BGE 99 IV 161 | |||
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34. Urteil des Kassationshofes vom 13. Juli 1973 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden gegen Pola. | |
Regeste |
Art. 197 Abs. 1 StGB; Missbrauch der Notlage einer Frau. |
2. Die Notlage muss kausal sein für die Erlangung des Geschlechtsverkehrs durch den Täter (Erw. 2). | |
Sachverhalt | |
A.- Die 21-jährige Jugoslawin Pelka Markoviç war am 13. März 1972 mit der Bahn von Zagreb herkommend in die Schweiz gefahren, wo sie nach Alvaschein gelangte. In den folgenden zwei Nächten konnte sie, die der deutschen Sprache nicht mächtig ist, vor Aufregung und Heimweh kaum schlafen. Da ihrem Arbeitgeber bekannt war, dass in einer Kantine in Bonaduz eine Jugoslawin arbeitete, wollte er sie dorthin zur Arbeit schicken. Er beauftragte deshalb Pola, sie mit dem Auto dorthin zu fahren. Während der Fahrt von Alvaschein nach Bonaduz weinte Pelka Markoviç. Als Pola in Bonaduz die Kantine nicht gleich fand, fuhr er zuerst Richtung Versam, kehrte dann um und bog abseits der Strasse in einen Wald ein. Dort vollzog er mit dem Mädchen den Geschlechtsverkehr. Pelka Markoviç leistete keinen Widerstand.
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B.- Das Kreisgericht Rhäzüns sprach am 11. Oktober 1972 Pola von der Anschuldigung des Missbrauchs der Notlage oder Abhängigkeit einer Frau gemäss Art. 197 StGB frei.
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Auf Berufung der Staatsanwaltschaft Graubünden hin bestätigte der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden am 20. Februar 1973 das erstinstanzliche Urteil.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: | |
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In diesem Zusammenhang schliesst die Vorinstanz nicht aus, dass Pelka Markoviç sich in einer Notlage befunden hat. Hinsichtlich der Frage, ob Pola sich dieses Zustandes bewusst war, stellt sie fest, der Angeklagte habe lediglich davon Kenntnis gehabt, dass das Mädchen sich erst seit kurzer Zeit in der Schweiz aufhalte, dass es der deutschen Sprache nicht mächtig sei und dass es ununterbrochen weine. Weitere objektive Momente der Notlage seien dem Angeklagten unbekannt gewesen, so insbesondere, dass sich das Mädchen vor ihm gefürchtet habe, dass es mit Ausnahme einer Taxifahrt nach Alvaschein angeblich erstmals in einem Auto fuhr, dass es das Reiseziel nicht kannte, dass es die vorausgegangenen Nächte ununterbrochen geweint und Angst hatte, mit niemandem reden konnte und in technischen Belangen durchaus unerfahren war. Auf Grund dieser Umstände hält die Vorinstanz für den Kassationshof verbindlich fest, Pola habe nicht auf eine Notlage des Mädchens schliessen können. Damit verneint sie das Wissen um die Notlage und damit ein Element des Vorsatzes.
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Diese Argumentation der Vorinstanz geht fehl. Es ist zwar richtig, dass der Gesetzgeber (unter Vorbehalt von Art. 194 Abs. 3 StGB, der hier nicht interessiert) bei der Regelung der Angriffe auf die geschlechtliche Freiheit und Ehre gemäss Art. 187-197 StGB grundsätzlich von der geschlechtlichen Freiheit des Menschen ausgegangen ist. Willigen die unmittelbar Beteiligten in die unzüchtigen Handlungen ein, geht der Täter grundsätzlich straflos aus. Um rechtlich beachtlich zu sein, muss aber die Einwilligung fehlerfrei sein. Ist sie mit Mängeln behaftet, erfolgt sie beispielsweise unter schwerer Drohung (Art. 187 ff. StGB) oder von Seiten einer in geschlechtlichen Dingen nicht voll urteilsfähigen Person (z.B. Art. 189-191 StGB), so ist sie unbeachtlich. Das gilt auch für Art. 197 StGB. Diese Bestimmung setzt die Einwilligung der Frau zum Beischlaf gerade voraus. Befindet sich aber eine Frau in einer Notlage, oder ist sie vom Täter abhängig, so ist sie in ihrer Entscheidung, in den Beischlaf einzuwilligen oder ihn zu verweigern, nicht mehr völlig frei. Duldet die Frau in dieser Lage den Geschlechtsverkehr, ja gibt sie dazu ihre ausdrückliche Zustimmung und Mitwirkung, so ist der Täter doch strafbar, wenn die Notlage oder die Abhängigkeit die Frau gefügig gemacht haben. Entscheidend ist daher, ob die Frau durch die Notlage oder Abhängigkeit zur Duldung des Beischlafs bestimmt wurde, oder ob sie unabhängig davon aus eigenem Antrieb ebenfalls eingewilligt hat. Notlage bzw. Abhängigkeit müssen also kausal dafür gewesen sein, dass der Täter den Beischlaf erlangt hat (vgl. LOGOZ, Art. 197 N 2 d; SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Aufl., Nr. 643; THORMANN/v. OVERBECK, Art. 197 N 5 und 7). Die Frage, wie es sich diesbezüglich im vorliegenden Fall verhalten hat, braucht indes aus einem noch darzulegenden Grund nicht entschieden zu werden.
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Der Missbrauch der Notlage oder der Abhängigkeit einer Frau ist ein Vorsatzdelikt. Der Täter muss demnach unter anderem auch wissen - oder sich im Sinne des dolus eventualis damit abfinden -, dass er in Ausnützung der Notlage oder der Abhängigkeit den Beischlaf erlangt hat. Das aber hat die Vorinstanz mit Sicherheit verneint. Es war auch folgerichtig; nachdem sie das Wissen um die Notlage verneint hatte, konnte sie den Vorsatz und den Kausalzusammenhang zwischen Notlage und Gewährung des Beischlafs nicht bejahen. Diese Feststellung ist tatsächlicher Natur. Sie bindet daher den Kassationshof und die in der Beschwerde dagegen vorgebrachten Einwände sind nicht zu hören. Hat Pola nicht die Absicht gehabt, in Ausnützung einer allfälligen Notlage der Pelka Markoviç geschlechtlich mit dieser zu verkehren, dann kommt eine Anwendung von Art. 197 StGB nicht in Frage. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist deshalb abzuweisen.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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