Kompliziertheit nicht erkennen konnte, weshalb er auf die Auskünfte eines eigens dafür beigezogenen Rechtsberaters abstellte. Unter diesen Umständen ist nämlich anzunehmen, dem Täter habe das normale Unrechtsempfinden gefehlt (BGE 92 IV 74), weshalb ihm ein Vorwurf nicht gemacht werden kann. Voraussetzung ist jedoch, dass dem Rechtsberater der Sachverhalt zur Prüfung vorlag, der vom Täter nachher verwirklicht wurde, und dass er im Gutachten unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft worden ist, die auch der Täter kennen musste. Im vorliegenden Fall gebricht es an der ersten dieser Voraussetzungen.
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b) Aus dem bei den Akten liegenden Schreiben Dr. Felders vom 25. Februar 1971 ergibt sich, dass diesem am 23. Februar 1971 Werbetexte unterbreitet worden sind, die mit denen dem Gutachten vom 10. Dezember 1970 zugrunde gelegten nicht identisch waren. Über diese neuen Texte, die nach den gesamten Umständen zu schliessen zum endgültigen Werbetext geführt haben, äusserte sich der genannte Rechtsberater des Beschwerdeführers im erwähnten Schreiben dahin, dass sie allzusehr den Eindruck erweckten, erst beim Waschen erweise sich, ob man einen Treffer-Slip gekauft habe oder nicht. Um den Gesamteindruck, es liege eine Lotterie vor, zu vermeiden, empfahl deshalb Dr. Felder das Wort "Scharfsinn", das nicht richtig gewählt sei, zu streichen und an zwei Stellen des Werbetextes auf das sorgfältige Aussuchen eines "Sawaco-Slips mit obigem Muster" hinzuweisen. Diese Empfehlungen hat jedoch der ![]() | 24 |
Darüber hilft schliesslich auch der Umstand nicht hinweg, dass die Kommission zur Überwachung der Lauterkeit in der Werbung des Schweizerischen Reklame-Verbandes, bei welcher das Inserat der Achtnich & Co. AG beanstandet worden war, aufgrund des ihr zugestellten Gutachtens des Rechtsberaters der genannten Firma vom 10. Dezember 1970 am 1. Juni 1971 das "Verfahren eingestellt" hat. Abgesehen davon nämlich, dass ![]() | 25 |
Demnach erkennt der Kassationshof:
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