BGE 101 IV 28 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
9. Urteil des Kassationshofes vom 21. März 1975 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden. | |
Regeste |
Art. 117 und 229 StGB. |
2. Frage der adäquaten Kausalität bei Unterlassungsdelikten (Erw. 3). | |
Sachverhalt | |
A.- Am 2. Mai 1972, ungefähr 17.10 Uhr ereignete sich in S. im Bereich eines von den Firmen X. und Y. ausgehobenen Wasserleitungsgrabens ein Unfall. Die Grabenteile der beiden Firmen stiessen in einem Winkel von 30 bis 40o aufeinander. Im Los 1 (Firma Y.) waren seit einem Tag Arbeiter damit beschäftigt, einen 30 m langen und fast 3 m tiefen Graben auszuheben. Am Nachmittag des 2. Mai wurde auch im Los 2 (Firma X.) mit der Aushubarbeit begonnen. Als die Baggermaschine der Firma X. in unmittelbarer Nähe der Grenze beider Lose eingesetzt war, hielten sich Arbeiter der Firma Y. wenige Meter davon entfernt im Grabenteil von Los 1 auf. In Richtung Grenze zu Los 2 war der Graben bereits beinahe bis zur Endtiefe ausgehoben.
| 1 |
Als gegen Abend des 2. Mai D. im Grenzbereich von Los 1 zu Los 2 beschäftigt war, stürzte der Graben teilweise ein. Die Arbeitskollegen wollten D. zu Hilfe kommen, bewirkten jedoch dabei einen weiteren Einsturz. Von den insgesamt sechs verschütteten Arbeitern starben zwei an den Folgen der erlittenen Verletzungen.
| 2 |
X., der in seinem Los die Bauführung innehatte, befand sich am Nachmittag des 2. Mai zweimal während kurzer Zeit auf der Baustelle. Obschon er sah, dass der von der Firma Y. ausgehobene Graben nicht verspriesst war und Arbeiter sich darin aufhielten, sah er sich nicht veranlasst, dieselben dahin zu instruieren, dass während der Baggerarbeiten niemand im Graben sein dürfe.
| 3 |
B.- Mit Urteil vom 12. Juni 1974 sprach der Kreisgerichtsausschuss Oberengadin X. der fahrlässigen Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde sowie der fahrlässigen Tötung schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 500.--.
| 4 |
Eine gegen diesen Entscheid erhobene Berufung wies der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden am 20./21. November 1974 ab.
| 5 |
C.- X. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil vollumfänglich aufzuheben und an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung zurückzuweisen.
| 6 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
7 | |
Die Vorinstanz erblickt die Verletzung der Bauregeln durch den Beschwerdeführer darin, dass er entgegen der Vorschrift der bundesrätlichen Verordnung über die Unfallverhütung beim Graben- und Schachtbau sowie bei ähnlichen Arbeiten vom 13. September 1963 es unterlassen habe, die Arbeiter der Bauunternehmung Y. vor dem drohenden Einsturz zu warnen. Ferner wird ihm ein Verstoss gegen Art. 16 der erwähnten Verordnung vorgeworfen, da er das Aushubmaterial auf der Bergseite des Grabens habe deponieren lassen.
| 8 |
X. macht demgegenüber geltend, er habe davon ausgehen dürfen, dass die Arbeiter der Firma Y. vom Verbot, sich während der Baggerarbeiten im Graben aufzuhalten, Kenntnis hätten. Er sei auch gar nicht berechtigt oder rechtlich verpflichtet gewesen, diesen Arbeitern Befehle zu erteilen. Vielmehr wäre es nach seiner Meinung Aufgabe der Bauleitung gewesen, die Einhaltung der Bauregeln zu überwachen und nötigenfalls durchzusetzen. Ferner habe das Aushubmaterial ohne weiteres auf der Bergseite deponiert werden dürfen.
| 9 |
10 | |
Im übrigen wäre die Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Warnung selbst dann nicht entfallen, wenn K. oder ein erfahrener Vorarbeiter sich auf dem Bauplatz aufgehalten hätten. Der Umstand, dass noch andere Personen derselben Verpflichtung unterworfen waren, vermag X. nicht zu entlasten. Man muss sich zudem fragen, ob er nicht seinem Baggerführer die verbindliche Weisung hätte erteilen müssen, nicht näher als etwa 8 m an den Graben heranzufahren, solange sich noch Arbeiter darin befanden.
