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38. Urteil des Kassationshofes vom 9. Juli 1974 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen F. | |
Regeste |
Art. 113 StGB; Totschlag. | |
Sachverhalt | |
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B.- Das Geschwornengericht des Kantons Aargau erklärte Anna F. am 19. Februar 1974 des Totschlags gemäss Art. 113 StGB schuldig und verurteilte sie zu 18 Monaten Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug.
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C.- Die Staatsanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Nach der vom Geschwornengericht nicht verkannten Rechtsprechung (BGE 82 IV 88) ist die einer Tötung zu Grunde liegende heftige Gemütsbewegung nicht schon dann entschuldbar, wenn sie aus den gesamten objektiven und subjektiven Umständen heraus psychologisch erklärt werden kann. Der Begriff der. Entschuldbarkeit verlangt vielmehr eine Bewertung nach ethischen Grundsätzen. Die Gemütsbewegung darf nicht ausschliesslich oder vorwiegend egoistischen, gemeinen Trieben entspringen, sondern muss durch die sie auslösenden äussern Umstände gerechtfertigt erscheinen. Wie in der 2. Expertenkommission wiederholt hervorgehoben wurde, muss die Gemütsbewegung z.B. durch eine Provokation, durch eine ungerechte Kränkung oder durch eine Notlage verursacht worden sein, um entschuldbar zu sein (BGE 82 IV 88). Bei Beurteilung der Entschuldbarkeit ist auch der Persönlichkeit des Täters Rechnung zu tragen; es ist ihm daher nicht irgendein Mensch zum Vergleich gegenüberzustellen, sondern jemand aus gleichen Umweltverhältnissen, wobei auch Erziehung und Charaktereigenschaften einzubeziehen ![]() | 5 |
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b) Für sie war entscheidend, dass, auch wenn die Beschwerdegegnerin an der Entstehung und Führung dieses ehebrecherischen Verhältnisses eine Mitverantwortung oder Mitschuld treffen sollte, jedenfalls in der Zeit von 1970 bis zur Tat vom 20. Februar 1973 das intime Verhältnis zwischen der Beschwerdegegnerin und Michele F. nur noch auf Grund "einer intensiven Gewalteinwirkung" des letzteren weiterbestand. Deshalb widerspricht die in der Beschwerde aufgestellte Behauptung, die Beschwerdegegnerin habe aus freiem Willen das ehebrecherische Verhältnis und die intimen Beziehungen mit Michele F. über 10 Jahre hinweg gepflegt und damit ihre schwere Konfliktssituation selbst verschuldet, jedenfalls für die entscheidenden Jahre 1970-73 den von der Vorinstanz getroffenen tatsächlichen Feststellungen, weshalb sie für den Kassationshof nicht massgebend sein kann (Art. 277 bis Abs. 1 BStP). Dasselbe gilt für die Behauptung, die Beschwerdegegnerin habe zugegeben, den Geschlechtsverkehr mit F. nicht ungern gehabt zu haben. Für diese letzte Zeit stellt die ![]() | 7 |
c) Auf dieser psychologischen Grundlage spielten sich die Vorgänge unmittelbar vor der Tat ab. Die Vorinstanz nimmt als erstellt an, dass F. auch am 20. Februar 1973 zunächst ![]() | 8 |
d) Mit Grund hebt das Geschwornengericht hervor, dass F. die Beschwerdegegnerin unmittelbar vor der Tat mit dem Vorwurf, sie sei eine Hure ("putana"), nicht nur schwer beleidigt, sondern ihr mit seiner Anschuldigung gerade die Lage vorgeworfen hat, die er ihr selbst durch seine Gewaltanwendungen gegen ihren Willen aufgezwungen hatte. Sein Gehaben unmittelbar vor der Tat war daher schwer provokativ; denn es bedeutete für die Beschwerdegegnerin nicht bloss eine tiefe Kränkung, sondern auch eine unerhörte Ungerechtigkeit. Angesichts der zumindest seit 1970 vorbestandenen äusserst gespannten Ausgangslage lassen diese Verumständungen die heftige Erregung, aus der heraus die Beschwerdegegnerin zum Messer griff, als entschuldbar erscheinen. Der Zynismus, mit dem F. der seiner Gewalttätigkeit ausgelieferten Frau gerade die Lebensführung vorwarf, zu der er sie zumindest seit 1970 gegen ihren Willen zwang, und die tiefe Verachtung, die er ihr dabei wegen dieser Lebensführung noch unmittelbar vor der Tat bezeugte, hätten auch eine andere Frau als eine heissblütige und am Rand ihrer Widerstandskraft angelangte Südländerin in einen blinden Wutanfall und in Verzweiflung zu versetzen vermocht. Das Gebaren F.s bedeutete gegenüber der Beschwerdegegnerin Provokation und ungerechte Kränkung, wie sie der 2. Expertenkommission als klassischer Entschuldigungsgrund in Sinne von Art. 113 StGB vorgeschwebt hatte. Mit Recht hat die Vorinstanz die Beschwerdegegnerin daher gemäss dieser Bestimmung schuldig gesprochen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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