| 11 |
b) Der Einwand des Beschwerdeführers, er habe keine Befehlsgewalt über die Arbeiter der Firma Y. gehabt, hilft ihm nicht. Gewiss macht sich grundsätzlich noch nicht strafbar, wer jemanden nicht warnt, der sich in eine Gefahr begibt. Wer hingegen einen gefährlichen Zustand selber schafft, ist nach ständiger Rechtsprechung verpflichtet, die durch die Umstände gebotenen Vorsichtsmassnahmen zu treffen (BGE 90 IV 250 mit Verweisungen). Demnach muss ein Bauunternehmer oder -leiter, der eine Gefahr für Leib und Leben anderer setzt, alle notwendigen Massnahmen zur Verhinderung einer Schädigung vorkehren. Im vorliegenden Fall haben X. und sein Baggerführer die Einsturzgefahr herbeigeführt bzw. dieselbe erhöht. Deshalb hätte der Beschwerdeführer nicht nur seine eigenen Arbeiter, sondern auch die übrigen von der Gefahr betroffenen Warnen müssen. Ob die gefährdeten Personen in einem rechtlichen Subordinationsverhältnis zu ihm standen, spielt dabei keine Rolle. Der gleichen Verpflichtung hätte er nämlich auch gegenüber unbeteiligten Dritten - etwa im Graben spielenden Kindern - nachkommen müssen.
| 12 |
c) Dem Umstand, dass das Aushubmaterial auf der Bergseite des Grabens abgelagert wurde, kommt keine selbständige Bedeutung zu. Er vergrösserte jedoch nach der Auffassung der Vorinstanz und nach allgemeiner Lebenserfahrung sowohl das Risiko des Einsturzes wie auch das Ausmass seiner Folgen. Die Einwände, welche der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, sind nicht zu hören, da sie sich gegen tatsächliche Feststellungen des Kantonsgerichtsausschusses richten, die für den Kassationshof verbindlich sind (Art. 277bis Abs. 1 BStP).
| 13 |
14 | |
a) Adäquate Kausalität liegt allgemein vor, wenn eine Ursache nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geeignet war, einen solchen Erfolg herbeizuführen oder zu begünstigen. Rechtserhebliche Kausalität ist zu verneinen, wenn die natürliche Verursachung so weit ausserhalb der normalen Lebenserfahrung liegt, dass die Folge nicht zu erwarten war (BGE 98 IV 173 mit Verweisungen). Da Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ein Unterlassungsdelikt (Unterlassung einer Warnung) bildet, geht es hier nicht um die reale, sondern um eine hypothetische Kausalität. Es muss nämlich geprüft werden, ob der verpönte Erfolg nach allgemeiner Lebenserfahrung hätte abgewendet werden können, wenn der Täter die ihm gebotene Pflicht zu handeln beachtet hätte (H. SCHULTZ, Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts, 2. Auflage, Bd. I, S. 109).
| 15 |
b) Sowohl für einen Laien als auch erst recht für den Beschwerdeführer als Fachmann war es klar, dass der Einsatz des Baggers unter den gegebenen Umständen die Gefahr des Einsturzes des unverspriessten Grabens wesentlich erhöhte. Es entsprach dem normalen Lauf der Dinge, dass durch derartige Baggerarbeiten ein Einsturz ausgelöst werden konnte - und zwar mit immer grösserer Wahrscheinlichkeit, je näher der Bagger zum bereits ausgehobenen Graben gelangte - und dass dadurch die darin beschäftigten Arbeiter den Tod finden konnten. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Arbeiter die Gefahr hätten erkennen und den Graben verlassen sollen. Gewiss weiss auch jemand ohne Bildung, dass ein schmaler und tiefer Graben einstürzen und das herabfallende Erdreich Menschen erschlagen kann. Ebenso bekannt ist aber, dass viele Leute derartige offensichtliche Gefahren nicht beachten, was sich auch im vorliegenden Fall deutlich gezeigt hat.
| 16 |
Es ist somit davon auszugehen, dass der Einsatz des Baggers eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Arbeiter der Firma Y. bedeutete und den Tod zweier dieser Arbeiter herbeigeführt hat. Nach menschlichem Ermessen hätte der Beschwerdeführer diese Todesfolge durch eine entsprechende Warnung verhindern können. Daher lässt sich die adäquate Kausalität zwischen der unterlassenen Warnung und dem Tod der beiden Arbeiter nicht in Abrede stellen.
| 17 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
| 18 |
19 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |